Das Parlament will mehr direkte Demokratie wagen. So sieht es jedenfalls die Verfassungsreform mit dem Recht zur legislativen Volksinitiative vor. Das Instrument hat das Potenzial, die politische Partizipation der Bürger zu stärken. Es könnte aber auch das Gegenteil bewirken.

Man stelle sich vor: Eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern ergreift die Initiative und schreibt ein Gesetz, das im Parlament debattiert und verabschiedet wird. Bisher ist dieser Vorgang in Luxemburg eine Utopie bzw. laut der Verfassung schlicht nicht möglich. Das soll sich aber bald ändern, wenn es nach dem Willen einer breiten Mehrheit im Parlament geht.

Im Rahmen der Verfassungsreform soll nämlich das Initiativrecht für Gesetze auf das Volk ausgeweitet werden. Laut Artikel 67 der aktuell diskutierten Reformvorlage müsste sich das Parlament in einer öffentlichen Sitzung mit begründeten Vorschlägen zur Gesetzgebung befassen, die von mindestens 125 Wählern ausgearbeitet und von mindestens 12.500 Wählern unterstützt wurden. Bisher ist das Initiativrecht der Regierung und den Abgeordneten vorbehalten.

Was auf den ersten Blick wie eine Art Petitionsrecht klingt, geht in Wahrheit wesentlich darüber hinaus. Die neue Verfassung schafft nämlich mit dem „droit d’initiative législative“ ein ganz neues Recht. Anders als bei Petitionen beziehen sich die „propositions motivées aux fins de légiférer“ konkret auf die Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags, der nicht nur im Petitionsausschuss, sondern im regulären Plenum der Abgeordnetenkammer landen würde. Dem Volk bzw. einer Mindestanzahl von Bürgern soll so künftig das Recht zugestanden werden, sich aktiv an der Gesetzgebung zu beteiligen.

Hohe Hürden für direkte Demokratie

Erfüllt die Volksinitiative eine Reihe von Kriterien, soll sie den gleichen Rang wie eine „proposition de loi“ aus dem Parlament haben – mit Ausschussarbeit, Gutachten des Staatsrats, und allem was dazu gehört. Die Voraussetzung dafür ist allerdings nicht zu unterschätzen. Damit eine Gesetzesinitiative aus dem Volk es bis ins Parlament schafft, müssen ihr nämlich mindestens 12.500 Wählerinnen und Wähler zuvor zugestimmt haben. Das sind rund fünf Prozent der Wahlberechtigten bzw. halb so viele Menschen wie bisher für ein Referendum über eine Verfassungsreform erforderlich sind.

Wie die Prozedur genau ablaufen soll, steht noch nicht fest. Um die Einzelheiten auszuarbeiten, wurde aber der wissenschaftliche Dienst der Abgeordnetenkammer beauftragt. In dem Gutachten, das Reporter.lu vorliegt, wird bereits ein möglicher Gesetzentwurf zur Umsetzung der Maßnahme vorgelegt. Demnach soll die sogenannte legislative Volksinitiative in fünf Phasen ablaufen.

Zunächst kann ein in die Wählerlisten eingetragener Bürger einen Gesetzesvorschlag bei der Abgeordnetenkammer einreichen. Sofern der Parlamentsvorstand die Vorlage bewilligt, wird sie auf der Webseite des Parlaments veröffentlicht. Ab dann müssen sich mindestens 125 Wähler dort eintragen und ein „Comité de présentation“ bilden. Wird dieses erste Quorum erreicht, geht es um die Sammlung von mindestens 12.500 Eintragungen in das „Comité de soutien“. Die „Cellule scientifique“ des Parlaments schlägt dabei vor, dass die Teilnahme an der Initiative über ein online verfügbares Formular abgewickelt werden kann.

Wird auch diese Hürde genommen, müssen die Abgeordneten in öffentlicher Sitzung über die Gesetzesinitiative befinden. Wird sie mehrheitlich abgelehnt, gilt der Vorschlag als verworfen. Im Fall der Zustimmung einer Mehrheit der Abgeordneten würde die klassische Prozedur der Gesetzgebung beginnen. Die Vorlage könnte also an einen zuständigen Ausschuss überwiesen werden, Gutachten des Staatsrats und der Berufskammern würden beantragt. Erst dann können auch die Parlamentarier Änderungen an dem vorgeschlagenen Text vornehmen.

