Luxemburgs Demokratie weist grundsätzliche Defizite auf. Die Diagnose ist nicht neu, doch die Politik tut sich seit Jahrzehnten schwer, die nötigen Reformen anzugehen. Ein Debattenbeitrag zur überfälligen Erneuerung des politischen Systems.

Am 1. Juli trat die neue Verfassung in Kraft. Das neue Grundgesetz ist das Ergebnis von über 15 Jahren inhaltlicher Vorbereitung und zähen politischen Verhandlungen. Die Reform versteht sich als grundlegende Modernisierung, die in der Tat einige Neuerungen bei den Bürgerrechten und bei der Funktionsweise der staatlichen Institutionen – insbesondere des Parlaments – beinhaltet.

Und doch beschränkt sie sich in den meisten Punkten auf eine verfassungsrechtliche Anpassung an die ohnehin schon praktizierte politische Realität. Die wirklichen Kontroversen im Hinblick auf eine grundlegendere Staatsform wurden von den federführenden großen Parteien bewusst ausgeklammert. Auch die nachweislichen Defizite der Luxemburger Demokratie wurden mit der Reform nicht ansatzweise aus der Welt geschafft.

Dabei gäbe es Möglichkeiten, um diese Mängel zu beheben, die zum Teil auch schon Gegenstand früherer Debatten waren. Vom Wahlrecht und den Doppelmandaten über eine Territorialreform bis hin zur Stärkung des Parlamentarismus und des direkten Bürgerdialogs: Ein Fahrplan auf dem Weg zur Erneuerung der Luxemburger Demokratie.

1. Eine Reform des Wahlsystems

Wahlen sind der Kern und der Höhepunkt der modernen, repräsentativen Demokratie. Demnach prägt das Wahlrecht auch maßgeblich das Ausmaß der Legitimität eines politischen Systems. Luxemburgs Wahlsystem ist veraltet und umstritten. Ein Kritikpunkt, der sowohl in der politischen Debatte als auch von Experten oft hervorgehoben wird, sind die vier Wahlbezirke. Die Aufteilung führt dazu, dass kleine Parteien in den kleinen Bezirken schlechtere Chancen haben. Auch das Verfahren der Restsitze-Verteilung verfälscht regelmäßig die demokratischen Verhältnisse.

Die Abschaffung der vier Bezirke zugunsten eines einzigen, nationalen Wahlbezirks ist naheliegend und kommt in der Debatte über eine Wahlrechtsreform immer wieder als Forderung auf. Ein einheitlicher Wahlbezirk, unter Beibehaltung des personalisierten Verhältniswahlrechts, klingt in der Tat vielversprechend. Mit der aktuellen Tradition des Panaschierens und Kumulierens der persönlichen Stimmen wäre ein solches System aber auch anfälliger für fehlerhafte Wahlzettel. Eine gesicherte elektronische Abstimmung könnte hier Abhilfe schaffen.

Ein einheitlicher Wahlbezirk könnte allerdings auch dazu führen, dass nur noch wenige Abgeordnete aus dem Norden und Osten im Parlament vertreten sind. Eine Möglichkeit für eine beschränkte Reform des Wahlsystems wäre daher eine Anpassung des Sitzverteilungsverfahrens.

Eine Reform des Luxemburger Wahlsystems wird regelmäßig diskutiert, doch zur Umsetzung möglicher Alternativen fehlt nach wie vor der politische Wille. (Foto: Mike Zenari)

Kein Wahlsystem ist perfekt. Ein gerechteres Wahlsystem muss allerdings drei fundamentale Kriterien erfüllen: Zum einen sollte die Sitzverteilung im Parlament das Ergebnis bestmöglich widerspiegeln. Zum anderen sollten Wählerstimmen bei der endgültigen Verteilung nicht an Wert verlieren. Schließlich sollten Wahlen in der Regel auch stabile Mehrheiten im Parlament ermöglichen. Hinzu kommt aber eben die regionale Komponente, die gerade in Luxemburg eine lange Tradition hat.

Um auch bei einem nationalen Wahlbezirk den regionalen Unterschieden des Landes Rechnung zu tragen, könnte das System einer Erst- und einer Zweitstimme eingeführt werden. Der Wähler könnte dann einerseits für eine Person aus seiner Gemeinde bzw. aus seinem Wahlkreis stimmen. Wer dort die meisten Stimmen auf sich vereinigt, erhält ein Direktmandat im Parlament. Mit der Zweitstimme könnte der Wähler dann nationalweit eine Partei – und somit auch einen Spitzenkandidaten – wählen.

Dieses System, das etwa bei den deutschen Bundestagswahlen praktiziert wird, ließe sich auch mit dem aktuellen Wahlsystem kombinieren, indem das Panaschieren weiterhin erlaubt wäre. Da die Hälfte der Abgeordneten über ein Direktmandat ins Parlament einzieht, könnte man dann jedoch nur 30 Stimmen nationalweit vergeben – vorausgesetzt man bleibt bei der aktuellen Größe der Abgeordnetenkammer von 60 Sitzen. Andererseits müsste man auch die Wahlkreise für die Erststimme auf 30 beschränken und die Zahl der Ausgleichsmandate zwischen beiden Stimmen zumindest begrenzen.

2. Eine neue politische Landkarte

Würde man sich für das oben skizzierte System entscheiden, böte sich parallel eine weitere Grundsatzreform an: die Neuordnung der Gemeinden. Eine solche Territorialreform gehört ebenso zu den alten Bekannten der politischen Debatte. Mehrere Regierungen trieben das Vorhaben voran. Noch im Wahlkampf 2018 plädierte der damalige CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler für eine grundlegende Territorialreform.

Der abstrakte Begriff hatte dabei stets ein sehr konkretes Ziel, nämlich die Anzahl der Luxemburger Gemeinden durch Fusionen deutlich zu verringern. Das Ziel der CSV lautete damals: 60 Gemeinden, also exakt 40 weniger als heute. 1976 war die sozial-liberale Koalition noch weiter gegangen, als sie eine neue politische Landkarte von nur mehr 39 Gemeinden zeichnete. Bekanntlich wurden all diese Reformideen nie umgesetzt.

Offensichtlich ist aber: Weniger, und dafür größere Gemeinden hätten eine Reihe von Vorteilen: Die Kommunalverwaltungen wären finanziell und personell besser aufgestellt, und sie könnten ihrer Verantwortung bei der Lösung von Problemen nationaler Bedeutung – etwa beim Wohnungsbau – besser gerecht werden.

Eine Territorialreform könnte aber auch der Anfang einer umfassenden Staats- und Demokratiereform sein. Gemäß der Reform des Wahlsystems könnte man das Ziel der Gemeindefusionen noch etwas ambitionierter gestalten: 30 Gemeinden, mit jeweils zwischen 20.000 und 25.000 Einwohnern, die gleichzeitig als neue Wahlkreise dienen könnten …