Eine verschwundene Urne im Familiengrab sorgt in Préizerdaul für heftigen Streit – unter Angehörigen, im Dorf und vor Gericht. Der Konflikt dreht sich um gemietete Schmuckurnen. Er verrät allerdings auch viel darüber, wie die Gesellschaft mit dem Tod umgeht.
Die Geschichte klingt wie das Drehbuch eines schlechten Films. Im Dezember 2012 stirbt Léon Zigrand im Alter von 85 Jahren in Erpeldingen. Sein Leichnam wird eingeäschert, die mit Sorgfalt ausgesuchte Urne aus Olivenholz im Familiengrab auf dem Friedhof in Préizerdaul begraben. Das glauben zumindest seine Töchter.
Knapp sechs Jahre später stirbt Mathilde Kessel, die Witwe von Léon Zigrand. Auf ihren letzten Wunsch hin kauft die Familie eine zweite, identische Urne aus Olivenholz, um sie neben der Urne von Léon Zigrand zu begraben. Doch die Töchter erleben eine böse Überraschung. Ein Blick ins Grab zeigt: Die Urne des Vaters ist nicht mehr da. Übrig geblieben ist lediglich ein schwarzer Standard-Behälter aus Metall. Keine Spur von der Urne aus Olivenholz.
Feuerbestattung liegt zunehmend im Trend
„Die Asche kommt immer in eine schwarze metallene Urne“, erklärt Steffi Weigel, Direktorin des Krematoriums in Hamm, im Gespräch mit REPORTER. „Gleiche Behandlung für jeden“, das stehe im Gesetz von 1972, das die Feuerbestattung mit im internationalen Vergleich reichlich Verspätung auch im katholisch-konservativen Luxemburg erlaubt. Neun Jahre zuvor hatte der Vatikan das Verbot der Verbrennung bereits per Dekret aufgehoben.
„Die Tendenz zur Feuerbestattung ist von Jahr zu Jahr steigend“, sagt Steffi Weigel. In Luxemburg sterben pro Tag im Durchschnitt zwölf Menschen, mehr als die Hälfte wird mittlerweile eingeäschert, und dann entweder verstreut, in einer Urne im Kolumbarium aufbewahrt oder begraben.
Fast alle nehmen eine Schmuckurne mit ins Grab. Wo Herr Schmit drin war, will doch ich nicht rein.“Jean-Paul Erasmy, Bestattungsunternehmer
Seit der Eröffnung des Krematoriums in Hamm vor 25 Jahren wurden dort 55.847 Einäscherungen vorgenommen. „Wir haben zwei Öfen, der eine schafft sechs, der andere acht Einäscherungen pro Tag“, so Steffi Weigel. 2.810 Leichen wurden alleine im Jahr 2019 eingeäschert. Zieht man die 304 Leichname aus dem Ausland ab, die in Hamm eingeäschert und verstreut wurden, so kommt man bei insgesamt 4.283 Sterbefällen (Statec) in Luxemburg auf 58 Prozent Einäscherungen. Etwa ein Viertel der Familien entscheidet sich für eine Trauerfeier in den Räumlichkeiten des Krematoriums. Dort haben im vergangenen Jahr 465 zivile und 258 religiöse Feiern stattgefunden.
Manche Familien leihen sich für die Zeremonie eine Schmuckurne aus, andere entscheiden sich zum Kauf, um die metallene Standard-Urne definitiv einzukleiden. Ob Ausleihen oder Kaufen, das sei meistens „eine Frage des Geldes“, erklärt Steffi Weigel.
Kein Diebstahl, sondern ein Missverständnis
„Die Familie Zigrand ist keine Familie, die eine Urne leihen würde“, sagt ein Mitarbeiter des Begräbnispersonals der Par Atertdall Sainte-Claire. Er erinnert sich noch gut an die entsetzten Gesichter der Töchter, als sie das Fehlen der Schmuckurne bemerkten. „Die Mädchen kamen auf mich zu und waren geschockt“, so der Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte.
