Die Gesundheitsrisiken der Antibabypille spielten lange eine untergeordnete Rolle. Heute wenden sich auch in Luxemburg zunehmend Frauen von dieser Verhütungsmethode ab. Ärzte sprechen von einem Trend zur „Pillenmüdigkeit“.

Die Verhütungspille hat Cathy* nie genommen. „Meine Mutter war Hebamme und hat mir in meiner Jugend quasi verboten, die Pille zu nehmen“, so die Aussage der heute 35-jährigen Mutter. Begründet habe die eigene Mutter ihre Einwände immer mit Bedenken bezüglich der Fruchtbarkeit. Sie habe selbst zu viele Patientinnen mit Fruchtbarkeitsproblemen erlebt und habe sich widersetzt, dass junge Mädchen so früh derart viele Hormone zu sich nehmen sollen.

Cathy hat die Pille daraufhin nie genommen. Doch gibt die junge Frau heute zu: Als Jugendliche hat sie die Einstellung ihrer Mutter verflucht und überhaupt nicht nachvollziehen können. Vor 20 Jahren war das Einnehmen der Verhütungspille bei jungen Mädchen nämlich quasi Programm. Groß hinterfragt wurde die Pille nicht. Heute gibt es einen Sinneswandel. Zunehmend junge Frauen schlagen den Weg von Cathy ein und verzichten ganz bewusst auf das hormonelle Verhütungsmittel.

Robert Lemmer, Präsident der Gesellschaft der Gynäkologen, spricht von einem internationalen Trend der „Pillenmüdigkeit“. Er bestätigt, dass sich die Tendenz auch in Luxemburg ausbreitet. Auch die Frauenärztin Brigitte Marchand bestätigt, dass Frauen heute zunehmend andere Wege der Verhütung suchen. „Heute werden so viele Spiralen eingesetzt wie nie zuvor. Diese Tendenz hat vor vier bis fünf Jahren angefangen“, bezeugt die Ärztin.

Das eigentliche Problem mit der Pille

Zweifelsohne hat die Verhütungspille das Leben der Frauen revolutioniert. 1960 trug die erste Variante der Hormonpille zu einer neuen Lebensgestaltung der Frauen bei. Endlich konnten sie ihr Leben und vor allem ihr Sexualleben freier gestalten. Die sogenannte „freie Liebe“ der 1968er Generation, aber auch die Möglichkeit, aufgrund der Geburtenkontrolle einem Beruf nachzugehen und sich ihre finanzielle Selbstständigkeit aufzubauen, wären ohne diese medizinische Errungenschaft nicht möglich gewesen.

Diesbezügliche gesundheitliche Risiken erhitzten die Gemüter vor 50 Jahren kaum. Vier Pillengenerationen später, ist die Situation eine andere. Die Frage der gesundheitlichen Risiken ist zentraler geworden.

Der Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und der Einnahme der Pille ist falsch.“Dr. Robert Lemmer

Dass die Pille Nebenwirkungen hat, steht zwar auf jeder Packungsbeilage. Das gesundheitliche Risiko variiert dabei aber je nach Pillengeneration, der hormonellen Zusammensetzung und der Dosierung. Den Überblick zu behalten ist heute schwer: Die vier Generationen von Antibabypillen lassen sich in über 40 Varianten einteilen und werden von verschiedenen Pharmaherstellern vertrieben. Bei ihrer Zusammensetzung handelt es sich größtenteils um Kombinationen der Hormone Oestrogen und Progesteron, in einigen wenigen Fällen, etwa bei Präparaten die während der Stillzeit geeignet sind, ist lediglich Progesteron vorhanden.

Risiken und Nebenwirkungen: Thrombose

Öfters raten Ärzte mittlerweile von der 3. und 4. Generation ab. Die Nebenwirkungen sind bei diesen Varianten nämlich zahlreicher; das Thromboserisiko wird erhöht. Dabei handelt es sich um ein Blutgerinsel, das in unbehandelten Fällen potenziell zu einer lebensbedrohlichen Lungenembolie und Herzversagen führen kann.

Bei diesen Pillengenerationen wird ein Gesundheitsrisiko durch die hormonelle Zusammensetzung begünstigt. „Dies muss der Arzt bei der Erstverschreibung einer solchen Pille unbedingt erwähnen“, so die Ärztin Brigitte Marchand. Um die Risikofaktoren einzuschätzen, erkundigen sich die Ärzte nach Krankengeschichte ihrer Patientinnen und erstellen die Familienanamnese.

