Die Preise bleiben hoch, doch auch die Kredite werden teurer: Durch die Inflation droht sich die Lage am Wohnungsmarkt weiter zuzuspitzen. Damit steigt der Druck auf die Politik, deren Handlungsspielräume immer kleiner werden. Eine Analyse.

„Wie bist du bankrottgegangen?“, fragt Bill Gorton den glücklosen schottischen Kriegsveteranen Mike Campbell in Ernest Hemingways Roman „Fiesta“. Dieser antwortet betont lakonisch: „Auf zweierlei Weise. Erst schleichend und dann plötzlich.“ Ein Bonmot, sicherlich. Luxemburg ist weder bankrott noch augenscheinlich in einer Abwärtsspirale. Die Staatsfinanzen sind mehr oder weniger gesund. Die Coronakrise ist halbwegs gemeistert und die Arbeitslosenzahlen sind niedrig wie nie.

Doch spätestens beim Blick auf die Wohnungskrise fällt der Bezug zu Hemingway leichter. Denn immer mehr Menschen im Land geraten in finanzielle Schwierigkeiten. Seit Jahren steigt das Armutsrisiko. Beim Anteil jener Menschen, die in Luxemburg trotz Arbeit in die Armut zu rutschen drohen, liegt Luxemburg im europäischen Vergleich auf Rang vier. Mit der Hauptgrund für diese Entwicklung: die hohen Preise fürs Wohnen.

Damit rückt allerdings auch eine Frage, die vor wenigen Jahren noch absurd gewesen wäre, in den Bereich des Möglichen: Was, wenn es bereits zu spät ist? Und eine Krise, die sich über die Jahre schleichend verschlimmerte, nun vor einem Wendepunkt steht?

Die Krisen in der Krise

Denn seit Beginn des Jahres haben sich die Vorzeichen für den Immobilienmarkt drastisch verändert. Der Krieg in der Ukraine hat die Rohstoffpreise in die Höhe schnellen lassen. Die Inflation ist zurück und mit ihr die Frage nach der Währungsstabilität. Weltweit heben die Zentralbanken ihre Leitzinsen an. Geld leihen muss wieder teurer werden, so ein Ziel der Währungshüter.

Die Folgen sind bereits spürbar. Die Zinsen für Immobiliendarlehen sind drastisch gestiegen. In Luxemburg haben sich die Festzinsen für einen Kredit mit einer Laufzeit von 30 Jahren seit Jahresbeginn verdoppelt. Von 1,5 auf drei Prozent. Ein Blick in die USA zeigt, was hierzulande noch bevorstehen könnte. Dort liegen die Bauzinsen aktuell bereits deutlich über fünf Prozent.

Die aktuellen politischen Mittel muten vor dieser Entwicklung an wie eine Weichenstellung für einen Zug, der bereits vor Stunden passiert ist.“

Der Immobilienbranche droht so ein perfekter Sturm. Hohe Preise treffen auf potenzielle Käufer, die heute deutlich weniger geliehen bekommen als noch vor einem Jahr. Hinzu kommen drastisch gestiegene Baukosten und aufkommende Rezessionsängste. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass eine Zeitenwende bevorsteht.

Warnungen, dass dieser Zeitpunkt kommen könnte, gab es etliche. Die Liste derer, die Luxemburg vor den Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt gewarnt haben, ist lang. Der Internationale Währungsfonds tut dies bereits seit Jahren. Auch das „European Systemic Risk Board“ (ESRB) mahnte Luxemburg zur Vorsicht, in nahezu jedem Lagebericht. Noch am Montag dieser Woche warnte EZB-Präsidentin Christine Lagarde eindringlich vor dem „schweren“ Risiko einer abruptem Preiskorrektur bei Immobilien in der Eurozone.

