Knapp 3,5 Millionen Euro fordert die Firma „Kirchberg Trading“ vom Staat. Gegen die Gruppe, die hinter der Holding steckt, wird in Deutschland wegen dubiosen Aktiengeschäften ermittelt. Es ist der erste mutmaßliche Cum-Ex-Fall, über den Luxemburger Richter entscheiden mussten.
Der Stil ist ein anderer, aber im Grunde geht es um das gleiche: Eine „kriminelle Glanzleistung“ nannte der Vorsitzende des Finanzgerichts Köln die Cum-Ex-Geschäfte bei der Verkündung eines wegweisenden Urteils. Am 9. Dezember 2020 sprach das Luxemburger Verwaltungsgericht ein ebenso wichtiges Urteil in einem mutmaßlichen Cum-Ex-Fall.
Es ist das erste Mal, dass hierzulande eine Entscheidung zu den undurchsichtigen Aktiengeschäften gefällt wird. Die Luxemburger Richter blieben sachlich: Der Kläger, die „Kirchberg Trading sàrl“, könne nicht belegen, der wirtschaftliche Eigentümer eines großen Aktienpaketes von SES, ArcelorMittal und RTL Group zu sein. Die Erstattung der Quellensteuern auf den Dividenden sei deshalb abzulehnen.
Gegen die Kirchberg-Gruppe, zu der die Firma gehört, ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln wegen Cum-Ex-Geschäften. Teil dieser Untersuchung ist auch die Rolle der niederländischen Bank ABN Amro. Im Februar 2020 kam es zu einer Großrazzia der Polizei in der Frankfurter Niederlassung der Bank. Die Kirchberg-Gruppe gehörte bis 2010 zur ABN Amro, bis 2016 bestand eine enge Zusammenarbeit. Auch an den Luxemburger Aktiengeschäften war die niederländische Bank beteiligt.
Steuerverwaltung verweigerte die Erstattung
Anfang 2014 investierte „Kirchberg Trading“ laut ihrem Jahresbericht knapp 388 Millionen Euro in Aktien von Luxemburger Unternehmen. Dazu zählten der Satellitenbetreiber SES, der Stahlkonzern ArcelorMittal und das Medienunternehmen RTL Group. Die Gesellschaft hielt ebenfalls Anteile am Stahlhersteller Aperam, doch das Unternehmen schüttete 2014 und 2015 keine Dividenden aus.
Laut den Angaben im Urteil standen dem Unternehmen 12,7 Millionen Euro an Dividenden aus diesem Portfolio zu. 2015 waren es 10,3 Millionen Euro – mit geschrumpftem Aktienpaket. Die Quellensteuer von 15 Prozent auf Kapitalerträge belief sich demnach für 2014 und 2015 auf knapp 3,5 Millionen Euro. Bei klassischen Cum-Ex-Geschäften ist die Erstattung der Quellensteuer das eigentliche Ziel.
In drei Anträgen forderte „Kirchberg Trading“ die Erstattung der Quellensteuer von der Steuerverwaltung. Im Prozess vor dem Verwaltungsgericht verwies die Anwältin der Firma auf das sogenannte „Schachtelprivileg“. Die Steuergesetzgebung sieht vor, dass im Fall einer „wesentlichen Beteiligung“ keine Steuern auf Kapitalerträge fällig sind. Dazu gibt es zwei Bedingungen: Die Beteiligung an einer Gesellschaft muss zehn Prozent ausmachen oder der Kaufpreis muss über 1,2 Millionen Euro betragen. Außerdem müssen die Anteile während zwölf Monaten ununterbrochen gehalten werden. Im Falle von Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen wird die Steuer auf Antrag erstattet.
Diese Zahlung verweigerte die Steuerverwaltung in mehreren Entscheidungen von 2017 und 2018. Die Behörde argumentierte, dass die von „Kirchberg Trading“ vorgelegten, maschinell erstellten „Tax vouchers“ kein ausreichender Beleg für den Erhalt der Dividenden seien. Außerdem fehle der Beleg durch eine Depotbank, dass die Gesellschaft die Aktien während einem Jahr ununterbrochen besaß. Die Aktiendepots würden zudem wesentlich schwanken.
Der Verdacht von Cum-Ex-Geschäften
Im Februar 2019 klagte „Kirchberg Trading“ vor dem Verwaltungsgericht gegen die Entscheidungen der Steuerverwaltung – bisher erfolglos. Als Grund nennen die Verwaltungsrichter unter anderen, dass die Steuerverwaltung „suspicions légitimes“ gegen die Kirchberg-Gruppe hege, weil Medien über deren Verwicklung in Cum-Ex-Geschäfte berichtet hatten. Die niederländische investigative Rechercheplattform „Follow the Money“ hatte 2018 die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln aufgedeckt. Reporter.lu hatte über die „Kirchberg-Gruppe“ erstmals im Juli 2019 berichtet.
Bisher gebe es allerdings in Luxemburg keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen „Kirchberg Trading“, stellt ein Justizsprecher auf Nachfrage von Reporter.lu fest.
