Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Luxemburg endgültig zur Nation. Aus seinem Kampf aufseiten der Alliierten zog Großherzog Jean seine unbestrittene Legitimität. Doch sein Tod wirft die Frage auf, welchen Stellenwert die Monarchie heute hat.
„De Grand-Duc Jean war, ass a bleift e Symbol vun onsem Land, vun onser gemeinsamer Geschicht“, sagte Staatsminister Xavier Bettel am Dienstag. Er sprach von einem „Held“, der für die Freiheit, Unabhängigkeit und Einheit des Landes gekämpft hat.
Es ist die Schlüsselszene des Lebens von Großherzog Jean: Am 10. September 1944 zog er an der Seite seines Vaters Prinz Félix in die Hauptstadt ein. Und er wurde zum Symbol der Befreiung. „Großherzog Jean steht stellvertretend für die Generation der Resistenz“, brachte der Historiker Gilbert Trausch im Jahr 2000 diese Rolle auf den Punkt.
„Die tragischen Jahre 1940-1944 vollenden den Prozess des ‚nation-building‘, der seit 1839 unternommen wurde“, so Gilbert Trausch 2003. Prinz Jean kämpfte im Zweiten Weltkrieg, so wie die Mehrheit seiner Altersgenossen. Nichts schweißt Menschen so zusammen, wie das gemeinsame Leid und die Mühen eines Krieges.
Eine einmalige Konstellation
Wie kein anderer versöhnte Großherzog Jean die Luxemburger mit der Monarchie und der Dynastie. Das Verhältnis zwischen Bürger und Staatschef war so entspannt wie nie zuvor und selten seitdem. Doch diese besondere Konstellation war einmalig.
Großherzog Jean war identitätsstiftend für eine Epoche der Luxemburger Geschichte. Während Nationalgefühl und die Monarchie immer wieder im Spannungsverhältnis standen, wurden diese Widersprüche in seiner Person aufgelöst. Die großherzogliche Familie zehrt bis heute von dieser Zustimmung.
Die Monarchie in der Krise und die Geburt eines Prinzen
Die Aufgabe, die Dynastie zu sichern war ihm wortwörtlich in die Wiege gelegt worden. 1921, bei der Geburt des Prinzen, hatte die Herrscherfamilie gerade eine ihrer schlimmsten Krisen überstanden. 1919 fehlte nicht viel und Luxemburg wäre zur Republik geworden. Das Referendum über die Staatsform machte zwar Großherzogin Charlotte zu einer Monarchin „von Volkes Gnaden“. Doch das Misstrauen in der Bevölkerung blieb.
Der Name Jean war deshalb kein Zufall. Es war die Referenz auf Johann den Blinden, den wohl berühmtesten Luxemburger Herrscher. „Das Herrscherhaus versuchte sich fester in einen nationalen Kontext zu integrieren, um so die Stellung der Monarchie weiterhin zu legitimieren, indem es ganz klar die Verbindung zum glorreichen Luxemburger Mittelalter betonte“, erklärt der Historiker Pit Péporté im Band Lieux de mémoire au Luxembourg.
Die fehlende Reform wird zur Bürde
Durch seine Persönlichkeit hob der ehemalige Staatschef die Widersprüche einer konstitutionellen Monarchie auf. „Großherzog Jean war das personifizierte Pflichtgefühl“, schrieb Jean-Lou Siweck im „Tageblatt“. Nicht nur in der Bevölkerung ist die Erinnerung positiv. Die früheren Staatsminister Jacques Santer und Jean-Claude Juncker erzählen in warmen Worten von der guten Zusammenarbeit mit „ihrem“ Staatschef.
Doch in Friedenszeiten kann sich kein Monarch die Legitimation erarbeiten, die Großherzog Jean unbestritten hatte. Trotzdem oder gerade deshalb haben die Regierungen es versäumt, während seiner Herrschaft der Luxemburger Monarchie ein modernes Fundament zu geben. Gerade für jüngere Generationen ist der Zweite Weltkrieg Geschichte und nicht Erinnerung. Diese Quelle der Legitimität versiegt und es fehlt ein Ersatz.
Und es gilt weiterhin eine Verfassung, die dem Großherzog Rechte zugesteht, die nicht mit einer parlamentarischen Demokratie in Einklang zu bringen sind. Selbst der pflichtbewusste Jean erlag fast der Versuchung, die ungeschriebenen Grenzen seiner Funktion zu überschreiten. Er habe gezögert, das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch zu unterschreiben, sagte der frühere Hofmarschall Guy de Muyser RTL. Sein Schwager, König Baudouin, löste 1990 eine schwere Verfassungskrise in Belgien aus, als er sich weigerte ein ähnliches Gesetz zu unterschreiben. Sein Sohn, Großherzog Henri, provozierte ein politisches Erdbeben, als er 2008 das Euthanasiegesetz nicht „sanktionieren“ wollte. Das Parlament brachte damals im Hauruckverfahren eine Verfassungsreform durch.
Beispielhaftes Wirken
Es sind solche Momente, die das Potenzial haben, die Stimmung in den Parteien und in der Bevölkerung insgesamt kippen zu lassen. Zwar arbeitete das Parlament über ein Jahrzehnt lang an einer neuen Verfassung. Die Reform soll viele der bestehenden Probleme ausräumen. Doch weder die Koalition noch die CSV zeigt Eile, den Prozess hin zu einer neuen Verfassung endlich abzuschließen.
Großherzog Jean lebte eine politische Neutralität, die es gilt endgültig im Text zu verankern. Er war ein einmaliger Monarch, sein Wirken als Staatschef war beispielhaft. Doch auf seine Aura wird die Luxemburger Dynastie nicht ewig vertrauen können.