Corona-Krise, Pressekrise, betriebsinterne Altlasten: Hinter dem Abbau von 71 Stellen beim Herausgeber des „Luxemburger Wort“ verbergen sich viele menschliche Schicksale, aber auch Managementfehler. In der dezimierten Belegschaft macht sich zunehmend Perspektivlosigkeit breit.
„Gudden Owend, Wichteg Info“: Am Tag, als Dutzende Mitarbeiter ihren Entlassungsbrief erhielten, merkte offenbar auch die Chefredaktion des „Luxemburger Wort“, dass es ein Problem gibt. Vom Sozialplan sei leider auch die Korrektur betroffen, schrieb Chefredakteur Roland Arens in einer E-Mail an die verbliebenen Redaktionsmitglieder. Deshalb müsse nun jeder Journalist seine Texte mit „Autokorrektur + Rechtschreibprüfung“ selbst verbessern und von einem Kollegen gegenlesen lassen.
In der E-Mail erwähnte der Chefredakteur den zweitgrößten Stellenabbau in der Geschichte des Hauses nur am Rande. Kein Wort der Aufmunterung oder der Betroffenheit gegenüber den ehemaligen, schon aus dem Mail-Verteiler entfernten Kollegen. Kein Hinweis auf ein neues Konzept, wie man fortan mit viel weniger Personal den gleichen Arbeitsaufwand stemmen will. Dafür aber eben die praktische Information, dass die „Wort“-Journalisten nun nebenberuflich auch Korrektoren sein sollen.
Der im September beschlossenen Massenentlassung bei „Saint-Paul Luxembourg“, dem Herausgeber des „Luxemburger Wort“, fiel allerdings nicht nur die gesamte Korrekturabteilung zum Opfer. Die Verträge von insgesamt 71 Mitarbeitern des Verlagshauses werden aufgelöst. Informatiker, Sekretäre, Fotografen, Marketing, Sales: Die Entlassungen betreffen nahezu alle Abteilungen des Betriebs. Auch die Redaktion wurde drastisch reduziert, rund 20 von nahezu 100 Journalisten sind betroffen, wie Reporter.lu schon Ende September berichtete.
Angst und Schrecken in Gasperich
Anders als bei den vergangenen drei Sozialplänen traf es dieses Mal verstärkt auch renommierte Journalisten, die zum Teil seit Jahrzehnten die redaktionelle Linie der traditionsreichen Tageszeitung maßgeblich mitgestaltet hatten. Darunter sind Pierre Leyers (bisheriger Leiter des Wirtschaftsressorts), Vesna Andonovic (Leiterin des Kulturressorts), Guy Wolff (Chef-Fotograf) und Laurent Schüssler (ehemaliger Leiter der Sport-Rubrik). Zudem haben laut Informationen von Reporter.lu seit der Ankündigung des Stellenabbaus weitere leitende Angestellte von sich aus gekündigt, darunter der IT-Direktor Roland Schoenauen, Online-Chef Christophe Langenbrink und der Leiter der Lokalredaktion Gilles Siebenaler.
Demnach ist die Stimmung in der Redaktion dieser Tage am Boden. „Hier droht gerade alles auseinander zu brechen“, formuliert es ein langjähriger Mitarbeiter. Die Direktion habe die angekündigten Entlassungen durchgezogen, ohne einen Plan zu haben, wie es weiter gehen solle. Mehrere Mitglieder der Redaktion, die unter der Voraussetzung der Vertraulichkeit mit Reporter.lu sprachen, kritisieren zudem die Funkstille seitens der Verantwortlichen. Außer zwei „Skype“-Konferenzen mit Generaldirektor Paul Peckels habe es keine substanzielle interne Kommunikation gegeben. „Die Chefredaktion hat kein einziges Wort über die Tragweite des Stellenabbaus oder neue Perspektiven verloren. Sie ist einfach inexistent“, so ein Redaktionsmitglied.