Hinzu kamen Sozialverbände, Wissenschaftler, Stimmen aus der Zivilgesellschaft, ja selbst Arbeitgebervertreter und Unternehmerverbände warnten. Noch Anfang des Jahres, also vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, fand Gaston Reinesch, Direktor der luxemburgischen Zentralbank, deutliche Worte. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt sei kritisch, auch weil Immobilien extrem überbewertet seien, so der Banker. Die Situation auf dem Immobilienmarkt werde zunehmend zu einem strukturellen Problem.

Der Mut zur Parole

Im politischen Diskurs scheint die Krise dabei erst mit Verzögerung anzukommen. Noch immer wirkt man überrascht von einer Krise, die bereits Jean-Claude Juncker (CSV) in seiner Amtszeit zur „Chefsache“ deklariert hatte, ohne grundlegende Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Der Mut zur Parole ist auch heute noch allgegenwärtig. Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) befand etwa Ende April, dass es die „verdammte Pflicht“ der Politik sei, die Wohnungskrise in den Griff zu bekommen.

Nach neun Jahren LSAP-geführtem Innenministerium und einer auf unbestimmte Zeit verschobenen Grundsteuerreform ist das eine reichlich späte Erkenntnis. Wie ernst es dem Dreierbündnis wirklich mit der Wohnungskrise ist, belegt dabei allein die Zahl der Wohnungsbauminister seit 2013. Geschlagene vier Minister von DP und Déi Gréng versuchten sich seitdem bereits an dem Problem. Kaum ein anderes Ministerium kannte derart viele Wechsel.

Henri Kox (Déi Gréng) ist seit 2019 Wohnungsbauminister. Damit ist er bereits der vierte Politiker binnen zwei Legislaturperioden, der dieses Amt bekleidet. (Foto: Mike Zenari)

Geblieben ist mit dem „Pacte Logement 2.0“ ein Instrument, das seine Wirkung bestenfalls in den kommenden Jahren entfalten wird. Falls der Pakt sich bis dahin nicht im Zuständigkeits- und Planungsgewirr zwischen Gemeinden, Innen- und Wohnungsbauministerium verheddert.

Auch die Zahlen beim staatlichen Wohnungsbau sind ernüchternd. Zwar hat sich die Anzahl an Wohnungen, welche die „Société Nationale des Habitations à Bon Marché“ (SNHBM) jährlich baut, fast verdoppelt; das jedoch nur, weil vor einigen Jahren nur rund 150 Wohnungen im Jahr gebaut wurden. Doch bei einer Warteliste von mehr als 10.000 Personen würde selbst eine Verzehnfachung die Nachfrage nicht decken. Darüber kann auch der hundertste Verweis auf die Großprojekte „Elmen“ oder „Wunne mat der Woolz“ nicht hinwegtäuschen.

Mehr als ein soziales Problem

Derweil blieben Steuerinstrumente, die den Immobilienmarkt zusätzlich anheizen, über die letzten beiden Legislaturperioden unangetastet. Eine kritische Auseinandersetzung mit Instrumenten wie dem „Amortissement accéléré“ oder Steuererleichterungen beim Hauskauf findet allenfalls akademisch statt. Und das obschon die Maßnahmen die Steuerzahler jedes Jahr rund 600 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: 2021 hat das Wohnungsbauministerium rund 170 Millionen Euro in den Fonds für staatlichen Wohnungsbau investiert.

Es ist ein Ungleichgewicht, das symptomatisch für eine verzerrte Perspektive auf die Wohnungskrise ist. Denn unterschwellig wird diese immer noch als eine rein soziale Krise betrachtet, die vor allem finanzschwache Haushalte betrifft. Instrumente wie die Mietbeihilfe sollen die Krise für sie zwar abschwächen, lösen können sie sie jedoch nicht. Dessen ist sich scheinbar auch Familienministerin Corinne Cahen (DP) bewusst, die sich vor Kurzem im „Lëtzebuerger Land“ mit dem Satz zitieren lässt: „Im Idealfall kann man von seinem Einkommen leben.“

Realpolitisch betrachtet hat ein Großteil der Wählerschaft von der Preisentwicklung der vergangenen Jahre profitiert.“

Was bei der Lesart der Wohnungskrise als soziale Krise dabei immer mitschwingt, ist ihr Umkehrschluss. So viele Verlierer der Immobilienmarkt kennt, so viele Gewinner kennt er auch. Und die gilt es in einer „Demokratie der Grundbesitzer“, um einen Begriff des Wirtschaftswissenschaftlers Michel-Edouard Ruben aufzugreifen, nicht zu verprellen.