Die erste Pillengeneration würde heute nicht mehr verschrieben, so Robert Lemmer. Verschrieben werden heute meist Pillen der zweiten Generation, die in den 1970er Jahren eingeführt wurden und die dritte Generation, die in den 1990er Jahren auf den Markt kam. Umstritten ist bis heute die Pille mit dem Namen „Diane 35“; sie enthält ein spezielles Progesteron. Von der Medikamentenagentur in Frankreich wurde sie 2013 für ein Jahr verboten, anschließend wurde davon abgeraten sie als Verhütungsmittel zu verschreiben. In Luxemburg wird die „Diane 35“ zumindest vom „Planning familial“ kaum noch verschrieben. Dr. Robert Lemmer sieht jedoch noch Gründe für ihren Einsatz und sagt selbst, dass er sich als Arzt nicht davor scheut, sie jungen Frau mit schwerer Akne zu verschreiben. Bestimmte Zusammensetzungen der Pille können das Hautbild bekanntlich beeinflussen.

Welche Pille verschreiben die Ärzte?

Das „Planning familial“ verschreibt in erster Instanz meist eine Pille der zweiten Generation. Dazu raten auch die Krankenkassen in Deutschland. Die Nebeneffekte seien dabei einfach geringer – bei einer etwaigen Intoleranz würde dann später ein Wechsel auf eine Pille mit einer anderen Dosierung vorgeschlagen.

Robert Lemmer beschreibt die Risiken ganz sachlich: Frauen, die keine Pille nehmen würden, hätten ein Thrombose- oder Embolierisiko von 2 zu 10.000. Das Risiko steigt laut einer Studie des französischen „Institut national d’études démographiques“ bei einer Pille der zweiten Generation auf fünf bis sieben Frauen von 10.000. Bei einer Pille der dritten Generation erhöht sich das Risiko gar auf neun bis zwölf Frauen von 10.000.

Die Gründe für die zunehmende Ablehnung der Anti-Baby-Pille sind vielfältig. (Foto: Shutterstock.com)

Generell sagt Robert Lemmer in Anbetracht dieser Statistiken: „Ich habe kein Problem, Pillen der unterschiedlichen Generationen zu verschreiben.“ Er weiß, dass die meisten Gesundheitsrisiken im ersten Jahr der Einnahme auftreten. Verläuft das erste Jahr der Pille der dritten Generation ohne Zwischenfälle, sieht er keine Ursache, auf eine Pille einer anderen Generation zu wechseln. Zudem hat sich medizinisch erwiesen, dass das Rauchen das Risiko um das Zehnfache erhöht. Weitere Risikofaktoren sind noch nicht ausreichend erforscht.

Auch Dr. Claude Borsi, Gynäkologe mit langjähriger Erfahrung, verschreibt Frauen, die schon länger eine Pille der dritten oder vierten Generation nehmen, keine neue Pille. Bei Patientinnen, die zuvor keine Antibabypille genommen haben, greift er allerdings auf eine Pille der zweiten Generation zurück. Die Thrombosenrisikodebatte um die Pille empfindet der Mediziner aber als falsch. Das Risiko einer Thrombose oder Embolie sei in der Schwangerschaft etwa fünfmal so hoch als bei der Einnahme einer Antibabypille.

Auch den Fruchtbarkeitsängsten erteilt Dr. Robert Lemmer ein vernichtendes Urteil. „Der Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und der Einnahme der Pille ist falsch“, sagt er. Im Gegenteil müssten die Eierstöcke durch die Pille nicht arbeiten und wären so anschließend für die Empfängnis besser erhalten.

Skandale und Ängste

Polemiken um Gesundheitsrisiken und verspürte Ängste und Bedenken sind nicht neu. Skandale im Ausland werden alle paar Jahre in der Öffentlichkeit und im Gerichtsaal ausgetragen. So etwa 2012, als in Frankreich die junge Marion Larat den Pillenhersteller Bayer verklagte. Sie vermutete, dass die Pille ihren Hirnschlag ausgelöst habe, der sie mit schweren Behinderungen zurückließ. Nach dem stark mediatisierten Fall, hatten rund 130 weitere Frauen insgesamt 29 weitere Pillenmarken der dritten und vierten Generation verklagt. In Marion Larats Fall befand das Gericht: „L’enquête ne permet pas d’établir avec certitude l’existence d’un lien de causalité entre la prise du contraceptif et les pathologies présentées par les plaignantes.“

In Deutschland verklagte vor drei Jahren eine junge Frau auch Bayer: Sie hatte nach der Einnahme von Yasminelle, einer Pillenvariante der vierten Generation, eine Thrombose erlitten und musste daraufhin mit vielen Einschränkungen leben. Vom Pharmakonzern forderte sie Schadensersatz.

Die Auswirkungen solcher Skandale im Ausland und der daraufhin entstandenen Ängsten verspüren die Frauenärzte auch in Luxemburg. „Die Frauen wollen keine Hormone mehr nehmen, sie haben sogar Angst vor den Hormonen“, sagt Dr. Brigitte Marchand. Insgesamt steige bei jungen Frauen neben der Angst vor Hormonen auch die Angst vor dem Krebsrisiko.

Welche Alternative für welche Frau?

