In der Affäre um die mutmaßliche Veruntreuung von fünf Millionen Euro in Hesperingen kommt es zum Prozess. Im Januar müssen sich zwei ehemalige Gemeindebeamte und ein Unternehmer vor Gericht verantworten. Die „Akte Hesperingen“ birgt auch politischen Sprengstoff.

Teure Geschenke, Luxusreisen, schnelle Autos: Viele Jahre lebte Claude G. in Saus und Braus. Die Frage, wie ein einfacher Gemeindebeamter sich das alles leisten kann, wurde ihm von Arbeitskollegen oft gestellt. Seine Autos wechselten ständig, seine Ausreden auch. Über zwei Jahrzehnte flog sein Doppelleben nicht auf. Doch dann kam der große Knall.

Als die Affäre ans Licht kam, war die Aufregung in Hesperingen groß. Im Juli 2019 erstattete der Schöffenrat der Gemeinde Anzeige gegen Unbekannt, auch die Summe der veruntreuten Gelder wurde noch nicht beziffert. Erst nach und nach wurden die Ausmaße der mutmaßlichen Veruntreuung klar: Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen drei Verdächtige, darunter zwei mittlerweile suspendierte Gemeindebeamte, und beschlagnahmte Vermögenswerte in Höhe von knapp fünf Millionen Euro.

Laut Informationen von Reporter.lu ist die Untersuchung der Justiz mittlerweile abgeschlossen. Am 18. Januar soll es demnach zum Prozess gegen die zwei ehemaligen Beamten Claude G. und Jean-Paul F. sowie den lokalen Unternehmer Jeannot D. kommen. Dies bestätigte ein Sprecher der Luxemburger Justiz auf Nachfrage von Reporter.lu. Die Anklageliste ist lang: Den Beschuldigten wird unter anderem Fälschung, Verwendung von Fälschungen, Betrug, Geldwäsche und Veruntreuung von öffentlichen Geldern vorgeworfen.

Das Verfahren birgt besondere Brisanz – und das nicht nur, weil es sich um einen der größten mutmaßlichen Korruptionsfälle in Luxemburgs jüngerer Vergangenheit handelt. Auch politisch steht viel auf dem Spiel. Denn der Skandal deutet nicht nur auf eine umfassende Betrugsmasche hin. Es geht auch um jahrzehntelange Versäumnisse bei der Führung und Finanzkontrolle der siebtgrößten Gemeinde des Landes. Zu klären ist nicht nur die Schuld der Angeklagten, sondern auch, wie und warum der millionenschwere Bluff so lange niemandem auffiel.

Audit stellt Schwachstellen fest

Der 12. Juni 2019 war der „Tag, an dem alles auffliegt“. So zitiert ein Zeuge Claude G. im Laufe des Disziplinarverfahrens gegen den Hauptbeschuldigten, über dessen Hintergründe vor rund zwei Jahren bereits das „Tageblatt“ berichtete. Gegenüber dem Regierungskommissar legte der frühere Gemeindebeamte ein umfassendes Geständnis ab. „Am Ende habe ich die Kontrolle verloren und das System zu meinen eigenen Gunsten genutzt“, so Claude G. laut dem Bericht des zuständigen Regierungskommissars, der Reporter.lu vorliegt.

Claude G. sagte im Disziplinarverfahren aus, dass er die treibende Kraft hinter den Transaktionen gewesen sei. Der zweite Angeklagte, Jean-Paul F., sei erst später als Komplize hinzugestoßen. Beide wurden mittlerweile vom Öffentlichen Dienst suspendiert. Claude G. sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Anhand von Zeugenaussagen, die im Untersuchungsbericht auftauchen, lässt sich der Skandal im Detail nachvollziehen. Demnach wurden zwei Scheinfirmen benutzt, die der Gemeinde Rechnungen für fiktive Dienstleistungen ausstellten und über die das Geld immer wieder bei den Beschuldigten landete.

Weitere Brisanz enthält allerdings ein Audit der Wirtschafsprüfer von „PricewaterhouseCoopers“ (PwC), das vom Schöffenrat der Gemeinde in Auftrag gegeben wurde. Dem Gemeinderat wurde im Januar 2020 lediglich eine Zusammenfassung präsentiert. Der gesamte Prüfungsbericht wurde der Öffentlichkeit bisher vorenthalten.

