Welche Bedeutung hat Fleisch in der modernen Gesellschaft? Wie sieht die ideale nachhaltige Ernährung aus? Ein Gespräch mit der Umwelt- und Konsumforscherin und Expertin für den Wandel des Fleischkonsums Minna Kanerva.
Interview: Charlotte Wirth
Lange war Fleisch essen das normalste der Welt. Heute sind Vegetarismus und Veganismus auf dem Vormarsch. Gleichzeitig werden immer neue Alternativen entwickelt: Inwiefern gehört veganen Burgern und Steaks aus dem Labor die Zukunft?
Diese neuen « veganen » Alternativen richten sich eigentlich nicht unbedingt an Veganer, sondern im Gegenteil an Fleischesser. Zurzeit werden immer neue Fleischalternativen entwickelt. Etwa jenes Fleisch, das im Labor gezüchtet wird und auf tierischen Zellen basiert. Oder Produkte wie die « Impossible Burgers », die aussehen, sich anfühlen und schmecken wie Fleisch, doch aus Pflanzen bestehen. All diese neuen Entwicklungen sollen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Auch hier handelt es sich aber um Fleisch. Es geht vor allem darum, dass diese neuen Fleischsorten dabei helfen können, die hohe Nachfrage nach Fleisch zu meistern.
Wenn wir uns auf dieses « neue Fleisch » einlassen, verkleinert sich dadurch denn auch unser ökologischer Fußabdruck?
Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Auch die Herstellung dieser Alternativen belastet die Umwelt, doch es wird zum Beispiel viel weniger Land gebraucht als bei der herkömmlichen Fleischproduktion. Es ist wichtig, dass wir uns Gedanken um Nachhaltigkeit machen und uns verantwortungsvoll ernähren. Die Pflanzen einfach in ihrer natürlicher Form zu essen, etwa als Hülsenfrüchte, ist immer noch am umweltfreundlichsten.
Und wenn man effizienter produziert? Zum Beispiel indem man bei der Fleischproduktion ganz gezielt auf Nachhaltigkeit achtet und die Abläufe optimiert?
Das ist das Problem. Man will immer versuchen, das System zu optimieren, doch eigentlich muss ein Umdenken stattfinden. Effizient oder nicht, je mehr Land wir für die Viehzucht brauchen, desto mehr schaden wir der Biodiversität und gefährden die Artenvielfalt. Dass viele Wirtschaftssysteme von der Fleischproduktion abhängen, ist kein Argument. Ich will damit nicht sagen, dass wir ganz damit aufhören sollen, Fleisch zu essen. Am besten wäre, wir wären alle Flexitarier, also flexible Vegetarier. Mir müssen weniger Fleisch essen und dafür aber mehr auf Qualität und Herkunft achten.
Das Problem ist also, dass nicht jeder bereit ist, seine Ernährung nach diesen Kriterien umzustellen?
Ja, viele wehren sich. Wir müssten uns ausgiebiger mit dem Thema auseinandersetzen. Das Problem ist ja auch, dass wir den Zusammenhang zwischen der Kuh auf der Wiese und dem Steak auf dem Teller ausblenden. Das ist eine strategische Ignoranz. Es ist einfacher zu ignorieren, woher das Fleisch kommt und wie es produziert wird. Diese Entkopplung zweier Realitäten ist eine Art Bewältigungsstrategie. Doch nicht nur die Verbraucher, auch die Politik ist gefragt. Viele haben sich dieses Themas nie angenommen. Die Menschen wurden nie darüber aufgeklärt, wie sich der Fleischkonsum auf die Umwelt auswirkt. Eine Sensibilisierung dafür, weniger Fleisch zu essen, gibt es bis heute kaum. Meistens geht es darum, dass zu viel Fleisch der Gesundheit schadet und nicht darum, dass es schlecht für die Umwelt ist.
Man hat das Gefühl, dass sich die Fronten zwischen Vegetariern, Veganern und Fleischessern verhärten. Eine neutrale Debatte über eine nachhaltige Ernährung scheint vor diesem Hintergrund schwierig …
Ja, die Fronten verhärten sich. Deswegen ist der Flexitarismus ein guter Lösungsansatz, um die Umweltbelastung durch unsere Ernährung zu verringern. Bereits wenn wir weniger oder seltener Fleisch essen, macht das einen großen Unterschied. Nicht jeder muss gänzlich auf Fleisch verzichten. Die Art und Weise, wie wir über Fleisch reden und denken, verändert sich bereits. Das zeigt auch die Tatsache, dass die « neuen Fleischsorten » immer beliebter werden. Sie verleiten uns dazu, die Bedeutung von Fleisch und Fleischkonsum zu hinterfragen. Es findet bereits ein Wandel statt. Vor zehn Jahren hat noch niemand über den Umwelteinfluss der Fleischproduktion geredet. Heute ist das ein Thema. Und hoffentlich wird der Fleischkonsum irgendwann zum zentralen Thema der Klimadebatte. Viel Zeit bleibt nämlich nicht, wenn wir gegen den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität ankämpfen wollen.
Zur Person
Minna Kanerva ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört der nachhaltige Konsum und die Soziologie des Fleisches.