Für die ältere Generation ist die Coronavirus-Pandemie lebensgefährlich, für die jüngere eine Bedrohung der Existenz. Die Jugendarbeitslosigkeit in Luxemburg befindet sich auf einem Rekordhoch. Das Ministerium sieht den Ernst der Lage, setzt aber kaum neue Akzente.
Sandra* ist 23 Jahre alt, hat einen dreijährigen Sohn und muss mit 730 Euro pro Monat über die Runden kommen. Die junge Frau ist seit etwa einem Jahr auf Arbeitssuche und engagiert sich jetzt freiwillig im „Atelier“ des „SNJ“ – ein Projekt, das jungen Menschen helfen soll, wieder Motivation zu schöpfen und das Selbstbewusstsein zu stärken. „Zurzeit ist es meine einzige Option“, sagt die junge Mutter. Die Pandemie hat etliche Menschen ihre Arbeitsstellen gekostet. Gerade für nicht-qualifizierte Jugendliche wie Sandra hat sich die Lage dramatisch verschlechtert.
„Wir haben Angst vor einer verlorenen Generation“, sagt Stefano Araujo, Verantwortlicher für die Jugendabteilung der Gewerkschaft OGBL. Innerhalb eines Jahres ist die Jugendarbeitslosigkeit um 59,1 Prozent gestiegen – fast doppelt so stark wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Mitte Juni lag sie demnach bei 12,8 Prozent. „Es fehlt an Ausbildungsplätzen in Unternehmen, Sommerjobs, Praktika und Arbeitsplätzen im HORESCA-Bereich“, so Stefano Araujo im Gespräch mit REPORTER.
Die Regierung scheint sich der Folgen der Pandemie bewusst zu sein. „Die Zahlen sind dramatisch“, meinte Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) noch vor wenigen Tagen im Parlament. Wie besorgniserregend sie sind, zeigte sich in den Verhandlungen während der „Tripartite“: Die Sozialpartner diskutierten ausschließlich über Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Allerdings spielte die Jugendarbeitslosigkeit dabei eine untergeordnete Rolle.
Ausbildungsplätze dringend gesucht
Noch vor der „Tripartite“ entschied die Regierung, die Kurzarbeit bis Ende des Jahres weiterlaufen zu lassen. Ziel ist es, die bestehenden Arbeitsplätze, soweit es geht, zu erhalten – doch dadurch werden auch keine neuen Stellen ausgeschrieben. „Sollten Arbeitnehmer noch im Chômage partiel sein, kann das Unternehmen weder Leiharbeiter einstellen noch CDD-Verträge abschließen“, sagt Stefano Araujo. Gerade diese Verträge sind jedoch oft für junge Menschen ohne Berufserfahrung ein Sprungbrett in die Arbeitswelt.
Wir müssen aufpassen, dass das Ausbildungsangebot nicht ganz zusammenbricht.“Tom Wirion, Präsident der Handwerkskammer
Sorge bereitet der Politik jedoch vor allem die Berufsausbildung. Insbesondere in den Handwerksbetrieben werden Ausbildungsplätze zur Mangelware – das zeigt zumindest eine Blitzumfrage der „Chambre des Métiers“. „Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, die kommenden Monate zu planen und wollen sich deshalb nicht gegenüber Auszubildenden verpflichten“, sagt Tom Wirion im Gespräch mit REPORTER. „Zwar ist die jetzige Lage kein Drama, aber wir müssen aufpassen, dass das Ausbildungsangebot nicht ganz zusammenbricht“, so der Generaldirektor der Handwerkskammer. Die Unternehmen sind nämlich selbst auf die Auszubildenden angewiesen.
Teufelskreis der Berufsausbildung
Seit Jahren herrscht ein Fachkräftemangel in Luxemburg. Sollten weitere Ausbildungsplätze wegfallen, wird der Mangel sich in den kommenden Jahren notgedrungen vergrößern. Bereits während des Lockdowns versuchte der Staat, den Unternehmen Unterstützung anzubieten, indem die Fristen für die Ausschreibung von Ausbildungsplätzen verlängert wurden. Jetzt sollen zusätzliche Prämien einen Anreiz für die Handwerksbetriebe schaffen.
Pro Auszubildenden sollen Unternehmen zwischen 1.500 und 3.000 Euro erhalten. Zudem sollen zusätzliche Plätze in den Ausbildungsklassen geschaffen werden. Ob dies aber die erhoffte Wirkung zeigen wird, ist fraglich. Laut Stefano Araujo findet bereits jetzt die Ausbildung zunehmend in Schulen oder Ausbildungszentren statt. Das Unternehmen spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Gerade der direkte Austausch zwischen Schülern und Arbeitgebern würde allerdings die Chancen auf eine spätere Einstellung vergrößern, so das Vorstandsmitglied des OGBL.
