Investoren versprach „Cenaro“ Traumrenditen, Käufern ihre Traumimmobilie. Doch für viele Betroffene wurde daraus ein Albtraum. Seit Wochen stehen Dutzende Baustellen still, Arbeiter erhalten keinen Lohn und Handwerker sitzen auf unbezahlten Rechnungen.
Der Traum von ihrem neuen Zuhause endet für Familie Schmit* vorerst mit einer Sperrholzplatte. Wenig fachgerecht verdeckt sie das kaputte Fenster im Badezimmer jenes Hauses, das die Familie unfreiwillig ihr Zuhause nennen muss. Andere Probleme lassen sich schwerer verstecken. Etwa das braune Wasser, das aus dem Wasserhahn kommt. Oder die Sache mit dem Müll. Seit sie in dem Abrisshaus wohnen, über ein halbes Jahr mittlerweile, fährt die Familie wöchentlich mit Müllsäcken zu den Schwiegereltern. Denn zu ihnen selbst kommt die Müllabfuhr nicht. Offiziell wohnt hier niemand. Eigentlich soll das Haus abgerissen werden, um für ein neues Mehrfamilienhaus Platz zu schaffen.
„Mittlerweile haben wir eine Zwischenlösung mit der Gemeinde gefunden. Aber offiziell sind wir wohnungslos,“ sagt Melanie*. Es ist ein Satz, den sie auch nach einigen Monaten noch nicht richtig glauben kann. Denn eigentlich verdienen beide gut, sie und ihr Mann. Melanie arbeitet im Schulwesen, ihr Mann Carlo* bei einer Bank. Eine typische Familie aus der gehobenen Luxemburger Mittelschicht. Ihre Geschichte hat nichts mit sozialem Abstieg zu tun. Die Familie wollte bloß ein größeres Haus.
Eine Immobilien-Odyssee
Die Situation der Schmits mag spezifisch sein. Doch sie ist Teil eines größeren Problems. Nachdem Reporter.lu Anfang Dezember erstmals über die Probleme bei der Cenaro-Gruppe berichtet hatte, haben sich mehrere Betroffene gemeldet. Reden wollen die meisten nur unter Wahrung ihrer Anonymität. Aus Angst, dass es durch den Gang an die Öffentlichkeit zu weiteren Verzögerungen kommt.
Ich denke, wir müssen vom Schlimmsten ausgehen. (…) Es deutet alles auf eine kurzfristige Zahlungsunfähigkeit hin.“José Gomes, OGBL
Auch bei Carlo und Melanie ist diese Sorge allgegenwärtig. Im Frühjahr 2020 entschließt sich das Ehepaar, ein Einfamilienhaus in einem Neubaugebiet in Differdingen zu kaufen. Melanie ist damals hochschwanger und ihr altes Haus ist einfach zu klein. Insgesamt 18 Häuser sollen auf der Brache im Süden des Landes entstehen. Verkauft werden sie von „HT Immobilière“, einer kleinen Immobilienagentur, die kurze Zeit später von „Cenaro Promotion“ übernommen wird.
Es ist ein Kauf, der sich für die Familie zum Albtraum entwickeln sollte. Denn immer wieder kommt es zu Verspätungen beim Bau. Die Familie wird vertröstet, hingehalten und abgewimmelt. „Wir hatten seit Baubeginn geschätzt zehn verschiedene Baustellenleiter. Unsere E-Mails und Einschreiben bleiben seit Monaten unbeantwortet und auch auf der Baustelle tut sich seit Monaten nichts,“ erzählt Carlo.
Hinzu kommt, dass Cenaro wiederholt Nachzahlungen geltend macht. „Wir wurden jedes Mal unter Druck gesetzt. Entweder ihr bezahlt oder ihr riskiert einen Baustopp“, sagt Melanie. Mittlerweile belaufen sich die Zusatzkosten auf mehrere Hunderttausend Euro, schätzt die Familie. Das Haus selbst hat 1,5 Millionen Euro gekostet.
Eine unmögliche Situation
Ihren Höhepunkt erreicht die Odyssee der Familie im Frühsommer dieses Jahres. Um das neue Haus zu finanzieren, haben die Schmits nämlich ihr altes Haus in den Verkauf gegeben. Obwohl der geplante Umzugstermin in das neue Haus um Monate verschoben wird, bleibt der Familie nichts anderes übrig, als aus dem alten Haus auszuziehen. Eine andere Möglichkeit hat die Familie nicht.