Auffällig ist allerdings: Der Vorwurf, dass die Kirchberg-Gruppe dubiose Aktiendeals durchführe, kommt nicht nur von Behörden. ABN Amro kündigte im Januar 2016 die Zusammenarbeit als Clearingbank. Sie ermöglichte der vergleichsweise kleinen Finanzfirma erst den Aktienhandel im dreistelligen Millionenbereich. „Kirchberg Trading“ klagte in Amsterdam gegen diese Entscheidung.
Die niederländische Bank packte daraufhin schmutzige Wäsche aus: Aufgrund von Marktmissbrauch und Steuerhinterziehung lege die Kirchberg-Gruppe ein sozial unerwünschtes Verhalten an den Tag. Die Kirchberg-Gruppe argumentierte dagegen, dass sie lediglich „Ineffizienzen“ von Aktiengeschäften rund um das Datum der Dividendenauszahlung ausnutze. Das ist in vielen Fälle eine beschönigende Umschreibung von Cum-Ex-Geschäften.
ABN Amro finanzierte und half bei der Durchführung der Geschäfte mit den Aktien der SES, RTL Group und ArcelorMittal. Ein Teil der Finanzierung der Geschäfte kam von einem regulierten Luxemburger Investmentfonds, „Kirchberg Securities Finance Fund Sicav-SIF“. Das lässt sich aus den Jahresberichten von „Kirchberg Trading“ entnehmen.
Ein unmöglicher Nachweis?
Aus dem Luxemburger Urteil geht zudem hervor, dass „Kirchberg Trading“ einen komplexen Aktienhandel betrieb. Die Gesellschaft nutzte etwa Derivate und „verlieh“ die Luxemburger Aktien. Für letzteres Geschäft erhielt sie eine Kompensation. Aus Sicht der Richter ergab sich dadurch das Problem, dass Kirchberg Trading jederzeit der wirtschaftlich Berechtigte der Aktien war – also die Anteile sowohl juristisch als auch wirtschaftlich hielt.
Das birgt die Gefahr, dass die Steuerverwaltung die Quellensteuer für eine Aktie mehrmals zurückzahlt oder eine nie gezahlte Steuer erstattet. Dieses Schlupfloch nutzten die Drahtzieher von Cum-Ex-Geschäften europaweit aus. Die Konsequenz ist, dass der Gewinn dieser Deals dann aus den Staatskassen kommt.

„Kirchberg Trading“ verteidigte sich mit dem Argument, die von der Steuerverwaltung verlangten Belege für das Halten der Aktien seien bei „dematerialisierten“ (also elektronischen) Wertpapieren nicht möglich. Das Verlangen dieser Nachweise sei ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung in der Verfassung. Die Luxemburger Richter ließen das nicht gelten.
Die Risiken eines Steuerprivilegs
Hinter den Geschäften von „Kirchberg Trading“ verbirgt sich aber eine größere Geschichte. Denn eine Erstattung von Quellensteuern aufgrund des erweiterten „Schachtelprivilegs“ versuchten auch andere Firmen mit Verbindungen zu Cum-Ex-Drahtziehern zu erreichen. Mutmaßlich wollten sie mithilfe von Derivaten und Termingeschäften den Anschein erwecken, Millionen an Aktien Luxemburger Unternehmen zu halten. Anschließend forderten sie die Quellensteuer zurück. Ungeklärt ist, inwieweit sich die betroffenen Firmen damit im legalen Rahmen bewegten.
Reporter.lu fragte beim Finanzministerium nach, wie hoch das Risiko einzuschätzen sei, dass andere Firmen das „Schachtelprivileg“ ebenfalls nutzen könnten, ohne wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile zu sein. Das Ministerium analysiere aktuell diese Frage, antwortete ein Sprecher. Eine weitere Stellungnahme zum Urteil blieb aus.
Es gibt aber zahlreiche Hinweise, dass es weitere Fälle gab. Im Januar 2019 deckte Reporter.lu den mutmaßlichen Steuerbetrug des Briten Sanjay Shah auf. Drei seiner Firmen erhielten insgesamt knapp 10 Millionen Euro von der Luxemburger Steuerverwaltung als Erstattung von Quellensteuern. Auffällig ist, dass die drei Firmen in ihren Jahresberichten betonten, dass sie ihre Beteiligungen über 1,2 Millionen Euro während mindestens einem Jahr halten würden – ein klarer Verweis auf das „Schachtelprivileg“. Das Problem im Fall Shah ist, dass der Aktienhandel wahrscheinlich nur vorgetäuscht war.
Ein viel genutztes Schlupfloch
Einer von Sanjay Shahs Vertrauten investierte mit der Luxemburger Gesellschaft „Sequoia Capital sàrl“ laut dem Jahresbericht von 2012 in Aktien von SES und ArcelorMittal. Die Auflistung der Luxemburger Aktienportfolien sollte offenbar als Nachweis gegenüber der Steuerverwaltung dienen. Vor dem Verwaltungsgericht verwies „Kirchberg Trading“ auf ähnliche Angaben in ihren Jahresberichten.
