Psychotherapien sollen von der Krankenkasse übernommen werden. Darüber sind sich die Verhandlungspartner einig. Über die Bedingungen der Kostenerstattung gehen die Meinungen jedoch weiter stark auseinander. Die Fronten sind verhärtet, doch der Handlungsdruck wächst.

„Wir sind keinen Schritt weiter, ganz im Gegenteil: Errungenschaften von vor Jahren sind mittlerweile sogar wieder vom Tisch“, sagt Delphine Prüm. Die Präsidentin der Vereinigung der Psychotherapeuten (Fapsylux) ist nicht nur erstaunt über die Art der Verhandlungen und die Kommunikationsweise der Krankenkasse, sondern zeigt sich entschlossen: „Unsere Mindestforderungen sind nötig, um eine qualitative Arbeit im Dienst des Patienten leisten zu können. Davon können wir nicht abrücken“, sagt sie im Gespräch mit Reporter.lu. „Wir werden uns nicht auf einen faulen Kompromiss einlassen, sondern kämpfen.“

Das Gesetz vom 14. Juli 2015, das festlegt, wer den geschützten Titel „Psychotherapeut“ führen darf und was unter Psychotherapie zu verstehen ist, sieht eine Erstattung der Kosten für psychotherapeutische Dienstleistungen prinzipiell bereits vor. Doch auf den Inhalt einer hierfür benötigten Konvention zwischen der Krankenkasse (CNS) und der Vereinigung der Psychotherapeuten (Fapsylux) können sich die Verhandlungspartner seit Jahren nicht einigen.

Keine Einigung in Sicht

Delphine Prüm sitzt seit Beginn der Konventionsverhandlungen mit am Tisch. Die laut Krankenkassengesetz festgelegten sechs Monate, in denen ein Konsens für eine Konvention gefunden werden muss, sind längst überschritten. Selbst der nach Ablauf der ersten Frist im Oktober 2018 eingesetzte Mediator konnte in den drei Monaten seiner Tätigkeit keine Einigung erzielen. Die Folge: Der Sozialminister muss eingreifen und über eine großherzogliche Verordnung festlegen, was grundsätzlich zwischen CNS und Fapsylux gelten soll. 

Jeder Mensch, der es braucht, soll auch Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung bekommen.“Romain Schneider, Minister für soziale Sicherheit

Nach zwei weiteren Jahren und diversen Stellungnahmen wurde eine entsprechende großherzogliche Verordnung schließlich am 12. Februar 2021 verabschiedet. „Es ist ein wichtiger Punkt, dass sie endlich da ist“, sagt Sozialminister Romain Schneider (LSAP) im Gespräch mit Reporter.lu. Er stehe jetzt auch den noch nötigen Verhandlungen über die zu klärenden Einzelheiten „sehr positiv“ gegenüber. Denn es sei wichtig, dass nun „schnellstmöglich“ eine Konvention verabschiedet werden könne. Diese liege schließlich im Interesse aller.

„Wir müssen die Verhandlungen auf jeden Fall noch dieses Jahr zu Ende bringen und eine Konvention abschließen“, sagte auch Christian Oberlé, Präsident der CNS, Anfang der Woche in einem RTL-Interview.

Psychische Folgen der Pandemie

Doch der Druck auf die Politik wächst. Denn ohne Konvention hat auch die großherzogliche Verordnung keine Auswirkungen auf die Praxis. Seit der Coronavirus-Pandemie und den laut Experten auch absehbaren Folgen für die mentale Gesundheit der Gesellschaft hat die Auseinandersetzung um die Kostenübernahme psychotherapeutischer Behandlungen eine andere Dimension bekommen.

Allmählich gibt es verlässliche Statistiken und Studien, die die Auswirkungen der Krise auf die Psyche der Menschen messen und es ermöglichen, erste Schlüsse zu ziehen. Sowohl die gemeinsame Studie von Statec und TNS-Ilres, die bereits Ende Juli 2020 nach dem ersten Lockdown veröffentlicht wurde, als auch die von der Universität Luxemburg geleiteten Studien zum Wohlbefinden der Menschen sowie der Kinder im Speziellen zeigen: Immer mehr Menschen sind auch hierzulande aufgrund von psychischen Problemen auf professionelle Hilfe angewiesen.

Wir wollen keine Konvention, die den Leuten vorgaukelt, die Kosten für Psychotherapie zu übernehmen, die in der Realität jedoch für die meisten Betroffenen weiterhin nicht greift. Wir hätten weiterhin ein Zweiklassensystem, das ist inakzeptabel.“Delphine Prüm, Präsidentin der Fapsylux

Psychotherapien müssen bis heute entweder aus der eigenen Tasche bezahlt oder aber von Hilfsorganisationen, wie etwa der „Ligue Luxembourgeoise d’hygiène mentale“ oder dem „Office national de l’enfance“ vermittelt werden. Eine allgemeine Erstattung würde den Weg zu therapeutischer Hilfe nicht nur vereinfachen, sondern auch gerechter machen, lautet ein Argument der Befürworter.