Ich hatte ein schönes Leben und jetzt habe ich verloren. Das war das Risiko, das ich eingegangen bin.“Claude G., Angeklagter und Ex-Gemeindebeamter

Das Audit von PwC, das Reporter.lu einsehen konnte, listet eine Reihe von erheblichen Unregelmäßigkeiten auf. Der Bericht attestiert der Hesperinger Gemeindeführung gleich in mehreren Bereichen einen leichtfertigen Umgang mit den kommunalen Finanzen. Zwar hätten die Verantwortlichen seit der Entdeckung des Veruntreuungsskandals Maßnahmen getroffen, um das Betrugsrisiko zu senken. Doch es würden immer noch Schwachstellen bestehen. So sei etwa die Manipulation von Unterschriften oder Bankdaten weiterhin möglich und die internen Kontrollmechanismen seien nicht ausreichend, so die Rechnungsprüfer in ihrem Fazit.

Laut dem Auftrag des Schöffenrats sollten die Prüfer von PwC vor allem Verbesserungsvorschläge ausarbeiten. Dazu durchleuchteten sie stichprobenartig die Buchführung der Gemeinde. Von 50 untersuchten Dossiers aus dem Jahr 2019 wiesen demnach 16 Unregelmäßigkeiten auf. Ein Teil der Rechnungen habe einen ungenauen oder gar keinen Betreff gehabt. Der Rechnungszweck sei demnach nicht nachzuvollziehen. Zudem fehlte laut dem Audit in manchen Fällen die Originalrechnung oder Belege lagen nur als „Word“-Dokument und ohne Signatur vor.

Ein Skandal, der zufällig aufflog

Dies sind jedoch nur die offensichtlichsten Beispiele aus dem PwC-Bericht, die auf ein strukturelles Problem in der Finanzführung der Gemeinde hindeuten. Es waren genau diese Lücken in der Buchhaltung, die bei der jahrelangen mutmaßlichen Veruntreuung konsequent ausgenutzt wurden. Auch die beiden beschuldigten Beamten sollen laut späteren Nachforschungen ungenaue Beschreibungen genutzt haben, um ihre Spuren zu verwischen. Am Ende flogen sie zudem nicht durch eine proaktive Kontrolle, sondern nur durch einen Zufall auf.

Im Februar 2019 erklärte die Versicherungsgesellschaft der Gemeinde, dass sie eine Zahlung von rund 2.000 Euro bewilligt habe. Als am 17. April einem Beamten der „Recette communale“ auffiel, dass die Überweisung noch immer nicht erfolgt war, erkundigte er sich beim Versicherungsunternehmen. Tatsächlich war der Betrag bereits überwiesen worden, allerdings nicht auf das Konto der Gemeinde. Was ursprünglich als Missverständnis gewertet wurde, entpuppte sich schnell als der Stein, der den ganzen Skandal ins Rollen brachte.

Anhaltendes Betrugsrisiko: Bei der Aufarbeitung der Affäre geht es auch um die Frage, inwiefern Schwachstellen in der Finanzführung der Gemeinde die mutmaßliche Veruntreuung möglich machten. (Foto: Mike Zenari)

Das Konto, auf das die Versicherung die Gelder überwiesen hatte, stimmte nämlich mit den Konten von zwei weiteren Dienstleistern in der Datenbank der Gemeinde überein. Erst jetzt dämmerte es den zuständigen Beamten in der Gemeindeverwaltung, dass es sich nicht um einen flüchtigen Fehler handeln könne. Bei Nachforschungen stellte sich heraus: Bereits im Oktober 2012 hatte Claude G. die falsche Kontonummer bei der Versicherung hinterlegt. Dadurch wurden über sieben Jahre vermutlich mehr als 36.000 Euro auf das falsche Konto überwiesen.

Fest steht heute: Im Verhältnis zum eigentlichen Ausmaß des Skandals waren dies noch läppische Summen. Wie der Leiter des „Service financier“ der Gemeinde Hesperingen im Rahmen des Disziplinarverfahrens gegen Claude G. aussagte, habe er bei seinen Nachforschungen ungefähr 200 zweifelhafte Rechnungen gefunden, die seit dem Jahr 2000 zu Lasten der Gemeinde gingen – für eine Gesamtsumme von 3.193.877,11 Euro. Im Laufe der Ermittlungen der Justiz wurden zudem Immobilienwerte beschlagnahmt, die im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Veruntreuung stehen sollen. In der Summe beziffert die Staatsanwaltschaft die Ausbeute so auf fast fünf Millionen Euro.

