Luxemburg ist stolz auf seinen billigen Sprit. Der Staat hängt an den Einnahmen aus dem Tanktourismus. Doch damit bleiben die Klimaziele kaum erreichbar. Der Tankrabatt verdeutlicht: Im Zweifel entscheidet sich Blau-Rot-Grün gegen den Klimaschutz. Eine Analyse.

„Ich bin persönlich dafür, den Tanktourismus ganz abzuschaffen. Quasi nur mit dieser Maßnahme würden wir unsere Klimaziele erfüllen und wir würden sehr viel Geld sparen, das wir ansonsten investieren müssten.“ Der LSAP-Abgeordnete Dan Kersch argumentierte in der Steuerdebatte gewohnt ketzerisch. Doch zugleich bekräftigte er das vorherrschende Bild vom „Sprit-Export“, wie es politisch korrekter heißt.

Zwei Milliarden Liter Diesel und Benzin werden jährlich in Luxemburg verkauft. Doch das ist nur bedingt „unser“ Problem – so lautet zumindest der staatstragende Konsens von Parlament über Gewerkschaften bis zu den Arbeitgebern. Stark vereinfacht lautet das Argument: Dem Klima ist es egal, wo getankt wird. Dem Luxemburger Staat sind die knapp eine Milliarde Euro an Einnahmen, die aus dem sogenannten Tanktourismus entspringen, aber nicht gleichgültig.

Das Steuerdumping der Anderen

Der Streit um Sinn und Unsinn des Tankrabatts sowohl innerhalb der Koalition als auch zwischen Mehrheit und Opposition zeigt, dass die bisherige Strategie zur Verteidigung des Tanktourismus an ihre Grenzen stößt. Blau-Rot-Grün wollte die Abgaben auf Diesel und Benzin langsam erhöhen und so das Phänomen, dass Grenzgänger im Großherzogtum ihren Kraftstoff kaufen, kontrollieren. Gleichzeitig sollte damit verhindert werden, dass im Staatshaushalt ein Milliardenloch entsteht.

Blau-Rot-Grün hat den Tankrabatt beschlossen, ohne umfassend zu analysieren, was diese Maßnahme steuerlich, sozial und klimapolitisch bedeutet.“

Doch die Explosion der Spritpreise infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat die Gleichung geändert. Seit dem Frühling überbieten sich die Nachbarländer mit Tankrabatten: Belgien zieht 17,5 Cent ab, Frankreich erhöht im September seine „Remise carburant“ von 18 auf 30 Cent und in Deutschland sind es 35 Cent beim Benzin und 17 Cent beim Diesel. Obwohl die Nachlässe der Nachbarn deutlich über den hiesigen 7,5 Cent liegen, bleiben Diesel und Benzin in Luxemburg dennoch billiger – zumindest im Schnitt (siehe Karte). Das wäre sogar ohne Tankrabatt der Fall.

Doch die Rabattschlacht kommt für Luxemburg zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Erhöhung der CO2-Steuer im Januar führte dazu, dass die hiesigen Preise für Spediteure aus Frankreich und Belgien nicht mehr konkurrenzfähig waren, weil die Nachbarländer ihnen einen Teil der Abgaben erstatten. Das erklärte der Direktor der Zollverwaltung, Alain Bellot, den Abgeordneten im Vorfeld der Steuerdebatte.

In den ersten sechs Monaten des Jahres verlief noch alles nach Plan, wie Zahlen des Finanzministeriums zeigen. Die Einnahmen aus dem Benzinverkauf nahmen um 23 Prozent zu, der Dieselverkauf war leicht rückläufig. Doch das Inkrafttreten des deutschen Tankrabatts änderte die Lage dramatisch: Im Juni gingen die Verkäufe in Luxemburg um teils mehr als 20 Prozent zurück, heißt es aus Regierungskreisen. Um die Einnahmeverluste und die Differenz zu Deutschland zu begrenzen, sei es nötig, den Tankrabatt weiterlaufen zu lassen, lautete koalitionsintern die Vorgabe. Die deutsche Ampelkoalition hält momentan an einem Auslaufen des Tankrabatts Ende August fest.