Es handelt sich um einen Substanzverlust, den wir nicht ohne Weiteres kompensieren können.“Roland Arens, Chefredakteur des „Luxemburger Wort“
Dabei sind die Folgen der Einschnitte offensichtlich: Einige Abteilungen haben keinen Chef mehr. Die Lokalredaktion wurde um rund ein Drittel reduziert, die hausinterne Korrektur komplett abgeschafft. Das Team des französischen Online-Auftritts („Wort.lu/fr“) besteht nach der Entlassungswelle nur noch aus drei Journalisten. Gleiches gilt für die Redaktion der Wochenzeitung „Télécran“. Laut der Direktion soll bis Ende des Jahres ein neues Redaktionskonzept vorgestellt werden, das in Zusammenarbeit mit Beratern des neuen Aktionärs von „Saint-Paul“, dem Medienkonzern „Mediahuis“, ausgearbeitet wurde. Mehr wurde der Belegschaft bisher nicht mitgeteilt.
„Natürlich haben die Entlassungen Konsequenzen auf den redaktionellen Alltag. Es handelt sich um einen Substanzverlust, den wir nicht ohne Weiteres kompensieren können“, sagt Chefredakteur Roland Arens im Gespräch mit Reporter.lu. In den kommenden Wochen gelte es einerseits, den alltäglichen Betrieb aufrecht zu erhalten, „sodass die Leser davon so wenig wie möglich merken“. Andererseits arbeite man an einer langfristigen Strategie, wie die Zeitung „digitaler“ werden kann, so der Chefredakteur des „Luxemburger Wort“. Den Vorwurf der Untätigkeit akzeptiert Roland Arens indes nicht. „Wir als Chefredaktion haben alles getan, was getan werden konnte.“ Zum Prozess des Stellenabbaus wolle er sich jedoch nicht weiter äußern.
Vom Sozialplan zum Sozialkonflikt
Die Direktion führt ihre folgenreiche Entscheidung ihrerseits auf wirtschaftliche Gründe zurück, ohne bei den Verhandlungen zum Sozialplan jedoch konkrete Zahlen auf den Tisch zu legen. Der „Sozialplan“, den auch der Chefredakteur in seiner E-Mail so bezeichnete, kam letztlich gar nicht zustande. Nach zähen Gesprächen kamen Direktion, Personaldelegation und die Gewerkschaft LCGB zu keiner Einigung. Die Geschäftsführung nahm die Entlassungen dennoch vor. Die einzelnen Transaktionen könnten jedoch noch juristische Folgen haben.
Hintergrund ist eine Klausel des noch bis Ende 2021 geltenden Kollektivvertrags. Dort heißt es in Artikel 38: „SPL verpflichtet sich, während der Geltungsdauer des Abkommens keine Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen vorzunehmen, es sei denn, es handelt sich um Fälle höherer Gewalt oder um unvorhersehbare Ereignisse, wie sie üblicherweise von der Rechtsprechung anerkannt werden“. Für die Direktion sind die Corona-Krise und die dadurch erlittenen Einnahmeverluste ein klarer Fall von „höherer Gewalt“. Demnach sei die Beschäftigungsgarantie aus dem Kollektivvertrag obsolet.
Ich kann nur sagen, dass der Umsatz um etliche Millionen eingebrochen ist. Zudem ist die Corona-Krise offensichtlich noch nicht überwunden.“Paul Peckels, Generaldirektor von „Saint-Paul Luxembourg“
Die Gegenseite spricht allerdings von einer klaren „Missachtung“ des Kollektivvertrags. Zudem habe sich die Direktion „geweigert über eine soziale Abfederung der Entlassungen überhaupt zu reden“, sagt Céline Conter vom LCGB im Gespräch mit Reporter.lu. Ein „Plan de maintien dans l’emploi“, etwa mit verstärkter Kurzarbeit oder Frühpensionierungen, sei von vornherein abgelehnt worden. „Die Direktion wollte die Sache schnell und kompromisslos über die Bühne bringen“, so die Gewerkschaftssekretärin.
