Riace galt als Musterbeispiel für Immigration und multikulturelles Zusammenleben. Die Kleinstadt im Süden Italiens war verlassen und zerfallen, bis ihr Bürgermeister zeigte, dass Migration eine Chance sein kann. Innenminister Matteo Salvini setzte dem Projekt aber vorerst ein Ende.

Es scheint wie ein Märchen. Eine Stadt im Süden Italiens war leer und verlassen. Die jüngeren Generationen zogen weg, denn es gab weder Arbeit noch Perspektiven. Die Häuser standen leer, die Stadt zerfiel. Dann entschied der Bürgermeister, Migranten aufzunehmen. Die älteren Generationen brachten den Neuankömmlingen traditionelle Handarbeiten bei; die Migranten bearbeiteten die verlassenen Felder und Weinberge. Die Stadt erwachte zum Leben, erholte sich von der wirtschaftlichen Krise und wurde zum Magnet für Touristen.

Was klingt wie eine Erzählung, wurde in Riace, einer kleinen Stadt in Kalabrien, Realität. Die Region im Süden Italiens ist besonders hart von der wirtschaftlichen Krise des Landes betroffen. Darüber hinaus ist Kalabrien das Zentrum der „Ndrangheta“, eines der größten Mafia-Netzwerke Europas. Doch der Bürgermeister Riaces schaffte es, der Stadt durch eine offene Immigrationspolitik wieder Leben einzuhauchen – bis der italienische Innenminister Matteo Salvini dazwischen funkte.

„Città Futura“ soll Flüchtlingen helfen

„In den 1990er Jahren war Riace eine Geisterstadt“, erzählt Auroa Moxon. Die Britin hat ihre Masterarbeit über die Integration von Flüchtlingen in Riace geschrieben und forscht nun zu kalabrischer Immigration an der University of Bristol. In Riace gab es in den 1990er Jahren kaum Arbeit. Besonders junge Menschen zogen in den Norden, oder wanderten nach Australien oder Nordamerika aus. Was blieb, war eine leere Stadt, in der nur die älteren Generationen ausharrten. Nicht einmal 800 Einwohner zählte die Kleinstadt am südlichsten Punkt des Stiefels 1998. Heute sind es etwa 2.300.

Nach und nach kamen immer weitere Flüchtlinge in die süditalienische Kleinstadt Riace. (Foto: Aurora Moxon)

Als 1998 eine Gruppe Kurden vor dem Krieg nach Kalabrien flüchtete, gründete der spätere Bürgermeister der Stadt Domenico Lucano das Projekt „Città Futura“, ein Programm zur Ansiedelung von Flüchtlingen. Die Ankömmlinge wurden in leerstehenden Häusern im Stadtzentrum untergebracht und sollten helfen, Riaces Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Dabei wurde besonders den Frauen geholfen, betont Aurora Moxon. „Die Einwohner brachten den Flüchtlingsfrauen in Workshops, ‚laboratori’, ihr Handwerk bei. Etwa Töpfern, Glasarbeit, Stickerei und Weberei.“ Diese traditionellen Handarbeiten sind eigentlich am Aussterben und das Wissen drohte, verloren zu gehen. Das Ziel des Projektes war, dass wenigstens ein Familienmitglied Arbeit hatte. Dank der Kooperativen konnten sich Familien so in Riace ein neues Leben aufbauen.

Ein Gewinn für Einwohner und Flüchtlinge

Nach und nach kamen immer weitere Flüchtlinge nach Riace. Der Strom ebbte bis heute nicht ab. Besonders im Zuge der Migrationskrise nahm Lucano so viele Flüchtlinge auf, wie er konnte. Zur Zeit leben rund 600 Migranten in der Kleinstadt.