Für ein Paar Turnschuhe stundenlang Schlange stehen: Das Geschäft mit den Sneakern boomt – auch in Luxemburg. Im Mittelpunkt steht dabei aber nicht immer eine reine Sammelleidenschaft. Manche Modelle sind wahre Geldanlagen. Einblicke in einen ungeahnten Trend.
Wer sie haben wollte, musste früh aufstehen – oder ging erst gar nicht schlafen. Als der Laden « Olliewood » am 27. Dezember in Luxemburg-Stadt ein sogenanntes « Raffle », also eine Auslosung für Marken-Turnschuhe organisierte, kamen die Menschen in Scharen. Einige Kunden verbrachten die ganze Nacht vor dem Geschäft in der Rue des Capucins. Dabei wurde die Liste, in die man sich eintragen musste, um mitzumachen, erst morgens um 5.45 Uhr vor dem Laden ausgehängt. Die Auslosung fand um 10.00 Uhr statt.
Das störte die Sneakerliebhaber aber wenig. Sie brachten Klappstühle, Decken, Kissen, Laptops mit – wie die Bilder in den sozialen Medien zeigten. Alles, um die Zeit bis zur Ladenöffnung zu überbrücken. Geduldig warteten sie auf den « Drop » der Schuhe – also auf den präzisen Moment, in dem die limitierte Anzahl der Sneaker endlich zum Verkauf freigegeben wurde.
Um sechs Uhr standen bereits 46 Namen auf der Liste, bis zur Ladenöffnung wurden daraus rund 70.
Kleine Mode-Happen, großes Interesse
« Olliewood war der einzige Shop der Großregion, der die Schuhe von Nike zum Verkauf erhalten hat », erklärt Elvis Rogerio, Shopmanager des Skaterladens Stitch, der auch zu Olliewood gehört. « Die Menschen kamen aus Deutschland, Frankreich und Belgien – extra für diesen Schuh. » Wie viele Paar Olliewood von Nike zum Verkauf erhalten hat, darf er nicht sagen. Aber: « Es waren definitiv mehr Kunden als Schuhe da. »
« Drops » lösen bei den Kunden mittlerweile einen regelrechten Hype aus. Wer nicht schnell genug ist, der geht leer aus. Die extrem limitierten Auflagen sind in der Regel innerhalb von Minuten ausverkauft und werden somit zu Objekten der Begierde.

Anstehen für ein paar Sneaker – das ist heute für viele zu einem Ritual geworden. Bekannt ist das Phänomen vor allem aus der Skater- und Street-Wear-Szene. Statt klassischen Winter- und Sommerkollektionen bringen Marken das ganze Jahr über immer kleine Mode-Happen in limitierter Anzahl auf den Markt. Das System funktioniert ähnlich wie bei den « Fast Fashion »-Marken Zara oder H&M. Die Ware ist nur exklusiver und vor allem teurer.
« Es geht um das Prinzip Angebot und Nachfrage. Die Schuhe, die es bei Drops oder Raffles gibt, sind immer limitiert. Das macht sie natürlich auch begehrter », so Elvis Rogerio.
Sneaker als Investition
Wer nicht vor einem Geschäft warten will, der versucht sein Glück online. Oder macht beides zeitgleich. Wie weit dieses Phänomen geht, hat auch ein Artikel des « Lëtzebuerger Land » im September aufgegriffen. Dort heißt es, dass Lehrer des « Athenée » beobachteten, wie manche Schüler zu ganz bestimmten Tageszeiten auf die Toilette mussten. Warum? Es stellte sich heraus: Sie mussten immer dann kurz verschwinden, wenn eine Marke mal wieder ein bestimmtes Paar Sneaker, ein T-Shirt oder eine Jacke zum Verkauf online stellte.
Bei etwa 80 Prozent der Leute geht es heute darum, die Schuhe weiterzuverkaufen und Geld damit zu machen. »Ronny Erpelding, Organisator Sneakermess
Die Schuhe werden für die persönliche Sammlung gekauft, zum Tragen oder Weiterverkaufen. Denn rund um limitierte Sneaker ist ein richtiger Handel entstanden. Nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Teenagern. Sie haben bereits unternehmerisches Denken und sind dank der elterlichen Kreditkarte kaufkräftig. Wer ein paar Schuhe für den doppelten oder dreifachen Preis weiterverkauft, kann sich von diesem Geld locker ein anderes Paar leisten. Eines, das vielleicht noch wertvoller ist.
Sneakerliebhaber sind somit auch ständig auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten und hohen Renditen. « Es gibt Menschen, die nur durch den privaten Handel mit Schuhen leben können », behauptet Elvis Rogerio.
Leidenschaft und Geldmacherei
In Luxemburg gibt es so eine Person wahrscheinlich nicht. Wie gut das Geschäft mit den Sneakern hierzulande läuft, zeigt aber ein Gang über die Sneaker Messe in Kirchberg. Zweimal im Jahr bieten dort vor allem Privatpersonen ihre Schätze zum Verkauf an. Die Verkäufer sind häufig Teenager und junge Erwachsene. Sie sind im Besitz von Schuhen der Marken Nike, Yeezy oder Off White. Der Wert: 300, 500 oder sogar 800 Euro pro Paar.
