Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Immer freitags blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: ein Streber, der es nicht lassen kann und sexy Wahlwerbung.

Der erste Platz für die ausgefallenste Berichterstattung im diesjährigen Wahlkampf geht an den Radiosender Eldoradio (Applaus). Im „Kandidatencheck“ stellte der Moderator den Kandidaten die Frage: „Wisou sollt een Iech net wielen?“ Das mag erst einmal nicht sonderlich originell wirken, die Antworten der Kandidaten schießen aber definitiv den Vogel ab.

Gewohnt unspontan: Claude Wiseler. Schlagfertigkeit ist ja nicht gerade die Stärke des introvertierten Denkers. Deshalb hört der Radiohörer nach der gestellten Frage auch erst einmal nichts. Naja, vielleicht ein sanftes Grillenzirpen im Hintergrund. Wiseler muss nämlich erst einmal in sich kehren und sagt nach kurzem Gestammel: „Dat ass eng Fro, ob déi ech elo wierklech keng Äntwert hunn.“ Gähn.

Selbstbewusst wie eh und je ist dagegen Vizepremier Etienne Schneider. „Et soll ee mech net wielen, well ech sou e superschéinen Typ sinn, mee éischter well ech kompetent sinn.“ Ein klassischer Schneider.

Unsere Lieblingsreaktion kommt aber von Demokratie-Kandidat Jonas Folschette. Und als Warnung vorab: Nein, wir haben uns die Antwort nicht ausgedacht. Folschette erwiderte auf die Frage, warum man ihn nicht wählen soll: „Well aner Parteien e grousse Programm hunn a well et bei deenen och schéi Bic’er ginn.“

Wenn ein Streber ins Poesiealbum schreibt

Und noch ein Wahlkampf-Leckerli wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Im « Télécran » ist diese Woche ein Politiker-Poesiealbum erschienen – samt Fotos der Kandidaten, handschriftlich verfassten Antworten und der ein oder anderen ausgefallenen Antwort. Was alles zu lesen war? Claude Wiseler war angeblich noch nie richtig betrunken, Etienne Schneider trinkt nach Feierabend am liebsten ein Bier mit Freunden und Gast Gibéryens größte Vorbilder sind Nelson Mandela und Mahatma Gandhi. Wobei das Vorbild dann doch nicht so groß sein kann, hat Gibéryen doch glatt den Namen falsch geschrieben („Gandi“).

Und sogar bei einer lockeren Geschichte wie einem Poesiealbum-Eintrag mutiert Claude Wiseler zum Über-Streber. In der Tabelle, bei der die Befragten die Kästchen „Ja“, „Nein“ oder „Geheim“ ankreuzen sollen, kann er gar nicht anders und präzisiert seine Antworten neben den angekreuzten Kästchen. Frage: „Schon mal einen Marathon gelaufen?“ – Wiselers Antwort: „Nein.“ Seine Ergänzung: „Aber im Team.“ Frage: „Schon mal schwarzgefahren?“ Wiselers Antwort: „Ja.“ Seine Ergänzung: „Schon lange her.“ Als wäre das den Lesern nicht sowieso klar, dass Wiseler schon länger nicht mehr auf öffentliche Transportmittel angewiesen ist.

Der Kolumbus der CSV

Claude Wiseler nimmt eben alles sehr ernst – und lässt sich einfach nie aus der Ruhe bringen. Man könnte fast meinen, er hätte schon mal Yogastunden bei Claude Turmes erhalten, so entspannt wie er ist. Auch als Beifahrer im RTL-Waltaxi machte er einen ruhigen und besonnenen Eindruck – mehr aber auch nicht. Stress während der Wahlkampagne? Kennt er natürlich nicht. „Ech spillen elo de Programm of, dee mir eis am Fong virgeholl hunn.“ Alles Routine für Claude. Das Wahlkampfmotto deutet es an: Es muss halt alles nach Plan laufen.

Auch Schriftsteller und Kabarettist Jemp Schuster kann Wiseler bei einem Zwischenstopp nicht aus der Reserve locken. Wiseler sei in der CSV der Mann mit einer Vision, einem Kompass – quasi der „Kolumbus der CSV“, scherzt Schuster. Der Spitzenkandidat senkt bei den Sticheleien nur den Blick und lacht in sich hinein. Die Reaktion, die dann folgt? Auf die warten wir eigentlich heute noch.

Ähnliche Nicht-Reaktion auf die provokante Frage, ob die CSV nicht auch auf Urgesteine wie Astrid Lulling oder Jacques Santer hätte setzen sollen, um das Land „in eine glänzende und promillereiche Zukunft“ führen zu können. „Ech gesinn, Dir sidd a Form“, sagt Wiseler leicht nervös, lacht wieder – und schweigt. Die Liste seiner Partei sei von den Alterskategorien her sehr ausgeglichen, entgegnet er dann doch noch. Was für ein Counterpunch!

