Eine Rede von Gast Gibéryen wurde auf Facebook knapp 150.000 Mal angeschaut. Menschen mit geringen Einkommen würden vom Wohnungskauf ausgeschlossen, so die Kritik des ADR-Politikers. Im Gegenzug wird ihm Populismus vorgeworfen. Ein Faktencheck.
4.200 „Shares“, 1.000 Kommentare, fast 3.000 Likes: Das ADR-Video mit Ausschnitten aus einer Parlamentsrede von Gast Gibéryen erreicht seit einer Woche außergewöhnlich viele Luxemburger Nutzer auf den sozialen Netzwerken. „Skandal: D’Regierung schaaft déi kleng Leit an de Mëttelstand of!“, lautet der reißerische Titel.
Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Die grüne Abgeordnete Stéphanie Empain schrieb auf Facebook, es mache sie nervös, „wie mit populistischen Auftritten versucht wird, die Menschen in die Irre zu führen“. Der beigeordnete DP-Fraktionssekretär Gene Kasel warf der ADR auf Facebook Falschdarstellungen, falsche Zitate und Angstmacherei vor.
Konkret geht es um ein Gesetz, mit dem die Finanzaufsicht die Vergabe von Krediten einschränken kann, sollte es zu einer Immobilienkrise kommen. In seiner Rede nutzte Gast Gibéryen tatsächlich ein eindeutig falsches Zitat. Zudem ist das Facebook-Video so geschnitten, dass sachliche Argumente aus seiner Rede fehlen, die auf wichtige Fakten eingehen.
Die fehlende Einschränkung
Der Haken ist, dass das Gesetz „Leitplanken“ für Immobilienkredite bestimmt. Diese Regeln treten aber erst in Kraft, wenn die Finanzaufsicht CSSF zusammen mit der Zentralbank eine Gefahr für die Stabilität der Banken sieht. Also wenn das Risiko besteht, dass eine zu hohe Zahl an Bankkunden ihren Kredit nicht zurückzahlen können. Das Ziel ist, eine Situation wie die „Subprime“-Krise vor zehn Jahren zu verhindern.
In der Facebook-Version von Gibéryens Rede taucht diese Einschränkung überhaupt nicht auf. So entsteht der Eindruck, dass die Regierung ab sofort die Kreditvergabe einschränken würde. Was dem Buchstaben des Textes nach nicht der Fall ist.
Schaut man sich die Originalrede im Parlament an, dann setzt sich der ADR-Politiker durchaus damit auseinander. Sein Argument: Finanzminister Pierre Gramegna gehe davon aus, dass die Banken die Regeln beachten, ohne dass die CSSF sie dazu zwingen muss. Dabei geht es um die maximale Laufzeit von Krediten, das notwendige Eigenkapital sowie das Verhältnis zwischen Einkommen und der maximalen Kredithöhe.
Er wisse von Kunden, denen bereits Kredite auf dieser Grundlage verweigert worden seien, so Gibéryen. Sein Schluss: Vor 40 Jahren habe sich jeder Arbeiter ein Haus leisten können, heute gehe das nicht mehr. Konkrete Zahlen nannte der ADR-Politiker aber keine.
Problematische Gegenargumente
Allerdings sind auch die Gegenargumente in einem Punkt problematisch. Das Gesetz schreibe nur Bedingungen fest, die bereits Realität seien, so der Tenor der Koalitionsparteien. „Die Banken haben keine Probleme mit diesen Korridoren, weil sie ihrer Praxis entsprechen“, erklärte Finanzminister Pierre Gramegna (DP). „Kredite werden zum Luxus“, und zwar unabhängig vom Eingreifen des Staates, betonte der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot. Damit bestätigen sie indirekt den Kern der ADR-Kritik.
Es geht nicht darum, die Wohnungsproblematik zu lösen, sondern die Finanzstabilität der Banken und Haushalte zu sichern.“Finanzminister Pierre Gramegna
Die Debatte über das Gesetz verläuft so hitzig, weil sie Politikern wie Bürgern deutlich macht, wie angespannt die Lage am Wohnungsmarkt inzwischen ist. Im Parlament rechnete der CSV-Abgeordnete Gilles Roth vor, dass mit den neuen Regeln ein Lehrer-Paar keinen Kredit für eine 95-Quadratmeter-Wohnung in Mamer bekäme.
Auch der Präsident der „Chambre immobilière“ Jean-Paul Scheuren sagte gegenüber REPORTER, dass die Banken bereits deutlich strenger darauf schauen, wem sie einen Kredit geben. Das Gesetz bringe also kaum Neues. Dazu kommt, dass Experten der Europäischen Zentralbank fordern, die „Leitplanken“ so schnell wie möglich einzuführen.
Das falsche Zitat
Was während der Debatte niemand bestritt: Die Lage am Wohnungsmarkt ist so angespannt, dass Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen sich kein Eigenheim leisten können.
Die Folge laut Gast Gibéryen: „Immer mehr Luxemburger müssen in die Grenzregion ziehen“. Als Beweis zitiert er vorgeblich eine Studie der „Fondation Idea“, die der Handelskammer nahesteht: „Luxemburg verjagt seine Bewohner jetzt offiziell“. Doch dieses Zitat stammt nicht von Idea, sondern aus dem Boulevardblatt „Luxprivat“, das 2016 über eine Veröffentlichung von Idea berichtete.
Im Idea-Papier ging es aber nur um eine Zustandsbeschreibung: 16.000 Arbeitnehmer seien zwischen 2001 und 2011 aus Luxemburg in die Grenzregion gezogen und so zu „frontaliers atypiques“ geworden.
Zuspitzung statt Falschdarstellung
Für den Finanzminister ist das Gesetz der falsche Anlass, um über die Wohnungskrise zu sprechen.“Es geht nicht darum, die Wohnungsproblematik zu lösen, sondern die Finanzstabilität der Banken und Haushalte zu sichern“, betonte er im Parlament. Auch Pierre Gramegna hantierte in der Debatte übrigens nicht nur mit belegbaren Fakten, sondern auch mit Beispielen aus seinem „Bekanntenkreis“.
Gast Gibéryen hielt dagegen eine weitgehend emotionale Rede. Er warf der Regierung vor, sich selbst eine „Bankrotterklärung“ in der Wohnungspolitik auszustellen. Die Frage, ob das Gesetz Notfallmaßnahmen festlegt oder nur die Praxis der Banken abbildet, ist dabei ein legitimer Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Bis auf ein nachweislich falsches Zitat und reichlich Zuspitzung hält seine Rede einem Faktencheck jedoch stand.