Mit der klaren Schuldzuweisung will Conter auch die Vorwürfe einzelner Mitarbeiter kontern, wonach die Gewerkschaft bei den Verhandlungen nicht mehr an extralegalen Abfindungen für die Betroffenen herausschlagen konnte. In der Tat wollten Teile der Personaldelegation sehr wohl eine Einigung mit der Direktion. Doch der LCGB habe die Gespräche mit unrealistischen Forderungen und der Aussicht auf mediale Berichterstattung über das Scheitern des Sozialplans von Beginn an torpediert, heißt es aus Verhandlungskreisen.

Den entlassenen Arbeitnehmern rät der LCGB nun zu rechtlichen Schritten. Für die Gewerkschaft geht es auch darum, einen Präzedenzfall zu schaffen, räumt Céline Conter ein. Für die Betroffenen könnte am Ende im besten Fall mehr Geld herausspringen. Bisher erhalten sie die gesetzlich vorgesehene Abfindung sowie eine einmalige Zahlung, deren Höhe wegen des Scheiterns der Verhandlungen von der Direktion festgelegt wurde. Falls es zu Klagen kommt und ein Gericht am Ende entscheidet, dass die Beschäftigungsgarantie missachtet wurde, könnte „Saint-Paul“ dazu verpflichtet werden, die Gehälter der Kläger nachträglich bis Ende 2021 zu bezahlen. Ob es dazu kommt, ist angesichts der verklausulierten Formulierung in Artikel 38 des Kollektivvertrags aber fraglich.
Die Präsidentin der Vereinigung der Berufsjournalisten (ALJP), Ines Kurschat, spricht im Zusammenhang mit dem Stellenabbau bei „Saint-Paul“ von einer „Schwächung des Luxemburger Journalismus“. Die Rolle der ALJP sei es jetzt, den entlassenen Journalisten juristischen Beistand zu leisten. „Es geht dabei auch um die Frage, ob wirtschaftlich begründete Entlassungen legitim sind, wenn sich herausstellen sollte, dass es dem Unternehmen finanziell gar nicht so schlecht geht oder es in naher Zukunft sogar wieder neues Personal einstellt“, so Ines Kurschat im Gespräch mit Reporter.lu.
Wirtschaftliche und andere Gründe
Unabhängig von einem möglichen Rechtsstreit hatte die Direktion die Entscheidung zum Stellenabbau aber ohnehin nicht nur mit der Corona-Pandemie begründet. Zwar sei die aktuelle Krise der Auslöser für die „Restrukturierungen“, heißt es in einer internen Mitteilung der Direktion an das Personal vom 17. September. Allerdings stehe das Unternehmen auch sonst vor „strukturellen Herausforderungen“, welche eine „Steigerung der operationellen Effektivität“ unausweichlich machen würden.
Es ist kein roter Faden erkennbar, nach welchen Kriterien die Stellen und ganze Abteilungen abgebaut werden. Damit ist auch unklar, wie das neue Konzept der Medien von Saint-Paul aussehen und wer es umsetzen soll.“
Céline Conter, Gewerkschaftssekretärin LCGB
Wie schlimm ist die finanzielle Lage tatsächlich? „Wir können unsere Geschäftszahlen für das laufende Jahr bei bestem Willen nicht preisgeben, weil wir sie selbst nicht abschließend kennen“, sagt Generaldirektor Paul Peckels auf Nachfrage von Reporter.lu. „Ich kann nur sagen, dass der Umsatz um etliche Millionen eingebrochen ist. Zudem ist die Corona-Krise offensichtlich noch nicht überwunden.“ Die betriebsinternen Prognosen hätten in den vergangenen Monaten gezeigt, dass „brutale Maßnahmen“ leider unausweichlich seien, so der CEO von „Saint-Paul“ weiter. Die weiteren Prognosen für dieses und das kommende Jahr werde er jedoch öffentlich nicht diskutieren.
