Von Gott in die Politik: Paul Galles war erst Priester, dann Projektleiter bei der Caritas, heute ist er Abgeordneter. Seine Mission im Parlament sieht er ähnlich wie die als Priester: den Menschen mit Empathie begegnen und ihnen zuhören. Das Problem dabei: Politik ist mehr als das. 

Heute gibt es Nudeln. Einfach nur Nudeln. Ohne Käse, ohne Soße. Nicht einmal al dente sind sie geworden. Eigentlich war Paul Galles zum Mittagessen verabredet, jetzt sitzt er aber am Wohnzimmertisch und dreht mit der Gabel ein paar Runden in den klebenden Spaghetti. Das Essen hat er abgesagt, weil Hund Kiitosh krank ist. „Ich will solidarisch mit ihm sein“, sagt er. Ein paar Gabeln nimmt er noch, den Rest lässt er stehen.

Vieles ist heute anders, als er es sich lange Zeit vorstellte. Paul Galles war Priester und Theologe – erst in Rom, dann in Esch-Alzette. Eine Lebensaufgabe. Doch es gelang ihm nicht, sie durchzuziehen. Das Zölibat wurde zum Problem. Also hängte er seinen Priesterjob 2010 an den Nagel. „Der Liebe wegen“, wie er sagt.

Dass es mit dem Zölibat schwierig werden könnte, dachte sich Paul Galles schon vor seiner Priesterweihe. Und versuchte es einfach trotzdem. „Ich habe als Jugendlicher Erfahrungen gesammelt“, sagt er. „Ich glaube, das Leben als Priester ist für diejenigen einfacher, die nicht wissen, was sie verpassen.“

Vom Seelsorger zum Volksvertreter

Paul Galles lebt mit seiner Verlobten und Hund Kiitosh in Luxemburg-Stadt, ist Mitglied des städtischen Gemeinderats und Abgeordneter. Seinen Job bei Young Caritas hat er erst kürzlich aufgegeben. Viele Etappen, die sich in der Wohnung widerspiegeln. Die geflochtenen Vasen stammen aus Burkina Faso, die Trommel auf dem Regal aus Burundi, auch seine Armbänder sind Erinnerungen an Reisen und Festivals. Die Bilder im Flur hat er selbst gemalt, auf dem Aufkleber seines Computers steht der Lieblingsspruch seines Großvaters „Alles a Moossen“. „Außer in der Liebe“, ergänzt Paul Galles als er ihn vorliest.

Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer liegen Unterlagen, die er im Parlament behandelt, im Regal stehen Ordner, die er im Gemeinderat braucht, daneben Bücher, davor ein selbstgemaltes Bild – und dann gibt es noch die kleine Gebetsnische.

„Alles a Moossen!“, würde sein Großvater immer sagen, so Paul Galles. Der wurde jetzt 101 Jahre alt. Galles hat ihm zum Geburtstag einen Baum gepflanzt. (Foto: Eric Engel)

In der Mitte eine Bibel. Schicke Goldverzierungen, aufwändige Schriftzüge – eher ein Designerstück als ein schlichtes Gebetbuch. Paul Galles hebt sie auf, blättert durch die Seiten, geht mit der Hand über das Cover. Sie war ein Geschenk und ist seine Lieblingsbibel.

Viel Zeit, um in ihr zu lesen, hat Paul Galles nicht. „Ich mache das, was mein Terminplaner mir vorgibt“, sagt er. „Eigentlich ein Fehler.“ Wenn ihm dann danach ist, nimmt er die Bibel und setzt sich damit an den Wohnzimmertisch. Vor der Gebetsnische kniet oder sitzt er nur noch selten. Auch in die Kirche geht er nur noch sporadisch. „Ich bin wählerisch geworden und suche aus, in welche Kirche ich gehe und zu welchem Priester“, sagt er. Mittlerweile fehle ihm sein Priestertum nicht mehr, sagt er. Eher das Ritual, gemeinsam mit den Menschen den Glauben zu feiern.

Total naiv in die Politik

Seit 2016 ist Paul Galles Mitglied der CSV. 2017 trat er zum ersten Mal bei Gemeindewahlen an und wurde prompt in den Gemeinderat der Stadt Luxemburg gewählt. 2018 trat er zum ersten Mal bei Nationalwahlen an und wurde prompt ins Parlament gewählt.