Wider das Zweiklassensystem

Die Kriterien, an die die Krankenkasse die Erstattung der Kosten für psychotherapeutische Behandlungen koppeln möchte, sind jedoch für die Fapsylux nicht hinnehmbar. „Wir wollen keine Konvention, die den Leuten vorgaukelt, die Kosten für Psychotherapie zu übernehmen, die in der Realität jedoch für die meisten Betroffenen weiterhin nicht greift“, sagt Delphine Prüm.  „Wir hätten weiterhin ein Zweiklassensystem“, so die Vertreterin der Psychotherapeuten. „Das ist inakzeptabel.“

Die Krankenkasse muss auf ein Gleichgewicht bei den Konventionen achten und kann nicht einem Verhandlungspartner einen Freifahrtschein ausstellen.“Romain Schneider, Minister für Soziale Sicherheit

„Ich respektiere die Autonomie der Verhandlungspartner und werde nicht eingreifen“, sagt Romain Schneider. Der Minister belässt es deshalb bei „Appellen“ in beide Richtungen. „Die Krankenkasse muss auf ein Gleichgewicht bei den Konventionen achten und kann nicht einem Verhandlungspartner einen Freifahrtschein ausstellen“, so der Sozialminister zu der ihm unterstellten Behörde. Sollte nun bald eine erste Konvention verabschiedet werden, sei er durchaus bereit, „mittelfristig oder auch kurzfristig Bilanz zu ziehen und gegebenenfalls nachzubessern“, so Romain Schneider weiter. Es ist eine Aufforderung samt Versprechen, die eindeutig an die Fapsylux gerichtet ist.

Doch die Aussicht auf eine spätere Nachbesserung ist für die Präsidentin der Fapsylux ein vergiftetes Geschenk. „Wie soll ich jenen vertrauen, die heute bereits nicht mehr zu ihren Zusagen von 2018 stehen?“, fragt Delphine Prüm.

Stattdessen hat die Fapsylux nun ihrerseits eine Bedingung gestellt: Nur wenn die CNS die für die Fapsylux unabdingbaren und zum Großteil in der Mediationsphase bereits erreichten Einigungen akzeptiere, sei die Vereinigung bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Eine Antwort von Seiten der CNS hat es gegeben, und die Verhandlungen wurden am Donnerstagmorgen wieder aufgenommen.

Bedingungen, Zusagen und Kompromisse

Bei den Forderungen der Fapsylux geht es in erster Linie um die Autonomie der Psychotherapeuten sowie um die freie Wahl des Patienten. Der Zugang zu Psychotherapie müsse ohne ärztliches Rezept für jede Altersklasse frei sein, so die Forderung der Fapsylux. Während die CNS Bereitschaft signalisiert, in einem auf zwei Jahre angesetzten Pilotprojekt auf eine ärztliche Überweisungspflicht zu verzichten, möchte sie Kinder- und Jugendliche sowie Menschen über 60 Jahre vorerst aus der Konvention ausklammern.

Streitpunkt ist zudem die Anzahl der Sitzungen, die erstattet werden, bevor entschieden wird, ob es zu einer psychotherapeutischen Behandlung kommen wird oder nicht. „Um Vertrauen aufbauen zu können und gemeinsam mit dem Patienten herauszufinden, welche Art der Behandlung die richtige ist, braucht es etwas Zeit“, sagt Delphine Prüm. Drei Sitzungen seien das Minimum, um die Basis für eine therapeutische Beziehung zu legen und einen Behandlungsplan aufzustellen.

„Wir hatten zu Beginn der Verhandlungen fünf Sitzungen vorgeschlagen, die CNS eine. In der Mediation einigten wir uns dann auf drei. Und jetzt will die CNS wieder zurück auf eine? Das ist für uns nicht hinnehmbar“, so die Vertreterin der Psychotherapeuten. Es ist eines der Beispiele für die früheren Zusagen, an die sich die CNS laut der Gegenseite nicht mehr hält.

Geld sparen durch vorbeugende Leistungen

Delphine Prüm ist der Meinung, dass die CNS versuche, an der falschen Stelle Geld zu sparen. „Das System muss der Qualität angepasst werden, nicht die Qualität dem System“, sagt sie und verweist in diesem Zusammenhang auch auf internationale Studien, die hinreichend bewiesen hätten, dass Investitionen in psychotherapeutische Dienstleistungen auch von wirtschaftlichem Nutzen seien. „Für einen investierten Euro bekommt die Gesellschaft bis zu drei Euro zurück“, erklärt Delphine Prüm. Die Logik dahinter: Psychotherapeutische Behandlungen würden kostspielige medizinische Behandlungen, ambulante Aufenthalte und krankheitsbedingte Ausfälle von Arbeitnehmern verhindern.