Frauen suchen auch in Luxemburg zunehmend nach Alternativen zur Pille. So hat Robert Lemmer festgestellt, dass die Nachfrage für die Spirale steigt. Allerdings ist sie für junge Frauen häufig nicht geeignet und bleibt bei ihnen eher die Ausnahme.

Laut Brigitte Marchand des „Planning Familial“ suchen in Luxemburg aber nicht die ganz jungen Frauen Alternativen zur Pille. Die Besorgnis sei bei Pillenutzerinnen im allgemeinen höher.

Die Pillenmüdigkeit reiht sich in eine globale Lebenweise ein.“Dr. Brigitte Marchand

Die Kosten der Verhütungspille werden in Luxemburg seit 2012 bis zum 25. Lebensjahr komplett von der CNS rückerstattet – bald soll das Alter auf 30 Jahre angehoben werden. Ähnliche finanzielle Unterstützungen bietet der Staat den jungen Frauen, die sich für andere Verhütungsmittel entscheiden zum heutigen Datum aber nicht. Zwar sei die Rückerstattung der Spirale für Frauen bis 30 Jahre prinzipiell entschieden, umgesetzt wurde aber noch nichts.

„Healthy lifestyle“ und keine Hormone

Nicht nur potenzielle Risiken und Nebenwirkungen bringen junge und weniger junge Frauen heute zum Nachdenken. Auch die Tendenz des „healthy lifestyle“, der auf einer natürlicheren und gesunden Lebensweise und Ernährung basiert, trägt seinen Anteil zum Umdenken bei. Hinzu kommen ökologische Bedenken. „Die Pillenmüdigkeit reiht sich in eine globale Lebensweise ein“ so die Feststellung von Brigitte Marchand.

„Diese Frauen haben sich bereits vor ihrem Termin in der Praxis gut überlegt, was sie wollen.“ Marchand erklärt aber, dass der Wunsch nach einer effizienten Verhütung weiterhin im Vordergrund stehe, ein Präservativ ohne weitere Verhütung komme für die meisten Frauen auch in Beziehungen nicht in Frage. Es sei auch in der Erfahrung der Medizinerin selten, dass Pillenutzerinnen plötzlich von der Pille absehen und auf eine natürliche Verhütung setzen würden. Ferner sagt sie: „Es kommt kaum vor, dass die Frauen überhaupt nicht mehr verhüten wollen.“

Robert Lemmer schätzt seinerseits, dass etwa 10 Prozent der Frauen mit Hilfe von Temperaturmessungen und anderen Methoden, auf eine natürliche Verhütungsmethode zurückgreifen. Aufgrund von häufigen Fehlern, die durch externe Faktoren wie Stress und Müdigkeit beeinflusst werden, sind diese aber für Frauen, die auf keinen Fall schwanger werden möchten, nicht geeignet.

Antibabypille dennoch beliebt

Trotz der Polemik und des aktuellen Trends, nehmen viele Frauen weiterhin die Antibabypille. In Frankreich ist es die Mehrheit der verhütenden Frauen, laut einer Studie der Ined von 2013 sind es 41 Prozent, die auf die Antibabypille zurückgreifen, im Gegensatz zu den Jahren davor, in denen der Anteil noch bei 50 Prozent lag. Der Zusammenhang mit einer französischen Klage gegen einen Pharmahersteller ist eindeutig. In Luxemburg gibt es keine Statistik, die die Beliebtheit der jeweiligen Verhütungsmittel festhält. „Im Ministerium macht sich niemand die Mühe, diese Zahlen zu erfassen“, sagt der Präsident der SLOG, Dr. Robert Lemmer.

Sowohl Robert Lemmer als auch Brigitte Marchand und Claude Borsi empfehlen weiterhin die Pille als Verhütungsmittel. Sie biete viele Vorteile, wie etwa einen geregelten Zyklus, weniger starke und schmerzvolle Regeln und eine Verminderung von Akne. Claude Borsi geht auch nicht davon aus, dass sich die Verhütungsmethoden in der Zukunft komplett verändern werden. „Einem sehr jungen Mädchen wird man auch in Zukunft keine Spirale einsetzen“, sagt er.

Unter den alternativen Verhütungsmitteln für Frauen bleibt die Spirale am beliebtesten. Erste Studien rundum die männliche Antibabypille sollen zwar bald in den USA durchgeführt werden, die Forschung steckt aber noch in den Kinderschuhen. Brigitte Marchand plädiert ihrerseits dafür, die definitive Alternative der Sterilisierung zugänglicher zu gestalten. Seit zwei bis drei Jahren berichten der Ärztin zufolge vermehrt Frauen davon, dass sich der Partner eine Vasektomie durchführen lasse. Auch die Kosten einer solchen Operation werden von der Krankenkasse nicht zurückerstattet.

*Name von der Redaktion geändert.