Geld für eine Immobilie leihen wird teurer. Besonders der Festzins hat deutlich zugelegt. Im Vergleich ist eine variable Zinsrate noch günstig. Allerdings birgt diese Kreditart Risiken. Dessen sind sich auch die Banken bewusst und schauen bei der Vergabe genauer hin.
Als EZB-Chefin Christine Lagarde am vergangenen Donnerstag die Zinswende ankündigte, war diese längst bei den Bankkunden angekommen. Zumindest dann, wenn sie über einen Immobilienkauf nachdachten. Denn die Kosten für festverzinste Hypothekendarlehen sind seit Jahresbeginn drastisch gestiegen. Lag der Festzins für ein Darlehen mit 30-jähriger Laufzeit im Dezember noch bei durchschnittlich 1,5 Prozent, hat dieser sich mittlerweile auf drei Prozent verdoppelt. Was nach wenig klingt, wirkt sich bei den hohen Immobilienpreisen drastisch auf die zu zahlenden Monatsraten aus. Bei einer Kredithöhe von 800.000 Euro müssen Käufer monatlich rund 620 Euro mehr zurückzahlen als zuvor.
Es ist eine Entwicklung, die eine fast vergessene Alternative plötzlich wieder attraktiv erscheinen lässt: den variablen Zinssatz. Denn dort ist die Zinswende noch nicht angekommen. Laut „Nexfin“, einem luxemburgischen Kreditmakler, liegt ein Darlehen mit einem variablen Zinssatz aktuell zwischen 1,1 und 1,6 Prozent. Der Grund dafür ist relativ naheliegend. Vincent Quillé, Managing Director von Nexfin, erklärt: „Die Banken finanzieren variable Darlehen über Darlehen von anderen Banken. Entscheidend ist dabei jene Rate, zu der Banken sich gegenseitig Geld leihen: der Euribor. Und der ist aktuell noch relativ niedrig.“
Euribor steht für „Euro Interbank Offered Rate“. Er wurde 1999 mit dem Euro eingeführt und setzt sich aus mehreren Werten zusammen. Diese Werte unterscheiden sich durch die Dauer des Kredits und reichen von einer Woche bis zu einem Jahr. Festgelegt werden die Werte täglich. Dafür übermittelt ein Panel aus 18 europäischen Banken, darunter die Luxemburger „Spuerkeess“, Daten zu ihren Geldkäufen auf den Märkten. Aus dem Schnitt dieser Daten werden die Euribor-Werte ermittelt, die einen Richtwert liefern, zu welchen Bedingungen sich Banken untereinander Geld leihen.
„Keine mathematische Gleichung“
Doch wenn die Zinsrate eigentlich öffentlich einsehbar ist, wieso gibt es dann Unterschiede bei den Kreditangeboten, die Banken ihren Kunden machen? Wieso zahlt ein Kunde bei der einen Bank für einen Kredit 1,1 Prozent Zinsen und bei einer anderen 1,6 Prozent? Die kurze Antwort: Der Euribor-Wert ist zwar maßgeblich für den Zins, aber nicht allein entscheidend. Diane Pierret, Finanzwissenschaftlerin an der Universität Luxemburg, erklärt: „Die Zinsrate hängt nicht allein vom Euribor-Wert ab. Ein Teil des Zinsangebots der Banken ist auch schlicht die Marge der Institute. Das heißt: ihr Gewinn. Hinzu kommt, dass verschiedene Banken zu besseren Konditionen an den Märkten leihen können als andere, ganz einfach, weil sie über mehr Eigenkapital verfügen oder eine gewisse Größe haben.“
Die Festzinsen haben gewissermaßen eine Entwicklung antizipiert, die bei den variablen Zinsen noch aussteht.“Vincent Quillé, „Nexfin“
Zudem macht der Kunde selbst einen Unterschied. Finanzwissenschaftlerin Diane Pierret drückt es vereinfacht aus: „Der Unterschied zwischen einem Festzins-Darlehen und einem Darlehen mit einem variablen Zins liegt beim Risiko. Bei einem Festzins trägt die Bank das Risiko, in dem sie einen Zinssatz über eine lange Dauer garantiert. Beim variablen Zins geht das Risiko auf den Kunden über, da er oder sie in Kauf nimmt, dass die Zinsen mit der Zeit des Kredits steigen können.“
Den Kunden in den Fokus rückt auch Claude Hirtzig, Chef des Privatkundengeschäfts bei der „Banque et Caisse d’Epargne de l’Etat“ (BCEE): „Es gibt keine mathematische Gleichung, mit der man den Zinssatz festlegen kann. Und eine Euribor-Bindung gibt es bei Krediten für Privatkunden eigentlich nicht. Auch wenn der Wert natürlich eine Richtung vorgibt.“ Entscheidend sei aber immer die Stärke des Kundendossiers, betont Claude Hiertzig. Also, ob es sich bei der Immobilie um eine Erstanschaffung handelt, wie die Bonität des Kunden ist und wie hoch der Anteil an Eigenkapital. „Auch wenn der Fixzins deutlich angezogen hat, raten wir Kunden immer, sich mit einem festen Zinssatz Sicherheit zu kaufen. Denn die niedrigen Zinsen beim variablen Immobiliendarlehen geben eine falsche Sicherheit“, so der BCEE-Banker.
Was kommt nach der Niedrigzinsphase?