Defizite der repräsentativen Demokratie

Die Idee einer solchen Vorgehensweise ist nicht neu. Mehrere Staaten ermöglichen es ihren Bürgern bereits, über den Weg einer Volksinitiative unmittelbar an den politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Dabei geht es aber meistens um den Weg eines Referendums. In der Schweiz können so auf Bundesebene etwa Verfassungsänderungen, in manchen Kantonen auch die Änderung von Gesetzen beantragt und dem ganzen Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Die in Luxemburg geplante Regelung ist am ehesten mit der Volksinitiative in Spanien vergleichbar, wo mindestens 500.000 Staatsbürger dem Parlament einen Gesetzvorschlag unterbreiten können.

Afin d’inciter les citoyens à prendre une part plus active dans la vie politique entre deux échéances électorales, le Gouvernement élaborera un projet de loi réglant l’initiative populaire au niveau national.“Jean-Claude Juncker, Regierungserklärung von 1999

Auch im Großherzogtum ist es nicht das erste Mal, dass diese Maßnahme politisch diskutiert wird. Bereits 2003 brachte der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV) ein Gesetz über die „initiative populaire en matière législative et au référendum“ auf den Weg. Schon die damalige konservativ-liberale Koalition hatte sich dabei das Ziel einer „action conséquente“ für eine „société plus participative“ auf die Fahnen geschrieben. Das Konzept der „initiierenden Volksgesetzgebung“ sollte ein Grundpfeiler dieser Bemühungen sein.

In der Einleitung des damaligen Gesetzentwurfs war von einer Stärkung der partizipativen bzw. „semi-direkten“ Demokratie als „dritter Weg“ zwischen der repräsentativen und der direkten Demokratie die Rede. Die politischen Systeme des Westens würden unter einem generellen „Demokratiedefizit“ leiden, das durch eine stärkere Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen behoben werden könnte, so die Begründung. Die repräsentative Demokratie weise „Legitimationsprobleme“ auf, die vor allem durch die „Globalisierung“ und einen Trend zur Übertragung von Kompetenzen weg von den legitimierten Parlamenten und hin zu den spezialisierten Verwaltungen des Staates begründet seien.

Das ursprüngliche Projekt sah mit 10.000 Wählern, die eine Volksinitiative unterstützen müssten, niedrigere Hürden vor als der heutige Plan. Zudem war vorgesehen, dass mindestens 50.000 Wähler ein Referendum über eine solche legislative Initiative herbeiführen können. Das Gesetz wurde jedoch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken vom Staatsrat gestoppt. Weil er ausdrücklich in die exklusiven Befugnisse der Abgeordnetenkammer eingreife, sei der Gesetzesentwurf „verfassungswidrig“, so der Staatsrat in seinem Gutachten vom Oktober 2004.

Umstrittener „demokratischer Mehrwert“

Die Idee einer Gesetzesinitiative des Volkes wurde daraufhin verworfen. Erst mit den Arbeiten an der umfassenden, bis heute andauernden Verfassungsreform wurde das Projekt wieder spruchreif. Auch jetzt äußerte sich der Staatsrat aber kritisch gegenüber der Stärkung der partizipativen Demokratie. So fragen sich die Gesetzesprüfer in ihrem Gutachten zu diesem Teil der Verfassungsreform, worin der „demokratische Mehrwert“ der Gesetzesinitiative des Volkes bestehe und was sie von dem bereits existierenden Petitionsrecht unterscheide.

Die Autoren des Gutachtens des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments haben ihrerseits eine einfache Antwort darauf: Anders als bei einer Petition, die eher in allgemeiner Form auf ein gesellschaftliches Thema aufmerksam machen könne, verpflichtet eine Gesetzesinitiative des Volkes das Parlament dazu, eine „explizite Position“ zu einem ausformulierten Gesetzesvorschlag einzunehmen. Demnach sei dieses Instrument besser dazu in der Lage, konstruktive Verbesserungsvorschläge aus der Zivilgesellschaft in die parlamentarische Debatte einfließen zu lassen.

