Xavier Bettel will Premierminister bleiben, stellt an mögliche Koalitionspartner aber klare inhaltliche Bedingungen. Ein Gespräch über gescheiterte Wohnungspolitik, sein Verhältnis zur Macht und warum eigentlich immer ein bisschen Wahlkampf ist.

Interview: Christoph Bumb

Herr Bettel, vergangene Woche kam es zur fünften Regierungsumbildung seit den letzten Wahlen. Seit 2018 sind insgesamt sieben Minister zurückgetreten. Man könnte den Eindruck bekommen, Ihnen laufen die Kabinettskollegen davon …

Das kann man so nicht sagen. Darunter ist ja ein Schicksalsschlag, wenn ich etwa an Felix Braz denke. Was damals passiert ist, tut uns allen sehr leid. Dann gibt es in der Tat Minister, die von sich aus aufhören wollten. Ich denke an Romain Schneider, Dan Kersch oder Pierre Gramegna. Das sind persönliche Entscheidungen, die ich nicht verhindern kann. Jetzt wechselt Corinne Cahen in die Gemeindepolitik. Da mussten wir handeln. Aber es stimmt: Claude Meisch, Jean Asselborn, François Bausch und ich, wir sind die letzten Mohikaner der Mannschaft, die seit 2013 dabei ist.

Fünf der sieben Minister, die seit 2018 die Regierung verlassen haben, taten das nicht aus gesundheitlichen oder politischen Gründen. Gibt es so etwas wie blau-rot-grüne Amtsmüdigkeit?

Also, ich kann nur für mich sprechen. Ich habe immer noch genügend Motivation und Energie. Ich habe das Glück, dass ich alle Ämter, die ich bisher hatte, mit viel Leidenschaft und sehr gerne ausübe. Und das gilt auch noch heute. An dem Tag, an dem ich keine Lust mehr habe, höre ich auf.

Der deutsche Journalist Jürgen Leinemann hat Politik einmal als Macht- und Wichtigkeitsdroge bezeichnet. Sind Sie auch politiksüchtig?

Ich bin menschensüchtig. Ich bin einfach gerne unter Menschen. Ich bin nicht gerne allein. Es kommt sehr selten vor, dass ich mir mal Zeit nehme und allein ein Buch lese. Ich brauche die Leute, ich brauche den Kontakt mit den Leuten. Und ich freue mich auf den Wahlkampf. Es geht mir auch nicht um die Macht oder um den Titel, sondern darum, Dinge zu verändern.

Die Möglichkeit haben, Dinge zu verändern: Ist das nicht ein wichtiger Aspekt der Macht?

Ich würde das nicht als Macht bezeichnen. Dinge verändern, kann man ja auf ganz vielen Posten. Ob ich Abgeordneter war oder Bürgermeister oder Schöffe – da kann man immer Dinge verändern und verbessern. Sie nennen es vielleicht Macht, ich nenne das: Etwas machen, und zwar im Interesse der Bürger.

Ich bleibe nicht an meinem Sitz kleben. Ich werde nicht Premier sein mit einem Programm, das ich für falsch halte.“

Sie sind seit bald zehn Jahren Premierminister. In dieser Zeit gab es Morddrohungen gegen Sie, in der Pandemie standen Demonstranten vor Ihrem Haus. Manche Menschen würden wohl sagen: Mein Privatleben wäre mir wichtiger. Sie sagen das nicht. Warum?

Ich habe natürlich mit meinem Mann darüber gesprochen. Es war sein Auto, das damals beschädigt wurde. Er ist also Opfer dieser Sachen, obwohl er nichts dafür kann. Für ihn war das Ganze nicht einfach. Das sind schon Momente, in denen man sich Fragen stellt … Doch mein Mann sagte mir: Mach weiter. Lass dich nicht unterkriegen. Aber es stimmt schon: Bei allen Krisen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, war das hier das erste Mal, dass Leute in die Intim- und Privatsphäre vorgedrungen sind. Das gehört wohl auch zum Job.

In den zehn Jahren Ihrer Amtszeit haben sich verschiedene Probleme objektiv verschlimmert. Beispiel Wohnungskrise: Die durchschnittlichen Wohnungspreise haben sich in Luxemburg in den letzten zehn Jahren verdoppelt, in manchen Gemeinden verdreifacht. Immer mehr Leute können sich keine Wohnung in Luxemburg mehr leisten. Ist das nicht ein klares Versagen dieser Regierung?

Ein Versagen wäre es für mich nur, wenn das zu 100 Prozent in meinen Kompetenzen liegen würde. Wir haben viel getan. Wir haben das Budget für den Wohnungsbau über die Jahre um ein Vielfaches angehoben. Mein Vorgänger hat den Wohnungsbau mal zur Chefsache erklärt, das hat offenbar auch nichts geholfen …

Die Lage hat sich seitdem ja aber deutlich verschärft …

Ja, aber das liegt daran, dass die Nachfrage weiter steigt und wir mit dem Bauen nicht nachkommen. Ich habe aber auch eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, die mit allen Akteuren das Bauen beschleunigen soll. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden bald vorgestellt. Wie gesagt, wir haben beim Wohnungsbau viel angestoßen. Aber es reicht nicht. Ich bin mir dessen bewusst: Es reicht einfach nicht …