Psychotherapeuten kämpfen seit Jahren um mehr Anerkennung ihres Berufsstandes. Ein Gesetz, das ihnen dabei helfen soll, gibt es zwar bereits seit 2015. Doch der Konflikt mit den Psychiatern und der Gesundheitskasse CNS hält weiter an.

Angstzustände, Depressionen, Burn-Out, Zwangsneurosen: Sind sie erst einmal da, werden sie oft zum Dauerbegleiter. Was Betroffene dann brauchen, ist eine schnelle und angemessene Behandlung – in Luxemburg war die Hilfe bisher aber stark eingegrenzt.

Bei diesen Krankheitsbildern können Psychiater, Psychotherapeuten oder Psychologen helfen – je nachdem. In Luxemburg war aber bis 2015 nur der Berufsstand der Psychiater gesetzlich anerkannt. Sie haben den Status des Mediziners, ihre Behandlung wird von der Gesundheitskasse CNS übernommen und sie dürfen Medikamente verschreiben. Aber: Die Wartezeiten für einen Termin sind lang und nicht immer ist die medikamentöse Behandlung auch die richtige für den Patienten.

Ganz anders sieht es für die Psychotherapeuten aus. Ein neues Gesetz sollte ihre Lage klar regeln. Im Juli 2015 wurde ihnen eine Professionalisierung ihres Berufsstandes versprochen und auch ihre Behandlung sollte von der CNS übernommen werden. Die Psychiater sollten dank des Textes entlastet werden, der Patient mehr Auswahl bekommen, die Psychotherapeuten mehr Rechte. So weit die Theorie.

Konkurrenz statt Kooperation

In Wirklichkeit kommt das Gesetz aber längst nicht überall gut an. Die Psychiater diskutieren hinter vorgehaltener Hand und dulden die neue Konkurrenz eher, statt sie zu akzeptieren. Durch das neue Gesetz ist auf einen Schlag eine große Konkurrenz entstanden. Laut Collège Médical gibt es in Luxemburg tatsächlich nur 122 Psychiater, dafür aber 310 Psychotherapeuten.

So mancher Psychiater sei nicht dazu bereit, den Kollegen mehr Platz einzuräumen, heißt es. Vor allem auch deswegen, weil einige Psychiater in Luxemburg nicht nur medikamentös behandeln, sondern auch Psychotherapie anbieten. Die Anerkennung der Psychotherapeuten und die Rückerstattung der CNS für eine Psychotherapie würde aus ihnen nur noch „Pillenverschreiber“ machen, sagt ein Mediziner, der nicht namentlich genannt werden will.

„Hilfstrupp der Psychiater“

„Ein anderes Problem ist, dass jetzt rund 300 Menschen auf einmal etwas Neues für sich beanspruchen“, sagt Thierry Simonelli. Der Psychoanalytiker übt scharfe Kritik an seinen Fachkollegen. Auch er könnte vom neuen Gesetz profitieren, will das aber nicht. „Nicht jeder Patient will, dass die CNS erfährt, dass er psychische Probleme hat“, sagt er.

„Die Psychotherapeuten denken aber, dass sie dank des neuen Gesetzes jetzt besser leben können. Bei etwa 300 Psychotherapeuten kann aber sicherlich nicht jeder profitieren“, so der Experte. „Sie wollen ein Gesetz, eine Nomenklatur, ein Rückerstattungssystem. Dabei sind sie nur der Hilfstrupp der Psychiater. Denn Letztere bleiben weiterhin die Einzigen, die als Ärzte anerkannt sind und Medikamente verschreiben dürfen.“

Klare Worte, die zeigen, dass die Rivalität in der Branche mehr als ein Gerücht ist. Vincent Navet von der Ligue Luxembourgeoise d’Hygiène Mentale (LLHM), hält diese Kontroverse aber für kontraproduktiv. „Es ist auf jeden Fall genug Arbeit für jeden da“, sagt er.

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Patienten richtig orientieren

Auch für Dr. Mark Ritzen vom „Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique“ ist das Konkurrenzdenken innerhalb der Branche überflüssig. Er meint, dass beide Sparten enger zusammenarbeiten müssen, wenn sie dem Patienten wirklich helfen wollen. „Wenn das passiert und wenn die Therapie bei Psychotherapeuten von der Kasse übernommen wird, dann entsteht eine heterogenere Landschaft, von der die Menschen profitieren können“, so der Psychiater. Heute würden viele Patienten mit psychischen Störungen aus Kapazitätsgründen nicht die nötige Behandlung bekommen – und genau das müsse sich mithilfe der psychologischen Psychotherapeuten ändern.

„So manche stationäre Behandlung könnte man durchaus verhindern, wenn entsprechende ambulante Angebote, beispielsweise spezialisierte Tageskliniken oder eine intensive ambulante Psychotherapie, vorhanden wären“, so der Experte. Solche Alternativen fehlen aber bisher – so dass der Patient nicht richtig betreut werden kann. „Viele werden tatsächlich nicht mit der notwendigen Intensität behandelt.“ Man könne sie aber nur richtig orientieren, behandeln oder gegebenenfalls an einen Kollegen vermitteln, wenn man sie und ihr Problem auch persönlich kenne. Damit das klappt, fehle es aber aktuell an einem transparenten Dialog in der Branche.

