Das parteipolitische Geplänkel verdeckt in der Causa Cahen das Offensichtliche: Natürlich handelt es sich beim Vorgehen der Familienministerin um einen Interessenkonflikt. Die Politik täte gut daran, sich strengere Verhaltensregeln zu geben. Ein Kommentar.
Eine Ministerin beschwert sich per E-Mail bei einem Verband darüber, dass nicht genug für die Geschäftsleute der Hauptstadt getan wird. Zufällig ist die Autorin des Beschwerdeschreibens nicht nur Politikerin, sondern Inhaberin eines der betroffenen Geschäfte. So kurz und bündig lässt sich das Problem um das sogenannte „Mail-Gate“ (RTL) zusammenfassen.
Dass es sich dabei um eine Interessenvermischung handelt, ist offensichtlich. Corinne Cahen unterschreibt Ihre E-Mail, über die zuerst das „Luxemburger Wort“ berichtete, zwar mit ihrem Minister-Titel und dem offiziellen Logo der Regierung. Doch hier spricht freilich die Unternehmerin Cahen. Ob bewusst oder nicht: Sie nutzte die Autorität ihres Amtes, um ein Anliegen zu befördern, das sie als Privatperson betrifft.
Corinne Cahen hat sich eben nicht selbstlos für alle Geschäftsleute eingesetzt. Sie verteidigt nur jene, die ihr Geschäft zufällig in der selben Straße ausüben, in der ihr eigener Laden steht.“
Es ist zudem nicht das erste Mal, dass Corinne Cahen durch eine Vermischung ihres politischen Amtes und ihrer privaten Interessen auffällt. Mehrmals machte die Ministerin/Geschäftsfrau schon in den sozialen Medien Werbung für ihr Schuhgeschäft. „Es handelt sich hier nicht um einen Interessenkonflikt“, sagte Staatsminister Xavier Bettel bereits im August auf Nachfrage von REPORTER. Und auch jetzt sieht der Premier in der ganzen Sache kein wirkliches Problem.
Politisches Amt vs. persönliche Interessen
Die Bewertung der Geschehnisse verläuft freilich wie so oft in solchen Fällen strikt nach parteipolitischen Fronten. Die Opposition sieht darin eine Chance die Regierung zu schwächen. Die Mehrheitsparteien bzw. Cahens Partei DP wiegelt ab und verwahrt sich gegen vermeintlich persönliche bis populistische Angriffe gegen ihre Ministerin. Doch unabhängig vom parteipolitischen Geplänkel wirft die Causa Cahen durchaus Fragen auf, auf die man sich als interessierter Beobachter Antworten erwarten darf.
Dazu gehört zu allererst: Darf ein Regierungsmitglied neben seinem Mandat private, kommerzielle Interessen verfolgen? Die Antwort darauf ist nicht so einfach, wie es scheint. Laut dem Verhaltenskodex, den sich die Regierung selbst gegeben hat, darf ein Minister keine Vergütung („rémunération“) annehmen außer dem Gehalt, das er für die Ausübung seines Amtes aus der Staatskasse erhält.
Welche Konsequenzen aus Cahens Handeln zu ziehen sind, ist eine Sache. Den offensichtlichen Interessenkonflikt zu leugnen, kommt jedoch einer Beleidigung der Intelligenz der Bürger gleich.“
Da Corinne Cahen ihren Job als Geschäftsführerin von „Chaussures Léon“ bei Amtsantritt aufgab, verstößt sie prinzipiell nicht gegen den Kodex. Allerdings verfügt sie als alleinige Teilhaberin des Geschäfts zumindest über Ansprüche auf Dividenden aus dem Geschäftsgewinn. Ob dies allerdings als „rémunération“ gelten kann, ist umstritten bzw. bewegt sich formaljuristisch wohl in einer Grauzone.
Dass es auch anders geht, zeigt der Fall Carole Dieschbourg. Vor ihrem Eintritt in die Regierung gab die Umweltministerin ihre Anteile am Familienbetrieb „Moulin Dieschbourg“ an ihren Bruder ab. Auch wenn damit weiter eine familiäre Verbindung zum Geschäft besteht, setzt sich Dieschbourg seitdem zumindest nicht mehr dem Vorwurf eines potenziellen unmittelbaren Interessenkonflikts aus.
Verhaltenskodex nicht das Maß aller Dinge
Zudem heißt es im Verhaltenskodex übrigens, dass ein Interessenkonflikt besteht, wenn bei einem Regierungsmitglied ein persönliches Interesse existiert, das die Ausübung des Ministeramtes unberechtigterweise („indûment“) beeinflussen könnte. Auch diese Frage ist im Fall Cahen nicht so einfach zu beantworten. Denn vielmehr ist es bei der Familienministerin umgekehrt: Ihr persönliches Interesse beeinflusst vielleicht nicht ihre Handlungen als Ministerin. Vielmehr nutzt sie ihr Regierungsamt, um ihre privaten Interessen zu fördern.
