Ein Unternehmen mit russischem Kapital soll in Niederkorn die weltweit größte Nanoröhren-Fabrik bauen. Hinter „Ocsial“ stehen Investoren mit zum Teil zweifelhaften Verbindungen. Der Luxemburger Staat hat eine Millionenhilfe für das Projekt zugesagt.
„Wir als Gemeinde bekommen keine Informationen über die Fabrik“, meint die Differdinger Bürgermeisterin Christiane Brassel-Rausch (Déi Gréng) im Gespräch mit Reporter.lu. Zwar gab es im Oktober vergangenen Jahres eine Präsentation des Projekts in der Gemeinde, seitdem habe man aber nichts mehr über „Ocsial“ gehört. „Auf dem Areal – das dem Wirtschaftsministerium gehört – wurde damit begonnen, eine Baugrube auszuheben. Meines Wissens ist danach aber nicht mehr viel passiert.“
Die „Tuball Factory“ soll die größte Manufaktur für sogenannte Graphen-Nanoröhren weltweit werden, das einzige andere Werk dieser Art steht im russischen Novosibirsk. Dabei würde die Anlage in Niederkorn, der Präsentation nach, so ziemlich alles vereinen, was sich Politiker seit Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben haben: eine Investition in eine Zukunftstechnologie, die sich durch eine nachhaltige Produktionsweise auszeichnet und die nebenbei die Diversifizierung der Luxemburger Wirtschaft verkörpert.
Der Name „OCSiAl“ entspricht den chemischen Elementen, mit denen die Firma arbeitet (Oxygen, Carbon, Silicium und Aluminium). Anstatt diese Materialien in herkömmlichen Größen zu verwenden, setzt Ocsial auf die Nanotechnologie. Das Start-Up, das eigenen Aussagen zufolge mehrere Milliarden schwer ist, entwickelte 2013 ein Verfahren, bei dem Nanoröhren synthetisch und industriell produziert werden können. Laut eigenen Angaben machen die rund 90 Tonnen, die jährlich produziert werden, ganze 97 Prozent der weltweiten Produktionskapazität von Graphen-Nanoröhren aus.
Von Luxemburg nach Zypern und zurück
Dass Ocsial auf die Idee kam, sich in Luxemburg anzusiedeln, hat wohl mehrere Gründe. Wie der CEO, Konstantin Notman, in einem „Paperjam“-Interview erklärte, habe man so näher an den potentiellen Kunden für das Endprodukt angesiedelt sein wollen. Zu den Verwendungen gehört nicht zuletzt die Entwicklung von kostengünstigeren und effizienteren Batterien für Elektroautos.
Kein Investor ist anonym, aber als Privatfirma haben wir keine Verpflichtung, sie öffentlich zu machen, und werden dies auch nicht tun.“Stellungnahme von Ocsial
Ein Blick ins Handelsregister offenbart aber noch andere Perspektiven. Die erste Firma, die Ocsial 2011 in Luxemburg gründete, dient bis heute dazu, die Patente zur Herstellung der Nanoröhren zu verwalten. Die eigentliche Ocsial-Filiale in Luxemburg, die sämtliche weltweiten Tochtergesellschaften hält, kam erst ein Jahr später hinzu. „Ocsial Europe“, das den Vertrieb der Nanoröhren-Technologie in der EU organisiert, „Tuball Energy“ und „Tuball Factory“, also die geplante Fabrik in Niederkorn, sind weitere Tochterunternehmen in Luxemburg.
Auch wenn die Holdinggesellschaft Ocsial in Luxemburg alle Anteile an den internationalen Firmen in Russland, den USA, in Korea und China hält, ist Ocsial kein rein luxemburgischer Betrieb. Denn die Anteile an der Luxemburger Holding werden, Informationen von Reporter.lu zufolge, von der Gesellschaft „Farsonex Investments Limited“ auf Zypern gehalten, die bereits seit 2009 existiert. Wer hinter dieser Firma steckt, ist nicht herauszufinden, da Zypern das von der EU vorgeschriebene Register der wirtschaftlichen Eigentümer von Gesellschaften noch nicht umgesetzt hat.
Undurchsichtige Geschäftsstrukturen
Im Luxemburger „Registre des Bénéficiaires Effectifs“ (RBE) finden sich derweil Namen der vier russischen Investoren, die hinter Ocsial stehen. Unter ihnen befindet sich auch Igor Kim, ein aus Kasachstan stammender Geschäftsmann mit zypriotischem Pass. Sein Hauptgeschäft sind Banken, vor allem Bankfusionen. Diese stellten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen verhältnismäßig einfachen Weg dar, um zu Reichtum zu kommen.

Igor Kims Meisterstück: Der Kauf der lettischen „Expobank“ – die nach dem EU-Beitritt des baltischen Landes zu einem sicheren europäischen Hafen für russisches Kapital wurde. Die „FinCen-Files“, eine Recherche des „Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten“ (ICIJ) weisen darauf hin, dass der inzwischen sanktionierte russische Oligarch Oleg Deripaska über das Expobank-Netzwerk Milliarden aus Russland schleusen konnte. Die Bank musste 2014 eine Strafe von mehr als 100.000 Euro an den lettischen Staat zahlen, wegen Verstößen gegen die Anti-Geldwäsche-Verordnungen. Auch in Luxemburg eröffnete 2016 eine Expobank-Filiale, die den Betrieb aber nach nur zwei Jahren wieder einstellte. Kurz vor Kriegsausbruch verkaufte Igor Kim seine Anteile an der Expobank an die „Signet“-Bank.
