Jeder dritte abgelehnte Asylbewerber wählt in Luxemburg den Gang vor den Richter, um gegen die Entscheidung der Immigrationsbehörde zu klagen. Dabei sind die Erfolgsaussichten oft minimal. Doch zeigt jeder gewonnene Fall, dass der Staat bei der Bearbeitung der Anträge nicht frei von Fehleinschätzungen ist.

Es ist der 4. Dezember 2017, als die Algerierin, nennen wir sie Nadia, in Luxemburg einen Asylantrag einreicht. Was sie damals wohl noch nicht ahnt: Knapp vier Monate später, am 22. März dieses Jahres, wird sie nach Nizza abgeschoben werden. Das Großherzogtum fühlt sich nicht zuständig, ihren Antrag zu bearbeiten, weil sie über ein abgelaufenes französisches Visum verfügt. Nach den Regeln des sogenannten Dublin-Verfahrens sollen nun die Behörden im Nachbarland ihren Asylantrag prüfen.

Dass Nadia seit mehreren Monaten schwanger ist, erfährt das Amt zwar erst, als die Abschiebung bereits geplant ist, doch ändert es seine Entscheidung nicht. Nadia wird ausgewiesen. Zurück bleibt der Vater ihres Kindes: ein Iraker, der über subsidiären Schutz in Luxemburg verfügt.

Dass das Großherzogtum sich nicht ihres Falles annimmt, sie in der Schwangerschaft abschiebt und von ihrem Verlobten trennt: All das will Nadia nicht akzeptieren. Sie klagt vor dem Verwaltungsgericht in Luxemburg. So wie es Hunderte Asylbewerber jedes Jahr tun. 2017 legten nach Angaben der Immigrationsbehörde 652 Personen Einspruch gegen einen negativen Bescheid ein. Etwa jeder dritte abgelehnte Asylbewerber ging somit den Weg vor Gericht. Dabei sind die Chancen zu gewinnen sehr gering: Nur in 5,7 Prozent der Fälle stellten sich die Richter im vergangenen Jahr auf die Seite der Kläger.

Beschleunigte Verfahren verfehlen nicht ihr Ziel

Die Zahlen zeigen auch: Im Jahr 2014 waren noch etwa zwei Drittel der Abgelehnten vor das Verwaltungsgericht gezogen. So mancher wohl auch mit der Hoffnung, aufgrund langer Bearbeitungszeiten im Immigrationsamt und einer wachsenden Integration in Luxemburg dauerhaft bleiben zu können. Doch damit sollte Ende 2015 Schluss sein, als das Parlament eine Reform des Asylgesetzes billigte und die Bearbeitungszeit eines Asylantrags auf sechs Monate begrenzte.

Im beschleunigten Verfahren, das unter anderem für Personen aus sicheren Herkunftsstaaten angewandt wird, erhält der Antragsteller innerhalb von zwei Monaten eine Antwort aus der Immigrationsbehörde. Das Amt erhielt zusätzliches Personal, die Anzahl der bearbeiteten Fälle steigt seitdem von Jahr zu Jahr, der Rückstand an älteren Fällen wurde zwischenzeitlich abgebaut.

Im Februar 2017 ging Ressortminister Jean Asselborn einen Schritt weiter und rief das „ultra“-beschleunigte Verfahren ins Leben, insbesondere, um Menschen aus den Balkanstaaten schnell durch die Prozedur zu schleusen. Sie haben in den seltensten Fällen eine Chance, in Luxemburg bleiben zu können. Innerhalb einer Woche wird ihr Antrag bearbeitet. In der Immigrationsbehörde wird die Maßnahme als Erfolg angesehen. Viele der Betroffenen kehrten freiwillig in ihr Herkunftsland zurück, heißt es. Die Zahl der Antragsteller aus dem Balkan gehe zurück.

Zeitgewinn in den vergangenen Jahren gesunken

Auch der Rechtsanwalt Frank Wies, der Nadia vor dem Verwaltungsgericht vertritt, bemerkt, dass Flüchtlinge heute seltener darauf hoffen, dass Asylverfahren möglichst lange dauern. Dies sei eher der Fall gewesen in einer Zeit, in der die meisten Anfragen von Menschen aus den Balkanstaaten kamen, das heißt vor der großen Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Seitdem suchen insbesondere Syrer Schutz in Luxemburg. „Die Leute, die jetzt ihren Asylantrag stellen, möchten so schnell wie möglich eine Antwort erhalten und Sicherheit haben“, sagt er. „Manche haben ihre Familien zurückgelassen und wollen wissen, ob sie sie nachholen können.“

Das sagt das Gesetz

Gegen Bescheide der Immigrationsbehörde können Asylbewerber vor dem Verwaltungsgericht („Tribunal administratif“) Klage erheben. Dieses Urteil kann wiederum vor dem Verwaltungsgerichtshof („Cour administrative“) angefechtet werden. Dieser zweite Instanzenweg steht insbesondere dann offen, wenn ein Antrag auf „internationalen Schutz“ in einem „normalen“ Verfahren von der Immigrationsbehörde abgelehnt wurde.

