Zu späte Reaktion, mangelnde Abstimmung, geschlossene Grenzen: Die EU gab in der Corona-Krise lange eine schlechte Figur ab. Wie und warum es dazu kam, haben Journalisten des „Bureau of Investigative Journalism“ anhand von Sitzungsprotokollen und internen Dokumenten recherchiert.

Man habe die Lage früh erkannt und sogar noch vor der WHO vor der Gefahr des Coronavirus gewarnt, verteidigt sich die Europäische Kommission. Doch wie die Recherche des „Bureau of Investigative Journalism“ zeigt, ist die Liste der Mängel und Missverständnisse der EU in Sachen Bewältigung der Corona-Krise lang. In Zusammenarbeit mit internationalen Medienpartnern hat das Recherchekollektiv mit Sitz in London die Antwort der EU auf die Pandemie rekonstruiert.

Zu den Befunden der Recherche gehört, dass die EU-Staaten die Sars-CoV-2-Epidemie wochenlang unterschätzten. Bei den ersten Treffen relevanter Gesundheitsgremien glänzten mehrere Staaten durch Abwesenheit. Später informierten sich viele Regierungen zum Teil nicht einmal gegenseitig über Maßnahmen wie Grenzschließungen oder Kontrollen des Flugverkehrs. Eine gemeinsame Reaktion der EU-Staaten auf die Pandemie wurde so bereits früh nahezu unmöglich gemacht.

Zu spät und zu langsam reagiert

Konkret lässt sich die allzu späte und langsame Reaktion der EU beim Thema Schutzausrüstung festmachen. Noch am 23. Februar startete laut den Recherchen des „Bureau of Investigative Journalism“ von Wien aus ein Flugzeug mit rund 25 Tonnen Atemschutzmasken und Schutzkleidung nach China. Zur gleichen Zeit begann sich das Virus jedoch schon in Europa auszubreiten. Vor allem in der italienischen Lombardei mangelte es dabei schon früh an Atemschutzmasken. Hilferufe nach Brüssel blieben jedoch ungehört, denn die EU hatte keine Masken mehr zu verteilen.

Zudem waren viele europäische Staaten schlecht für die Pandemie gerüstet. Die meisten Bestände an Schutzkleidung und Masken waren abgelaufen, zerstört und wurden oft nicht ersetzt. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hatte schon Mitte Februar vor einer ungenügenden Vorbereitung mancher EU-Staaten gewarnt. In einem vertraulichen Dokument riet die Behörde den Mitgliedstaaten, dringend einen Bestand an Masken aufzubauen, denn „die Produktionskapazität für OP-Masken würde im Pandemiefall schnell überschritten“.

Geschehen ist dies in den meisten Mitgliedstaaten nicht. Erst im März, als der Markt für Masken und jegliches benötigte Material im Kampf gegen das Virus überhitzte, begannen die meisten Staaten, sich um ausreichende Bestände zu bemühen. Dies führte wiederum zu Bestellungen von minderwertigen und/oder gefälschten Produkten, wie im Fall der FFP2-Masken, über die REPORTER Anfang Juli exklusiv berichtet hatte.

Die gesamte Recherche über die Reaktion der EU auf den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie ist auf der Webseite des „Bureau of Investigative Journalism“ zu finden.