Schneider: Ein Mann « der großen Sprüche »

Überhaupt ist die CSV in diesen Tagen für ihre Verhältnisse ganz schön reaktiv. Immerhin hat sie am Donnerstag zur Pressekonferenz geladen, um Etienne Schneider ordentlich den Marsch zu blasen. Was die Christsozialen so in Rage versetzt? Dass Schneider behauptet hatte, der Joghurthersteller Fage habe in Luxemburg 60 Millionen Euro an Steuergeldern gezahlt. Dabei waren es nur 450.000. Ein echtes Aufreger-Thema! Vor allem jetzt, zwei Wochen (!!) nachdem das Ganze aufgeflogen ist und Schneider seinen Fehler bereits bei REPORTER-Live eingestanden hat.

Die CSV stört diese Zeitverzögerung wenig, sie wärmt den Joghurt-Skandal trotzdem noch einmal auf. Etienne Schneider sei ein Mann „der großen Sprüche“, der nicht „aufs Detail achtet, der nicht auf die Wahrheit achtet“, schmettert Claude Wiseler bei der Pressekonferenz ins Mikrofon. Das Problem sei, dass „so ein Mann Vizepremier ist“. Die Presse und die Opposition hätten ihn nun einmal bei seinen Fehlaussagen „ertappt“.

An dieser Stelle müssen wir dann doch einmal einhaken und kurz in die Streberrolle des Claude Wiseler eintauchen. Die Opposition hat Schneider nämlich bei gar nichts ertappt. Das waren wir. Die Opposition hat sich nur dazu entschieden, mit reichlicher Verspätung auf den Fage-Zug mit aufzusteigen. Solange es der Belebung des ansonsten latent einschläfernden Wahlkampfs dienen kann, soll es uns aber recht sein.

Keine Woche ohne Xavier-Video

Bei so viel Wahlkampf-Zirkus wäre diese Woche einer aber fast untergegangen – trotz landesweiter Plakatpräsenz: Premierminister und Menschenversteher Xavier Bettel. Doch Gott sei Dank gibt es Social Media. Auf Facebook beglückte der Premier seine Follower nämlich mit einem neuen Wahlkampf-Clip. Darin zu sehen: Xavier, wie er in der Fußgängerzone auf ein älteres Paar  zugeht und es umarmt. Xavier, wie er im Europaparlament rumgestikuliert (während sein Berater im Hintergrund regelrecht den Kopf hängen lässt). Xavier bei einem Benefiz-Basketballspiel. Xavier mit Merkel und Macron. Das ganze Video ist mit melodramatischer Klaviermusik unterlegt, eine tiefe, warme Stimme erzählt dazu: „D’Politik muss op d’Menschen zougoen. Si muss oppe sinn fir déi grouss an déi kleng Suerge vun de Leit.“ Da kommt Stimmung auf.

À propos: Die Piraten versuchen ihre Wähler auf einem, sagen wir mal « ausgefallenen » Weg, in Stimmung zu bringen.

Die « andere » Filmbranche

Wo sehen Sie denn am liebsten die Wahlkampfwerbung der Parteien? Ganz traditionell in der morgendlichen Zeitung? Oder doch eher auf den vielen Plakaten durchs Dorf? Lieber etwas moderner, auf Facebook und co.? Oder doch gefälligst beim Surfen auf der Lieblingspornoseite? Ertappt?

Dass das der beste Ort für platzierte Werbung ist, dachte sich jedenfalls der Spitzenkandidat der Piratenpartei, Sven Clement. Instagram und co. sind ja von gestern. Diskussionen um Gender, Frauenbilder und Geschlechtergleichheit auch. Wobei, « wir schalten auch Werbung auf ‘female friendly’ und ‘sex positive’ Seiten », verteidigte sich der stolze Sven Clement auf Twitter.

Clement dachte sich, auf Pornoseiten kommt die Werbung der Piraten doch am besten zur Geltung, und postete gleich ein Beispiel. Neben anzüglichen Filmchen von nackten Frauen erfährt der männliche Besucher sogleich, dass die Piraten ganz toll seine Privatsphäre schützen. Welch netter Beigeschmack.

An sowas haben die Konservativen sicher nicht gedacht. Die liberale DP aber auch nicht. Sie singt und summt dann doch lieber prüde die Heemecht. Dabei unterstützt solch innovative Produktplatzierung sogar die Luxemburger Wirtschaft. Der Porno-Konzern Mindgeek (Youporn, Pornhub …) hat nämlich seinen Sitz im Großherzogtum. Und wie Sven Clement so schön sagt: « Et muss een d’Wieler vun do mathuelen, wou se sinn. »