Vor allem für Touristen und Spediteure

Während ADR und CSV offen die Rettung des Tanktourismus als Ziel ausgeben, nannte Finanzministerin Yuriko Backes (DP) öffentlich einen anderen Grund. „Da viele Menschen auf das Auto angewiesen sind, wollen wir ihnen noch eine gewisse Zeit unter die Arme greifen“, sagte sie im Interview mit „RTL“. Die Verlängerung des Tankrabatts vom 31. Juli bis zum 31. August kostet laut Finanzministerium 11,5 Millionen Euro aufgrund des Abzugs von 7,5 Cent pro Liter. Addiert zu den Kosten seit dem Beginn der Maßnahme am 13. April sind es 65,5 Millionen Euro.

Die Bürgerinnen und Bürger haben allerdings wenig von dieser vorgeblichen Entlastung. Durchreisende, LKWs und Grenzgänger tanken über zwei Drittel des hierzulande verkauften Benzins und Diesels. Das heißt, sie sind es, die die Finanzministerin mit mehr als 44 Millionen Euro entlastet. Vizepremier François Bausch (Déi Gréng) bezeichnete den Tankrabatt im Interview mit Reporter.lu als „sinnlos“, dennoch trug seine Partei die Verlängerung als „letzten“ Kompromiss mit.

Dazu kommt, dass der Tankrabatt sozial ungerecht ist. Das Statistikamt "Statec" legte der Tripartite zwar Berechnungen vor, wonach die Entlastung mit einer jährlichen Einsparung zwischen 47 und 53 Euro für alle Einkommensgruppen ähnlich ausfallen würde. Doch der Thinktank "Idea" schätzte, dass ein Haushalt mit zwei Personen mit niedrigem Einkommen 67 Euro im Jahr sparen würde, ein Haushalt der höchsten Einkommensklasse jedoch 108 Euro.

Blau-Rot-Grün hat den Tankrabatt beschlossen, ohne umfassend zu analysieren, was diese Maßnahme steuerlich, sozial und klimapolitisch bedeutet. Es sei nicht berechnet worden, ob die Senkung der Akzisen zu mehr oder weniger Verkäufen führen werde, heißt es aus dem Finanzministerium auf Anfrage von Reporter.lu.

Die Kosten von 11,5 Millionen Euro beziehen sich auf das Verkaufsvolumen von August 2021, aber mit 7,5 Cent weniger Akzisen pro Liter. In einem ersten Entwurf für die Verlängerung nannte das Finanzministerium aber einen Kostenpunkt von 24 Millionen Euro. Offenbar war dabei der erwartete Rückgang der Volumen durch den deutschen Tankrabatt zusätzlich eingerechnet. Klar ist: Die Sprunghaftigkeit der Einnahmen aus dem Spritverkauf sorgt bei Regierung und Verwaltungen für Kopfschmerzen.

Luxemburgs Klimaziele in Gefahr

Weniger Sorgen macht sich die Koalition offenbar um das Klima. Dabei ist hier der Handlungsspielraum sehr begrenzt. Das Klimagesetz von 2020 legte Emissionsmengen für einzelne Bereiche wie Transport, Industrie und Landwirtschaft fest. Der CO2-Ausstoß aus dem Spritverkauf soll demnach bis 2030 halbiert werden und deshalb sinkt das Kontingent jedes Jahr. Für das erste Jahr, in dem die sektoriellen Ziele gelten, vermeldet das Umweltministerium einen Erfolg in der provisorischen Bilanz: Die Emissionen aus dem Transport lagen 6,3 Prozent unter dem Ziel. Da etwa die Industrie deutlich über ihrer Vorgabe lag, schaffte Luxemburg sein Klimaziel nur ganz knapp mit einem Prozent unter dem Grenzwert.