Nach langem Ringen schlägt ihnen Cenaro eine Übergangslösung vor, wenige Tage vor dem geplanten Auszug aus ihrem alten Haus. Ein unbewohntes Einfamilienhaus in der Nähe der Hauptstadt, das die Immobilienfirma aufgekauft hat. Schon die Erstbesichtigung ist chaotisch. Der Mitarbeiter von Cenaro hat keinen Schlüssel für das Haus. Ein Handwerker eines Subunternehmers wird gerufen, um Zugang zum Haus zu bekommen. Kurzerhand schlägt er das Fenster zur Toilette ein. „Wir sind quasi in unser neues Zuhause eingebrochen,“ sagt Melanie.

Seit fast einem halben Jahr wohnen die Schmits also in einem Haus, für das sie keinen Mietvertrag haben und das jener Firma gehört, mit der sie eigentlich im Clinch liegen. Eine unmögliche Situation für die Familie. Was, wenn Cenaro die Stromrechnungen nicht mehr bezahlt? Oder kurzfristig beschließt, mit dem Abriss zu beginnen?
Hinzu kommt ihr eigentliches Immobilienprojekt, das faktisch noch ein Rohbau ist: Ohne Küche, ohne Heizung und ohne Innenausbau. Derweil drohen die Kosten die Familie zu erdrücken. „Wir zahlen jeden Monat 500 Euro Gebühren beim Händler, nur weil die Küche, die wir bestellt haben, nicht eingebaut werden kann. Auch unser Parkett musste eingelagert werden, genauso wie die Pergola für das Haus“, erzählt Carlo.
Stille auf den Baustellen
Andere Cenaro-Kunden zeichnen ein ähnliches Bild. Sie haben eine Immobilie bei der Entwicklungsgesellschaft erworben und nun steht der Bau seit mehreren Monaten still. Den Kontakt mit der Cenaro-Gruppe beschreiben die Betroffenen allesamt ähnlich: Keine direkten Ansprechpartner, unbeantwortete Mails und ständig wechselnde Mitarbeiter. Dazu kommen oft hohe Kostennachzahlungen, die vom Unternehmen für Extraleistungen einfordert werden.
Ein junges Paar wartet etwa seit einem halben Jahr auf ein Lebenszeichen von Cenaro. Ihre Wohnung in Wiltz sollte dieses Jahr fertig werden. Bisher zeugt jedoch nur ein Erdloch von dem Mehrfamilienhaus, das dort einstehen soll. Die Fundamente waren eigentlich fertig, doch sie mussten angeblich wieder abgerissen werden. Nun soll die Wohnung erst Mitte 2024 fertiggestellt werden. Auch in einem Mehrfamilienhaus in Godbringen stehen die Bagger seit Monaten still. Die Käufer haben eine eigene Chatgruppe gegründet, um sich auszutauschen, und einen Anwalt engagiert, der ihre Interessen vertreten soll.
Wir sind nicht der einzige Betrieb, der auf seinen Kosten sitzen bleibt. Da kann man durchaus von System sprechen.“Chef eines Handwerksbetriebs
Im Gespräch mit Reporter.lu schildert eine Familie ihre Situation. „Vor einigen Monaten war es für uns besonders schlimm. Wir wohnen zur Miete. Aber für die neue Wohnung haben wir natürlich einen Kredit aufgenommen. Die Bank wollte, dass wir mit den Rückzahlungen beginnen, aber wir konnten ja noch nicht in die neue Wohnung einziehen. Unsere Wohnkosten haben sich kurzfristig mehr als verdoppelt: von 2.800 Euro auf fast 6.000 Euro.“
Mittlerweile hat das Paar eine Einigung mit der Bank erzielt und die Tilgung um ein Jahr verschoben. Mehrkosten hat die Familie dennoch zu verzeichnen. Seit dem Kauf vor zwei Jahren hat Cenaro auch bei ihnen Zusatzzahlungen von mehr als 50.000 Euro geltend gemacht.
Ungewissheit vor Weihnachten
Während viele Käufer auf ihre Wohnung warten, warten einige Handwerksbetriebe, die für Cenaro gearbeitet haben, auf etwas anderes: ihr Geld. Laut Informationen von Reporter.lu sollen bei mehreren Betrieben aus unterschiedlichen Handwerkssparten hohe Rechnungen unbezahlt bleiben.