Wessen Dossier von Amts wegen in einer beschleunigten Prozedur bearbeitet wurde, weil die Person beispielsweise aus einem sicheren Herkunftsland stammt, hat diese Möglichkeit nur in Ausnahmefällen. Dann ist bereits das Urteil des Verwaltungsgerichts bindend. Auch Migranten, deren Antrag in Luxemburg nicht geprüft wird, weil sie unter die Dublin-Regelung fallen, erhalten keine zweite Einspruchsmöglichkeit nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts.

Me Frank Wies empfehle seinen Mandanten nicht generell, einen Prozess anzustrengen. „Wie die Chancen stehen, hängt von dem Land ab, aus dem die Betroffenen kommen“, sagt er. Beim Irak oder manchen afrikanischen Ländern seien die Erfolgsaussichten besser als bei sicheren Herkunftsstaaten. Dazu gehören beispielsweise Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. „In diesen Fällen raten wir meistens von einem Prozess ab, weil er keinen Nutzen bringt.“

Der Einspruch gegen den negativen Bescheid muss innerhalb von 14 Tagen gestellt werden, die Richter haben ihrerseits zwei Monate Zeit, um ein Urteil zu fällen. „Der Zeitgewinn ist verschwindend gering“, sagt Frank Wies. Zudem droht eine dreijährige Einreisesperre in den Schengen-Raum. „Wir empfehlen den Betroffenen, über eine Arbeitsmöglichkeit eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.“

Erfolgschancen und die Rolle der Anwälte

Dass nicht alle seine Kollegen so verfahren, weiß auch Frank Wies. „Mancher Asylbewerber geht zum nächsten Anwalt und der macht das dann.“ Gleichzeitig warnt er davor, den Betroffenen generell das Recht abzusprechen, vor Gericht zu ziehen. In Deutschland erregte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erst Anfang Mai Aufsehen, als er in einem Zeitungsinterview mit der „Bild am Sonntag“ Anwälte und Menschenrechtsorganisationen, die Asylbewerber in Gerichtsverfahren unterstützen, angriff und als „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ bezeichnete.

„Hierzulande hat zum Glück noch kein Politiker denselben Begriff der ‚Industrie‘ verwendet“, sagt Frank Wies. „Es gibt und gab aber auch bei uns schon den Vorwurf seitens mancher Politiker, dass die Asylbewerber mit Hilfe ihrer Anwälte alles tun würden, um Zeit zu gewinnen. Aufgrund dieser Vorwürfe sind zum Beispiel die Einspruchsfristen für Asylbewerber erheblich verkürzt worden gegenüber denen in anderen verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten.“

Ist die vergleichsweise hohe Zahl der Klagen bei zugleich geringen Erfolgschancen auf finanzielle Interessen von Anwälten zurückzuführen? Dass die Verfahren für Anwälte lukrativ seien, verneint Frank Wies. In vielen Fällen übernimmt der Staat die Ausgaben für den Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe. Im Jahr 2017 gab der Staat 1,36 Millionen Euro für Verfahren im Verwaltungsrecht aus, der Großteil davon entfällt laut Justizministerium auf den Bereich Asyl. Pro Stunde erhält ein Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe 87 Euro. Asylverfahren rentierten sich finanziell nicht, meint Wies. Wer sich als Anwalt allein darüber finanziere, müsse ein „bescheidenes Leben“ führen.

Andere Verfahren bleiben auf der Strecke

Am Verwaltungsgericht ist jeder dritte Fall der eines Asylbewerbers. Der Präsident des Tribunals, Marc Sünnen, bescheinigt der Reform von 2015, die auch Auswirkungen auf die Justiz hatte, einen „negativen Einfluss“. Dadurch, dass heute mehr Asylverfahren innerhalb kürzester Zeit entschieden werden müssten, blieben andere Dossiers, beispielsweise aus dem Bau- und Steuerrecht, vermehrt liegen. Das Asylrecht sei insgesamt komplexer geworden.

Zudem kritisiert er das Prozedere bei den Dublin-Verfahren, bei denen die Betroffenen vor Gericht erwirken wollen, dass sie nicht in das EU-Land abgeschoben werden, in dem sie zunächst registriert wurden. Zumindest solange nicht, bis das Gericht in einem zweiten Prozess entschieden hat, ob Luxemburg sich nicht doch ihres Falles annehmen muss. Diese beiden Verfahren würden insgesamt vier Richter beanspruchen. „Dadurch geht viel Zeit verloren“, sagt Marc Sünnen. Er wünsche sich, dass hier ein Einzelrichter in einem Eilverfahren zu einem Urteil komme.

Vielleicht wäre Nadia mit einer solchen Lösung manches erspart geblieben. Vor dem Verwaltungsgericht konnte sie im März kurz vor knapp ihre forcierte Ausreise zunächst nicht abwenden. Doch Anfang Mai entschieden die Richter, dass Luxemburg ihren Asylantrag hätte prüfen müssen. Die Immigrationsbehörde muss dies nun nachholen. Nadia wartet derweil darauf, dass sie zurück nach Luxemburg gebracht wird. Ihr Kind soll in den nächsten Wochen das Licht der Welt erblicken.