« Bei etwa 80 Prozent der Leute geht es heute darum, die Schuhe weiterzuverkaufen und Geld damit zu machen », sagt Ronny Erpelding. Er ist einer der Organisatoren der « Sneakermess » in Luxemburg. Der 37-Jährige ist auch selbst leidenschaftlicher Sammler. Vor allem das Paar Air Jordan von Nike hat es ihm angetan. So sehr, dass er alleine in seiner Größe rund 300 Paar zu Hause hat. Sie stehen alle in einem eigens dafür eingerichteten 70-Quadratmeter-Raum.

« Manchmal kaufe ich Schuhe, die mir persönlich nicht gefallen oder passen. Ich verkaufe sie dann aber mit Gewinn weiter, um das Geld für ein Paar zu sammeln, das mir dann wirklich gefällt » sagt er. Das Prinzip ist beim Weiterverkauf das gleiche: Je exklusiver und limitierter der Schuh, desto gefragter und höher sein Wert. « Ich verkaufe jeden Schuh mit Gewinn », so Ronny Erpelding.
Dass er sich etwas leistet, was er eigentlich gar nicht haben will, spielt dabei keine Rolle. Es geht nicht um den Schuh, sondern um eine Geldanlage.
Wie an der Börse gehandelt
Es waren vor allem amerikanische Basketball-Spieler und Rapper, die den Trend der Sneaker starteten. Die Air Jordans, die Basketball-Legende Michael Jordan in den 1980er Jahren zusammen mit Nike auf den Markt gebracht hatte, sind heute regelrechte Kultschuhe.
Die Hysterie ist so groß geworden, dass heute auch Luxusmarken auf den Sneaker-Zug mit aufgesprungen sind. Für ein Verkaufsevent von Sneakern hat der Luxusshop Smets in Bartringen vergangenes Jahr sogar eine Halfpipe im Geschäft aufbauen lassen, einen eigenen DJ und bekannte Skater eingeladen.
Sneakerliebhaber stürzen sich auch auf die Modelle. Denn je exklusiver der Schuh, desto höher liegen die Chancen auf eine schnelle Wertsteigerung. Und dabei geht es zu wie auf dem Aktienmarkt.
In Luxemburg und Europa noch in den Kinderschuhen, hat der Trend in China bereits ganz andere Ausmaße angenommen. Im Dezember 2018 kam ein Air-Jordan-Modell in limitierter Anzahl von 233 Paar auf den Markt. Sein Wert stieg alleine in China um 6.600 Prozent auf jeweils rund 9.500 Euro.
Online-Marktplätze wie StockX schätzen den Schuh, den es im Dezember bei Olliewood zu kaufen gab, heute auf mindestens 200 Euro – je nach Größe. Der Verkaufspreis im Laden lag bei 100 Euro. StockX zeigt außerdem regelmäßig an, ob der Wert eines Schuhs steigt oder fällt – wie an der Börse. Alleine diese Verkaufsplattform für Sneaker hat laut New York Times heute einen Wert von rund einer Milliarde Euro.
Eltern zücken oft den Geldbeutel
Für diejenigen, die es sich leisten können, ist aus einem Schuh ein Statussymbol geworden. Und eine Geldanlage. « Früher haben Jugendliche in ihren Turnschuhen auf dem Schulhof Fußball gespielt. Heute sind sie vorsichtiger, weil Sneaker einen besonderen Wert für sie haben », sagt Ronny Erpelding. « Sie geben halt besser darauf Acht. »
Zwar bekommen laut einer ING-Studie aus dem Jahr 2014 die meisten Jugendlichen in Luxemburg ein Taschengeld von ihren Eltern (82 Prozent). Damit liegt das Großherzogtum neben der Türkei (95 Prozent), Rumänien (92 Prozent) und Großbritannien (86 Prozent) an der europäischen Spitze. Doch bei Sneakerpreisen von 100, 200 oder gar 500 Euro reichen die durchschnittlichen 31 Euro Taschengeld lange nicht aus.
Deshalb bringen viele Teenager ihre Eltern mit in die Läden. Mutter und Vater müssen am Ende den Geldbeutel zücken. « Eltern kommen regelmäßig mit zu Drops. Einerseits wollen sie wissen, was ihre Kinder sich da eigentlich kaufen. Andererseits sind sie es auch, die dafür bezahlen », so Elvis Rogerio.
« Freunde von mir scherzen immer, dass der Trend ihre Kinder regelrecht angesteckt hat und sich jetzt alles nur noch um Sneaker dreht », sagt Ronny Erpelding. Er kann die Leidenschaft der Jungen nur allzu gut nachvollziehen. « Ich überlege mir auch immer, welches Paar ich wann anziehe », sagt er. « Fürs Restaurant kann es ein anderes Paar sein als für einen Abend in einer Bar. Da ist das Risiko größer, dass damit etwas schief geht. »