Der Firmenchef eines großen Luxemburger Handwerksunternehmens berichtet im Gespräch mit Reporter.lu von etlichen Zahlungen, die aktuell ausstehen: „Wir reden von insgesamt zehn Baustellen in allen Landesteilen, bei denen Rechnungen offen sind. Grob überschlagen gehe ich von einem Fehlbetrag von weit über 100.000 Euro aus. Und wir sind nicht der einzige Betrieb, der auf seinen Kosten sitzen bleibt. Da kann man durchaus von System sprechen.“
Den mutmaßlichen Grund liefert der Betriebschef, der sich nur unter Wahrung seiner Anonymität äußern wollte, gleich mit: „Es herrscht einfach Chaos in dem Betrieb. Ständig wechseln die Mitarbeiter und die Ansprechpartner. Die Baustellenplanung ist quasi inexistent.“

Doch nicht nur Drittbetriebe warten auf ihr Geld. Innerhalb der Unternehmensgruppe warten Angestellte auf ihren Lohn. So sollen die rund 45 Mitarbeiter von „Chevallier Construction“ seit November dieses Jahres nicht mehr bezahlt worden sein. Der CEO der Cenaro-Gruppe, Christophe Chevallier, hatte die Baufirma „Velas Construction“ 2019 übernommen und sie in die Entwicklungsgesellschaft integriert.
Am vergangenen Freitag kam es deswegen zu einer Krisensitzung, an der auch José Gomes, Gewerkschaftsvertreter des OGBL, teilnahm. Im Gespräch mit Reporter.lu zeichnet der Gewerkschaftler ein düsteres Bild: „Ich denke, wir müssen vom Schlimmsten ausgehen. Laut meinen Informationen wurden die Arbeiter bereits aufgefordert, die Schlüssel für die Baustellenfahrzeuge abzugeben. Es deutet alles auf eine kurzfristige Zahlungsunfähigkeit hin.“
Bis Redaktionsschluss wurde die Zahlungsunfähigkeit der Baufirma noch nicht rechtskräftig deklariert. Unklar ist derzeit auch, ob im Fall des Falles die gesamte Cenaro-Gruppe in die Zahlungsunfähigkeit rutscht oder nur Teile des Firmengeflechts. Sowohl Cenaro Promotion als auch der CEO des Konzerns, Christophe Chevallier, ließen Fragen zur aktuellen Situation der Unternehmensgruppe von Reporter.lu bis zu Redaktionsschluss unbeantwortet.
Rechtliche Absicherung
Zumindest rechtlich sind die Immobilienkäufer abgesichert. Denn seit 1978 muss für jedes Immobilienprojekt, das in den Verkauf geht, bevor die Wohnungen gebaut sind, eine sogenannte „Garantie d’achèvement“ abgeschlossen werden. Konkret sieht diese Garantie zwei Szenarien vor: Entweder der Versicherer baut das betreffende Projekt zu Ende oder die Käufer bekommen ihr Geld erstattet. Dies allerdings nur für jenen Projektabschnitt, der noch nicht abgeschlossen wurde. Zudem entscheidet der Versicherer, welches Projekt zuerst abgeschlossen werden muss, wenn eine Versicherung für mehrere Bauvorhaben gilt.
Ein Teil der Immobilienprojekte der Cenaro-Gruppe sind über „Eurocaution“ versichert. Der Versicherungsmakler hat für die Projekte der Gruppe Versicherungsverträge mit großen europäischen Bauversicherern abgeschlossen. Im Gespräch mit Reporter.lu will sich der CEO von Eurocaution, Alessandro Rizzo, nicht spezifisch zur Situation der Cenaro-Gruppe äußern. Jegliche Angaben würden dem Berufsgeheimnis unterliegen. Grundsätzlich sagt er aber: „Generell gilt, dass wir jedes Projekt über den gesamten Finanzierungsrahmen bei unseren Partnern versichern. Die nötigen Liquiditäten dafür sind jederzeit verfügbar und die Rechte der Käufer gesichert.“
Doch ein Problem bleibt: Die Versicherung greift nur, wenn der „Promoteur“ die Zahlungsunfähigkeit verkündet. Das ist bei der Cenaro-Gruppe bisher nicht der Fall. Verzögerungen allein sind dabei noch kein Grund, um auf die „Garantie d’Achèvement“ zurückzugreifen. Dieser Punkt geht auch unmissverständlich aus den Bauverträgen der Cenaro-Gruppe hervor. In einem Vertrag, den Reporter.lu einsehen konnte, behält sich Cenaro Promotion ausdrücklich mögliche Verzögerungen beim Bau vor. Als „cause légitime“ für diese Verzögerungen nennt der Vertrag etwa wirtschaftliche Probleme von Drittunternehmen, die für die Entwicklungsgesellschaft tätig sind.
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
