Die Wahlen im Oktober bieten nicht nur Politikern die Chance auf einen Karrieresprung. Hinter den Kulissen gestalten junge Kreativschaffende die visuellen Kampagnen der Parteien. Wer steckt dahinter und wo liegt die Grenze der Kooperation mit der Politik?
Durch das offene Fenster dringt das Brummen des naheliegenden Stahlwerks in den Arbeitsraum der Agentur „Gotcha!“. Eigentlich wäre es die perfekte Kulisse um die Wahlkampfstrategie einer Arbeiterpartei zu entwickeln.
Doch die Zeit des Klassenkampfs scheint vorbei in der Differdinger Rue Emile Mark: In den ehemaligen Arcelor-Mittal-Ateliers wurden die Werkbänke vor ein paar Jahren durch Mac-Computer ersetzt. Heute ist das Herzstück der Luxemburger Kreativindustrie hier zuhause: das Creative Hub 1535°. Die jungen Kreativschaffenden, die sich hier niedergelassen haben, sind parteipolitisch schwer zu verorten. Es ist eher der Unternehmergeist, der sie verbindet, als eine gemeinsame politische Sichtweise.
„Wir machen keine Politik, sondern Storytelling,“ erklärt Ben Olinger: „Wir erzählen Geschichten.“ Im Februar gründete der 32-Jährige gemeinsam mit Peter Becker (42) die Agentur „Gotcha!“. Olinger ist in der Luxemburger Medienszene kein Unbekannter: Über zehn Jahre lang moderierte er Sendungen für RTL und Eldoradio. Nun will er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner eine eigene Video-Platform aufbauen und Social-Media-Kampagnen für Kunden gestalten.
Der Wahlkampf als Geschäftschance
Der erste größere Auftrag für die neue Agentur kommt nun ausgerechnet von der Partei des Premierministers: „Gotcha!“ produziert im Chamberwahlkampf die Social-Media-Inhalte der DP. Olinger sieht diese Zusammenarbeit mehr als Geschäftschance, nicht als politische Herzensangelegenheit: „Keiner von uns beiden hat eine Parteikarte bei der DP. Aber ganz ehrlich: Wenn ich als junger Unternehmer von der Partei des Premiers angesprochen werde, dann sehe ich mich nicht in der Position dieses Angebot abzulehnen.“ Finanziell sei das Projekt ohne Zweifel ein „Sprungbrett“ für das junge Unternehmen, so Olinger.

Der Wahlkampf entpuppt sich allgemein als Antrieb für die lokale Kreativindustrie. Die vier größten Parteien arbeiten alle mit Luxemburger Unternehmen zusammen um ihre Wahlkampagnen zu gestalten. Neben „Gotcha!“, haben auch die Social-Media-Agenturen „Hype“ (CSV) und „Parcours“ (LSAP), sowie das Kreativkollektiv „Bamhaus“ (Déi Gréng) Aufträge von Parteien erhalten. Mit Ausnahme von „Bamhaus“ wurden alle diese Unternehmen erst in den vergangenen zwölf Monaten gegründet.
Zu Beginn überwog die Skepsis
„Am Anfang waren wir gar nicht sicher, ob wir überhaupt mit einer Partei zusammenarbeiten wollen“, erinnert sich Thierry Henschen, der vor einigen Monaten die Agentur „Parcours“ gegründet hat. Als die LSAP anklopfte, habe er zuerst Angst gehabt, dass das junge Unternehmen mit der Partei „in einen Topf geworfen wird“. Aus Berlin, wo er Marketing studiert hat, habe er ohnehin eine gute Portion Skepsis gegenüber politischen Parteien mitgebracht, so Henschen.
„Mit einem solchen Projekt geht automatisch eine gewisse politische Verantwortung einher.“Christian Muno , „Bamhaus“
Trotzdem war relativ schnell klar, dass „Parcours“ die Social-Media-Kampagne der LSAP übernehmen wird: „Nach anfänglichem Zögern, wurde mir bewusst, dass ich mich eigentlich ganz gut mit dem linken Gedankengut der LSAP identifizieren kann.“ Auch die Abstimmung mit der Agentur Medienfabrik S.A. (MEFA), die die Kampagne der LSAP abseits von Social Media entwirft, habe sofort gut geklappt.
Die LSAP-Kampagne wurde so zum ersten „Parcours“-Projekt, an dem vier Freiberufler gemeinsam arbeiten. Neben Thierry Henschen als Creative Director, sind auch ein Fotograf, ein Informatiker und ein Marketing-Experte beteiligt. Sie sind unter anderem für die Kurzfilm-Serie „Ënnerwee mam Etienne“ verantwortlich, die den Wählern einen Einblick in den Arbeitsalltag von Wirtschaftsminister Etienne Schneider gewähren soll. Im Laufe der Kampagne werden wohl noch weitere externe Mitarbeiter dazu stoßen, meint Henschen. Unter anderem soll dadurch die LSAP-Kampagne auf dem Fotoportal Instagram verstärkt werden.