Damit wird sehr ungewiss, ob es der Regierung gelingen wird, auch dieses Jahr ihre Klimaziele zu erreichen. Es dürften nur minimal mehr Liter Sprit verkauft werden als 2021, damit die Vorgabe für dieses Jahr eingehalten werden kann. Der Rückgang von drei Prozent beim Dieselverkauf bis Ende Juni zeigt, dass es bisher sehr knapp ist. Doch eigentlich müsste mehr gespart werden, um den anderen Bereichen mehr Spielraum zu geben. Aufgrund der Gasversorgungskrise dürfte die Industrie in vielen Fällen auf Alternativen wie etwa Heizöl zurückgreifen. Damit steigen aber die CO2-Emissionen wesentlich an.

Die Regierung wird sich entscheiden müssen: Tanktourismus und Luxemburger Autokultur fördern oder den Klimaschutz ernst nehmen. Beides zusammen geht nicht."

Die Krux ist: Der Verkauf von Diesel und Benzin macht 60 Prozent aller Emissionen aus. Der Grund ist die Berechnungsmethode: International gilt das Herkunftsprinzip. Die Milliarden Liter Diesel und Benzin werden hier im Land verkauft, also fließen die daraus resultierenden Emissionen in Luxemburgs Klimabilanz mit ein. In der politischen Debatte wird aber verschwiegen, dass der hier verbrauchte Strom vorwiegend importiert wird und deshalb in der Klimabilanz fehlt.

Konkret bedeutet das, dass jede Fotovoltaikanlage gut für das Klima ist, aber an den CO2-Emissionen Luxemburgs nichts ändert. Genauso wenig befreit diese statistische Methode die Regierung von ihrer Verantwortung. Rechnet man den Tanktourismus aus der Bilanz heraus, bezieht aber den Stromverbrauch mit ein, ändert sich am Resultat quasi nichts. Das geht aus dem Emissionsbericht der Umweltverwaltung hervor. Dazu kommt, dass die Biokraftstoffe, die Diesel und Benzin untergemischt werden, in der Klimabilanz herausgerechnet werden.

Blau-Rot-Grün in der Sackgasse

Aus alldem wird deutlich: DP, LSAP und Déi Gréng haben sich in eine Sackgasse manövriert. Die Opposition fordert bereits eine weitere Verlängerung des Tankrabatts bis Ende September. Ist das Ziel, die Haushalte wegen der hohen Spritpreise zu entlasten, dann ist das auf den ersten Blick eine logische Konsequenz. Prognosen der US-Behörden sehen den Ölpreis in der zweiten Jahreshälfte leicht fallen, aber dann auf einem hohen Niveau knapp unter 100 US-Dollar pro Barrel stagnieren. Jeder Fortschritt der Klimapolitik wäre infrage gestellt. Der Tankrabatt hebt de facto die CO2-Steuer auf Diesel und Benzin auf und neutralisiert die bisher einzige, wirkungsvolle klimapolitische Maßnahme.

Eigentlich, so hört man übereinstimmend aus Regierungskreisen, geht es der Koalition aber darum, die Einnahmen aus dem Tanktourismus nicht zu verlieren. „Wir dürfen uns nicht krampfhaft an diesen Einnahmen festkrallen, sondern müssen alternative Einkünfte für den Staat suchen“, sagt hingegen François Benoy (Déi Gréng). In der Steuerdebatte hätten die Parteien viele konkrete Vorschläge gemacht, die mehr Steuergelder einbringen könnten, so der Vorsitzende der parlamentarischen Umweltkommission im Gespräch mit Reporter.lu.

Doch neben dem Staat haben sich auch die Luxemburger an den billigen Sprit gewöhnt. Auf 1.000 Einwohner kommen in Luxemburg 682 Autos – so viel wie in keinem anderen Land. Die neueren Autos stoßen im Schnitt 120 Gramm CO2 pro Kilometer aus und sind damit im Durchschnitt klimaschädlicher als in jedem anderen westeuropäischen Land. Zwischen 1990 und 2020 verdoppelten sich die Emissionen von Autos in Luxemburg – ganz ohne Tanktouristen.

Allein diese Zahlen zeigen, dass das Problem größer ist als der Tanktourismus. Der Tankrabatt lässt diese Konflikte und Unwägbarkeiten offen zutage treten. Die Regierung wird sich demnach entscheiden müssen: Tanktourismus und Luxemburger Autokultur fördern oder den Klimaschutz ernst nehmen. Beides zusammen geht nicht.