Bei beiden Beerdigungen der Familie Zigrand wurde das Unternehmen „Marbrerie Hary“ damit beauftragt, das Familiengrab zu öffnen. Ihr Mitarbeiter Claude Rossi erzählt, dass er sich zwar nicht mehr an den konkreten Fall erinnern könne, aber nicht erstaunt sei über solche Vorkommnisse: „Wir haben schon so einiges gesehen. Wir machen, was die Gemeinden uns sagen.“

Im Januar 2019 erstatten die Töchter der Verstorbenen dann auch Anzeige gegen Unbekannt. Vornehmlich wegen Betrug und Täuschung, Diebstahl, Verachtung von Kultgegenständen, Zerstörung von Gräbern und Vertrauensmissbrauch. Die Polizei ermittelt, vernimmt drei Zeugen und schlussfolgert, dass es sich bei der verschwundenen Urne nicht um Diebstahl, sondern lediglich um ein Missverständnis gehandelt habe.
„Ich habe damals eine Abdeckung dorthin gebracht und diese vermutlich auch wieder mitgenommen“, wird der Bestatter René Goergen und damalige Geschäftsführer des Unternehmens Goergen Frères im Polizeibericht zitiert. Zwei weitere Zeugen bestätigen, dass es sich hierbei um eine übliche Vorgehensweise handelt. Das können die Zigrand-Schwestern nicht nachvollziehen. Für sie ist eine solche Vorgehensweise pietätlos.
Verschwundene Urne macht die Runde
Eine dem Dossier beigefügte Rechnung belegt, dass die Urne zu keinem Zeitpunkt gekauft wurde. Auf der Rechnung sind neben dem Verbrennungssarg auch kleinere Posten wie Transportkosten oder Formalitäten aufgelistet, der Kauf einer Urne fehlt. Spätestens mit diesem Beweis ist der Fall für die Polizei klar. Das Bestattungsinstitut habe der Familie lediglich eine Verschönerungsurne, eine „Abdeckung“, wie es in den Berichten heißt, für die Zeremonie der Beerdigung geliehen.
Auf Basis der polizeilichen Ermittlungen weisen der Untersuchungsrichter und die Ratskammer die Klage ab, das Berufungsgericht zieht einige Monate später nach. Doch für die drei Schwestern ist der Fall nicht erledigt. Sie werfen den Behörden eine „einseitige Untersuchung“ vor, vermuten Böswilligkeit und systematische Täuschung. „Wenn das Bestattungsinstitut uns so hinter das Licht führt, hat es das bei anderen Familien sicher auch gemacht“, sagt Christiane Zigrand, eine der Schwestern. „Wir wollen andere Familien warnen“, sagt sie.
Im Frühjahr hatte ich deutlich mehr Särge bestellt als üblich und sogar eine Lagerhalle angemietet.“Jean-Paul Erasmy, Bestattungsunternehmer
Der Mitarbeiter der Pfarrei Atertdall Sainte-Claire, der bei der Trauer-Zeremonie anwesend war, erzählt von Anrufen, die er nach dem Vorfall erhalten habe. „Sie können sich ja vorstellen, wie sich die Geschichte von der verschwundenen Urne hier im Dorf verbreitet hat“, sagt er. Es gebe einige Leute, die den Wunsch geäußert hätten, ihr Familiengrab aufmachen zu lassen, um nachzusehen, ob die Urnen ihrer Verstorbenen auch tatsächlich begraben wurden. Dass die Zigrand-Schwestern den Verlust bemerkt hätten, sei schließlich reiner Zufall gewesen.
Thierry Graul, Leiter des Bestattungsunternehmens Maison Platz, ist Präsident der Vereinigung für Bestattungsunternehmen. Im Fall eines Streites bietet die Vereinigung Mediation an. „Seit wir 2016 unseren Ehrenkodex geschrieben haben, haben wir in vier Fällen vermittelt und auch eine Lösung gefunden“, sagt er. Von dem Fall Zigrand aus Préizerdaul hat er allerdings noch nichts gehört. Doch da die Urne nicht auf der Rechnung steht, sieht auch er juristisch wenig Chancen für die Töchter der Verstorbenen. Dennoch wollen die drei Schwestern wegen fehlender Urteilsbegründung im Januar 2021 vor den Kassationsgerichtshof ziehen.
