Im Juni 2018 ging der Streik im Pflegesektor zu Ende. Die von der Regierung nach der Schlichtung versprochenen Gelder fließen bisher aber nicht. Es geht um die Gehälter von rund 700 Pflegern. Mehrere Alten- und Pflegeheime müssen jetzt hohe Defizite überbrücken.

Normi Barnig ist enttäuscht. Wenige Stunden nach der Vorstellung des Staatsbudgets am Dienstag wusste der Leiter des Pflegeheims „Les Parcs du Troisième Âge“ bereits, was das alles für ihn bedeutet: Er wird kurzfristig keine zusätzlichen staatlichen Gelder erhalten – obwohl diese ihm eigentlich zustehen. Wie das Haus, das er leitet, sein Defizit von 2018 nun ausgleichen und die nächsten Jahre über die Runden kommen soll, hat man im Finanzministerium offenbar nicht bedacht.

Dabei hatten Staatsminister Xavier Bettel (DP), Finanzminister Pierre Gramegna (DP) und Sozialminister Romain Schneider (LSAP) dem Dachverband der Pflegedienstleister Copas im Juni 2018 finanzielle Hilfen zugesichert. Der Streik von 300 Pflegern hatte elf Tage lang angedauert und letztlich auch die Politik unter Zugzwang gesetzt. Mehrere Pflegeheime hatten sich geweigert, ihrem Personal die Aufwertung der Karrieren im Krankenhaussektor zu gewähren. Die dadurch absehbaren Zusatzkosten waren insbesondere für die Betreiber von „Les Parcs du Troisième Âge“, ZithaSenior und Sodexo dauerhaft nicht zu stemmen. Die Rede war insgesamt von acht Pflegeheimen.

Wenn auch dieses Jahr keine zusätzlichen Gelder an die Betreiber fließen, dann wird es langsam eng. »Normi Barnig, Leiter « Les Parcs du Troisième Âge

Drei Monate vor den Parlamentswahlen nahm die Regierung eine Vermittlerrolle ein – der Streik wurde schließlich beigelegt, weil sich der Staat dazu verpflichtete, die Mehrkosten der betroffenen Betreiber auszugleichen. Es hieß damals, die Gelder würden über die Pflegeversicherung verteilt.

Jetzt stellt sich heraus, dass die Betreiber auch neun Monate nach dem Übereinkommen noch keinen Cent von der Pflegeversicherung erhalten haben. „Der Staat hat seinen Teil des Abkommens bis jetzt nicht umgesetzt“, erklärt Netty Klein, Generalsekretärin der Copas im Gespräch mit REPORTER. Der Grund: „Die CNS ist der Ansicht, dass es keine juristische Grundlage gibt, um den Betreibern die höheren Lohnkosten auszugleichen.“ Laut CNS fehle es demnach an einem entsprechenden Gesetz oder einer großherzoglichen Verordnung.

Nicht alle Heime sind betroffen

Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen beschäftigten die drei genannten Betreiber einen Großteil ihrer Angestellten unter dem ehemals allgemein gültigen Krankenhaus-Kollektivvertrag (FHL). Eine Gehaltserhöhung sollte sich demnach auf dieses Personal begrenzen – für die restlichen Pfleger stellte sich die Frage nicht.

Für die Arbeitgeber der rund 700 Angestellten, die seit 2017 mehr verdienen, sind die Folgen beachtlich. „Der FHL-Kollektivvertrag hat natürlich einen Einfluss auf die Kosten der Einrichtungen. Sie haben damit ein finanzielles Problem“, erklärt Netty Klein. So zahlen die Betreiber den FHL-Angestellten jetzt bereits seit Juli einen höheren Lohn. Demnach fallen Ausgaben an, für die es gegenwärtig keine Einnahmequelle gibt.

Ein Problem, das die Betreiber normalerweise über die Erhöhung der Heimpreise beheben würden, um so Defizite zu umgehen. Im Abkommen mussten sich die Trägergesellschaften allerdings dazu verpflichten, die Tarife während zwei Jahren nicht zu erhöhen. „Wir halten uns an unseren Teil der Abmachung, der Staat macht dies nicht“, so Netty Klein. Es sei ohnehin problematisch, dass die FHL-Angestellten für weniger Arbeitsstunden bereits davor mehr  als ihre Arbeitskollegen verdienten und jetzt noch besser verdienen würden.

