Lokale Unternehmen wie Bäckereien oder Gemüsebauern leiden besonders unter den hohen Energiepreisen. Sie fordern zügige und gezielte Hilfe vom Staat. Denn für einige bedroht die Entwicklung bereits die Existenz. Ein Besuch bei drei Familienbetrieben in der Dauerkrise.
Pol Jeitz kennt die Geschichten aus Deutschland. Von Bäckereien, deren Gasrechnung sich verzehnfacht und die nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Ganz so weit sei er noch nicht, meint der Bäckermeister. Und doch. Seit 1930 betreibt die Familie Jeitz ihre Bäckerei in Consdorf. In dieser Zeit waren die Öfen nur ein einziges Mal wirklich aus. Im Zweiten Weltkrieg während der Ardennenoffensive. „Mein Großvater hat ein letztes Mal Brote in den Ofen geschoben und den amerikanischen GIs mit Gesten erklärt, wann sie aus dem Ofen müssen, dann ist er vor der Offensive geflüchtet“, erzählt Pol Jeitz.
Heute, rund 75 Jahre später, steht mit ihm die dritte Generation in der Backstube. Auch aktuell ist die Lage ernst, obwohl der joviale Bäckermeister sich das nicht anmerken lässt. Einige der Gründe zur Sorge hat Pol Jeitz fein säuberlich aufgelistet. 19 sind es insgesamt. Weizenmehl etwa. Preis im Januar: 0,65 Euro das Kilo. Preis im August: 0,85 Euro. Oder Zucker: Im Januar 0,66 Euro das Kilo und im August 0,82 Euro. Ähnliche Preisanstiege gab es bei Butter, Mandeln, Hefe oder Margarine. Eigentlich bei fast allem, was eine Bäckerei täglich in großen Mengen verarbeitet.
Die gestiegenen Rohstoffpreise sind schon alleine ein Problem, dazu kommen jetzt noch die Energiekosten. Dort hat der Betrieb von Pol Jeitz gewissermaßen Glück im Unglück. Denn der Ofen läuft mit Heizöl und nicht mit Gas. Doch auch beim Heizöl haben sich die Preise mehr als verdoppelt. Den Ringrohrofen schaltet man außerdem nicht einfach ein und aus. Denn der Anlaufprozess dauert mehrere Tage. Pol Jeitz muss den Ofen behutsam an die Backtemperatur heranführen. Ein Prozess, der vielleicht nach dem jährlichen Urlaub möglich ist, nicht aber im täglichen Betrieb.
Stark begrenztes Einsparpotenzial
Deshalb hat der Bäcker aus Consdorf vorgesorgt. „Ich habe spekuliert. Wir haben eine Zisterne, die rund 25.000 Liter Heizöl fasst und die habe ich kürzlich komplett gefüllt. Damit kommen wir über den Winter.“ Auf die Energiesparziele der Regierung angesprochen, muss der 51-Jährige schmunzeln. Auf dem Dach der Bäckerei hat er eine Solaranlage installiert, der Betrieb setzt auf nachhaltige Produkte aus der Region und Brotreste gehen an Bauern aus der Gegend. Doch das Einsparpotenzial hat Grenzen. Denn, so Pol Jeitz: „Mit einer Wärmepumpe backt man kein Brot.“

Um einen Ofen dreht sich alles auch rund fünf Kilometer entfernt. Denn dort, in Berdorf, betreibt Pascale Seil die einzige Glasbläserei des Landes. Und hier beginnt das Gespräch ebenfalls mit einer Preistabelle. Allerdings enthält die nur einen einzigen Posten: die Gaspreise. Der Schmelzofen im lichtdurchfluteten Atelier im Erdgeschoss läuft mit Gas, und das 24 Stunden am Tag. „Der Ofen muss immer laufen. Wenn ich ihn ausschalte, erstarrt die Glasschmelze. Dann ist der Ofen ruiniert“, sagt Pascale Seil.
Rund 2.000 Liter Flüssiggas verbraucht der Ofen. Jeden Monat. Zu Beginn der Pandemie zahlte Pascale Seil für einen Liter etwa 40 Cent. Danach zogen die Preise etwas an und stabilisierten sich um die 50 Cent. Doch dann kam der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Und die Preise schnellten in die Höhe. Im April dieses Jahres musste Pascale Seil für einen Liter über einen Euro zahlen. Derzeit sind es rund 75 Cent.
