Terror, Korruption, Instabilität: Pakistan gilt vielen als hoffnungsloser Fall. Der Protest der Bevölkerung hat mit den Parlamentswahlen vom Mittwoch einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Besuch in der Altstadt von Lahore.
Lahore sieht nicht viele Touristen in diesen Tagen, um nicht zu sagen gar keine. „Vor dem 11. September 2001 war die Stadt noch ein beliebtes Reiseziel“, behauptet Usman, der seit einigen Jahren an der Punjab University von Lahore Deutschkurse besucht. Wenn er dann doch mal auf der Straße einen Ausländer erspäht, spricht er ihn auf Deutsch an, in der Hoffnung, seine Sprachkenntnisse auf die Probe zu stellen. Sofort folgt unserer Unterhaltung eine Einladung, auf sein knatterndes Motorrad zu steigen, für eine Rundfahrt durch das alte Lahore.
Usman trägt Rauschebart und einen grünen Turban auf dem Kopf, das Erkennungszeichen eines Sufiordens, dem der Student angehört. Waghalsig, aber gekonnt navigiert er auf seiner Maschine durch die verwirrend verwinkelten Gassen der Altstadt. „Kein Problem”, meint Usman. „Hier bin ich zuhause. Ich habe meine Stadt noch nie verlassen, hier gibt es doch alles!“
Islamabad ist das politische Zentrum, Karachi die Wirtschaftsmetropole und Lahore wird oft als kulturelle Hauptstadt Pakistans bezeichnet. Die Stadt besitzt ein Reichtum an Schreinen und Grabmälern von Sufiheiligen, die auf dem Subkontinent den Islam verbreiteten. Die Mogulherrscher des indischen Subkontinents haben in Lahore zahlreiche Moscheen und Monumente wie die prachtvolle Badschahi Mosque hinterlassen. Sie hätten es verdient, wie im nur 25 Kilometer entfernten Indien, Besucher aus dem Ausland anzuziehen.
Spirale der politischen Gewalt
Doch Pakistan befindet sich seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten in einer Terror- und Gewaltspirale, die kein Ende zu nehmen scheint. Die Rede vom „gefährlichsten Land der Welt“ prägt das Bild von Pakistan im Ausland. Hinzu kommt eine notorische politische Instabilität, gepaart mit Vetternwirtschaft und Korruption. Erst letzte Woche schienen sich all die Geister, die das südasiatische Land plagen, vereint zu haben: Am selben Tag, an dem Pakistans Ex-Premierminister Nawaz Sharif bei seiner Rückkehr aus London nach seiner Verurteilung zu zehn Jahren Freiheitsstrafe aufgrund von Korruption festgenommen wurde, sprengte sich in der Provinz Balutschistan bei einer Wahlkampfveranstaltung ein Selbstmordattentäter in die Luft.
Der Alltag geht weiter, der Terrorismus ist anderswo, scheint der bunte Basar zu schreien. »
132 Tote bei Doppelanschlägen sind für viele in Pakistan zwar eine Tragödie, aber nach Jahren des Terrors nunmehr eine traurige Normalität. „We are no terrorists!“, ruft mir fast defensiv jemand in einer der Basarstraßen der Lahorer Altstadt zu und lädt mich daraufhin auf einen Milchtee ein. „Was denkst du über die Pakistanis?”, werde ich sofort gefragt.
Vor dem Delhi Gate, dem Tor zur Altstadt, gleicht Lahore einem Freiluftzoo. Pferde- und Eselkarren transportieren Waren zum Basar, Kühe stehen gelassen am Straßenrand, Hühner warten in Käfigen, die der Alptraum eines jeden Tierschützers wären, auf ihr letztes Stündchen. In der Altstadt findet man sich in einem Labyrinth von geschäftigen Marktgassen wieder. Grüppchen von Frauen mit ihren Babies auf dem Arm beäugen bunte Stoffe und schieben sich zur Straße der Juweliere durch das Gedränge. Männer mit Handkarren preisen ihr Gemüse an und Jungs verkaufen Erdnüsse und Maiskolben. Der Alltag geht weiter, der Terrorismus ist anderswo, scheint der bunte Basar zu schreien.
Lahore galt lange Zeit nach dem 11. September als sicherste Stadt Pakistans. Sie liegt mehr als 500 Kilometer entfernt von Khyber-Pastunischstan und den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, den Hochburgen der pakistanischen Taliban. Doch auch Lahore ist bereits mehrfach Terroranschlägen zum Opfer gefallen. Besonders die Schreine der Sufis, die von den islamistischen Hardlinern als Ungläubige angesehen werden, sind zu einem beliebten Ziel der Selbstmordattentäter geworden, jedoch auch Versammlungen von religiösen Minderheiten wie Pakistans Christen.