Apropos Geschäftszahlen: Es könnte sein, dass „Saint-Paul“ einen Teil jener Hilfen, die der Betrieb in der Corona-Krise vom Staat erhielt, zurückzahlen muss. Besonders die Kurzarbeit-Regelung, auf die das Unternehmen zwischen März und Oktober zurückgriff, beinhaltet die Verpflichtung, dass in diesem Zeitraum keine Entlassungen vorgenommen werden dürfen. Der Sozialplan wurde Mitte September angekündigt, die Entlassungen wurden Ende Oktober ausgeführt. „Wir sind zuversichtlich, dass wir die staatlichen Hilfen nicht zurückzahlen müssen“, meint Generaldirektor Paul Peckels. Mit absoluter Sicherheit könne man das aber erst in einigen Monaten sagen.
Altlasten und Zwei-Klassen-Belegschaft
Im Rückblick zeigt sich allerdings, dass „Saint-Paul“ schon länger mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Zwar schrieb der Betrieb in den vergangenen Jahren wieder schwarze Zahlen. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich der Betriebsumsatz jedoch mehr als halbiert. Nach und nach hatte auch der Ex-Aktionär, der Vermögensverwalter des Bistums „Lafayette S.A.“, jegliche Substanz, vor allem den Immobilienbesitz, aber auch über eine Senkung des Gesellschaftskapitals, aus dem Unternehmen abgezogen. Laut der berichtigten Bilanz für das Geschäftsjahr 2019 zahlte sich „Lafayette S.A.“ zudem kurz vor dem Verkauf an „Mediahuis“ vier Millionen Euro an Dividenden aus (mehr zu den ökonomischen Hintergründen des Sozialplans bei „Saint-Paul Luxembourg“ lesen Sie hier auf Reporter.lu).

Gleichzeitig gilt ein wesentlicher Teil der finanziellen Probleme unter Insidern als hausgemacht. „Der Betrieb lebte viele Jahrzehnte über seine Verhältnisse“, drückt es ein langjähriger Mitarbeiter aus. Kostspielige Redaktionssoftware, die nie genutzt wurde, großzügige Spesen und Prämien für die dienstältere Belegschaft, ein aufgeblähtes Top- bis Middle-Management: Die Geschichte von „Saint-Paul Luxembourg“ ist auch eine Geschichte von unternehmerischen Abenteuern, die zum Teil von der gleichen Redaktionsleitung verantwortet wurde, die heute noch in herausragender Position aktiv ist.
Die Altlasten zeigen sich aber auch an einem Gehaltsgefälle, das den jüngsten Stellenabbau überlebt hat. Manche Vertreter der älteren Redakteursgeneration kommen auf ein Jahresgehalt von weit über 100.000 Euro. „Géi bei d’Wort, do hues de eng sécher Plaatz a verdéngs besser wéi beim Staat“, erinnert sich ein Mitarbeiter an die drei Jahrzehnte zurückliegenden Worte seiner Eltern. Dagegen verdienen jüngere Journalisten heute oft nur etwas mehr als den qualifizierten Mindestlohn. Laut aktuellem Kollektivvertrag haben jene Redakteure, die in den vergangenen Jahren eingestellt wurden, auch keine Aussicht darauf, in ihrer Karriere einmal ansatzweise die Gehaltssphären der alteingesessenen „Sankt-Paulisten“ zu erreichen.