Versorgt wird der Ofen über eine Zisterne unter dem Haus. Denn an das öffentliche Gasnetz angeschlossen ist der Betrieb von Pascale Seil nicht. Ein Problem, wie sich herausstellen sollte. Denn eigentlich hatte die Regierung versprochen, Betrieben mit hohem Gasverbrauch zu helfen. Dazu wurde in den Tripartite-Verhandlungen im März festgehalten, dass Betriebe, bei denen der Gasverbrauch über drei Prozent der Betriebskosten ausmacht, Hilfen vom Staat bekommen können. Dabei kann der Staat zwischen 30 und 70 Prozent der Mehrkosten übernehmen.
Das Kleingedruckte der Staatshilfen
Obwohl Pascale Seil versucht hatte, die Hilfe zu beantragen, ist ihr Fazit ernüchternd: „Bisher kamen viele warme Worte und, ehrlich gesagt, viel Bla Bla. Konkrete Hilfe gab es bisher überhaupt keine.“ Eigentlich hätte ihr Betrieb Anrecht auf diese. Doch beim Antrag stellte die Glasbläserin fest, dass die finanzielle Unterstützung nur für Erdgas gilt. Ihr Ofen verfeuert jedoch Propan-Gas und dafür sind schlicht keine Hilfen vorgesehen.

Um die Situation zu meistern, hat Pascale Seil schon einige Anpassungen im Betrieb umgesetzt. Anstatt zwei Assistenten geht ihr derzeit nur ein Assistent zur Hand. Dadurch sinke zwar die Produktivität, aber es reduziere eben auch die Lohnkosten, betont die Glasbläserin. Zudem steht Pascale Seil derzeit an sechs von sieben Tagen in ihrer Werkstatt, um das Gas möglichst effizient zu nutzen. Auch über den Umstieg auf einen Elektro-Ofen hat sie schon nachgedacht. „Aber ich habe die Pläne schnell wieder verworfen. So ein Ofen würde 96.000 Euro kosten und ich bräuchte dennoch zusätzlich einen Gasofen, um die Schmelze aufrecht zu erhalten“, sagt die Glasbläserin.
Was vor diesem Krisenwinter bleibt, ist die Ungewissheit. Einerseits darüber, wie sich die Gaspreise entwickeln werden. Andererseits über den Betrieb an sich. Ob es noch Kunden gibt für die handgeblasenen Weingläser, die filigranen Karaffen oder die Glasskulpturen. „Ich habe zwar noch Bestellungen, aber natürlich mache ich mir Gedanken. Ich stelle Luxusprodukte her und die Frage ist: Wo werden die Leute sparen, wenn es ernst wird?“ Deshalb ist es auch von Pascale Seil die klare Forderung an die Politik, kleinen Betrieben wie ihrem zu helfen. „Die Hilfen müssen unbedingt unbürokratischer werden. Ich frage mich sowieso, weshalb der Staat nicht einfach die Steuern auf Gas und Öl herabsetzt?“
Die Polykrise der Gemüsebauern
Krisenstimmung herrscht auch zwischen dem Kohl, den erntereifen Kürbissen und Salaten von Claude Kirsch. Seit mehr als 100 Jahren baut die Familie in Luxemburg Gemüse an, mittlerweile in vierter Generation. Der Betrieb lebte dabei immer von seiner Vielfalt und dem Anspruch, die Kunden mit saisonalem Gemüse aus der Region zu versorgen. Doch wie lange das noch geht, ist offen. Denn wer Claude Kirsch nach der aktuellen Lage fragt, erhält eine knappe Antwort: „Katastrophal“. Auch sein Vater, Niki Kirsch, kann sich nicht an eine dermaßen ernste Lage erinnern.
„Diesen Sommer hatten wir eine Trockenheit, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sieben Wochen ohne Regen“, sagt Claude Kirsch. „Würden wir nur die Wasserkosten zur Bewässerung der Pflanzen an die Kunden weitergeben, müssten wir die Preise um zehn Prozent erhöhen.“ Erschwerend kommt hinzu: Die Konkurrenz im Ausland bekommt das Wasser oft vom Staat subventioniert und zahlt demnach nichts für die Bewässerung.

Stichwort Konkurrenzdruck: Bereits vor der aktuellen Krise zahlte der Gemüsebauer aus der Hauptstadt oft mehr für Strom und Energie als die Konkurrenz in anderen Ländern. Hinzu kommen Personalkosten, die deutlich über jenen im Ausland liegen. Eine Gemengelage, die dazu führt, dass große Supermarktketten einen Gartensalat selbst im Winter oft günstiger anbieten können als die Familie Kirsch im Frühling oder Sommer. „Unseren Preisen ist schon allein dadurch eine Grenze gesetzt. Wir können unsere Kostenerhöhungen nicht einfach auf die Produkte umlegen“, so der Unternehmer.