OGBL-Streik vor Pflegeheim.
Die Streiks hatten in mehreren Pflegeheimen ganze elf Tage angedauert. (Foto: OGBL)

Für die rund 100 betroffenen Mitarbeiter im « Les Parcs du Troisième Âge » macht das laut Dr. Normi Barnig insgesamt rund 435.000 Euro im Jahr aus. Würde er diese Kosten über eine Erhöhung der Heimpreise einnehmen, müsste jeder Bewohner rund 300 Euro mehr im Monat zahlen. Für 2018 spricht Dr Barnig von Mehrausgaben von über einer Million Euro. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Gehälteranpassung der rund 100 Mitarbeiter rückwirkend auf 2015 ausbezahlt werden musste. „Wir sind dabei, die Geschäftsbilanz von 2018 abzuschließen. Es ist klar, dass ein Defizit anfällt“, so Dr. Normi Barnig.

Für „An de Wisen“ in Bettemburg hatte der damalige Direktor von Sodexo-Senior, Christian Erang, für 2018 mit Mehrausgaben von 1,8 Millionen Euro gerechnet. Mitte Juni sagte er REPORTER, dass er sich die Finanzspritze des Staates bereits für Juli erhoffe.

Für Dr. Barnig ist die fehlende gesetzliche Grundlage des unterschriebenen Abkommens nicht nachvollziehbar. „Der Minister muss doch wissen, unter welchen Bedingungen die Pflegeversicherung die Gelder verteilen kann.“

« Das ist alles sehr komplex »

Die Verzwicktheit der Situation ist eigentlich nicht verwunderlich – sie hätte dem Ministerium eigentlich von Vornherein klar sein müssen. Denn die Pflegeversicherung zahlt den Alten- und Pflegeheimen pro pflegebedürftigem Akt einen bestimmten Geldwert aus. Mit dem Geld kann so zumindest einen Teil des Personals bezahlt werden, das die Pflege verrichtet.

Dieser Geldwert ist aber für alle Mitarbeiter mit gleicher Qualifizierung gleich und macht keinen Unterschied zwischen ihrem Gehalt. Sprich: Wird der Geldwert generell erhöht, würde dies für alle Einrichtungen Mehreinkommen bedeuten – unabhängig davon, ob die Pflege durch teure FHL-Angestellte oder günstigere SAS-Angestellten erfolgt. Letztere gehören dem Kollektivvertrag „Secteur d’aide et de soins“ an und machen den Großteil der Belegschaft im Sektor aus.

Die Regierung hat sich dazu verpflichtet, die Zusatzkosten der Betreiber zu übernehmen und wird dies auch umsetzen. »Abilio Fernandes, Sozialministerium

„Es war unser Verständnis, dass die Pflegeversicherung die Gelder über die CNS an die Betreiber ausbezahlen sollte“, unterstreicht Abilio Fernandes vom Sozialministerium. „Wir müssen im Detail analysieren, wie die FHL-Gehalterhöhung ausgeglichen werden kann. Bei einer Anpassung des Geldwerts drängen sich unweigerlich weitere Fragen auf, die das ganze System infrage stellen könnten“, so der zuständige Regierungsrat. „Das ist alles sehr komplex.“

Keine Übergangslösung geplant

Allerdings betont er: „Die Regierung hat sich dazu verpflichtet, die Zusatzkosten der Betreiber zu übernehmen und wird dies auch umsetzen.“ REPORTER-Informationen zufolge wird es voraussichtlich aber noch mehrere Monate dauern, bis die Alten- und Pflegeheime ihr Geld sehen. So arbeitet das Sozialministerium bisher nicht an einem Gesetzentwurf, der Fakten schaffen und für Klarheit sorgen würde. „Wir müssen schauen, was technisch machbar ist“, heißt es aus dem Ministerium von Romain Schneider.

Die Regierung hat sich unterdessen gegen eine vorübergehende Entlastung der Betreiber entschieden. „Da die Pflegeversicherung die Kosten gegenwärtig nicht übernimmt, wäre es eine Möglichkeit gewesen, diese zumindest vorübergehend im Staatsbudget festzuhalten, um den Betreibern entgegen zu kommen“, so die Forderung von Dr Barnig. Darauf angesprochen entgegnet das zuständige Ministerium allerdings, dass die Regierung den betroffenen Heimbetreibern nicht einfach so Zuschüsse zusprechen oder vorstrecken könne.

Das ändert an der Lage vorerst nichts. „Wenn auch dieses Jahr keine zusätzlichen Gelder an die Betreiber fließen, dann wird es langsam eng“, warnt Dr. Barnig.