Yoav Peck versucht mit seiner Organisation etwas zu erreichen, das vielen aussichtlos scheint: Mit dem „Sulha Peace Project“ will der israelische Psychologe Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern schaffen. Ein Gespräch über Erfahrungen zwischen Hoffnung und Ernüchterung.
REPORTER: Was wollen Sie mit Ihrer Organisation erreichen?
Yoav Peck: Das arabische Wort „Sulha“ steht für eine jahrhundertealte Tradition der Konfliktresolution in der palästinensischen Gesellschaft. Auf Hebräisch bedeutet das Wort „Versöhnung“. Unser Projekt beruht auf der Annahme, dass Veränderung nur möglich ist, wenn sie gleichzeitig von oben und unten geschieht.
Oben sind die politischen Führer, die Presse und Demonstrationen. Unten geht es um Beziehungen von Menschen zu Menschen. Hier setzen wir an. Wir denken, dass jede Lösung für die Zukunft von Nahost auf Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern beruhen muss. Es ist unser Anliegen, durch Begegnungen auf persönlicher Ebene die Gräben zwischen den Menschen zu schließen.
Das klingt nach einer Herausforderung, wie gehen Sie die Sache an?
Wir vermeiden politische Diskussionen. Dafür unterstützen wir Betroffene auf beiden Seiten, davon zu erzählen, wie Sie den Konflikt persönlich erleben. Alle sechs Wochen bringen wir bis zu 120 Palästinenser und Israelis zusammen, um Zeit miteinander zu verbringen, sich kennen zu lernen und in „Zuhörkreisen“ zu sitzen. Wir benutzen dazu gemeinsame Mahlzeiten, Gebet, Musik und Trommeln – was auch immer Menschen zueinander bringt.
Inwiefern helfen solche Treffen, Brücken in diesem festgefahrenen Konflikt zu schlagen?
Viele von uns hören einander nicht richtig zu. Anstatt sich in die Lage des anderen zu versetzen, denkt man oft nur darüber nach, wie man die Diskussion gewinnen kann. So hören Krieger einander zu, aber damit kann kein Frieden geschlossen werden. Zuhören ist das Herzstück unserer Arbeit. In der tieferen Erfahrung des Zuhörens ist man ganz bei den Menschen, wenn sie sprechen. Ich mag mit deiner Meinung überhaupt nicht übereinstimmen, respektiere dich aber dennoch genug, um dich ausreden zu lassen. Es ist die Aufgabe von uns Organisatoren, einen Raum zu schaffen, in dem die Menschen sich sicher genug fühlen, um ihre persönlichen Erfahrungen zu teilen.
Wenn man sich die Situation in Gaza anschaut, dann scheint es als ob es noch ein sehr langer Weg zum Frieden ist. Ist das nicht alles totale Sisyphusarbeit?
Ja. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen. Wir haben eine Methode, die wir das „freundliche Untergraben von Annahmen“ nennen. Wenn jemand behauptet ‚Die Palästinenser wollen uns alle ins Meer schubsen‘, so taucht das immer wieder in einer Diskussion auf. Dann entgegnen wir ihnen ‚Glaubst du, alle Palästinenser denken so? Glaubst du, dass jeder Palästinenser, inklusive jene auf diesem Treffen, dich ins Meer schmeißen will?‘ Nur wenn genügend Verbindung zum Anderen besteht, werden sie bereit sein, die fehlerhafte Logik hinter dem, was sie sagen, zu überdenken. Dies ist in der Tat ein langer Weg.
Politische Diskussionen ändern nichts, sondern treiben die Menschen auseinander und lassen sie verbittert zurück.Yoav Peck
Kommen in den “Zuhörkreisen” auch politische Diskussionen auf?
Die politische Situation wird bei uns immer wieder erwähnt. Vor allem bei so markanten Ereignissen wie den aktuellen Tötungen an der Gaza-Grenze. Wir ermutigen unsere Teilnehmer jedoch, nicht ständig nach politischen Lösungen zu suchen. Palästinensische Teilnehmer frustriert das manchmal, denn sie leben seit 50 Jahren mit der Realität der Besatzung. Aber meist verstehen Sie schnell was wir erreichen wollen: Jeder hat eine Geschichte und will diese erzählen, sofern er jemand findet, der ihm dabei zuhört. Je älter ich werde, desto klarer wird mir persönlich, dass politische Diskussionen meistens darauf ausgerichtet sind, dass sich eine Person als Gewinner und die andere als Verlierer fühlt. Politische Diskussionen ändern nichts, sondern treiben die Menschen auseinander und lassen sie verbittert zurück.
Gelingt es denn immer diese politischen Grabenkämpfe zu vermeiden?
Lassen Sie mich dazu eine Geschichte erzählen. Als ich einmal im Krankenhaus lag, befand sich im Krankenbett neben mir ein Siedler, Yossi. Meine automatische Reaktion war Ablehnung. Ich dachte, dass wir nichts miteinander gemeinsam haben. Doch dann begann Yossi aus seinem Leben zu erzählen und es stellte sich heraus, dass er seine Eltern und Geschwister bei einem Terroranschlag verloren hatte. Er war damals auf seinem Weg in die Armee.
Als ich das Sulha-Projekt erwähnte, fragte Yossi zu meiner Verwunderung gleich: „Warum lädst du mich nicht mal zu einem euer Treffen ein?“ Dann kam er. Wir baten einen der Palästinenser, Ahmed, einige Zeit mit ihm zu verbringen. Ahmed hatte in einigen israelischen Gefängnissen eingesessen und humpelte aufgrund der Wunden, die er bei seiner Verhaftung erlitten hatte. Er war sehr misstrauisch gegenüber dem Siedler und auch Yossi war anfangs auch sehr ablehnend. Aber er willigte ein.
Es war so traurig zu sehen, dass beide sich in ihren Rollen eingeschlossen fühlten – ein zukünftiger Soldat und ein potenzieller Steinewerfer. Yoav Peck
Innerhalb von zehn Minuten waren sie tief ins Gespräch vertieft. Sie lehnten sogar unsere Einladung ab, an den anderen Aktivitäten teilzunehmen, sondern unterhielten sich, lachten und tauschten Zigaretten aus. Am Ende des Abends baten wir die Palästinenser zurück in den Bus, da sie zu einer bestimmten Zeit die Grenze überqueren mussten. Ahmed umarmte Yossi und sagte zu ihm: „Hör zu, in einigen Monaten wirst du Soldat sein und wirst an der Straßensperre stehen, während ich auf der anderen Seite Steine auf dich werfe. Bitte pass auf dich auf.“
Es war so traurig zu sehen, dass beide sich in ihren Rollen eingeschlossen fühlten – ein zukünftiger Soldat und ein potenzieller Steinewerfer. Aber eine Verbindung war zwischen Ihnen entstanden. Es war ein ganz schön magischer Moment.
Frustrieren solche Erfahrungen nicht auch manchmal?
Die wirkliche Frustration bezieht sich auf die Menschen, die wir nicht erreichen. Die, die eines unser Treffen besucht haben, tragen die Botschaft in ihre Leben und teilen die Erfahrungen mit ihren Familien. Sie sind auf eine Art berührt, wie die meisten Menschen es nicht sind. Sicher, mit einhundert Menschen bei einem Treffen alle sechs Wochen haben wir statistisch gesehen keinen großen Einfluss. Ich bin aber frustriert darüber, was mit den Menschen geschieht, die nie eine solche Erfahrung hatten. Die Palästinenser verbittern zunehmend. Die Israelis haben immer mehr Angst und entfremden sich von den Menschen, die nur wenige Kilometer weiter leben.