Auch von der Rückbesinnung auf regionale Produkte, die in der Corona-Pandemie noch so allgegenwärtig war, ist nicht mehr viel übrig. Als „Eintagsfliege“ bezeichnet Claude Kirsch den Trend. Mittlerweile seien wohl wieder Fernreisen, neue Autos und Flachbildfernseher wichtiger als Produkte aus der Region, so der Gemüsebauer.
Gezielte Maßnahmen gefordert
Die gestiegenen Energiepreise könnten vor diesem Hintergrund jener Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Denn die vier Gewächshäuser auf dem Betriebsgelände neben dem Jagdschloss am „Biergerkräiz“ werden mit Öl beheizt. Zwar blieb der Betrieb im Januar und Februar geschlossen, doch für den Saisonstart im März sind die Gewächshäuser unerlässlich. Unbeheizt droht die erste Ernte auszufallen. „Und dann ist der ganze Rest der Saison auch im Eimer“, betont Claude Kirsch.
Bereits heute müsse sein Betrieb an die Reserven gehen, um weiterzumachen. „Die Politik hat den Ernst der Lage nicht erkannt“, so sein Fazit. „Wenn die Regierung will, dass in Zukunft noch Gemüse in Luxemburg angebaut wird, dann muss sie uns jetzt helfen. Sonst ist es vorbei“, erklärt Claude Kirsch. Konkret fordert der Gemüsebauer, dass die Regierung den Heizölpreis für den landwirtschaftlichen Gemüseanbau halbieren solle.

Auch bei der „Fédération des Artisans“ ist man sich bewusst, unter welchem Druck verschiedene Betriebe stehen. Gleichzeitig verwahrt sich Romain Schmit, Generalsekretär des Branchenverbands, gegen eine Verallgemeinerung: „Es gibt Betriebe, die weniger Einbußen durch die gestiegenen Energiepreise und die Inflation haben, als andere. Deshalb kann es meiner Meinung nach nicht zielführend sein, mit der Gießkanne zu helfen.“
Die Hilfen müssten gezielt an jene Betriebe gehen, die besonders unter den Energiepreisen leiden, so Romain Schmit. Einem Installateur die Dieselkosten für die Transporter zu ersetzen, könne jedenfalls nicht das Ziel sein, betont der Generalsekretär der „Fédération des Artisans.“ Zudem warnt er vor zu bedeutenden staatlichen Eingriffen in den Markt: „Der Staat kann auch nicht alles abfedern und übernehmen. Irgendwann muss der Markt wieder spielen. Auch wenn das schmerzhaft sein kann.“
Hilfen lassen auf sich warten
Wie viel der Staat bis jetzt wirklich übernommen hat, ist unklar. Zwar wurden auch kleinen und mittelständischen Betrieben bei der Tripartite Anfang des Jahres Hilfen zugesagt. Doch auf Nachfrage von Reporter.lu betont das Mittelstandsministerium lediglich, dass bisher 109 Anträge auf eine Unterstützung eingegangen seien. Diese würden aktuell noch bearbeitet, so ein Sprecher von Minister Lex Delles (DP). Insgesamt würden die Anträge einer staatlichen Unterstützung von 2,6 Millionen Euro entsprechen. Weitere Hilfen will das Ministerium derzeit nicht bestätigen. Man wolle den Tripartite-Verhandlungen nicht vorgreifen.
Seine Bäckerei wird die Krise wohl überstehen, meint indes Pol Jeitz. Auch weil die Schulden abbezahlt sind, die Bäckerei der Familie gehört und deshalb keine Mietkosten anfallen. Zudem hat der Bäcker aus Consdorf die Preise leicht erhöht. Ein Weißbrot, geschnitten, kostet heute 2,50 Euro. Davor waren es 2,35 Euro. Weitere Erhöhungen plant Pol Jeitz derzeit jedoch nicht. Man sei Grundversorger und habe eine Verpflichtung, dass die Kunden sich das Brot noch leisten können, so der Bäckermeister.
An die Politik ist der Auftrag dennoch klar: „Kleinen Betrieben muss gezielt geholfen werden. Auch mit Entlastungen bei den Energiekosten.“ Denn Hilfen vom Staat gab es für die Bäckerei aus Consdorf bisher keine.