Einer Luxemburger IT-Firma werden Verstöße gegen EU-Sanktionen vorgeworfen. Der Verdacht der russischen Unterwanderung steht im Raum und beschäftigt mittlerweile die Justiz. Besonders heikel: „G-Core“ hat auch die Telemedizin-Plattform der CNS entwickelt.

Dmitri Medwedew lacht – auf Kosten Luxemburgs. Ein Manager der IT-Firma „G-Core“ hatte sich ein Wortspiel erlaubt: Sie hätten eine Telemedizin-Plattform in Luxemburg „eingeführt“ – was im Russischen auch „unterwandert“ bedeuten kann. „Ich hoffe im Auftrag des Staates“, antwortet der Ex-Präsident Russlands und lacht nochmals.

Dieses Video verschwand von Youtube, als das Recherchezentrum „Correctiv“ und die Zeitung „Taz“ das Luxemburger Unternehmen G-Core damit konfrontierten. Reporter.lu liegt das Video vor.

Es geht darin um ein für Luxemburg sensibles Projekt. Der Eindruck entsteht, dass russische Behörden durch eine Hintertür Zugriff auf Luxemburger Patientendaten haben könnten. Die Recherche von „Correctiv“ und „Taz“ sorgen seit Freitag für Aufregung bei den Luxemburger Behörden. Die zuständige Agentur „eSanté“ dementiert jedoch auf Nachfrage von Reporter.lu, dass Dritte Zugang zu den sensiblen Daten erhalten könnten.

Erhöhte Sicherheitsstandards

Die Geschichte von G-Core mit Sitz in Contern ist symptomatisch für die Luxemburger Haltung gegenüber Russland. Die Zusammenarbeit mit dem russischen „Silicon Valley“ wurde von der hiesigen Politik aktiv gefördert. Dass eine Firma mit engen Verbindungen nach Moskau im Gesundheitsbereich einen Auftrag erhält, scheint im Rückblick also nicht ungewöhnlich.

Die Risiken waren jedenfalls nicht allen Beteiligten von Anfang an klar. Die Gesundheitskasse CNS führte im März 2020 die Videosprechstunde ein – kurz nach dem Beginn der Covid-Pandemie. Verantwortlich für das Projekt war die staatliche Agentur eSanté. Ende 2020 übernahm das Luxemburger Unternehmen „Wagner ICT“ den Auftrag. „Die Agentur eSanté hat keine Verbindung zu G-Core. Es handelt sich um einen Subunternehmer der Wagner-Gruppe“, betont eSanté-Generaldirektor Hervé Barge im Interview mit Reporter.lu.

Es besteht immer die Gefahr von großen Ohren, wenn Drittstaaten im Spiel sind.“eSanté-Generaldirektor Hervé Barge

Erst 2021 habe die Wagner-Gruppe ihren Auftraggeber informiert, dass G-Core mit an „eConsult“ arbeite. Hintergrund war ein Presseartikel, der die Verbindungen von G-Core nach Belarus offenlegte. Dem „Registre des Bénéficiaires Effectifs“ (RBE) nach gehören die drei von G-Core in Luxemburg angesiedelten Firmen zwei Männern aus Belarus – allerdings mit zypriotischem Pass. Den größten Anteil besitzt Victor Kislyi, einer der ersten Milliardäre aus der Online-Gaming-Branche. 1998 gründete er in Minsk den Onlinespiele-Hersteller „Wargaming“, der mit Kriegsspielen wie „World of Tanks“, sehr erfolgreich wurde. Die weiteren Anteile hält Nikolay Katselapov, der Chef-Entwickler von Wargaming.

„Es besteht immer die Gefahr von großen Ohren, wenn Drittstaaten im Spiel sind – sei es Weißrussland oder die USA“, betont Generaldirektor Hervé Barge. Deshalb habe sich eSanté bereits 2021 von der Wagner-Gruppe versichern lassen, dass G-Core keinen Zugriff auf Patientendaten habe. Die Sicherheitsstandards seien inzwischen nochmals erhöht worden. Innerhalb der Zusammenarbeit zwischen der Wagner-Gruppe und G-Core war es die Letztere, die eine bereits zuvor entwickelte Videoplattform mit einbrachte. So stellt es G-Core auf seiner Webseite zumindest dar.

Das von G-Core entwickelte Video-Softwaremodul habe ein tiefgreifendes Sicherheitsaudit durchlaufen. Der erste Auftragnehmer im März 2020 habe diese Überprüfung nicht überstanden und deshalb sei das belgische Unternehmen durch die Wagner-Gruppe ersetzt worden, erklärt Hervé Barge.

Eine russisch finanzierte Start-up

G-Core setzt bewusst auf das Geschäftsfeld der Telemedizin. Die Holding des Unternehmens gründete zusammen mit der Luxemburger Wagner-Gruppe im Juli 2021 das Joint-Venture „Inno Barn Sàrl“. Gesellschaftszweck ist die Entwicklung einer Kommunikationsplattform für Krankenhäuser und Arztpraxen, aber auch für Anwälte und Notare weltweit. Einen Jahresbericht hat die Gesellschaft aber seitdem nicht mehr vorgelegt. Auf seiner Webseite wirbt Inno Barn jedoch mit dem Erfolg von eConsult. Mit Inno Barn unterhalte eSanté keine Geschäftsbeziehung, erklärt der Generaldirektor Hervé Barge.

G-Core äußerte sich auf Nachfrage von Reporter.lu nicht zu den Aussagen seines früheren Russland-Chefs Michael Shurygin. Die Frage, ob dies die Zusammenarbeit mit der Agentur eSanté gefährde, beantwortete das Unternehmen nicht. Die Wagner-Gruppe ließ eine Anfrage von Reporter.lu ebenfalls unbeantwortet.