Realpolitisch betrachtet hat ein Großteil der Wählerschaft von der Preisentwicklung der vergangenen Jahre profitiert. Die Preise waren zwar hoch, doch durch das Versprechen, dass sie weiter steigen, konnte man darauf hoffen, mit Gewinn wieder zu verkaufen. Wer etwa 2013 eine Wohnung kaufte, konnte durch die jährliche Wertsteigerung darauf hoffen, sie 2021 im Schnitt mit einem Gewinn von rund 72 Prozent wieder zu verkaufen. Nicht wenige nutzen diese Entwicklung, um eine Immobilie nach einigen Jahren wieder zu verkaufen und mit dem Gewinn teilweise den Kauf eines Hauses mit Garten und Doppelgarage zu finanzieren – noch immer der „Luxemburger Traum“, was den Immobilienbesitz betrifft.

Mieten, mieten, mieten

Es war auch diese feine Balance, die einschneidende staatliche Eingriffe in den Immobilienmarkt politisch riskant machte. Was wäre etwa gewesen, wenn der Staat selbst zu viel gebaut hätte? Wenn das Angebot so weit gestiegen wäre, dass es einen Einfluss auf den freien Markt und die Preise gehabt hätte? Oder wenn man durch steuerliche Einschränkungen Investitionen in Immobilien erschwert hätte? Hätten die Wähler es verziehen? Das Motto war und bleibt offenbar: lieber nichts riskieren.

Doch vielleicht war es im Nachhinein diese Risikoabneigung, die zum größten Risiko werden könnte. Denn die Zinswende wird Folgen haben. So viel ist schon jetzt sicher. Dessen ist man sich auch bei den Banken bewusst. Im Gespräch mit „RTL“ unterstrich Guy Hoffman, Präsident der Bankenvereinigung ABBL, kürzlich, dass mit steigenden Zinsen wohl weniger Menschen einen Immobilienkredit genehmigt bekommen. Sollten die Preise stabil bleiben oder weiter steigen, würde demnach ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen.

Dass die Zinswende bereits Folgen für den Immobilienmarkt hat, betonte auch Jean-Paul Scheuren, Präsident der Immobilienkammer, ebenfalls bei „RTL“: „Der Immobilienmarkt steht unter Spannung. Das heißt, dass bei der Nachfrage, also bei dem, was den Leuten übrig bleibt, um eine Wohnung zu kaufen, der Druck immer weiter steigt.“ Eine direkte Folge, die auch Jean-Paul Scheuren bestätigt: Immer weniger Menschen können sich den Kauf einer Wohnung leisten.

Wohl oder übel bliebe für sie Mieten die einzige Lösung. Demnach würde sich der Preisdruck in diesem Szenario auch auf dem Mietmarkt deutlich verschärfen. Ein Markt, der bereits heute viele Haushalte an ihre wirtschaftlichen Grenzen bringt. So belegte jüngst eine Studie der Zentralbank, dass nur 18 Prozent der Mieter fähig wären, das Darlehen zurückzuzahlen, würden sie sich dazu entschließen, die Immobilie zu kaufen, in der sie aktuell wohnen. Würden die Mietpreise dieser Diskrepanz Rechnung tragen und sich dem vermeintlichen Wert der Wohnungen annähern, es wäre eine Hypothek für die ganze Gesellschaft – und damit auch politischer Sprengstoff für eine Demokratie.

