Journalistische Recherchen bewahrten Luxemburg davor, knapp fünf Millionen Euro zu verlieren. Die tief in den Cum-Ex-Skandal verstrickte „Kirchberg“-Gruppe forderte Steuern zurück, die sie nie gezahlt hat. Die Steuerverwaltung verweigerte die Anträge und bekam vom Verwaltungsgericht Recht.

Im Oktober 2018 veröffentlichten Journalisten aus zwölf Ländern die „CumEx Files“ – eine Recherche über einen systematischen Steuerraub. Europaweit entstand für die Staatskassen ein Schaden von mindestens 55,2 Milliarden Euro. Die Nachricht schreckte Politiker und Steuerbeamte auf – auch in Luxemburg.

Wie ernst die Luxemburger Steuerverwaltung die Presseberichte nahm, zeigt ein konkreter Fall, über den das Luxemburger Verwaltungsgericht am 16. Juni entschied. Die niederländische Gesellschaft „Principal Trading Netherlands“ klagte gegen eine Entscheidung der Direktorin der Steuerverwaltung von Dezember 2018. Die Behörde hatte die Erstattung von Quellensteuern auf Dividenden der Luxemburger Unternehmen SES, ArcelorMittal und RTL Group verweigert. Dies wurde nun durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtes bestätigt. „Principal Trading“ gehört zur „Kirchberg“-Gruppe, die sich auf Cum-Ex-Geschäfte spezialisiert hatte.

Bereits im Dezember 2020 hatte das Verwaltungsgericht eine Klage der Muttergesellschaft „Kirchberg Trading“ in einem ähnlichen Fall abgewiesen. Damals ging es um 3,5 Millionen Euro an Quellensteuern. Im Fall der Tochter „Principal Trading“ geht es um knapp über 5 Millionen Euro für die Jahre 2014 und 2015. Beide Fälle zeigten, wie schwierig es für die Steuerverwaltung ist, sich gegen missbräuchliche Forderungen zu wehren.

Tief verstrickt in Cum-Ex-Geschäfte

Ein wesentliches Argument bei der Entscheidung der Steuerverwaltung waren die Recherchen im Rahmen der „CumEx Files“, die zwei Monate zuvor veröffentlicht wurden. „Es ist unumstritten, dass die internationale Presse einen europäischen Skandal zu einem Betrugs- und Steueroptimierungssystem aufgedeckt hat, die die Erstattung von Quellensteuern auf Kapitaleinkünfte betreffen.“

16 Medien und 30 Journalisten – darunter Reporter.lu – führen die Arbeit an den „CumEx Files“ weiter. Die CumEx-Files II ist eine durch das Recherchezentrum Correctiv koordinierte Recherche europäischer Medienhäuser.

Neu geleakte Dokumente erlauben neue Einblicke in die Rolle der „Kirchberg“-Gruppe und deren Manager Frank Hodyjas. Sie gehörten zu einer kleinen, exklusiven Gruppe von Akteuren, die sich auf Cum-Ex-Geschäfte spezialisiert hatte. Zwei Ex-Banker, die vom Bonner Landgericht wegen der Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften verurteilt wurden, nannten in ihren Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft Köln Hodyjas als direkten Konkurrenten. Er galt durch seine frühere Arbeit bei der Fortis-Bank und Merril Lynch als einer der Pioniere der dubiosen Aktiengeschäfte.

Frank Hodyjas leitete später die Kirchberg-Gruppe, die bis 2010 eine Tochter der niederländischen Bank „ABN Amro“ war. Zusammen mit anderen Managern machte er sich dann selbstständig, arbeitete aber weiter eng mit ABN Amro zusammen. Die Bank kündigte die Kooperation 2016, weil die Kirchberg-Gruppe mit den fragwürdigen Geschäften Steuerhinterziehung betreibe. Der strittige Handel von „Principal Trading“ fiel allerdings noch in die Phase der Zusammenarbeit mit ABN Amro.

Es gibt keine Beweise für die Existenz von Cum-Ex-Geschäften in Luxemburg.“Anwältin der „Kirchberg“-Gruppe

Doch nicht nur mit Luxemburger Aktien führte die „Kirchberg“-Gruppe fragwürdigen Aktienhandel durch. Die Staatsanwaltschaft Köln verlangte im Januar 2016 detaillierte Auskünfte von ABN Amro über den Aktienhandel von „Principal Trading“, „Kirchberg Investment Management Sàrl“ und des Luxemburger Fonds „Kirchberg Securities Finance Fund“. Das zeigen Dokumente aus den „CumEx Files“. Einen Monat nach der Anfrage kündigte ABN Amro den Vertrag mit „Principal Trading“ und weiteren Gesellschaften der „Kirchberg“-Gruppe.

