Wenn alles gut läuft, haben sie nichts zu tun: Auch wenn sich die Lage stabilisiert hat, halten sich Medizinstudenten weiter für einen möglichen Einsatz bereit. Sie bilden zusammen mit Ärzten und Pflegern die „Réserve sanitaire“, die das Gesundheitswesen vor dem Kollaps bewahren soll.
George Dubois* wartete auf einen Anruf, und das mehrere Wochen lang. Kurz vor der staatlich angeordneten Ausgangssperre war der Medizinstudent noch als Praktikant in einem luxemburgischen Krankenhaus tätig. Das Praktikum wurde abgebrochen, die Grenzen zu seinem Studienland geschlossen, sein drittes Staatsexamen in Medizin abgespeckt. Seit drei Wochen bereitet er sich wie 580 andere Studenten auf den Tag vor, an dem sie einen Anruf vom Ministerium erhalten. Am Montag war es dann für ihn so weit.
Am Telefon erklärte ein Mitarbeiter des Ministeriums, er könne am nächsten Tag für eine Woche aushelfen. Seine Aufgabe bestünde nun darin, die Sars-CoV-2-Tests an den Bewohnern und Pflegern in den Altersheimen durchzuführen, so der Beamte am Telefon.
Eigentlich rechnete George nicht mehr mit einem Anruf. Am 16. April hat das Gesundheitsministerium die „Réserve Sanitaire“ informiert, dass die Notaufnahmen voraussichtlich nicht überlastet sein werden. Die eingeschriebenen Ärzte, Krankenpfleger und Studenten müssten also weiter auf einer Warteliste verweilen. George Dubois nahm den Vertrag an. Er gehört zu den wenigen Menschen, die einen Anruf erhalten haben.
Nicht nur Studenten auf Warteliste
Dabei war die Bereitschaft der Studenten, im Ernstfall auszuhelfen, groß. Die Vereinigung der Medizinstudenten (ALEM) schlug dem Ministerium bereits Mitte März vor, ihre Mitglieder im Notfall einzusetzen. Auf den Aufruf der Vereinigung meldeten sich gleich 130 Studenten, die sich für eine Mitarbeit bereit erklärten. Seitdem steht die ALEM in ständigem Kontakt mit dem Ministerium und informierte ihre Mitglieder über die neuesten Entwicklungen.
Man kann einen Studenten nicht in wenigen Tagen zu einem Arzt ausbilden.“Prof. Dr. Gilbert Massard
Anders als im Ausland musste das Ministerium aber kaum auf Medizinstudenten zurückgreifen. Auch nur wenige andere Mitglieder der „Réserve Sanitaire“ mussten einberufen werden. Laut Angaben des Ministeriums wurden insgesamt 1.200 Arbeitsverträge unterzeichnet, rund 280 davon mit Studenten. Insgesamt stehen 8.600 Menschen auf den Listen des Ministeriums, prozentual wurden also weitaus mehr Studenten eingesetzt als sonstige Berufsgruppen.
Die Verträge wurden je nach Vorkenntnissen und Spezialisierung vergeben. Allerdings wurden keine Verträge mit über 65-Jährigen oder sonstigen Menschen aus Risikogruppen abgeschlossen. Zudem hat das Ministerium die Medizinstudenten nicht als Ärzte, sondern als Krankenpfleger eingesetzt. „Man kann einen Studenten nicht in wenigen Tagen zu einem Arzt ausbilden“, sagt Prof. Dr. Gilbert Massard der Universität Luxemburg. Trotzdem hat der Direktor des hiesigen Medizinstudiums in den letzten Wochen versucht, die Studenten bestmöglich vorzubereiten.
Lernen per „Webinar“ und Youtube
So fanden seit Anfang April mehr als zehn Vorlesungen per Videokonferenz statt. Die Studenten wurden sowohl über die Schutzausstattung und Hygieneregeln als auch die Behandlung von Patienten mit Lungenversagen informiert. Verschiedene Seminare richteten sich auch an bereits praktizierende Ärzte. Ende letzter Woche konnten Ärzte und Studenten mit Ärzten aus Wuhan in Kontakt treten, die über ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Behandlungsmethoden berichteten. Weitere Konferenzen sollen folgen, so Dr. Gilbert Massard.