Je jure fidélité au Grand-Duc, obéissance à la Constitution et aux lois de l’État. Je promets de remplir mes fonctions avec intégrité, exactitude et impartialité.“Amtseid eines Regierungsmitglieds
Allerdings sollte man sich bei der Bewertung nicht auf den Verhaltenskodex beschränken. Der Kodex hat nämlich einige Mängel. Die Definition von regelwidrigem Verhalten ist nicht nur äußerst vage, sondern unvollständig. Zudem kann laut den Regeln nur der Regierungschef bewerten, was ein Interessenkonflikt ist und die Ethikkommission anrufen. Doch der Premier ist politisch nicht neutral. In diesem konkreten Fall ist er ein Partei- und persönlicher Freund der Betroffenen. Cahen ist zudem Vorsitzende der Premier-Partei.
Viel genereller lässt sich aber argumentieren, dass Cahen durch ihren wiederholten Einsatz für ihre privaten Geschäftsinteressen das Gebot der Integrität, der Korrektheit und der Unbefangenheit verletzt. Zur Erinnerung: Die Einhaltung genau dieser Prinzipien beschwört jedes Regierungsmitglied bei seinem Eid zum Amtsantritt – so auch Corinne Cahen.
Gezielter Einsatz für das eigene Geschäft
Die Ministerin hat jetzt die Flucht nach vorne angetreten. Auch wenn ihr Parteifreund und Premier Xavier Bettel ihr einen politischen Freifahrtschein ausstellte, will sie nun, dass die im Verhaltenskodex für Regierungsmitglieder vorgesehene Ethikkommission sich mit ihrem Fall befasst.
Ob Cahen gegen den Verhaltenskodex verstößt, dem sich diese Regierung verpflichtet hat, ist letztlich sekundär. Auch Roberto Traversini hat formal gegen keinen formalen Deontologiekodex verstoßen.“
Gleichzeitig plädiert Cahen für eine Versachlichung der Debatte. Damit hat sie natürlich Recht. Doch in diesem präzisen Fall ist die Sachlage ziemlich klar. Corinne Cahen hat sich als Ministerin für die Belange ihres Geschäfts, also für ihre privaten Interessen eingesetzt. Ob das gegen den Verhaltenskodex verstößt, dem sich diese Regierung verpflichtet hat, ist letztlich sekundär. Auch Roberto Traversini hat formal gegen keinen formalen Deontologiekodex verstoßen und ist dennoch als Abgeordneter zurückgetreten.
Viel wichtiger ist aber: Bei Cahens Vorgehen handelt es sich nicht um einen abstrakten Einsatz für die Lage der Geschäftsleute in Luxemburg, wie es die Ministerin in ihren Reaktionen darstellt. Das offenbart die E-Mail, die sie im April an den hauptstädtischen Geschäftsverband schickte. Dort bezieht sich Cahen ausdrücklich auf die Folgen der Tram-Baustelle in der Avenue de Liberté. Das Geschäft „Chaussures Léon“, an dem die Ministerin alle Anteile hält, befindet sich in eben dieser Straße.
Causa Cahen setzt neue Standards – so oder so
Corinne Cahen hat sich eben nicht selbstlos für alle Geschäftsleute eingesetzt. Sie verteidigt nicht die Lage der Einzelhändler in Esch/Alzette oder in Wiltz, sondern nur jene, die von der Tram-Baustelle betroffen sind – und ganz besonders jene, die ihr Geschäft zufällig in der selben Straße ausüben, in der ihr eigener Laden steht. Welche Konsequenzen aus diesem Handeln zu ziehen sind, ist eine Sache. Den offensichtlichen Interessenkonflikt zu leugnen, kommt jedoch einer Beleidigung der Intelligenz der Bürger gleich.
Bevor man sich mit eventuellen politischen Konsequenzen befasst, sollte man sich mit diesem Sachverhalt auseinandersetzen. Steht es einer Ministerin zu, sich so zu verhalten? Und wenn ja, was bedeutet das für die politischen und deontologischen Standards, die das Volk künftig an seine demokratisch gewählten Vertreter anlegen soll? Statt nur über die Person Corinne Cahen zu diskutieren, müsste der aktuelle Fall die Parteien eigentlich dazu anregen, die Debatte über strengere Verhaltensregeln neu zu führen.
Die Politik insgesamt, aber noch viel mehr die Ministerin selbst und die sie tragende Regierungsmehrheit stehen dabei in der Verantwortung, sich über die Tragweite ihres Handelns bewusst zu sein. Wollen sie sich nur an der Macht halten und damit die große Tür für vergleichbare Interessenkonflikte in der Zukunft öffnen? Oder wollen sie sich vielleicht doch noch einmal an jene Ideale der Transparenz, der Erneuerung und der Rückgewinnung des Vertrauens der Bürger erinnern, für die sie einst gewählt wurden?