Ungleiche Kostenerstattung

Zurzeit unterscheidet die CNS bei der Erstattung der Kosten zwischen einer psychotherapeutischen Behandlung bei einem Psychologen und der bei einem Psychiater. Behandlungen, die von Psychiatern, aber auch Allgemeinmedizinern, angeboten oder verschrieben werden, werden von der Gesundheitskasse weitgehend übernommen. Psychotherapeutische Behandlungen bei einem Psychologen werden zurzeit nur erstattet, wenn sie von Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen vermittelt werden. Für Behandlungen in privaten psychologischen Praxen werden die Kosten derzeit von der CNS nicht übernommen. Die Tarife können variieren.

Im Budget der Krankenkasse sind für das Jahr 2021 zehn Millionen Euro für Psychotherapie vorgesehen. Eine Sprecherin des Ministeriums präzisiert allerdings, dass es sich hierbei nur um die Kosten für ein Semester handele, für ein ganzes Jahr seien demnach rund 20 Millionen vorgesehen. Es sei zudem das erste Mal, dass die Psychotherapie einen eigenen Posten im Budget der CNS bekommen habe.

Unterstützung von Staatsrat und Ärztekammer

Unterstützung bekommen die Psychotherapeuten vom Staatsrat. In seinem Gutachten zur großherzoglichen Verordnung unterstrichen die Gesetzesprüfer die bereits im Gesetz von 2015 verankerte Autonomie der Psychotherapeuten. Der Entwurf zur großherzoglichen Verordnung wolle das Tätigkeitsfeld der Psychotherapeuten eingrenzen, obwohl es hierfür keinerlei Rechtfertigung gebe. Der Staatsrat weist zudem darauf hin, dass dies das erste Mal sei, dass ein Berufsverband keine Einigung mit der Krankenkasse erzielen kann.

Auch die Ärztekammer stellt sich in ihrer Stellungnahme hinter die Forderungen der Fapsylux. Die Erstattung der Kosten für Psychotherapien sei an keine Altersbeschränkung zu koppeln. Bei den bei Behandlungsbeginn zu veranschlagenden Sitzungen spricht sich die Ärztekammer sogar für bis zu vier aus. Es sei nur selten möglich, in einer einzigen Sitzung über die Art und die Dauer der Behandlung zu entscheiden, heißt es in dem Schreiben.

Kritische Einschätzung eines Psychiaters

Kritischer hingegen äußert sich Paul Hédo, Präsident der Vertretung der Fachärzte für Psychiatrie. Besonders im Hinblick auf die Forderungen nach garantierter Autonomie der Psychotherapeuten ist er skeptisch. „Autonomie bedeutet unserer Meinung nach nicht, dass man nicht mit einer Berufsgruppe, die einen anderen Blick hat oder ein anderes Verständnis eines Symptomes geben kann, zusammenarbeiten kann. Warum sich einige Psychotherapeuten nur vorstellen können, mit uns zusammen zu arbeiten, um körperliche Probleme auszuschließen oder Medikamente zu verschreiben, ist uns schleierhaft“, so der leitende Psychiater des CHL.

Auch der beste Psychotherapeut wird keine psychiatrischen Notfälle behandeln oder längerfristige psychiatrische Behandlungen leisten können.“Paul Hédo, Präsident der Vereinigung der Psychiater

Prinzipiell mische sich die Psychiatrie-Vereinigung nicht in die Verhandlungen der Psychotherapeuten mit der CNS ein. Es habe von Seiten der Psychiater nie die Forderung gegeben, dass psychotherapeutische Behandlungen bei nicht-ärztlichen Psychotherapeuten von Psychiatern verschrieben werden müssten. „Wir sind jedoch der Meinung, dass es eine ärztliche Befugnis ist, eine Diagnose zu stellen“, sagt Paul Hédo. „Wir sind keine Diagnose-Fetischisten, aber Psychiater haben nun einmal gelernt, Diagnosen mit einem multidimensionalen Blick zu stellen.“

Dass eine Konvention zwischen Psychotherapeuten und Krankenkasse den Fachkräftemangel im Bereich der mentalen Gesundheit entlasten könnte, glaubt Paul Hédo nicht. „Sogar in Ländern, in denen nicht-ärztliche Psychotherapeuten ihre Leistung schon seit Jahren über soziale Versicherungssysteme abrechnen dürfen, fehlt es den Psychiatern nicht an Arbeit und Fachkräfte für Psychiatrie werden dringend gesucht“, führt Paul Hédo aus. „Auch der beste Psychotherapeut wird keine psychiatrischen Notfälle behandeln oder längerfristige psychiatrische Behandlungen leisten können.“

Ob es bei den langwierigen Verhandlungen nun hauptsächlich um Geld oder um das Abstecken von Grenzen unterschiedlicher Kompetenzbereiche geht, bleibt für die Regierung indes zweitrangig. „Jeder Mensch, der es braucht, soll auch Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung bekommen“, sagt Romain Schneider abschließend im Gespräch mit Reporter.lu. Ob sich hinter diesem Satz allerdings tatsächlich die längst überfällige Einlösung eines politischen Versprechens findet, bleibt abzuwarten.


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