Zwischen Anteilnahme und Rationalisierung
Entgegen der Leitlinie der „raisons économiques“ traf es bei dieser Entlassungswelle aber auch jüngere Mitarbeiter. Wie wurden die Leute ausgesucht? „Es gibt da mehrere Kriterien, die ich öffentlich nicht weiter kommentieren möchte“, sagt Paul Peckels auf Nachfrage. Nur so viel: „Am Ende entscheidet die Direktion.“ Stehen auch in der Chefredaktion oder im Redaktionsmanagement personelle Veränderungen an? „Wir haben diesen schwierigen Prozess gemeinsam begonnen. Ich sehe keinen Bedarf, das zu ändern“, so der Generaldirektor. Spürt der CEO selbst noch das Vertrauen des Aktionärs? „Ja.“
Ich mache mir viele Gedanken über die menschlichen und sozialen Folgen, die unsere Entscheidungen notgedrungen mit sich bringen.“
Paul Peckels, Generaldirektor von „Saint-Paul Luxembourg“
Natürlich falle es ihm schwer, so viele, zum Teil altgediente Mitarbeiter zu entlassen, sagt Paul Peckels. „Ich mache mir viele Gedanken über die menschlichen und sozialen Folgen, die unsere Entscheidungen notgedrungen mit sich bringen.“ Er habe persönlich immer versucht, einen Sozialplan abzuwenden, beteuert Peckels. „Die Entscheidung, Personal abzubauen, wurde vom Verwaltungsrat getroffen. Die Direktion muss diese Entscheidung umsetzen. Das ist nicht einfach und das geht einem auch nahe“, sagt der ehemalige Manager der Post, der seit Ende 2013 die Geschäftsführung bei „Saint-Paul“ innehat.
Allerdings stehe er „in der Verantwortung, das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen“. Saint-Paul solle ein Betrieb sein, in dem die verbleibenden Arbeitsplätze langfristig gesichert sind und der seinen Lesern ein qualitativ hochwertiges und modernes Produkt anbietet, so der Generaldirektor. Céline Conter vom LCGB entgegnet: „Es ist kein roter Faden erkennbar, nach welchen Kriterien die Stellen und ganze Abteilungen abgebaut werden. Damit ist auch unklar, wie das neue Konzept der Medien von Saint-Paul aussehen und wer es umsetzen soll.“
In Erwartung der „digitalen Transformation“
Das Schicksal des „Wort“ und des ganzen Betriebs hängt natürlich an der Vision des Aktionärs „Mediahuis“. Die Übernahme von „Saint Paul Luxembourg“ werde es dem Betrieb erlauben, seine „digitale Transformation zu beschleunigen“ und „neue Produkte zu entwickeln“, hieß es im April seitens des belgischen Medienkonzerns. Dabei könne das Luxemburger Tochterunternehmen vollständig auf „das Fachwissen und die Schlagkraft“ der Mediahuis-Gruppe zurückgreifen.
Was mit dem Schlagwort „digitale Transformation“ genau gemeint ist, wird sich laut Paul Peckels erst in den kommenden Wochen zeigen. Der „Wort“-Chefredakteur Roland Arens ist zudem überzeugt, dass sich die Vision von „Mediahuis“ und die bisherige Digitalstrategie von „Saint-Paul“ gegenseitig ergänzen.

Doch die Leitlinie des neuen Eigentümers wurde von der Direktion längst verinnerlicht: „Saint-Paul“ muss schlanker, moderner und nicht zuletzt profitabler werden. Neben einem Finanzdirektor weilt seit einigen Wochen auch ein weiterer Berater des Aktionärs in Gasperich, der die Umstellung der Redaktion auf eine „Digital first“-Strategie sicherstellen soll. Dem Vernehmen nach ist das Ziel eine radikale Neuorganisation des Newsrooms, welche die beim „Wort“ immer noch sehr auf die Printausgabe zentrierte und strikt nach Ressorts getrennte Redaktion völlig umkrempeln soll.