Auch bei „Hype“ mit Sitz in Roeser kommt der erste größere Auftrag von einer politischen Partei: Die neu gegründete Agentur produziert in den kommenden Wochen die Social-Media-Inhalte der CSV. Klot Kieffer, der die Agentur im Mai gegründet hat, erhofft sich einen Hebeleffekt von dieser Zusammenarbeit. „Zukünftige Kunden werden sagen: Die müssen was drauf haben, sonst hätten sie diese Aufgabe nicht bekommen,“ so der 37-Jährige, der zuvor als Kommunikationsbeauftragter bei der Restaurantgruppe Concept Partners arbeitete. Wie die Zusammenarbeit mit der CSV im Detail abläuft kann Kieffer im Moment jedoch nicht verraten – darüber sei Schweigen mit der Partei vereinbart.
„In der Privatwirtschaft gibt es lukrativere Kunden“
Im „Bamhaus“ in Dommeldingen sind Projekte von dieser Grössenordung hingegen mittlerweile Routine. „Natürlich achtet man als Agentur immer darauf, dass ein Projekt sich auch finanziell lohnt“, erklärt „Bamhaus“-Manager Christian Muno (36). „Aber man muss sich auch bewusst sein, dass Luxemburger Parteien ein wesentlich kleineres Budget haben als etwa Parteien in Deutschland. Für uns gibt es daher in der Privatwirtschaft ohne Zweifel lukrativere Kunden als Déi Gréng.“

Ähnlich wie das 1535° befindet sich auch das „Bamhaus“ in Gebäuden, die früher von Arcelor-Mittal genutzt wurden. Das Gelände gehört bis heute dem Stahlkonzern, der gleich nebenan immer noch Wartungswerkstätten betreibt. Seit 2014 stehen hier Arbeitsräume für Kreativschaffende aus verschiedenen Bereichen zur Verfügung. Zur Zeit seien vier bis fünf Leute damit beschäftigt, die Kampagne von Déi Gréng auszuarbeiten, so Christian Muno. Sie sind für die gesamte visuelle Gestaltung des grünen Wahlkampfs verantwortlich, von den Plakaten bis zur Internetseite. Nur um Social Media kümmert die Partei sich selbst.
„Xavier Bettel hat mehr Kommunikationspotential als Claude Wiseler.“ Ben Olinger, „Gotcha!“
„Mit einem solchen Projekt geht automatisch eine gewisse politische Verantwortung einher“, meint Muno: „Wahlkampagnen haben konkrete Auswirkungen, denn eine Partei die an die Macht kommt, kann die Gesellschaft verändern.“
Für die „Bamhaus“-Truppe sei es deshalb besonders sehr wichtig gewesen, dass man die Zusammenarbeit mit einer Partei auch „berufsethisch“ vertreten könne. „Bei Déi Gréng ist das ohne Zweifel der Fall. Bei anderen Parteien hätten wir womöglich abgelehnt“, so Muno, der allerdings keine dieser Parteien nennen möchte. Ob man ein Projekt annehme müsse in jedem Fall einzeln beurteilt werden, so sei es zum Beispiel ein großer Unterschied, ob ein Kunde nur eine Tonaufnahme bestelle oder gleich eine ganze Kampagne.
(Fast) keine politischen Präferenzen
Ben Olinger von „Gotcha!“ wird schon konkreter, wenn man ihn fragt, mit wem er nicht zusammenarbeiten würde: Eine Kooperation mit der ADR lehnt er aus politischen Gründen ab. Bei anderen Parteien hebt Olinger professionelle Gründe hervor: „Ich könnte mir zum Beispiel gar nicht vorstellen etwas mit der CSV zu machen, das ist ganz klar. Aber das hat weniger mit der politischen Ausrichtung der Partei zu tun, als mit den Persönlichkeiten, die man dort vorfindet.“ Xavier Bettel habe für ihn nun einmal wesentlich mehr „Kommunikationspotential“ als CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler.
Was damit gemeint ist, zeigen zwei Videos, die im April unter dem eingängigen Titel „Better Call Bettel“ veröffentlicht wurden. Der Premier demonstriert darin auf gewohnt joviale Weise Nähe zum Bürger. „Es reicht nicht nur schöne Bilder zu produzieren“, erklärt der „Gotcha!“-Gründer: „Wenn man die Zuschauer bei der Stange halten will, muss man auch Emotionen wecken, eben eine Geschichte erzählen.“ Dann blickt er auf das Display seines Smartphones und wischt mit dem Finger darüber, als würde er eine App schließen: „Well, ee Switch ass séier gemaach.“