Neben Ocsial hält der Millionär Anteile an einem weiteren luxemburgischen Unternehmen, dem Elektro-Scooter-Hersteller „Ujet“. Angesiedelt an derselben Adresse in Leudelingen wie Ocsial, gehört dieser Betrieb zu einer amerikanischen Firma und beschäftigt rund 30 Leute.
Startup-Hilfen vom russischen Staat
Die Jahresberichte von Ocsial erzählen eine Geschichte der ständigen Expansion und eines nicht enden wollenden Stroms von Kapital, das in die Gesellschaft fließt. Einer der ersten Investoren war der russische Staat selbst, über den eigens für die Nanotechnologie aufgesetzten Investitionsfonds „Rusnano“. Der Kredit ist inzwischen zurückgezahlt. Doch Serguey Kulikov, der Vorstandsvorsitzende des Fonds, steht seit Kriegsbeginn auf den Sanktionslisten der EU und der USA.
Laut dem Jahresbericht kamen noch neue Darlehen dazu. Darunter einmal zehn Millionen Dollar von „Gemcorp“, einer britischen Investmentfirma mit russischem Kapital, der Verbindungen zum russischen Staat nachgesagt werden. Noch erstaunlicher: Ein doppelt so hoher Kredit einer „Kassiopeia Holdings“ genannten Firma, die jedoch in keinem Handelsregister der Welt ausfindig zu machen war. Zwar wurde der Einstieg des japanischen Industriegiganten „Daikin Industries“ ins Aktienkapital groß von Ocsial gefeiert, doch die Summe von vier Millionen Euro ist gegenüber den Anteilen von zwei nicht genannten Privatinvestoren verschwindend gering. Diese kauften laut Bericht über 60 Millionen Aktien ein.
Auf die Aktionärs- und Investorensituation angesprochen, heißt es von Ocsial: „Kein Investor ist anonym, aber als Privatfirma haben wir keine Verpflichtung, sie öffentlich zu machen, und werden dies auch nicht tun“, so ein Sprecher gegenüber Reporter.lu. Das Unternehmen beteuert zudem, dass man sämtliche vorgeschriebenen Maßnahmen gegen Geldwäsche und sanktionierte Personen durchführe. Weitere Fragen will man nicht beantworten: „Wir respektieren Ihr professionelles Interesse, aber in Anbetracht der Qualität und der Ausrichtung Ihrer Fragen wollen wir noch einmal darauf hinweisen, dass Ocsial ein globales Unternehmen ist, das seit seiner Gründung in Luxemburg angesiedelt ist.“
Luxemburger Investitionen geplant
In der Tat: Luxemburg spielt bei der Entwicklung von Ocsial eine wichtige Rolle. Die Firma wurde jedoch nicht direkt aus dem Ausland angeworben, sondern entschied sich bewusst für den Standort und den Finanzplatz. Ein „Memorandum of Understanding“ zum Bau des „Graphetron“ – der Nanoröhren-Fabrik in Niederkorn – wurde bereits 2017 unterschrieben. Dennoch dauerte es bis Ende 2021, bis erste Schritte unternommen wurden. Das Kommodo-Inkommodo Verfahren wurde am 22. Februar 2022, zwei Tage vor Beginn des Krieges in der Ukraine, abgeschlossen.
Das Projekt ist in Verzug geraten, deshalb hat das Ministerium noch keine Hilfe ausbezahlt.“Wirtschaftsministerium
Auch finanzielle Hilfen des Staates waren angedacht: Fünf Millionen Euro sollten als „Investitionshilfe“ an Ocsial ausbezahlt werden. Obwohl bereits 2019 bewilligt, sind diese Gelder jedoch noch nicht geflossen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärt Reporter.lu gegenüber: „Bei einer Investitionshilfe werden teilweise bestimmte Kosten oder Investitionen, die der Betrieb vorfinanziert, vom Staat übernommen. Das Projekt ist in Verzug geraten, deshalb hat das Ministerium noch keine Hilfe ausbezahlt.“ Die Sprecher von Ocsial gaben sich zu diesem Thema etwas zurückhaltender und wollten nur von „Verhandlungen“ über Beihilfen reden, versicherten aber, dass noch kein Geld geflossen sei.
Auf die Frage, wieso erst so spät mit dem Bau begonnen wurde, heißt es von der Firma: „Wir sind dabei, Dokumente vorzubereiten, um eine Baugenehmigung erlangen zu können. Wir haben noch nicht mit den Bauarbeiten begonnen.“ Bis jetzt seien auf dem Bauland, auf dem die Fabrik entstehen soll, lediglich Dekontaminations- und andere Vorbereitungsmaßnahmen angelaufen. Die Prüfung durch das Umweltministerium über die zu respektierenden Auflagen ist im Dezember 2021 abgeschlossen worden.
Das Wirtschaftsministerium wollte sich auf Nachfrage nicht zu der Zukunft von Ocsial in Luxemburg äußern. Ein Sprecher verwies lediglich darauf, dass es einer der Zuständigkeitsbereiche des Ministeriums sei, „die ökonomische Entwicklung und Diversifikation voranzutreiben“.