„Sequoia Capital“ arbeitete ebenfalls mit Derivaten und Leihgeschäften. Ob die Steuerverwaltung die Quellensteuer in Höhe von knapp drei Millionen Euro zahlte, ist nicht nachvollziehbar, denn die Firma veröffentlichte keine weiteren Geschäftsberichte. Ihre Geschäfte waren aber offenbar auffällig, denn die Luxemburger Justiz ermittelt gegen „Sequoia Capital“. Das bestätigte ein Justizsprecher auf Nachfrage von Reporter.lu.
Ein weiteres Beispiel ist die Luxemburger Gesellschaft „Moa Trading sàrl“. Auch sie handelte zwischen 2013 und 2015 mit Aktien von SES und ArcelorMittal. Und auch in diesem Fall legte man im Jahresbericht Wert auf das langfristige Investment. 2013 verweist „Moa Trading“ auf eine Forderung über knapp 300.000 Euro gegenüber der Steuerverwaltung. Wie es damit weiterging, lässt sich aus den Informationen des Handelsregisters nicht erschließen. Zudem führt die Justiz zum aktuellen Zeitpunkt keine Ermittlungen gegen „Moa Trading“.
Das schwierige Fortis-Erbe
„Moa Trading“ deutet aber auf eine andere interessante Verbindung hin. Manager und Teilhaber der Firma ist der Niederländer Frank Vogel. Den „niederländischen Cum-Ex-König“ nannte ihn „Follow the Money“. Gegen Frank Vogel wird in Belgien, Dänemark und Deutschland ermittelt. Er begann seine Karriere bei der Fortis-Bank als Leiter der „Global Securities Lending & Arbitrage“-Abteilung (GSLA).
Bei GSLA arbeitete neben Frank Vogel auch Frank Hodyjas, der spätere Geschäftsführer und Teilhaber der Kirchberg-Gruppe. Hodyjas ist aktuell alleiniger Teilhaber von „KIC sàrl“, wie die „Kirchberg Trading“ seit Juni 2020 heißt. Vogel verließ Fortis, nachdem ein Whistleblower bereits 2005 vor Cum-Ex-Geschäften gewarnt hatte. Nach der Finanzkrise 2008 geriet Fortis in Schwierigkeiten und musste von den Niederlanden, Belgien und Luxemburg gerettet werden. Aus GSLA war „Global Securities Financing Group“ (GSFG) geworden, die Teil der ABN Amro wurde, den niederländischen Überresten von Fortis. Frank Hodyjas war laut seinem „Linkedin“-Profil „Managing Director“ der GSFG.
ABN Amro gründete 2008 „GSFG Financing Luxembourg“, die Keimzelle der späteren Kirchberg-Gruppe. 2010 übernahm Frank Hodyjas die Kontrolle durch ein Management-Buyout. ABN Amro ermöglichte bis zum Bruch mit der Gruppe 2016 aber weiter die Geschäfte. Die Bank versuchte sich 2018 von der Kirchberg-Gruppe zu distanzieren. Die Weiterführung der Zusammenarbeit erwähnte die Bank nicht, wie „Follow the Money“ hervorhob.
Juristische Nachhutgefechte
Inzwischen befindet sich die Kirchberg-Gruppe in Auflösung. Mehrere Gesellschaften fusionierten 2020 in KIC Sàrl. Der Kirchberg-Fonds ist in freiwilliger Liquidation und steht seit Dezember 2019 nicht mehr auf der offiziellen Liste der „Commission de Surveillance du Secteur Financier“ (CSSF).
Doch ganz hat Frank Hodyjas nicht aufgegeben. Das Urteil des Luxemburger Verwaltungsgerichtes will seine Firma offenbar anfechten. Das berichtet KPMG in einem „Tax Alert“. Ein Verfahren vor der „Cour administrative“ dauert allerdings erfahrungsgemäß mindestens ein Jahr. Auch die Klage der Kirchberg-Gruppe gegen ABN Amro wird wiederaufgenommen, entschied ein Gericht in Amsterdam im vergangenen Jahr.
Eine Anfrage bei den Anwälten von „Kirchberg Trading“ blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Für die Steuerverwaltung bietet das Urteil des Verwaltungsgerichts indes die Gelegenheit, andere vergleichbare Fälle aufzuarbeiten. Bisher weigerte sich das Finanzministerium eine mögliche Schadenssumme durch Cum-Ex-Geschäfte zu nennen. Das Steuergeheimnis verbiete das.
Reporter.lu recherchiert weiter zu den Verbindungen zwischen der Cum-Ex-Affäre und dem Luxemburger Finanzplatz. Wenn Sie Informationen zu diesen Geschäften haben, erreichen Sie unseren Reporter Laurent Schmit per E-Mail (öffentlicher Schlüssel) oder über den sicheren Messenger Threema (ID: XJ8W8WWK). Alle Hinweise unterliegen dem Quellenschutz.
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