Neue Patienten müssen demnach weiterhin warten. Vielleicht zu lange, wenn man bedenkt welche Konsequenzen nicht behandelte Krankheiten wie Depression, Bulimie oder Zwangsneurosen haben können. Doch solange die Kollegen sich nicht gegenseitig unterstützen, finden die Menschen nur schwer die richtige Behandlung. Und solange die CNS nicht rückerstattet, bleibt eine Therapie beim Psychotherapeuten teuer – und ist für viele Betroffene weiterhin keine Option.

Konflikt zwischen CNS und Psychotherapeuten

Vincent Navet schätzt, dass die Preise pro Psychotherapie-Stunde zwischen 80 und 150 Euro schwanken. „Teilweise sind sie sogar noch höher“, sagt er. Weil es keinen Kodex und keine Tariftabelle bei der Gesundheitskasse gibt, kann der Psychotherapeut ganz nach seinem Gusto die Preise bestimmen.

Eine Tariftabelle würde dem ein Ende setzen. Und ein Rückerstattungssystem würde die Psychotherapie für die breite Masse zugänglich machen, und nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können – das hoffen zumindest die Psychotherapeuten. „Eine Therapie kann bis zu 20 Prozent eines Mindestlohnes kosten. Das kann sich nicht jeder leisten“, sagt Delphine Prüm, Präsidentin der „Fédération des associations représentant des psychothérapeutes au Grand-Duché de Luxembourg“ (FAPSYLUX). „Eigentlich müsste aber jeder Zugang zu dieser Art der  Gesundheitsversorgung haben“, sagt sie.

Die Gesundheitskasse CNS und der Verband arbeiten deshalb seit gut einem Jahr an einem Fachregister, Honoraren und einer Rückerstattungstabelle. Allerdings ohne Resultat. Ein Schlichter wurde einberufen, um der Debatte ein Ende zu setzen. Aber auch er blieb erfolglos.

„Wir haben uns in den Gesprächen angenähert und jetzt eine gute Basis, um weiterarbeiten zu können“, so Delphine Prüm. Ende Dezember wurden die Schlichtungsgespräche abgeschlossen und der Bericht eingereicht. Jetzt sei es am Sozialminister, zu entscheiden, wie es weitergeht, so Delphine Prüm. „Wir hoffen aber, dass CNS und FAPSLUX die Möglichkeit bekommen werden, anhand der ausgearbeiteten Basis eine Konvention auszuarbeiten.“

Probleme können viele Facetten haben

Was die Psychotherapeuten fordern, ist dabei längst klar: „Wir wollen dazu beitragen, dass Psychotherapie in Luxemburg jedem, der bei der CNS versichert ist, zugänglich ist – unabhängig von seinem Einkommen und seiner Krankheit“, so die Präsidentin von FAPSYLUX. „Das Gesetz wurde ja auch 2015 eingeführt, um die Psychiater zu entlasten. Jetzt wollen wir unsere Arbeit machen.“

Vor allem bei der Definition der Krankheitsbilder kommen FAPSYLUX und CNS auf keinen gemeinsamen Nenner. Eine psychische Krankheit kann viele Facetten haben – doch nicht für jedes Krankheitsbild will die CNS auch zahlen. Im Gesetzestext steht, dass der Psychotherapeut „troubles mentaux“ behandelt. Ein eher vager Begriff, den CNS und FAPSYLUX unterschiedlich definieren.

Die FAPSYLUX plädiert dafür, dass alle Krankheiten anerkannt und alle Behandlungen von der CNS rückerstattet werden. „Es ist natürlich schwierig, wenn wir einem Patienten mit einer Depression sagen, dass ihm seine Therapie rückerstattet wird, und einem Patienten mit Magersucht, dass sie ihm nicht rückerstattet wird“, so Delphine Prüm. „Dabei sind beide Patienten krank, beide haben psychische Probleme, und beide sollten auf eine für sie passende Gesundheitsversorgung Zugang haben.“

Psychische Krankheiten mehr thematisieren

Ein Gesetz ist demnach längst nicht alles. Wird es nicht richtig umgesetzt, sorgt es für Diskussionen, Unsicherheiten, Probleme. Am Ende leidet aber vor allem einer darunter: der Patient. Und wenn er keine Hilfe findet, kann das schwerwiegende Folgen haben.

Auch deshalb sei die Aufwertung des Berufsstandes wichtig, so Delphine Prüm. So werde die ganze Problematik rund um psychische Erkrankungen mehr in den Fokus der Gesellschaft gerückt. „Luxemburg hinkt in diesem Bereich einfach 20 Jahre hinterher“, sagt die Psychotherapeutin. „Es braucht Zeit, bis die Gesellschaft das Thema endlich aufwertet. Die Anerkennung der Psychotherapeuten trägt ganz bestimmt dazu bei.“


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