Leben, wo andere Ferien machen: Was klingt wie ein Werbeversprechen, ist für Menschen, die dauerhaft auf Campingplätzen wohnen, Alltag. Dabei ist der Umzug dorthin oft keine freiwillige Entscheidung. Die Wohnungskrise drängt immer mehr Menschen in eine Grauzone.

Der Ausblick aus dem Wohnzimmer von Carmen Schmidt* ist weit. Über den Baumwipfeln sieht man in der Ferne die Windmühlen drehen. Ein Ofen sorgt für wohlige Wärme; in den Fenstern hängt bereits die Weihnachtsdekoration. Die Decke ist hoch. Höher als angenommen. Es fehlt den Räumen an der Enge, die man eigentlich erwartet. „Ich könnte mir mittlerweile nicht mehr vorstellen, woanders zu leben als hier“, sagt Carmen Schmidt. Und meint damit ihr Chalet auf einem Campingplatz im Norden des Landes.

Seit 13 Jahren lebt die gelernte Friseurin nun bereits dort, wo andere Menschen ihre Freizeit verbringen. Auch wenn sie ihr jetziges Leben genießt, war der Weg, der sie hierhin führte, nicht freiwillig. „Ich war in der Scheidung und selbstständig. Mein Friseursalon befand sich im gemeinsamen Haus. Mit der Trennung stand ich von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts“, erzählt Carmen Schmidt. Zunächst sei sie bei einer Freundin untergekommen und habe mit der Wohnungssuche begonnen.

Schnell musste sie jedoch feststellen, dass sie ohne festes Einkommen und als Selbstständige nur schwer eine neue Wohnung finden würde. „Schon eine Mietkaution stellte mich vor Schwierigkeiten, von einem Darlehen für eine Eigentumswohnung gar nicht zu reden”, sagt sie heute. Und so stand Carmen Schmidt eines Abends an der Rezeption des Campings nahe Ettelbrück.

Rechtliche Grauzone

Wie viele Menschen in Luxemburg sich in ähnlichen Situationen befinden, ist unbekannt. Auf Nachfrage geben sowohl das Familienministerium als auch das Innenministerium an, keine gesicherten Zahlen zu haben. Denn: Wer auf den Campingplatz zieht, begibt sich gleichzeitig in eine rechtliche Grauzone. Ein Stellplatz wird von den Gemeinden nicht als Wohnort anerkannt. Offizielle Schreiben, wie etwa Steuerbescheide, werden aber nur an die Meldeadresse geschickt. Oder wie es ein Campingbetreiber ausdrückt: „Ist der Campingplatz der einzige Wohnort, ist man obdachlos.”

Wir profitieren natürlich in gewisser Weise von dieser angespannten Situation.“Ein Campingbetreiber

Deshalb sind viele Bewohner an anderen Adressen gemeldet, bei Verwandten oder Freunden. Ist dies nicht möglich, besteht die Alternative, über ein regionales Sozialamt eine Referenzadresse zu bekommen. Über diese werden dann alle offiziellen Dokumente zugestellt. Das Sozialamt der Nordstad in Ettelbrück betreut fünf Personen, die ihren festen Wohnsitz auf einem Campingplatz haben, so Mitarbeiterin Malou Winter. Das Sozialamt in Wiltz geht von sechs bis acht Personen aus.

Hierbei handele es sich jedoch ausschließlich um Personen, die freiwillig auf einem Campingplatz wohnten und die nicht auf der Suche nach einer anderen Wohnung seien, unterstreicht Malou Winter. Daneben gibt es jedoch auch Personen, bei denen der Umzug auf einen Campingplatz offenbar eine Notlösung ist. „Leben auf einem Campingplatz ist noch immer mit einem sozialen Stigma behaftet. Und wer keine Referenzadresse über ein Sozialamt beantragt, gibt mit dem Umzug auf einen Campingplatz quasi seine sozialen Rechte auf“, gibt die Sozialarbeiterin zu bedenken.

Wohnungskrise mitverantwortlich

Die Gründe für diesen Schritt sind oft die gleichen: Verlust der Arbeit, Scheidung oder Mietrückstände. Deren Folge ist oft, dass der feste Wohnsitz aufgegeben werden muss. Und angesichts der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt gestaltet sich die Suche nach einer neuen Wohnung zunehmend schwierig. Dies bestätigt auch Gilles Hempel, Direktor der „Agence immobilière sociale“ (AIS). Die soziale Wohnungsvermittlung verfügt aktuell etwa über 570 Wohnungen; die Nachfrage kann man damit jedoch nicht ansatzweise decken. 1.200 bis 1.300 Personen befinden sich derzeit auf einer Warteliste.

