Im Laufe der vergangenen fünf Jahre musste die Politik nicht nur große Krisen bewältigen. Sie musste auch immer wieder auf die Enthüllung von Affären reagieren. Manche Missstände wurden aufgearbeitet. Und doch könnten sie den Wahlkampf beeinflussen.
Als DP, LSAP und Déi Gréng 2013 an die Macht kamen, schrieb sich die Koalition die Förderung von Transparenz und demokratischer Erneuerung auf die Fahnen. In einem „Geist der Offenheit“ wolle die Regierung „die Demokratie stärken“ sowie „mehr Transparenz und Dialogbereitschaft“ in der Gesellschaft fördern, hieß es in der Präambel des Koalitionsprogramms von 2013.
Fünf Jahre später blieb von diesem Anspruch nicht mehr viel übrig. Im Mittelpunkt sollte nun laut Programm „eine Politik des sozialen Zusammenhalts“ und „die Förderung einer inklusiven, offenen Gesellschaft“ stehen, die „für Gerechtigkeit, die Freiheit des Einzelnen und gegenseitige Wertschätzung einsteht“. Dabei sollte der Staat „eine Vorbildfunktion einnehmen“, damit diese Werte auch „aktiv gelebt werden“ könnten, so die Vereinbarung von Liberalen, Sozialisten und Grünen im Dezember 2018.
Bekanntlich sollten die Pandemie und die Auswirkungen des Ukrainekriegs den Plan dieses Koalitionsprogramms gehörig über den Haufen werfen. Viele Vorhaben der Koalition wurden nicht oder nur teilweise umgesetzt. Die Bewältigung der „Polykrise“ verschlang nicht nur Milliarden, sondern auch lange die Aufmerksamkeit und die Ressourcen des politischen Betriebs.
Dennoch kann man die Bilanz der zweiten blau-rot-grünen Amtszeit an den eigenen Ansprüchen der Koalition messen. Im Rückblick zeigt sich: Gemessen an der „Vorbildfunktion“ des Staates fällt das Resultat dieser Regierung nicht allzu positiv aus. Das zeigen nicht zuletzt die politischen Affären der vergangenen fünf Jahre.
Ein Gartenhaus und die Folgen
„Der Bürgermeister und sein Haus im Grünen“, lautete am 25. Juli 2019 der Titel eines Artikels bei Reporter.lu. Die Recherche thematisierte darin erstmals die Vorwürfe gegen den damaligen Bürgermeister von Differdingen, Roberto Traversini (Déi Gréng). Der Hintergrund: Der „Député-Maire“ wollte möglichst geräuschlos mehrere Grundstücke im allgemeinen Bebauungsplan umwidmen lassen. Das Problem: In mindestens einem Fall war der damalige Bürgermeister eindeutig befangen, weil es um eines seiner Häuser ging.
Die Recherche war der Anfang der sogenannten „Gaardenhaischen-Affäre“. Im Zuge weiterer Enthüllungen und der politischen Aufarbeitung der Affäre trat Roberto Traversini zunächst als Bürgermeister und schließlich auch von seinem Abgeordnetenmandat zurück.

Die Angelegenheit sollte aber auch juristische Folgen haben. Die Staatsanwaltschaft leitete unter anderem wegen möglicher illegaler Vorteilsannahme eine Voruntersuchung ein. Dabei geriet auch das Umweltministerium der damaligen Amtsinhaberin und Traversinis Parteikollegin Carole Dieschbourg ins Visier. Zunächst wollte die Ministerin die Affäre offenbar aussitzen, am Ende wurde der Druck aber zu groß und Carole Dieschbourg trat als Regierungsmitglied zurück.
Ein Aufpasser für den Staatschef
Im gleichen Sommer sorgte eine weitere Affäre, über die Reporter.lu als erstes Medium berichtete, für reichlich politische Diskussionen. Dabei ging es um die umstrittene Personalpraxis am großherzoglichen Hof. Eine hohe Personalfluktuation, unklare Prozeduren und vor allem die Rolle der Großherzogin führten dazu, dass die Regierung einen Sonderbeauftragten zur Untersuchung der Vorkommnisse ernannte.
Die Mission des früheren Direktors der Finanzinspektion, Jeannot Waringo, sollte jedoch schnell ausgeweitet werden. Letztlich nahm das federführende Staatsministerium von Premier Xavier Bettel (DP) die Untersuchung zum Anlass einer umfassenden Reform der Luxemburger Monarchie. Nicht zuletzt wurden in der Verwaltung des großherzoglichen Hofes alle Schlüsselposten neu besetzt. Wie weitere Recherchen von Reporter.lu zeigten, verlief die Umsetzung dieser Reform im Detail aber schleppend.