Am 12. Juni 2019 konfrontierte der Abteilungsleiter den Angeklagten Claude G., der eigentlich für den Kontakt mit der Versicherung zuständig war, mit den Geschehnissen. Der Beschuldigte versuchte die Sache nicht lange zu leugnen. „Ich hatte ein schönes Leben (…) und jetzt habe ich verloren. Das war das Risiko, das ich eingegangen bin“, sagte Claude G. laut dem Bericht des Regierungskommissars im Disziplinarverfahren aus.

Ein verblüffend simples System

Um die Gemeinde – und damit letztlich die Steuerzahler – um Millionen Euro zu bringen, waren die Gelder der Versicherung aber überhaupt nicht nötig. Die beiden Verdächtigen waren nämlich jahrelang für die Verwaltung von einigen Budgetartikeln in der Gemeinde zuständig. Über diesen Weg konnten sie laut dem Geständnis von Claude G. offenbar problemlos gefälschte Rechnungen bezahlen, ohne bei der restlichen Verwaltung auch nur den Hauch des Verdachts zu erwecken.

Das Herz der Transaktionen waren zwei Scheinunternehmen mit den Namen „SI-COH“ und „ARLUX“. Ersteres sollte für „Syndicat d’Initiative de la commune de Hesperange“ stehen. Eine Bezeichnung, die nicht zufällig an das existierende „Syndicat d’Initiative et du Tourisme de la commune de Hesperange“ erinnert. Das echte „Syndicat d’Initiative“ verwaltet den Campingplatz in Alzingen beim „Hesper Park“, unweit des Rathauses. Der Clou: Der Schatzmeister dieses Syndikats war ebenfalls ein gewisser Claude G.

Es war eine ganz perfide Masche, das System auszutricksen, für das man selbst verantwortlich ist.“
Marc Lies, Bürgermeister von Hesperingen

Für die Instandhaltung des Campings ist größtenteils die Gemeinde zuständig. Das erlaubte es Claude G., im Namen des Vereins Rechnungen auszustellen für Arbeiten, die auf dem Campingplatz anfielen. Eigentlich sollte der Beamte das Bankkonto des echten Syndikats bei der Post im Jahr 2005 schließen und ein neues bei der „Spuerkeess“ aufmachen. Stattdessen ließ er das alte Konto offen und nutzte es für die Scheinfirma „SI-COH“. Da die „Académie Européenne des Arts Grand-Duché de Luxembourg“ jahrelang inaktiv war, konnte er anfangs auch dieses Konto für die Scheinfirma „ARLUX“ nutzen. In den letzten Jahren sind die meisten Transaktionen jedoch über das ehemalige Konto des Gemeindesyndikats gelaufen.

Beide Organisationen existierten also nicht, nur ihre Kontoverbindungen wurden weiter genutzt. Das System war verblüffend simpel: Claude G. stellte der Gemeinde Rechnungen im Namen von „SI-COH“ oder „ARLUX“ mit demselben Empfängerkonto aus. Als Beamter konnte er diese im Namen der Gemeinde bezahlen. Immer wieder.

„Es war eine ganz perfide Masche, das System auszutricksen, für das man selbst verantwortlich ist“, beschreibt Bürgermeister Marc Lies (CSV) die Vorgehensweise im Interview mit Reporter.lu. Offenkundig reichten die internen Kontrollregeln der Gemeinde nicht aus. Im Gegenteil: Die lückenhaften Prozeduren der Finanzführung im Hesperinger Rathaus ermöglichten, dass die „perfide Masche“ der Angeklagten über zwei Jahrzehnte andauern konnte.

Die Suche nach einem Komplizen

Im Laufe der Jahre musste Claude G. sein System allerdings anpassen. Als Bürgermeister hatte Marc Lies im Jahr 2009 die Buchhaltung der Gemeinde reformiert. Es sei eine seiner ersten Handlungen gewesen, als er das Amt übernahm, so der CSV-Politiker gegenüber Reporter.lu. Einen der Gründe dafür lieferte ein gewisser Claude G. rund vier Jahre zuvor, als Marc Lies als Schöffe für das Budget der Gemeinde verantwortlich war. Der Beamte habe sich nicht an seine Anweisungen gehalten, erzählt der seit 2009 amtierende Bürgermeister im Rückblick. „Das Budget stimmte nie mit dem überein, was vorher beschlossen worden war“, sagt Marc Lies.