Für die Universität sei es allerdings schwierig, ein allgemein gültiges Angebot zu erstellen, „wenn wir nicht wissen, wo die Menschen danach eingesetzt werden“ gibt der Direktor zu bedenken. Man versuche deshalb primär Grundkenntnisse zur Behandlung und Diagnostik von Covid-19-Patienten zu vermitteln. Die Durchführung von Nasen-Rachen-Abstrichen stand zum Beispiel auf dem Lehrplan und gehört laut George Dubois sowieso zur Grundausbildung eines Arztes oder Krankenpflegers. Die Uni hat zusätzlich zu den Webinars auch auf bestimmte Youtube-Videos verwiesen, die den Studenten die Patientenbehandlung erklären sollen. Bei anderen Bereichen muss aber auch er passen.
Es fängt schon bei der Medikamentenausgabe an: „Als Arzt ist man normalerweise nicht dafür zuständig, die Medikamente in der Krankenhausapotheke abzuholen und zu verabreichen“, sagt George Dubois. Die klare Hierarchie im Krankenhaus führt dazu, dass das in den Zuständigkeitsbereich der Pflegekräfte fällt, die nun von Studenten unterstützt werden. Zwar sei es keine schwierige Aufgabe, aber es würde trotzdem Zeit verloren gehen, dies den Studenten zu erklären.
Praktische Erfahrung unverzichtbar
Das Angebot der Uni kann die praktische Erfahrung aber nicht ersetzen. Durch die sanitären Vorkehrungen sei es nur bedingt möglich praktische Übungen in Gruppen durchzuführen, so Dr. Gilbert Massard. Der Student muss also noch während des Einsatzes von seinen Betreuern ausgebildet werden.
Meine ganze Klasse aus 20 Schülern hat mittlerweile einen Arbeitsvertrag mit dem Ministerium abgeschlossen.“Cynthia Syoen, Studentin
Laut dem Ministerium müssten die Verantwortlichen der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen eine bestmögliche Betreuung der Studenten garantieren. Da der große Ansturm ausblieb, war das zurzeit auch möglich. Sollte die Lage sich wieder zuspitzen, ist es jedoch fraglich, wie bereits überforderte Pflegekräfte und Ärzte Studenten betreuen sollen.
„Solange wir nicht kriegsähnliche Zustände haben, müssen die Ärzte mit ihrem gesunden Menschenverstand beurteilen, was sie dem Studenten zutrauen können“, sagt Gilbert Massard. Auf jeden Fall werde niemand gezwungen, medizinische Eingriffe zu übernehmen, die er noch nicht beherrsche, so der Inhaber des Medizinlehrstuhls.
Da man in erster Linie auf Erfahrung setzt, wurden prioritär bereits praktizierende Ärzte und Pflegekräfte eingesetzt. Auch unter den Studenten wurde je nach Ausbildung und Studienjahr differenziert. Demnach sind es zurzeit vor allem Studenten des Lycée technique des professions de santé (LTPS), die einen Vertrag abgeschlossen haben.
Helfen aus Überzeugung
Im Gegensatz zu den Medizinstudenten sind die angehenden Krankenpfleger des LTPS bereits über das ganze Jahr in luxemburgischen Krankenhäusern und Pflegeheimen im Einsatz. Wohl noch nie waren es jedoch so viele wie zum jetzigen Zeitpunkt. Die 180 Krankenpfleger, die sich bereits in einer Spezialisierung befinden, sind demnach alle im Einsatz, wie das « Luxemburger Wort » berichtete.
„Meine ganze Klasse aus 20 Schülern hat mittlerweile einen Arbeitsvertrag mit dem Ministerium abgeschlossen“, sagt Cynthia Syoen. Die Studentin befindet sich im dritten Jahr ihres Krankenpflegerstudiums und ist seit etwas mehr als einer Woche im Einsatz.
Genauso wie George Dubois betont sie, dass sie sich auch freiwillig für die „Réserve sanitaire » gemeldet hatte. Beide wollen aushelfen und können dies nun auch tun. Das Paradox: Für die Überwindung der Krise müssen sie hoffen, bald nicht mehr benötigt zu werden.
*Name wurde von der Redaktion geändert