Das System „SuperDrecksKëscht“
„Es geht um viele Millionen Euro Steuergelder und eine jahrzehntelange Männerfreundschaft“: Als Reporter.lu im Februar 2021 eine systematische Recherche über die Luxemburger Abfallwirtschaft veröffentlichte, war vielen Bürgern die „SuperDrecksKëscht“ wohl ein Begriff. Dass es sich bei der Entsorgung von Problemabfällen nicht um eine staatliche Initiative handelte, sondern um ein Multimillionen-Geschäft eines einzigen Unternehmers, der eine besondere Beziehung zu einem hohen Beamten pflegte, war dagegen nur Insidern bekannt.
Die Recherche förderte eine Reihe von Ungereimtheiten und Interessenkonflikten zutage, die bald schon die Politik beschäftigen sollten. Das für die Ausschreibung und die Kontrolle verantwortliche Umweltministerium gab schließlich ein Audit in Auftrag, das die Rechercheergebnisse sowie weitere, offensichtliche Unregelmäßigkeiten belegte.

Die Schlussfolgerungen des Ministeriums führten zu mehreren Anpassungen bei der Governance der „SuperDrecksKëscht“. Allerdings verweigerte das zur Ausführung der Initiative zuständige Privatunternehmen „Oeko-Service Luxembourg“ zum Teil die Zusammenarbeit mit den mit dem Audit beauftragten Prüfern. Damit wurde das Grundproblem der Affäre, die Abhängigkeit des Staates von einer einzigen Firma, letztlich bestätigt.
Genauso wie in der „Gaardenhaischen-Affäre“ lag die politische Verantwortung auch im Dossier „SuperDrecksKëscht“ bei der ehemaligen Umweltministerin Carole Dieschbourg. Ihre Nachfolgerin im Amt, Joëlle Welfring (ebenfalls Déi Gréng), sagte im Interview mit Reporter.lu, dass sie die „SuperDrecksKëscht“ professioneller und transparenter gestalten möchte. Erst im Jahre 2028, wenn der laufende und auf knapp 100 Millionen Euro dotierte Vertrag mit dem Staat ausläuft, könnte die Politik allerdings die Fehler der Vergangenheit beheben.
Ein problematischer „Freundeskreis“
Eine politische Affäre, die ausnahmsweise nicht die Regierung betraf, aber dennoch hohe Wellen schlug, war die sogenannte „CSV-Frëndeskrees-Affäre“. Auch über die Hintergründe der Kontroverse um den früheren CSV-Vorsitzenden Frank Engel und dessen „Problemgehalt“ berichtete Reporter.lu als erstes Medium.
Das Vorgehen von Frank Engel war sicher fragwürdig und ließ den parteiinternen Machtkampf eskalieren. Seine damalige Einschätzung („Ich bin kein Verbrecher“) sollte sich aber als wahr herausstellen. Jedenfalls wurde der frühere Abgeordnete des Europäischen Parlaments, ebenso wie alle anderen Angeklagten in der Affäre, von einem Gericht freigesprochen.
Die „CSV-Frëndeskrees-Affäre“ führte zu einer Reihe von politischen Konsequenzen. Frank Engel gab nicht nur den CSV-Vorsitz ab, sondern verließ später komplett die Partei. Als Mitgründer von „Fokus“ will er nun bei den Parlamentswahlen im Oktober den Einzug ins Parlament schaffen. Die CSV nahm im Zuge der Affäre eine weitgehende Erneuerung der Parteiführung vor und will die Kontroverse um den ehemaligen Parteichef und die eigenen Versäumnisse am liebsten für immer vergessen.
Die Plagiatsaffäre des Xavier Bettel
Apropos „vergessen“: Auch die DP und ihr Spitzenkandidat würden eine bestimmte Episode der vergangenen Jahre wohl am liebsten aus der Erinnerung der Wählerinnen und Wähler streichen. Die Plagiatsaffäre um Xavier Bettel, eine weitere exklusive Recherche von Reporter.lu, schlug am Morgen des 27. Oktober 2021 ein wie eine kleine Bombe.
Der eklatante Plagiatsbefund aus „Der Copy-and-Paste-Premier“, wurde von mehreren unabhängigen Forschern bestätigt und von etlichen internationalen Leitmedien übernommen. Die frühere Universität von Xavier Bettel, die „Université de Lorraine“ in Nancy, leitete wegen einer möglichen „Fehlleistung hinsichtlich der wissenschaftlichen Integrität“ eine interne Untersuchung ein.