Probleme des Kleinredens

Ende Januar berichtete Reporter.lu über das erste Urteil betreffend die „Kirchberg“-Gruppe mit dem Hinweis, dass in Deutschland im Rahmen von Cum-Ex-Geschäften gegen die Unternehmen ermittelt werde. Eine Woche später, am 3. Februar 2021, behandelte das Verwaltungsgericht den Fall „Principal Trading“. Der Reporter-Artikel war in der öffentlichen Sitzung ein Thema. Die Anwältin der Gesellschaft versuchte, deren Luxemburger Geschäfte von Cum-Ex-Geschäften zu differenzieren.

Am Vortag der Sitzung hatte die Anwältin mehrere Dokumente an das Gericht geschickt, die belegen sollten, dass Cum-Ex-Geschäfte hierzulande nicht existierten. „Es gibt keine Beweise für deren Existenz in Luxemburg“, argumentierte sie. Aussagen des Finanzministeriums, der Aufsichtsbehörde CSSF und der Steuerverwaltung wurden als Belege herangezogen.

Die Vertreterinnen der „Kirchberg“-Gruppe zitierten etwa das Sitzungsprotokoll der parlamentarischen Finanzkommission von September 2019. Die Steuerdirektorin Pascale Toussing sagte den Abgeordneten damals: „Die Steuerverwaltung kennt das Konzept der Cum-Ex-Operationen als solches nicht“. Ein Bericht der EU-Finanzmarktaufsicht ESMA zitierte die CSSF mit der Aussage, dass es keine Hinweise gebe, dass Luxemburg ein Ziel solcher Geschäfte gewesen sei, es sei aber nicht kategorisch auszuschließen. Auch diesen Bericht wollten die Vertreter der „Kirchberg“-Gruppe als Beweismittel im Prozess anführen. Eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage belege, dass Luxemburg nicht von Cum-Ex-Geschäften betroffen sei, so die Anwältin in ihrem Plädoyer.

Die Existenz des Bankgeheimnisses schränkt den Umfang der Ermittlungen ein, die die Steuerverwaltung durchführen könnte.“Pascale Toussing, Direktorin der Steuerverwaltung

Das systematische öffentliche Kleinreden des Cum-Ex-Skandals durch Finanzminister Pierre Gramegna und die Steuerdirektorin wurde so fast zu einem Boomerang. Der Vertreter des Staates wehrte sich während der Sitzung kategorisch dagegen, dass diese Beweismittel in den Prozess einfließen sollten. Tatsächlich verwarfen die Richter die Dokumente, weil die Anwältinnen sie erst um 17:23 Uhr am Vortag versandt hätten und der Vertreter des Staates keine Gelegenheit gehabt habe, darauf zu reagieren.

Eine Anfrage bei der Anwältin von „Principal Trading“ blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. „Principal Trading“ wurde im Mai 2019 aufgelöst und ging in die Luxemburger Gesellschaft „Kirchberg Trading“ (inzwischen KIC sàrl) über.

Ein Missbrauch des „Schachtelprivilegs“

Hintergrund der unübersichtlichen Lage um Cum-Ex-Geschäfte in Luxemburg ist, dass die Vorgehensweise von anderen Ländern abweicht. In allen bisher bekannten Fällen nutzten die Akteure hierzulande das sogenannte „Schachtelprivileg“. Diese Luxemburger Besonderheit sieht vor, dass im Fall einer „wesentlichen Beteiligung“ keine Steuern auf Kapitalerträge fällig sind. Dazu gibt es zwei Bedingungen: Die Beteiligung an einer Gesellschaft muss zehn Prozent ausmachen oder der Kaufpreis muss über 1,2 Millionen Euro betragen. Außerdem müssen die Anteile während zwölf Monaten ununterbrochen gehalten werden.