Ein Punkt, den auch Vincent Quillé vom Kreditvermittler Nexfin im Gespräch mit Reporter.lu unterstreicht: „Die Festzinsen haben gewissermaßen eine Entwicklung antizipiert, die bei den variablen Zinsen noch aussteht. Konkret heißt das, dass die variablen Zinsen in Zukunft auch steigen dürften. Das ist das Risiko, das man eingeht. Und eigentlich ist es die Rückkehr zu einem Markt, wie wir ihn vor der Niedrigzinsphase kannten, als ein festverzinstes Darlehen eigentlich die Ausnahme war.“
Es ist eine Sichtweise, die auch Yves Biewer, Vorstandsvorsitzender der „Banque Raiffeisen“, im Gespräch mit Reporter.lu betont: „Früher war es selbstverständlich, dass ein Darlehen mit Fixzins deutlich höher lag als ein Kredit mit variablem Zins. Die Bank hat gewissermaßen einen Risikozuschlag verlangt. Die Situation der letzten Jahre war schon außergewöhnlich und eher eine Ausnahme. Der Regelfall in der Vergangenheit war der Kredit mit variablem Zins.“
Ein großer Einbruch bei der Nachfrage ist nicht zu erkennen.“Claude Hirtzig, BCEE
Eine komplette Rückkehr zu Darlehen mit einem variablen Zinssatz sieht Vincent Quillé von Nexfin jedoch nicht. „In der Praxis gibt es eigentlich nur in Ausnahmenfällen Immobiliendarlehen, die komplett über einen variablen Zins laufen. Etwa, wenn man einen große Geldbetrag in Aussicht hat, dieser aber noch nicht verfügbar ist. Da erlaubt dieses Modell eine hohe Flexibilität.“
Üblicher sei es hingegen, einen Teil des Darlehens fest zu verzinsen und einen Teil mit einem variablen Zins zu finanzieren, sagt Vincent Quillé. Mit ein Grund dafür sei, dass Banken eher zurückhaltend seien, wenn es darum gehe, ein Projekt komplett variabel zu verzinsen. Schließlich sei nicht abzusehen, wie hoch die Zinsen in Zukunft steigen könnten, so der Managing Director von Nexfin.
Ein Risiko, das die Banken versuchen, so gut es geht, abzuschätzen. „Bevor wir ein Darlehen mit einem variablen Zinssatz bewilligen, führen wir einen Stresstest durch. Dafür simulieren wir eine drei Prozent höhere Rate als die aktuelle,“ erklärt Claude Hirtzig von der BCEE. Zudem berücksichtige man, wie bei jedem Kredit, wie viel Resteinkommen einem Haushalt bleibe und ob der Kredit über einen längeren Zeitraum zu stemmen sei, so Claude Hirtzig.
Auch für Yves Biewer von der Banque Raiffeisen steht der Schutz der Haushalte beim Kreditabschluss im Vordergrund: „Wir haben auch eine Verantwortung unseren Kunden gegenüber. Was bringt ein Kreditabschluss, wenn die Tilgung in einigen Jahren zum Problem werden könnte. Sehen wir eine Finanzierung kritisch, zögern wir nicht, nein zu sagen.“
Zusätzlichen Schutz bieten zudem die Kreditrichtlinien, die die Regierung auf Druck der EZB 2019 eingeführt hat. Seitdem dürfen Banken höchstens 100 Prozent des Wertes der Immobilie finanzieren, wenn es sich bei den Käufern um Erstkäufer handelt, und 90 Prozent, wenn eine Zweitimmobilie finanziert werden soll.
„Noch ein marginales Phänomen“
Im täglichen Geschäft sei die Zinswende bisher eher indirekt zu spüren, sagt Claude Hirtzig. „Was wir natürlich bemerken ist, dass die Kunden viel mehr Fragen haben. Sie merken, dass sich etwas tut auf den Märkten. Aber ein großer Einbruch bei der Nachfrage ist nicht zu erkennen“, erklärt der BCEE-Banker. Allerding gebe es durchaus Finanzierungsprojekte, die man vor einem Jahr noch akzeptiert hätte, die aktuell aber keine Finanzierung mehr bekommen würden, so Claude Hirtzig weiter. Doch noch sei das ein marginales Phänomen, betont der Chef des BCEE-Privatkundengeschäfts, der Großteil der Kunden würde sich auch weiterhin für Festzinsen entscheiden, auch weil sie über genügend Reserven verfügen.
In diesem Spagat zwischen Menschen, die sich eine Festverzinsung noch leisten können und jenen, die das nicht können, sieht Diane Pierret von der Universität Luxemburg ein mögliches Risiko der rezenten Zinsentwicklung. „Dadurch droht sich die Ungleichheit zu verstärken. Denn finanzschwächere Haushalte sind eher auf einen variablen Zins angewiesen, weil sie sich eine Festverzinsung nicht leisten können. Steigen die Zinsen, tragen sie die Kosten und das Risiko. Während stärkere Haushalte sich auf stabile Festzinsen verlassen können.“
Ein systemisches Risiko durch die rezente Zinsentwicklung, wie 2008 in den USA, sieht die Forscherin jedoch nicht. Damals waren es unter anderem steigende Zinsen auf variablen Hypothekendarlehen, die den US-amerikanischen Immobilienmarkt zum Zusammenbruch brachten. Diane Pierret erklärt: „Die Voraussetzungen sind heute komplett andere als damals. Die Banken und Finanzinstitute sind viel besser kapitalisiert. Sie haben viel mehr Eigenkapital in ihren Büchern.“ Zudem sei der Markt für Immobilienkredite heute viel strenger reguliert als noch 2008, betont die Wirtschaftswissenschaftlerin. Und das sowohl in den USA als auch in Europa.
