Der Staatsrat ist nicht für seine Transparenz bekannt. Das gilt nicht nur für die Arbeitsweise der Institution. Recherchen von Reporter.lu zeigen: Viele Mitglieder haben Interessenkonflikte, die ihre Unabhängigkeit infrage stellen. Der Staatsrat ist sich keines Problems bewusst.
13. Juli 2023, Plenarsitzung des Staatsrats. Auf der Tagesordnung steht das komplementäre Gutachten Nummer 61.045. Es handelt sich um die zweite Beurteilung der Reform der Krankenhausplanung. Der Gesetzentwurf ist umstritten, denn er regelt, in welchem Rahmen künftig auch Privatpraxen MRTs und andere hoch spezialisierte Untersuchungen anbieten dürfen. Die Deadline der Abstimmung ist für 14 Uhr angesetzt. Bereits um 9.37 Uhr schickt Lucien Lux das Gutachten an den Unternehmer Flavio Becca. Kein Text, kein Betreff. Nur die ergänzende Stellungnahme im PDF-Format. Das Staatsratsmitglied nutzt dazu seinen privaten E-Mail-Account. Die Nachricht liegt Reporter.lu vor.
Seit 2013 vertritt Lucien Lux die LSAP im Staatsrat. Auf der Liste der Mitglieder ist für den Ex-Minister, im Gegensatz zu den anderen 20 Räten, keine Beschäftigung vermerkt. Die monatliche Vergütung für ein Staatsratsmitglied liegt bei rund 6.000 Euro. Seit 2014 ist Lucien Lux allerdings Inhaber der Gesellschaft „Minga Sàrl“ zur Erbringung von gewerblichen Dienstleistungen, darunter „des services d’agent d’affaires“. Einziger Kunde: Flavio Becca, wie Lucien Lux auf Nachfrage von Reporter.lu bestätigt. „Sonst hat sich niemand bei mir gemeldet“, sagt er. Sein Beratungsgeschäft für den Bauunternehmer ist durchaus lukrativ. 2022 zahlte sich Lucien Lux über seine Firma 289.000 Euro an Dividenden aus.
Lucien Lux ist nur das aktuellste und eklatanteste Beispiel für eine Praxis, die im Staatsrat gang und gäbe ist. Die meisten Mitglieder jener Institution, die sich gerne als „hohe Körperschaft“ bezeichnet, gehen parallel einem Vollzeitberuf nach. Bei einigen von ihnen steht diese Tätigkeit aber im offensichtlichen Konflikt mit ihrem Mandat, wie Recherchen von Reporter.lu zeigen.
Offensichtliche Interessenkonflikte
Ein weiteres Beispiel ist Alain Kinsch (DP). 2016 berichtete das „Luxemburger Wort“, dass der damalige „Managing Partner“ der Wirtschaftsberatungsfirma „EY“ das Gutachten zur Steuerreform verfasst haben soll. Das Dokument trug eine ausdrücklich liberale Handschrift und forderte etwa eine Senkung der Körperschaftssteuer. Der Staatsrat wehrte sich damals gegen den Eindruck des offensichtlichen Interessenkonflikts, ohne die Medienberichte aber formell zu dementieren. Der Grund: Den Namen der Autoren ihrer Gutachten behält die Körperschaft für sich, die Sitzungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
So soll es offenbar auch bleiben. Heute ist Alain Kinsch einer der Vizepräsidenten des Staatsrats und erstellt weiterhin Gutachten zu finanz- oder wirtschaftspolitischen Fragen. Zwar ist er seit 2020 nicht mehr „Managing Partner“ bei EY, allerdings ist er unter anderem über die Gesellschaft „Kirchberg Property Holding“ in die Verwaltung des EY-Gebäudes eingebunden. Ein Jahr nach seinem Abgang bei EY wurde Alain Kinsch zum Präsidenten der Luxemburger Börse ernannt. Außerdem ist er Mitglied des Verwaltungsrats der Versicherungsgruppe „Foyer“.
Ich habe einen Fehler gemacht und werde mich beim Präsidenten des Staatsrats entschuldigen.“Lucien Lux, LSAP-Politiker und Mitglied des Staatsrats
Auch Alain Kinschs Kollegen in der Kommission „Economie et Finances“ müssen sich regelmäßig die Frage stellen, wie sich ihr Mandat im Staatsrat mit ihrer Tätigkeit in diversen Verwaltungsräten vereinen lässt. So etwa im Fall von Patrick Santer (CSV), der sich als Partner bei „Elvinger Hoss“ unter anderem mit Gesellschaftsrecht befasst …
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