Außerdem ist fraglich, ob diese zusätzlichen Beihilfen für Ausbildungsplätze rechtzeitig vom Parlament verabschiedet werden können. In wenigen Tagen beginnt die parlamentarische Sommerpause, bis dahin müssten das Parlament und der Staatsrat den Gesetzesvorschlag verabschieden. Darauf angesprochen meinte Dan Kersch am Donnerstag schlicht: „Ich bin ein historischer Optimist.“ Zumindest die Gesetzestexte für die „Aide à l’embauche chômeur“, das Berufsbildungspraktikum („Stage de professionnalisation“) und den Wiedereingliederungsvertrag („Contrat de réinsertion-emploi“) wurden schon vom Kabinett angenommen, so der Arbeitsminister während einer Pressekonferenz.
Von Berufspraktika zu Weiterbildungen
Allerdings: Mit Ausnahme des Praktikums betreffen alle Maßnahmen fast ausschließlich ältere Arbeitslose. Unternehmen sollen künftig Praktikanten für sechs bis neun Wochen einstellen können, ohne dabei für Kosten aufkommen zu müssen. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld soll der Praktikant ein Entgelt von etwa 350 Euro erhalten. Laut dem Arbeitsamt wird dem Praktikanten in 50 Prozent der Fälle anschließend ein Arbeitsplatz angeboten. Langfristig soll auch das Weiterbildungsangebot angepasst werden, um den Arbeitslosen neue Perspektiven zu eröffnen.
Wir haben Angst vor einer verlorenen Generation.“Stefano Araujo, Jugendabteilung des OGBL
Weitere Maßnahmen für Jugendliche sind nicht geplant, das Ministerium will lieber auf die bestehenden Mittel zurückgreifen. Diese versetzen die Jugendliche jedoch oft in eine prekäre Lage, sagt Stefano Araujo vom OGBL. Er fordert deshalb etwa die Wiedereinführung des Solidaritätsvorruhestandes („préretraite-solidarité“). Vor dessen Abschaffung vor zwei Jahren konnten Unternehmen willige Arbeitnehmer in Frührente versetzen, um den bestehenden Arbeitsplatz mit jungen Arbeitssuchenden zu besetzen. „Diese Stellen boten die Möglichkeit, jungen Menschen leichter eine Festanstellung zu bieten“, sagt der Gewerkschafter.
Neue Krise, alte politische Rezepte
Tatsächlich besteht die Arbeitsmarktpolitik vor allem in der Vermittlung von Kurzzeitverträgen, die den Weg zu einer Festanstellung ebnen sollen. Diese Politik schlug die Regierung bereits bei der letzten erfolgreichen „Tripartite“ im Jahr 2005 ein. Damals ging es vorrangig um den Eisenbahnsektor, jedoch spielte die Jugendarbeitslosigkeit ebenfalls eine besondere Rolle. Daraufhin führte die Regierung unter Jean-Claude Juncker (CSV) den „Contrat d‘initiation à l’emploi“ und den „Contrat d’appui-emploi“ im damaligen „Omnibus-Gesetz“ ein.
Beide Maßnahmen gelten auch heute wieder als Hauptinstrumente zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Faktisch hat der Arbeitsminister diese Mittel nun mit der Senkung des Mindestalters für den „Contrat de Réinsertion-emploi“ verallgemeinert. Demnach kann der Staat nun die Hälfte des Lohns und der Arbeitgeberkosten für Kurzzeitverträge während eines Jahres übernehmen – unabhängig vom Alter des Betroffenen.
Bei der letzten Krise waren ebenso vor allem junge Arbeitslose betroffen. Daraufhin entwickelte die Europäische Kommission 2013 die sogenannte Jugendgarantie als Antwort auf die europaweit steigenden Arbeitslosenzahlen. Das Versprechen: Innerhalb von sechs Monaten soll der Staat einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz für den Betroffenen finden. Seit Juni 2014 gilt sie auch in Luxemburg. Vier Jahre später hat die Regierung das Angebot auf alle jungen Menschen bis 30 Jahre ausgeweitet. Nun muss das Programm allerdings unter Beweis stellen, dass es das Versprechen auch in Krisenzeiten einhalten kann.
Unterdessen sucht Sandra fleißig weiter nach einer Arbeitsstelle. Die Frist von sechs Monaten wurde bei ihr längst überschritten. Sie sucht zurzeit nach einem Ausbildungsplatz als Verkäuferin. Die festen Arbeitszeiten der Branche würden ihr erlauben, sich abends um ihren Sohn zu kümmern. Die Corona-Krise dürfte ihre Chancen auf einen festen Job allerdings nicht verbessert haben.
* Name wurde von der Redaktion geändert