Militärpräsenz und die Rolle der USA
Die Militärpräsenz in Lahores Straßen scheint diese Bedrohungslage widerzuspiegeln. Wer von den Vororten in einer Motorrikscha ins Stadtzentrum fahren will, muss eine Handvoll Checkpoints passieren, an denen schwer bewaffnete Polizisten stichprobenartig Fahrzeuge anhalten und kontrollieren. Vor dem Data Darbar Schrein, einem der populärsten muslimischen Pilgerorte Pakistans, wurden metallene Sperrzäune aufgebaut. Dreimal wird ein Besucher von Sicherheitsbeamten abgetastet, bevor er in den großen Komplex eintreten darf.
Viele Lahoris sehen die Gewalt in ihrem Land nach wie vor als eine Folge der Einmischung der Vereinigten Staaten in Pakistan nach dem 11. September an. Die USA, die mit General Musharraf im Krieg gegen den Terrorismus einen folgenreichen Pakt schlossen, werden heute vor allem als eigennützige Imperialisten wahrgenommen, die Pakistan nie etwas Gutes wollten.
Kein Präsident hat sich bisher auch nur etwas diesem Land verpflichtet gefühlt. »
Die Geschichte der US-amerikanischen Einmischung in dem Land reicht derweil bis in die achtziger Jahre zurück: Den Kampf der radikal-islamischen Mudschahidin-Kämpfer gegen die „gottlosen” Sowjets finanzierte in Afghanistan die CIA, über Pakistan. Die Samen eines wahabbitisch geprägten Islam wurden damals unter der Präsidentschaft des Militärgenerals Zia ul-Haq gesät, großzügig gesponsert vor allem durch die USA und Saudi-Arabien. Pakistan leidet noch heute unter den Folgen jenes breiten Islamisierungsprojekte, dessen bleibendstes Erbe Tausende von fundamentalistischen Koranschulen sind. Viele dieser Schulen sind nach wie vor ein fruchtbarer Boden für Kämpfergruppen wie dem Islamischen Staat und den Taliban.
Populärer Groll auf die Regierenden
Am größten jedoch ist unter Pakistanis der Groll gegen die eigenen Politiker. Die einzig wirklich beliebte Figur in Pakistan ist und bleibt der Staatsgründer Mohammad Ali Jinnah, der jede pakistanische Rupiennote ziert. „Kein Präsident hat sich bisher auch nur etwas diesem Land verpflichtet gefühlt“, meint Usman und ich merke ihm an, dass er lieber über etwas anderes sprechen würde als die leidige Politik.
In den gut sechzig Jahren seines Bestehens hat Pakistan drei Militärregime erlebt. Viele Politiker endeten am Strang oder vor dem Pistolenlauf, wie im Dezember 2007 die zweifache Premierministerin Benazir Bhutto. Wie viele seiner Landsleute scheint Usman längst angesichts der chronischen Instabilität resigniert zu haben.
Stromausfälle sind in Pakistan das einzig Vorhersehbare in einer Ära der Unvorhersehbarkeit. »
Er widmet sich lieber der deutschen Sprache. In einem Park holt er sein Lehrbuch heraus und knobelt an einem grammatischen Problem. Mit den drei Artikeln habe er noch seine Probleme. Ihm gefalle die deutsche Sprache, weil sie so klar und logisch sei. Die Deutschen bewundere er für ihre Disziplin und Entschlossenheit, zwei Qualitäten die in Pakistan selten seien.
Das kleine Restaurant, in dem Usman und ich zu Mittag essen, liegt über einer Reihe von gut besuchten Bekleidungsgeschäften. Es werden Reis, Fladenbrot und scharfe Linsen serviert. Die Luft ist schwülheiß, der Dampf aus den großen Kochtöpfen steht an der Decke, die alten Ventilatoren über den Köpfen der Gäste bewegen sich keinen Zentimeter. Denn pünktlich von Zwei bis Vier am Nachmittag und Acht bis Zehn am Abend wird in diesem Stadtteil von Lahore der Strom gekappt. Nur wer einen eigenen Generator besitzt, wird vom Schwitzen verschont.
Usman nennt dies eine „Menschenrechtsverletzung“ und besteht darauf, dass ich zuhause davon erzähle. Die tagtäglichen „power cuts” scheinen ihn viel mehr zu tangieren als das Risiko eines Terroranschlags in den Gassen der Altstadt. Stromausfälle sind in Pakistan das einzig Vorhersehbare in einer Ära der Unvorhersehbarkeit.