Neben einem stärker auf Online-Inhalte und digitales Marketing ausgerichteten Konzept dürfte „Mediahuis“ aber noch andere Pläne in Luxemburg haben. Das starke Wachstum des Konzerns, der 2019 einen Umsatz von rund 860 Millionen Euro erzielte, gründet auch auf einer konsequenten wirtschaftlichen Diversifizierung. „Mediahuis“ setzt etwa verstärkt auf den hochprofitablen Markt von Immobilien- und Jobanzeigen. Die „Saint-Paul“-Portale „Wortimmo.lu“ und „Jobfinder.lu“ dürften in diesem Sinne vom Know-How der belgischen Medienmanager profitieren. Weitere „Synergien“ sind vor allem im digitalen Anzeigengeschäft zu erwarten.
Dabei gab es seit dem Verkauf an „Mediahuis“ im April bei manchen jüngeren Redakteuren in der Tat die Hoffnung auf eine Modernisierung und Professionalisierung des redaktionellen Betriebs. Selbst die im September angekündigte Rationalisierung sahen viele als Chance, sich von gewissen Altlasten der ehemaligen „Paafen-Zeitung“ zu trennen. Diese Hoffnung ist mittlerweile aber, angesichts des Ausmaßes und der harten Umsetzung des Stellenabbaus, einer generellen Unsicherheit gewichen.
„Dienst nach Vorschrift“ aus dem Home Office
Was die neue Strategie der Besitzer konkret für ihre Arbeit bedeuten wird, können heute die wenigsten Mitarbeiter von „Saint-Paul“ erahnen. Zu der psychischen Anspannung dieser Tage kommt noch eine andere, andauernde Ausnahmesituation hinzu. Über 90 Prozent der Redaktion arbeitet seit dem Lockdown, also bald acht Monaten im Home Office. Auch die meisten Personen, die entlassen wurden, erhielten ihre Kündigung per Einschreiben aus den Händen ihres Briefträgers.
Der redaktionelle Workflow innerhalb und zwischen manchen Ressorts sei seit Monaten chaotisch, heißt es von mehreren Quellen. Durch den Mangel an sozialen Kontakten leide nicht nur die journalistische Inspiration, sondern auch der Teamgeist in der Redaktion. Jegliche Kommunikation läuft über E-Mail, Whatsapp, Teams oder manchmal, wenn es nicht anders geht, auch per Telefon. Und auch hier wird Kritik an der Chefredaktion laut, die im Zweifel „Dienst nach Vorschrift“ predige und keine Perspektive aus der redaktionellen Isolation aufzeichnen könne.
Wir wissen jetzt, dass es jeden treffen kann. Und dass nach dem nächsten Sozialplan wohl keiner mehr übrig bleibt.“Ein langjähriger Mitarbeiter von „Saint-Paul“
Auch Paul Peckels kündigt an, dass diese Funktionsweise noch eine Weile anhalten werde. Man habe insgesamt gute Erfahrungen mit dem Home Office gemacht. Es könne sogar sein, dass die Redaktion physisch gar nicht mehr an den aktuellen Sitz in Gasperich zurückkehren werde, deutet der Generaldirektor im Gespräch mit Reporter.lu an. Im Frühjahr 2021, so der ursprüngliche Plan, sollte die ganze Belegschaft in einen Neubau in Howald umziehen. Die Fertigstellung des Gebäudes könnte sich allerdings wegen der Coronavirus-Pandemie etwas verzögern, sagt Paul Peckels.
Doch der Umzug aus dem Vorort der Hauptstadt hin in die Industrie- und Gewerbezone vor Hesperingen, unweit einer Burger-King-Filiale, wird wohl nur das augenscheinlichste Symbol des Wandels von „Saint-Paul Luxembourg“ sein. „Das Wort, wie wir es kannten, wird es bald nicht mehr geben“, sagt ein langjähriger Mitarbeiter, der alle Sozialpläne im Unternehmen miterlebt hat. Zwar sei auch bei den vergangenen drei Massenentlassungen die Stimmung in der Belegschaft am Boden gewesen. Dieses Mal sei es dennoch anders. „Wir wissen jetzt, dass es jeden treffen kann. Und dass nach dem nächsten Sozialplan wohl keiner mehr übrig bleibt.“
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