Es besteht das Risiko, dass der Staat die Quellensteuer unberechtigt oder mehrfach erstattet.“Vertreter des Staates

Bei ihrem Auftritt vor dem Parlament wies die Steuerdirektorin Pascale Toussing auch explizit auf die Rolle des „Schachtelprivilegs“ im Cum-Ex-Kontext hin. Diese Geschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie rund um den Stichtag ausgeführt werden, an dem ein börsennotiertes Unternehmen festhält, welche Aktienbesitzer Anrecht auf die Dividende haben. Daher stammt auch der Name: Die Aktie existiert „cum“ (lateinisch „mit“) und „ex“ („ohne“) Berechtigung auf die Dividende. Die Cum-Ex-Geschäfte sollen verschleiern, wer die Dividende tatsächlich erhalten und damit auch die Quellensteuer bezahlt hat.

„Es besteht das Risiko, dass der Staat die Quellensteuer unberechtigt oder mehrfach erstattet“, erklärte der Vertreter des Staates in der Sitzung. Und das ist der Kern des Verfahrens: Die Steuerverwaltung wirft „Principal Trading“ vor, nicht nachweisen zu können, die Dividenden von ArcelorMittal, SES und RTL Group tatsächlich erhalten zu haben. „Principal Trading“ habe das Schachtelprivileg missbräuchlich nutzen wollen.

Die Belege, die das Unternehmen der Verwaltung vorlegte, verwiesen teilweise auf Kompensationszahlungen und nicht die eigentliche Dividende, betonte der Vertreter des Staates. Auf dieser Ausgleichszahlung für die Dividende wurden aber nie Steuern bezahlt, weshalb die Gefahr der mehrfachen Erstattung besteht. Genauso wenig sei klar, ob die Gesellschaft die Aktien während einem Jahr ununterbrochen besessen habe, argumentierte die Steuerverwaltung. Die Zahlen auf den eingereichten Belegen seien inkohärent.

Gelähmt vom Bankgeheimnis

„Principal Trading“ wehrte sich gegen diese Vorwürfe. Die Gesellschaft habe zwar Kompensationszahlungen erhalten, aber für diese keine Erstattung der Quellensteuer beantragt. Sie habe der Steuerverwaltung sogenannte „tax voucher“ sowie tägliche Auszüge aus dem Aktiendepot vorgelegt. Doch die Richter hielten an ihrem Urteil fest, dass diese Belege unzureichend seien und die Steuerverwaltung die Erstattung der Quellensteuer zurecht verweigert habe.

Die Berichte – unter anderem von Reporter.lu – über die Verstrickung der „Kirchberg“-Gruppe in Cum-Ex-Geschäfte sind ein wesentliches Element in der Urteilsbegründung. Laut den Richtern rechtfertigte dieser Verdacht ein legitimes Misstrauen der Verwaltung, die deshalb eindeutige Belege einfordern dürfe. Dokumente, von denen „Principal Trading“ sagte, sie seien unmöglich zu beschaffen.

Die Anwältinnen der „Kirchberg“-Gruppe versuchten zudem, den Spieß umzudrehen: Die Steuerverwaltung müsse beweisen, dass „Principal Trading“ nicht durchgehend im Besitz der Aktien gewesen sei. Informationen, die Clearstream Luxemburg als Abwicklungsstelle der Aktiengeschäfte habe. „Das Bankgeheimnis verhindert, dass die Steuerverwaltung Informationen von Clearstream anfordern darf“, betonte dagegen der Vertreter des Staates in der öffentlichen Sitzung. Es blieb der Verwaltung also nur übrig, auf Unstimmigkeiten in den Belegen von „Principal Trading“ hinzuweisen.

Das ist ein zentrales Problem in der Cum-Ex-Affäre in Luxemburg. „Die Existenz des Bankgeheimnisses schränkt den Umfang der Ermittlungen ein, die die Steuerverwaltung durchführen könnte“, erklärte Pascale Toussing vor der Finanzkommission im September 2019. Und so ist der Luxemburger Staat auf die Arbeit von Journalisten angewiesen, um den versuchten Griff in seine Kasse abzuwehren.


Reporter.lu recherchiert weiter zu den Verbindungen zwischen der Cum-Ex-Affäre und dem Luxemburger Finanzplatz. Wenn Sie Informationen zu diesen Geschäften haben, erreichen Sie unseren Reporter Laurent Schmit per E-Mail (öffentlicher Schlüssel), über den verschlüsselten Dienst Keybase oder über den sicheren Messenger Threema (ID: XJ8W8WWK). Alle Hinweise unterliegen dem Quellenschutz.


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