Er habe aber nicht geahnt, was der wahre Grund für diese Auffälligkeiten sei, so der Bürgermeister und Abgeordnete der CSV weiter. Laut Marc Lies wurde 2009 zusätzlich eine analytische Buchführung eingeführt und jede Ausgabe von mehr als 5.000 Euro musste fortan von einem Schöffen bewilligt werden. Im Zuge dieser Reformen verlor Claude G. seine Zuständigkeit für einen Teil des Budgets. Während der drei folgenden Jahre kehrte somit Ruhe ein.

Ein simples System mit massiven Folgen: Die beiden Ex-Beamten der Kommunalverwaltung in Hesperingen nutzten ihre Befugnisse, um die Scheinrechnungen selbst im Namen der Gemeinde zu begleichen. (Foto: Mike Zenari)

Erst 2012 flossen wieder Gelder an „SI-COH“ und „ARLUX“. Ermöglicht wurde dies durch Jean-Paul F., ebenfalls Beamter der Gemeinde Hesperingen. Laut eigenen Angaben im Zuge des Disziplinarverfahrens klärte Claude G. seinen Arbeitskollegen Jean-Paul F. über sein System auf und machte den Beamten zu seinem Komplizen. Jean-Paul F. war im „Service technique“ beschäftigt und verwaltete somit einen Teil des Budgets der Gemeinde. Um nicht aufzufliegen, stellten sie nur drei Rechnungen über 5.000 Euro aus. Diese wurden alle als dringlich behandelt und konnten so ohne Einverständnis der politisch Verantwortlichen ausgezahlt werden.

Wenn man dem Hauptangeklagten glauben darf, war er aber nicht der Erfinder der Masche. „Bereits zur Zeit von Herrn Fons Theis gab es Missstände“, erklärte Claude G. nämlich in seinem Geständnis. Gemeint ist damit Alphonse Theis, der von 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 1999 Bürgermeister von Hesperingen war. Damals wollte der Beamte noch Ausschreibungen manipuliert haben. Ein wesentlicher Teil der Missstände fällt jedoch in die Amtszeit von Bürgermeisterin Marie-Thérèse Gantenbein (CSV) von 1999 bis 2009.

Auch wenn er die Vorwürfe gegen ihn nicht bestreitet, war Claude G. aber nicht alleiniger Nutznießer des von ihm aufgebauten Systems. Mehrere Unternehmen und Geschäftsleute seien laut dem Hauptangeklagten involviert gewesen. Lediglich ein Unternehmer sitzt allerdings mit ihm auf der Anklagebank. Jeannot D. soll laut den Ermittlungen 15.000 Euro veruntreut haben. Diesen Betrag hat er bereits zuzüglich Zinsen an die Gemeinde zurückgezahlt.

Auswüchse, die aufhorchen lassen (könnten)

Wie konnte ein Beamter mit mindestens einem Komplizen in der Gemeinde in mehr als 20 Jahren über fünf Millionen Euro veruntreuen, ohne dass es jemandem aufgefallen sein soll? So trickreich und perfide, wie Bürgermeister Marc Lies die Masche im Gespräch mit Reporter.lu beschreibt, war sie eigentlich nicht. Vielmehr zeigen die Untersuchungen des Regierungskommissars sowie das Audit von PwC, dass es viele Indizien für mangelhafte Kontrollen und damit mögliches Fehlverhalten gab.

Ein besonders auffälliges Beispiel betrifft die Bestellung eines sogenannten Rasengitters für den Campingplatz in Alzingen. Bereits 2010 haben die beiden Beamten eine entsprechende Bestellung getätigt. Da viel zu viel Rasengitter gekauft wurde, sorgte dies im Ort für Aufregung. Laut einem Zeugen blieb die Gemeinde auf dem restlichen Material sitzen. Acht Jahre später tauchten jedoch wieder Rechnungen für großflächige Rasengitter auf. In dem Jahr wurde allerdings gar kein neues Rasengitter auf dem Campingplatz verlegt.

Mehr noch: Eine Rechnung wurde im Name von „SI-COH“ ausgestellt, eine zweite von „ARLUX“. Auch hier stimmten die Kontonummern laut den Ermittlungen überein. Warum ein Kunstförderungsverein Rasengitter für einen Campingplatz liefern sollte, hätte also irgendjemandem im Rathaus auffallen können.