Mit steigenden Zinsen für Immobiliendarlehen wird Kaufen für viele immer unrealistischer. Mieten wird oft zur einzigen Option. (Foto: Eric Engel)

Dabei ist die Hypothese, dass die Preise stabil bleiben, wohlverstanden das Best-Case-Szenario. Denn wenn Gaston Reinesch in seinem Blogeintrag vom Februar davon spricht, dass „la croissance des prix des logements à des taux aussi élevés que ceux observés au Luxembourg n’est pas viable (…)“, liegt das auch daran, dass diese laut Schätzungen seiner eigenen Zentralbank sowie des „European Systemic Risk Board“ im vergangenen Jahr zu schätzungsweise 51,3 Prozent überbewertet waren. Der am Montag veröffentlichte Jahresbericht der gleichen EU-Behörde geht für Luxemburg von der höchsten Überbewertung in der gesamten Union aus.

Neben einer Nachfrage, die das Angebot überstieg, waren dafür nicht zuletzt die niedrigen Zinsen verantwortlich. Konkret bedeutet das, dass sich der Immobilienkauf durch die zu erwartenden Mieteinnahmen schlicht nicht rechnet – ein Faktor, der zum Platzen der Immobilienmarkt-Blase führen könnte. Wirklich Sinn ergeben die Investitionen nur, wenn man von einer kontinuierlichen Wertsteigerung ausgehen kann.

Wirtschaftliche Verwerfungen

Ob die Preise in Luxemburg fallen werden, ist dabei natürlich Kaffeesatzleserei. Unwahrscheinlicher geworden ist eine Negativentwicklung mit den steigenden Zinsen jedenfalls nicht. Auch wenn dies wohl außerhalb des Vorstellungsbereichs einiger Immobilienagenturen liegen dürfte. Im Ausland gibt es die ersten Anzeichen dafür, dass der Immobilienmarkt deutlich abkühlt. Sowohl in Kanada als auch in Neuseeland, beides Länder, die einen ähnlich aufgeheizten Markt kannten wie Luxemburg, sind die Preise bereits gefallen.

Sollten die Preise tatsächlich sinken, würde sich das Modell der Luxemburger Immobilienleiter in sein Gegenteil verkehren. In einem Land, das eine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen aufweist, müssten Haushalte Darlehen für Wohnungen und Häuser abbezahlen, die weniger wert sind als beim Kauf. Ein Verkauf wäre ein Verlustgeschäft und die Restverschuldung sowie die gestiegenen Zinsen würden einen weiteren Immobilienkauf erschweren.

Hinzu kommt, dass der Bausektor, der bereits jetzt unter gestiegenen Baukosten leidet, durch sinkende Preise zusätzlich unter Druck geraten würde. Gewinner würde es bei einer solchen Entwicklung nur wenige geben. Denn bei fallenden Preisen wird die Aussicht auf mehr und besseren Wohnraum eher kleiner als größer. An der demografischen Grundproblematik der Wohnungskrise, dass es zu wenige Wohnungen für eine wachsende Bevölkerung gibt, würde eine Immobilienkrise ebenfalls schlicht nichts ändern.

Die Politik wäre in diesem Szenario noch mehr gefordert als bereits jetzt, um die wirtschaftlichen Verwerfungen fallender Preise aufzufangen. Die aktuellen politischen Mittel muten vor dieser Entwicklung jedenfalls an wie eine Weichenstellung für einen Zug, der bereits vor Stunden passiert ist.

Hinzu kommt die Perspektive, dass ein wesentlicher Teil der Bevölkerung nach dem schleichenden nun vor dem plötzlichen Bankrott stehen könnte. Fraglich ist nur, ob sich die Regierung dafür bereits nächstes Jahr verantworten muss oder Experten auch die kommenden fünf Jahre vor einer gefährlichen Abwärtsspirale auf dem Wohnungsmarkt warnen werden.


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