In einer ersten öffentlichen Reaktion auf die Affäre räumte Xavier Bettel ein, dass er „nicht stolz“ auf seine damalige Abschlussarbeit sei. Sie sei „keine Glanzleistung, kein Meisterstück“ gewesen. Der Premier verwahrte sich jedoch gegen den Vorwurf, dass er bewusst „getäuscht“ oder „getrickst“ habe. Seine frühere Universität stellte schließlich nur einen punktuellen Plagiatsbefund fest. Xavier Bettel verzichtete selbst auf sein damaliges Diplom. Der ihm damals verliehene Titel wurde denn auch umgehend aus seiner offiziellen Biografie auf der Webseite der Regierung gestrichen.
Die politischen Folgen von Luxemburgs erster Plagiatsaffäre hielten sich in Grenzen. Aus der akademischen Welt gab es vereinzelte Kritik und Rücktrittsforderungen. Doch selbst die parlamentarische Opposition thematisierte das Plagiat nicht von sich aus, zeigte gar Verständnis für den Premier und ging genauso wie die Regierungsparteien schnell zur Tagesordnung über.
Das Gebaren des „Science Center“
„Science for Finance“: Unter diesem Titel berichtete Reporter.lu im vergangenen März exklusiv über das System hinter dem „Luxembourg Science Center“. Das Ergebnis: Ähnlich wie im Fall der „SuperDrecksKëscht“ ist auch das Wissenschaftszentrum in Differdingen auf eine Person und deren Unternehmen zugeschnitten. Und auch hier drängte sich die Frage auf, warum das zuständige Ministerium – in diesem Fall das Bildungsministerium von Claude Meisch (DP) – die belegbaren Missstände und finanziellen Unregelmäßigkeiten nicht schon viel früher behob.
Infolge der Recherche kam es verhältnismäßig schnell zur politischen Aufarbeitung. Der Minister forderte Aufklärung und stellte den Verantwortlichen des „Science Center“ ein Ultimatum. Auch die Justiz wurde aktiv und leitete eine Untersuchung möglicher Vergehen ein. Ein von der Regierung angeforderter Bericht der „Inspection générale des finances“ sollte schließlich die Recherchen von Reporter.lu in vielen Punkten bestätigen und den Druck auf die Politik erhöhen.
Die Affäre um das „Science Center“ offenbarte dabei ein gewisses Muster: Eine vom Staat ins Leben gerufene oder geförderte Initiative entwickelte ein Eigenleben, das eine Reihe von problematischen Vorgängen mit sich brachte. Die Regierung musste sich ihrerseits den Vorwurf gefallen lassen, dass sie leichtfertig mit Steuergeldern umgeht und nur schleppend zur Aufklärung und Problemlösung beiträgt. Ähnlich verhielt es sich mit den Affären um den Luxemburger „Film Fund“, die Missstände beim Gemeindesyndikat „SIGI“ oder eben im Fall der „SuperDrecksKëscht“.
Außer Spesen (fast) nichts gewesen …
Eine rezente Affäre, die einerseits einen bestimmten Politiker betraf, andererseits aber auch auf strukturelle Missstände hindeutete, war die sogenannte Spesenaffäre um den LSAP-Minister Franz Fayot – eine weitere exklusive Recherche von Reporter.lu. Demnach wiesen die Spesenabrechnungen des Entwicklungsministers aus den vergangenen drei Jahren eine Reihe von Auffälligkeiten auf.
Franz Fayot ließ etwa bei Arbeitsessen Rotwein für jeweils 150 Euro pro Flasche, wiederholt Cocktails zum Aperitif oder auch Geschenke aus dem Flughafenshop auf Staatskosten verrechnen. Bei Auslandsreisen des LSAP-Politikers sind solche, vom Steuerzahler erstatteten Ausgaben zudem eher die Regel als die Ausnahme. Das zeigen etwa entsprechende Recherchen zu den Reisekosten von Premierminister Xavier Bettel. Die Spesen von Ministerin Taina Bofferding (LSAP) warfen ihrerseits die Frage auf, inwiefern politische Werbung auf Rechnung der Steuerzahler legitim sein kann.

Die Recherchen offenbarten, dass es innerhalb der Regierung bis dahin keine klaren Vorgaben für die Spesenpraxis von Ministern gab. In einer Kabinettssitzung entschied Blau-Rot-Grün schließlich, dass man die entsprechenden Regeln in Zukunft überarbeiten und präzisieren wolle. Zudem verständigte sich die Regierung darauf, wie sie in Zukunft mit entsprechenden Anfragen der Presse umgehen wolle. Das Ergebnis: Andere Ministerien waren seitdem auf Nachfrage von Reporter.lu zum Teil zurückhaltender, wenn es um die Herausgabe von Dokumenten geht, die prinzipiell laut Gesetz für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollen.