Für den Campingplatz „Bon Accueil“ in Alzingen ist ein Gemeindesyndikat zuständig. Im System von Claude G. spielte eine Scheinfirma mit ähnlichem abgekürzten Namen eine entscheidende Rolle. (Foto: Mike Zenari)

Bei den Untersuchungen ist zusätzlich aufgefallen, dass ein großer Teil der Scheinrechnungen gegen Ende des Jahres ausgestellt wurde. Offenbar mit dem Ziel, das im Budget noch vorhandene Geld kurz vor Jahresschluss aufzubrauchen, was nicht nur in Gemeinden, sondern auch in anderen staatlichen Verwaltungen eine gängige Praxis ist. Am Ende bezahlte die Gemeinde so über drei Millionen Euro für Dienstleistungen, die nie erbracht wurden. Im Rückblick will jedoch niemand – weder im Schöffen- und Gemeinderat noch in der Verwaltung – etwas von der Praxis geahnt haben.

Aufgrund des gesetzlich verankerten Vier-Augen-Prinzips sollte es zu solchen Missständen nicht kommen.“Innenministerium

Auch der Finanzabteilung der Post, die lange das Bankkonto der Scheinfirmen verwaltete, sind trotz der mehrfachen Zahlungen mit unterschiedlichen Empfängern keine Fehler in ihrem System aufgefallen. Auf Nachfrage von Reporter.lu heißt es dazu nur: Die Maßnahmen, die man gegen Geldwäsche unternehme, seien „effizient und angemessen“. Man könne aber nicht mehr Details preisgeben, „um ihre Wirksamkeit nicht zu gefährden“, so die Presseabteilung von „Post Luxembourg“.

„Aufgrund des gesetzlich verankerten Vier-Augen-Prinzips sollte es zu solchen Missständen nicht kommen“, heißt es auch vom Innenministerium auf Nachfrage von Reporter.lu. Aus den Missständen in Hesperingen will das Ministerium von Taina Bofferding (LSAP) allerdings erst nach dem Prozess Konsequenzen ziehen. „Erst durch das Urteil wird klar sein, was konkret schiefgelaufen ist und ob Anpassungen nötig sind“, so die Pressestelle des Ministeriums. Eine Reform der Gemeindefinanzen sei ohnehin geplant.

Mehr Kontrolle, neue Spielregeln

Die Gemeinde Hesperingen ist dieser Reform zum Teil zuvorgekommen. Manche gemeindeinternen Prozesse wurden mittlerweile angepasst. Im Gemeindeblatt „de Buet“ erklärte der Schöffenrat Ende 2019 etwa, dass nur noch Beamte der Finanzabteilung neue Zulieferer im System eintragen können. Dafür mussten auch Anpassungen in der Software „Gescom“ des Gemeindesyndikats „SIGI“ unternommen werden. Die Empfehlungen des PwC-Audits bezogen sich zum Teil auf die Software jenes interkommunalen Syndikats, das für die meisten Informatiklösungen der Gemeinden zuständig ist.

Demnach schlug PwC etwa vor, eine Fehlermeldung einzuführen, wenn bei der Bezahlung mehrere Felder mit einer älteren Rechnung übereinstimmen. Dies ist bei der digitalen Bankkontoführung längst üblich. Laut Marc Lies hat die Gemeinde im Februar 2020 gemeinsam mit dem SIGI an mehreren Anpassungen gearbeitet. Dabei wurden auch die Rechte der Nutzer überprüft, um zu verhindern, dass unbefugte Beamte Änderungen im Rechnungssystem vornehmen könnten.

Eigentlich dürfte es solche Fälle nicht geben. Unser Gehalt ist gut genug, um genau so etwas zu verhindern.“Marco Thomé, Gewerkschaft der Kommunalbeamten

Die Auditfirma schlug auch vor, eine Änderung der Kontonummern von den Dienstleistern der Gemeinde nur gegen Vorlage der Bescheinigung einer Bankverbindung vorzunehmen. Für neue Unternehmen, mit denen gearbeitet wird, könnte die Gemeinde zusätzlich einen Auszug aus dem Handelsregister in ihrer Datenbank einfügen. Das PwC-Audit regte auch regelmäßig stichprobenartige Kontrollen der bestehenden Dienstleister und bezahlter Rechnungen an.