Urnen, Särge und Bestattungen für jeden Preis
„Bei uns im Süden des Landes sind ungefähr 60-65 Prozent der Beisetzungen Feuerbestattungen“, sagt Patrick Schumacher, Direktor des Bestattungsinstituts Brandenburger. „Neunzig Prozent unserer Kunden wählen eine Schmuckurne aus, falls die Urne im Grab oder Kolumbarium beigesetzt wird. Auf Wunsch des Kunden kann man bei uns auch eine Schmuckurne leihen, kostenlos“, sagt der Direktor, „um die Bestattung schöner zu gestalten, falls die Asche anschließend verstreut wird.“
Auch für Jean-Paul Erasmy, der das größte Bestattungsinstitut in Luxemburg leitet und rund 800 Todesfälle pro Jahr abwickelt, macht das Ausleihen einer Urne nur Sinn, wenn die Asche verstreut wird. „Fast alle nehmen eine Schmuckurne mit ins Grab“, sagt er. In den letzten fünf Jahren sei es zwei Mal vorgekommen, dass eine Familie die Urne nur habe mieten wollen. „Wo Herr Schmit drin war, will doch ich nicht rein“, sagt Erasmy. Der Durchschnittsluxemburger gebe aus Pietätsgründen gerne Geld für eine Beerdigung aus, da falle eine Schmuckurne, die es bereits ab 100 Euro zu kaufen gebe, nicht ins Gewicht.

Jean-Paul Erasmy weiß, wovon er spricht. Im Ausstellungsraum des Familienbetriebes warten Särge namens Fabiola, Strasbourg, Como oder Scrigno del cuore auf ihre Käufer. Die Kunden haben etwa 25 Modelle zur Auswahl, im zweiten Stock des Familienbetriebes sind mehrere Dutzend Särge gelagert.
„Im Frühjahr hatte ich deutlich mehr Särge bestellt als üblich und sogar eine Lagerhalle angemietet“, erzählt Jean-Paul Erasmy. Er habe sich für den eventuellen Ernstfall wappnen wollen. Schließlich habe keiner gewusst, wie viele Todesfälle die Pandemie in kurzer Zeit fordern würde. Dass er die zusätzlichen Särge letztlich nicht gebraucht hat, lässt ihn zuversichtlich in die Zukunft blicken: „Wir haben die erste Welle geschafft, dann schaffen wir auch eine zweite.“
Umgang mit dem Tod in der kapitalistischen Gesellschaft
Während sein Vater die Särge noch selbst hergestellt hat, lässt Jean-Paul Erasmy sie sich aus dem nahen Ausland liefern. Ein Standardsarg, der von Kunden vor allem zur Einäscherung gewählt wird, ist unter 1.000 Euro zu erwerben, ab 7.000 Euro spricht Jean-Paul Erasmy von einer gehobenen Preisklasse. Doch man kann sich seine letzte Ruhestätte auch über 18.000 Euro kosten lassen. Für diesen Preis ist das edle Stück dann auch von Künstlerhand geformt und mit Goldblättern bedeckt.
„Wir versuchen, alle Wünsche unserer Kunden zu erfüllen“, sagt Erasmy, der in seinem Sortiment auch besondere Erinnerungsstücke anbietet. Schmuckstücke können mit dem Fingerabdruck des Verstorbenen personalisiert werden, für besonders exquisite Vorstellungen bietet er die Verarbeitung sterblicher Überreste zu Diamanten an. „Entweder aus Asche oder ein paar Haarbüscheln kann ein Rohdiamant geschliffen werden“, erklärt er. Der Preis hierfür beginnt bei 4.000 Euro.
Wir konsumieren bis hin zur Beerdigung.“Bob Reuter, Präsident von AHA
Das Geschäft mit dem Tod hält Bob Reuter, Präsident der Allianz von Humanisten, Atheisten und Agnostikern (AHA) in einer kapitalistischen Gesellschaft für durchaus legitim. „Wir konsumieren bis hin zur Beerdigung“, sagt er. In unserer Gesellschaft sei es üblich, menschliche Beziehungen durch Wertgegenstände zu bekräftigen und zu valorisieren. Ein glitzernder Ring oder eine teure Uhr besäßen für viele Menschen große Symbolkraft. Ebenso wie teure Taufen, Firmen, Beerdigungen.
Bob Reuter erinnert in diesem Zusammenhang auch an die besondere Verletzlichkeit von Menschen in Ausnahmesituationen. „Nach einem Sterbefall in der Familie sind viele Menschen sehr anfällig für Beeinflussung oder sogar Manipulation“, sagt er. Beim Anbieten verschiedener Särge oder Urnen hätten Menschen, die aus religiösen Ritualen und Traditionen einen Beruf gemacht hätten, gewisse Einflussmöglichkeiten. Hinterbliebenen werde sicher schon einmal suggeriert, sie könnten nun ein letztes Mal zeigen, wieviel der Verstorbene ihnen bedeute, vermutet Bob Reuter. „Und Vorsicht bei der Wahl, der Verstorbene könnte ja sogar zuschauen. Wer weiß…“