G-Core Büros
G-Core beschäftigt 500 Mitarbeiter weltweit, davon knapp ein Dutzend am Hauptsitz in der Industriezone von Contern. (Foto: Mike Zenari)

Einen Hehl aus den russischen Verbindungen macht das Unternehmen dagegen nicht. Der G-Core-Geschäftsführer sprach im Interview mit „Luxinnovation“ über das russische Start-up-Programm, an dem das Unternehmen teilnahm – finanziert von der „Skolkovo“-Stiftung. In seiner Amtszeit als russischer Präsident wollte Dmitri Medwedew Moskau zum Tech-Standort machen. Die Skolkovo-Stiftung finanzierte russische Start-ups und bot im Skolkovo-Innovationszentrum Büros für die IT-Firmen.

G-Core war ab 2019 Teil dieses Programms. 2021 stellten die Start-ups ihre Fortschritte dem Verwaltungsrat der Skolkovo-Stiftung vor. Das war das Meeting, in dem der Russland-Chef von G-Core mit Medwedew über die Unterwanderung Luxemburgs scherzte.

Unter Kontrolle des Kremls

G-Core habe das Skolkovo-Büro genutzt, um die Geschäfte in Russland zu entwickeln und IT-Talente zu entdecken, sagte der Geschäftsführer Andre Reitenbach im Interview mit „Luxinnovation“. Der Clou: Die staatliche Agentur Luxinnovation hatte selbst mit der Skolkovo-Stiftung im Februar 2018 eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit abgeschlossen. Unterzeichnet wurde das „Memorandum of Understanding“ anlässlich eines Besuchs des damaligen Wirtschaftsministers Etienne Schneider (LSAP) in Moskau. Eine konkrete Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Stiftung habe es nach der Unterzeichnung nicht gegeben und seit 2020 bestehe kein Kontakt mehr, erklärt Luxinnovation auf Nachfrage.

Wir weisen kategorisch zurück, in die Unterstützung russischer Propaganda involviert zu sein.“G-Core

Bereits 2014 warnte das FBI das US-Forschungszentrum MIT vor einer Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Stiftung, berichtete die „Washington Post“. Im August 2022 setzte die US-Regierung die Skolkovo-Stiftung auf ihre Sanktionsliste. Der Grund: Die Stiftung helfe der russischen Führung, den Technologiesektor und die Waffenindustrie auszubauen.

2020 wurde der Oligarch Igor Shuvalov Präsident der Skolkovo-Stiftung. Er steht an der Spitze der staatlich kontrollierten „VEB“-Bank und ist deshalb auch von der EU sanktioniert. Ein Privatjet von Shuvalov war in Luxemburg registriert.

Verbreitung von „Russia Today“ ermöglicht

Der Russland-Chef von G-Core bot Dmitri Medwedew indirekt die Zusammenarbeit mit den russischen Sicherheitsbehörden an – so interpretierten es zumindest „Correctiv“ und „Taz“. In diesem Zusammenhang erhält auch der Nachweis, dass G-Core über eine deutsche Tochter die Verbreitung des in der EU verbotenen Senders „Russia Today“ ermöglicht habe, eine andere Bedeutung.

G-Core erlaube es „Russia Today“, seine Propagandavideos weiter über das Internet zu verbreiten und somit die EU-Sanktionen zu umgehen, so die deutschen Journalisten. Im Spiel sei dabei das „Content Delivery Network“ (CDN), das die Verteilung von Onlineinhalten vereinfacht. In einer Stellungnahme an Reporter.lu weist G-Core die Vorwürfe zurück.

„Wir weisen kategorisch zurück, in die Unterstützung russischer Propaganda involviert zu sein. Russia Today war nie Kunde von G-Core“, heißt es in einer E-Mail. Die Presseberichte würden von einem fundamentalen Missverständnis der Dienste von G-Core zeugen. Das Unternehmen habe nicht die Möglichkeit, die Daten zu prüfen, die durch das CDN-Netzwerk fließen. Das laufe automatisiert und in Sekundenschnelle ab. „Luxembourg Times“ hatte am Montag über die Reaktion der IT-Firma berichtet.

Russische Verbindungen bleiben

Das „Service des médias“ (SMC) des Staatsministeriums nimmt die Vorwürfe allerdings ernst. Man habe die Informationen zur Kenntnis genommen, aktuell würden sie technisch analysiert und überprüft, heißt es. Die staatliche Verwaltung hat die besagten Presseartikel an die Luxemburger Staatsanwaltschaft weitergeleitet, da sie auf eventuelle Straftaten hindeuteten, so ein Sprecher des SMC auf Nachfrage von Reporter.lu.

G-Core betont in seiner Stellungnahme, sich im März 2022 aus Russland zurückgezogen zu haben. Über die 2014 in Luxemburg gegründete G-Core Holding hielt das Unternehmen Beteiligungen an russischen und belarussischen Unternehmen – darunter „G-Core Rus“ (jetzt „Edgecenter“), dessen Direktor im Video mit Ex-Präsident Medwedew zu sehen ist.

Im am Montag im Handelsregister veröffentlichten Jahresbericht der Holding für 2021 gibt es Details zum Verkauf der russischen Tochterfirmen. Die Verkaufsoption für knapp über elf Millionen Euro von März 2022 wurde allerdings erst im Dezember 2022 realisiert. Trotz alledem sind nicht alle Beziehungen zu Russland und Weißrussland gekappt. Dem letzten Jahresbericht aus dem Handelsregister zufolge standen 2021 noch Kredite aus den ehemaligen Tochter-Unternehmen offen.


Anmerkung der Redaktion: Die Position der Agentur Luxinnovation zur Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Stiftung wurde ergänzt.


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