Ich bin total naiv an die Politik herangegangen.“

Paul Galles kennt viele Menschen – und viele kennen oder erkennen ihn. Als Priester, als Engagierter bei der Caritas, als jemanden, den man regelmäßig auf Dorffesten trifft. „Ich fahre sehr viel Rad und auf solchen Festen mache ich dann gerne Halt. Man muss sich ja auch für den Restweg stärken“, sagt er. Der Vorteil: Dort kommt er einfach mit den Menschen ins Gespräch. Etwas, das ihm liegt. „Man muss die Menschen ernst nehmen und ihnen mit Empathie begegnen“, sagt er. So will er auch Politik machen.

„Ich bin total naiv an die Politik herangegangen“, sagt er. Die innerpolitischen Strukturen habe er erst begriffen, als er Teil davon wurde. Und die habe er unterschätzt. Ebenso wie das rituelle Spiel zwischen Regierung und Opposition. „Es gefällt mir nicht, andere klein zu machen“, sagt er. Persönliche Attacken liegen ihm nicht. „Aber vielleicht lerne ich diese Spielchen noch.“

Was ihn ausmacht: Die bunten Armbänder sind zu einer Art Markenzeichen von Paul Galles geworden. In der Bibel liest der ehemalige Priester nur noch selten. (Foto: Eric Engel)

Besteht in der Politik nicht die Gefahr einer falschen Volksnähe? Paul Galles braucht Zeit. Er überlegt, faltet die Hände vor dem Mund, lässt den Blick schweifen. Pause. „Sicherlich gibt es Politiker, die so in diesem System verankert sind, dass sie vom Alltag der Bürger weit entfernt sind“, sagt er. Die Politikverdrossenheit könne er nicht nachvollziehen. Er wolle das aber anders machen. Dann der Klassiker unter den Politiker-Sätzen: „Im Dienste des Menschen.“

Erst das Engagement, dann die Partei

Zeit, um sich noch lange anzupassen, hat er aber nicht. Sein erstes Jahr im Parlament ist um, er wurde vor ein paar Monaten zum stellvertretenden Generalsekretär der CSV ernannt. Eine seiner Aufgaben: Junge Leute für die Politik zu begeistern, so wie er sie bei der Caritas für soziale Verantwortung begeistern konnte. Das liegt ihm – eigentlich. Doch er soll sie im besten Fall nicht nur für die Politik motivieren, sondern für die CSV.

Vielleicht sehe ich die CSV anders als sie ist.“

„Man muss ihnen Freiheiten lassen, wenn sie sich einsetzen wollen“, sagt Galles. Wieder Pause. Wieder der Blick zum Fenster raus. Es solle nicht um Parteikarten gehen – das sei zweitrangig.

Dabei hat die CSV ein Nachwuchsproblem. Er selbst ist mit 46 Jahren einer der Jüngeren in der CSV-Fraktion. Man könne die ältere Politiker-Generation nicht einfach zum Abdanken zwingen. Die CSV habe viele gute Leute, die müsse man jetzt aufbauen. Und: Die Oppositionszeit nutzen, um sich zu erneuern.

Für eine CSV mit grünem Touch

Hund Kiitosh liegt immer noch im Flur. Ein Straßenhund mit Dackelblick. Selbst wenn Paul Galles nicht wissen würde, dass es dem Tier nicht gut geht – der Blick würde es verraten. Paul Galles dreht sich immer wieder zu ihm um. Solidarisch eben.

Im Parlament will er gleich mehrere Themen nach vorne bringen. Eins davon ist der Kampf gegen das Armutsrisiko: „Natürlich muss man auch Statistiken und Zahlen nennen, man muss aber auch die Betroffenen zu Wort kommen lassen.“ Für die Rentrée Parlementaire im Herbst bereitet er ein Dossier zu eben diesem Thema vor – „eines das in der DNA des Christentums verankert ist“ – und will auch Alltagssituationen von Betroffenen mit einfließen lassen.

„Auch wenn es sich romantisch anhört – ich will etwas zurückgeben“, sagt er. Auch der Natur. Paul Galles fährt viel Rad, versucht aufs Auto zu verzichten. Die Grünen seien aber keine Option gewesen, sagt er. Obwohl ihre Herangehensweise eine andere sei als die neoliberale Politik der ganzen Regierung. „Die Grünen wollen konservieren, damit das, was da ist, nicht stirbt.“ Die CSV wolle ihrerseits schützen, was da ist, damit es weiterleben kann. „Für mich steht die CSV für menschliche, ökologische und soziale Werte“, sagt er. Dazu gehören seiner Meinung nach auch dringliche Klimafragen. „Aber vielleicht sehe ich die CSV anders als sie ist.“