„Das machen wir jetzt auch alle drei bis sechs Monate“, sagt Marc Lies auf Nachfrage von Reporter.lu. Neue Verdachtsfälle seien bei den jüngsten Kontrollen aber nicht aufgetreten. Auch neue Bestellungen würden nun stärker überprüft. Dort gelte fortan „das Prinzip von vier bis sechs Augen“, so der Bürgermeister. Die Gemeinde habe demnach versucht, den Empfehlungen Punkt für Punkt Rechnung zu tragen. Seitdem würden sich alle Beteiligten an die neuen Spielregeln halten, heißt es.

Die Frage der Verantwortung

Dabei hatte die Politik bereits zuvor die Regeln angepasst. Als Marc Lies 2009 das Bürgermeisteramt übernahm, kam es bereits zu Änderungen. Im Vergleich zu den Vorjahren hatte das Ausmaß der veruntreuten Gelder unter Marc Lies auch deutlich abgenommen. Der Bürgermeister sieht die Schuld aber auch nicht bei seinen Vorgängern, sondern spricht die Politik quasi komplett frei. „Das Erstellen eines Budgets und dessen Kontrolle ist die Aufgabe der Politik. Da sie sich jedoch an die Regeln der öffentlichen Ausschreibung hielten, konnte das nicht auffallen. Es ist eine komplexe und, ehrlich gesagt, ekelhafte Angelegenheit“, so Marc Lies weiter.

Die Beamten hätten das Vertrauen der Politiker ausgenutzt, um sich unbemerkt aus der Gemeindekasse zu bedienen, lautet die Lesart des Skandals aus Sicht der politisch Verantwortlichen. Diese Vertrauensbasis ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Gemeindeverantwortlichen Claude G. gut kannten. Der Ex-Beamte saß etwa gemeinsam mit der früheren Bürgermeisterin Marie-Thérèse Gantenbein in der „Académie Européenne des Arts Grand-Duché de Luxembourg“. Auch im Tourismussyndikat waren neben Claude G. mehrere CSV-Mitglieder des Gemeinderats vertreten.

„Eine komplexe Angelegenheit“: Marc Lies wurde 2005 Schöffe und 2009 Bürgermeister der Gemeinde Hesperingen. Bei den Kommunalwahlen 2017 holte er mit der CSV hier die absolute Mehrheit. (Foto: Matic Zorman)

War es diese Nähe, die die Kontrollinstanzen lähmte? Gemeinden seien vielleicht anfälliger für Korruptionsfälle als andere politische Ebenen, meint der Jurist und Anti-Korruptionsexperte Jean-Jacques Bernard. „Wir haben jetzt einen Verhaltenskodex für das Parlament und für die Regierung. Die Gemeinde bleibt das schwache Glied in dieser Kette“, so der Direktor der NGO „Stop Corrupt“ im Gespräch mit Reporter.lu. Allerdings sind sämtliche Beamten, also auch auf kommunaler Ebene, durch Artikel 23 des Strafgesetzbuches verpflichtet, jede ihnen bekannte Straftat unverzüglich zu melden. Dennoch sei offensichtlich noch Aufklärungsarbeit zu leisten, so Jean-Jacques Bernard.

Der Schaden ist somit nicht nur für die Gemeinde groß. Der Skandal beschädigt auch das Ansehen des Beamtentums. „Als Beamte sind wir den Bürgern auch Transparenz schuldig“, fordert deshalb Marco Thomé von der „Fédération Générale de la Fonction Communale“ (FGFC) im Gespräch mit Reporter.lu. „Eigentlich dürfte es solche Fälle nicht geben. Unser Gehalt ist gut genug, um genau so etwas zu verhindern“, meint Marco Thomé.

Bemerkenswert ist diesbezüglich auch eine eher allgemeine Empfehlung aus dem besagten PwC-Audit. Unter dem Titel „Renforcer la gouvernance de la Commune“ raten die Prüfer zur Schaffung eines „Compliance Officer“, zur Ausarbeitung eines Verhaltenskodexes sowie einer Prozedur, die es „Whistleblowern“ ermöglicht, potenzielle Missstände zu melden. All dies könne das Risiko von Fehlverhalten durch Beamte senken. In diesem Sinn seien „die Werte der Gemeinde“ vielleicht nicht immer „auf eine angemessene Art und Weise kommuniziert“ worden, so das Fazit des Prüfungsberichts.