Auch die Parlamentarier selbst verstehen das Recht zur legislativen Initiative als „instrument novateur de démocratie directe“. Das neue Instrument ermögliche es den Bürgern, legislative Ideen auf eine „präzisere und verbindlichere Weise“ einzureichen, als dies bei Petitionen der Fall sei, heißt es in der Begründung der Verfassungsreform.

Ce nouvel outil permettra aux citoyens et à la société civile de soumettre des idées législatives de manière plus précise et contraignante que par la voie d’une simple pétition.“Begründung zur Vorlage der Verfassungsreform

Dennoch handelt es sich bei der geplanten Änderung der Verfassung nicht um einen direktdemokratischen Ansatz im Sinn der politischen Theorie. Indem es Gesetzesvorschläge des Volkes annehmen, ablehnen oder mithilfe von Änderungsanträgen anpassen kann, behalte das Parlament in jedem Fall die in der Verfassung verankerte Kontrolle über die Gesetzgebung, erklärt auch das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments. So liest sich denn auch der vorläufige Gesetzentwurf der „Cellule scientifique“, der wohlbemerkt nur einen Entwurf darstellt, der im Laufe der parlamentarischen Arbeiten noch wesentlich angepasst werden kann. Nachdem die Abgeordnetenkammer bisher über zwei Kapitel der Verfassungsreform abgestimmt hat, soll das Kapitel „La Chambre et le Conseil d’Etat“ erst als letztes verabschiedet werden.

Demokratisch-institutioneller Balanceakt

Die Idee einer Volksinitiative in der Gesetzgebung hat durchaus das Potenzial, der Luxemburger Demokratie einen partizipativeren Charakter zu verleihen. Allerdings gleicht das Vorhaben einem dauerhaften Balanceakt. Sollten sich die Hürden etwa als zu hoch angesetzt erweisen, wird es wohl kaum erfolgreiche Gesetzesinitiativen dieser Art geben. Wären sie jedoch zu niedrig, könnte aus dem partizipativen demokratischen Ansatz schnell ein Instrument werden, mit dem außerparlamentarische Gruppen – oder auch die Opposition mit Unterstützung ihrer Wählerschaft – die Volksvertretung dauerhaft unter Druck setzen könnten.

Letzteres ist jedoch kaum wahrscheinlich, denn die 12.500 Wählerinnen und Wähler, die zur Unterstützung nötig sind, können in Luxemburg an sich als große Herausforderung gelten. Zudem müssen die nötigen Unterstützer sich nicht zur Verhinderung einer kontroversen Maßnahme, wie etwa beim Referendum zur Verfassungsreform, sondern eben zur konstruktiven Vorlage eines Gesetzesvorschlags zusammenfinden. Interessant dürfte es dabei aber bei Themen werden, die in der Theorie durchaus zur Massenmobilisierung taugen könnten – zum Beispiel Vorschläge zur Lösung der Wohnungskrise oder andere Fragen der sozialen Gerechtigkeit.

Andererseits müssen die Reform und das entsprechende Gesetz erst einmal in Kraft treten. Und dann müsste die Praxis noch zeigen, ob die Gesetzesinitiativen aus dem Volk ein anderes Schicksal erfahren als die allermeisten bisher debattierten Petitionen. Letztere führen nämlich nur in den seltensten Fällen überhaupt dazu, dass sich die Abgeordneten daraufhin näher mit einem Thema befassen. Sollte das Parlament die Volksinitiativen am Ende nicht ernst nehmen oder sie wie Vorschläge der Oppositionsparteien nahezu allesamt verwerfen, könnte das potenziell partizipative Instrument am Ende sogar die Politikverdrossenheit fördern – und somit die eigentliche Intention ins Gegenteil verkehren.

Allerdings taugt auch ein formaler Aspekt zur kritischen Betrachtung dieses „instrument novateur de démocratie directe“, wie es die Parlamentarier selbst bezeichneten. Denn zum „Volk“, das sich künftig über diesen Weg direkter an der Politik beteiligen könnte, gehören ausdrücklich nur Bürgerinnen und Bürger, die in die Wählerlisten eingetragen sind. Mit den Nicht-Luxemburgern wäre also nahezu die Hälfte der Bevölkerung – ebenso wie bei der repräsentativen Demokratie – auch von der partizipativeren Variante ausgeschlossen.


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