Neben traditionellen Bungalows, wie hier in Esch/Alzette, setzen einige Campingplatzbetreiber vermehrt auf gehobene Ansprüche. (Foto: Christian Peckels)

„Dem Phänomen, dass Personen auf einem Campingplatz unterkommen, begegnen wir regelmäßig. Ein Platz auf einem Campingplatz ist für viele die letzte Lösung“, erklärt Hempel. Ob die Corona-Pandemie die Antragszahlen beeinflussen wird, sei momentan noch nicht absehbar. Er erwarte sich jedoch einen zeitversetzten Effekt, so der Direktor der AIS. Tendenziell könnte die Nachfrage also weiter steigen.

Die hohen Preise auf dem Immobilienmarkt führen bei einkommensschwachen Menschen immer öfter zu existenziellen Nöten. Eine im Sommer dieses Jahres vorgestellte Studie des Observatoire de l’Habitat ergab, dass 2018 mehr als ein Drittel der Mieter über 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben mussten. Ähnliches gilt für Personen, die eine Immobilie kaufen: Rund 30 Prozent müssen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Kredittilgung aufwenden. Betrug die Durchschnittsmiete im Jahr 2010 noch 947 Euro, lag sie im Jahr 2018 bereits bei 1.347 Euro.

Branche passt sich an

René Schulté, Leiter des Camping Gaalgebierg in Esch/Alzette, bestätigt die hohe Nachfrage. Seit 40 Jahren ist Schulté Mitglied des Caravaning Club Esch, der die Stellplätze auf dem Campingplatz verwaltet. „Beinahe täglich ruft jemand an, der in einer Notlage ist und auf den Campingplatz kommen will“, erzählt er. Menschen, die plötzlich ihre Wohnung verlieren, vor einer Trennung stehen oder sich ihre Miete nicht mehr leisten können. Auch ein weiterer Campingbetreiber, der nicht namentlich genannt werden will, bestätigt, dass der reguläre Wohnungsmarkt Menschen zunehmend finanziell überfordert. „Wir profitieren natürlich in gewisser Weise von dieser angespannten Situation“, so der Betreiber weiter.

Leben auf einem Campingplatz ist noch immer mit einem sozialen Stigma behaftet.“Malou Winter, Sozialamt Nordstad

Die Campingbranche passt sich der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt an. Wohl kann man sich auch weiterhin einen Stellplatz für rund 1.000 Euro im Jahr mieten und einen Wohnwagen im Wert von ein paar Tausend Euro daraufstellen. Doch man trägt längst auch den gehobenen Ansprüchen der Mittelschicht Rechnung. In direkter Nachbarschaft zum Chalet von Carmen Schmidt befinden sich zahlreiche weitere Bungalows im Bau.

Camping wird salonfähig

Eine Besichtigung eines Rohbaus zeigt: Die Wohnungen haben längst nichts mehr mit rustikalem Campingcharme zu tun. Die modulare Bauweise erlaubt eine hohe Gestaltungsfreiheit. Ein Bungalow hat dabei eine Durchschnittsgröße von 80 bis 90 Quadratmetern, ein gefliestes Badezimmer, eine moderne Einbauküche und eine Deckenhöhe von rund zwei Meter fünfzig. Beheizt werden die Chalets mit Gas und die meisten verfügen zudem über eine überdachte Garage. Die Kaufpreise bewegen sich zwischen 100.000 und 200.000 Euro – dazu kommt die jährliche Standgebühr.

Und so wird Leben auf dem Campingplatz allmählich salonfähig, wie der Betreiber des Campingplatzes unterstreicht: „Natürlich haben wir weiterhin Menschen, die sich den Wohnungsmarkt nicht mehr leisten können. Aber auch zahlreiche Rentner zieht es auf den Campingplatz. Ihnen wurde das Eigenheim zu groß oder sie wollen direkt in der Natur leben“, so der Mann.

Am Wohnzimmertisch in ihrem Chalet sagt Carmen Schmidt, sie sei mittlerweile angekommen: „Natürlich war es am Anfang komisch zu sagen, dass man auf einem Campingplatz lebt.“ Die ersten Monate hat sie in einem Wohnwagen auf dem Platz verbracht. „Das war natürlich nicht mit dem Chalet zu vergleichen, das ich jetzt bewohne. Heute vermisse ich nichts.“

*Name von der Redaktion geändert.