Eigentlich war die Steuerreform vor den Wahlen nicht mehr geplant. Nun soll sie doch kommen – in abgeschwächter Form. Die Tripartite-Maßnahme soll alle zufriedenstellen. Doch sie verdeutlicht auch die neuen Machtverhältnisse in der Koalition. Eine Analyse.

Von sozialer Gerechtigkeit war am Freitagabend nur kurz die Rede. Man müsse sich noch Spielraum lassen, um „langfristig die Steuern anzupassen und sozial gerecht zu gestalten“, sagte Paulette Lenert (LSAP) vor der Presse im Schloss Senningen. Dieses langfristige Ziel war gar nicht erst Teil der Tripartite-Verhandlungen, die nach acht Stunden zu einer Einigung führten. „Hier ging es nicht um Steuergerechtigkeit“, sagt auch Lex Delles (DP) im Gespräch mit Reporter.lu.

„Für uns ist klar, dass das erst der Anfang sein kann“, meint Dan Kersch (LSAP) gegenüber Reporter.lu. Für die Sozialisten gilt offenbar: Nach der Tripartite ist vor der Tripartite. Demnach sei eine Steuerreform in der kommenden Legislaturperiode unausweichlich. Erst dann soll auch über Gerechtigkeit geredet werden.

Was bei der LSAP wie eine Selbstverständlichkeit wirkt, ist alles andere als das. Dass es bei dieser Tripartite überhaupt um eine Steuerreform ging, stellt für die Sozialisten einen Teilerfolg dar. Zurzeit wirkt es, als würde die LSAP ihre Koalitionspartner – und vor allem die DP – vor sich hertreiben. Unterstützt wird sie dabei von einer geeinten Gewerkschaftsfront. Das war bei vergangenen Tripartite-Verhandlungen auch schon einmal ganz anders.

LSAP zurück im Gewerkschaftsboot

„Heute Morgen war es nicht einmal sicher, ob die Frage der Anpassung der Steuertabelle überhaupt auf der Tagesordnung steht“, sagte Nora Back während der Pressekonferenz im Anschluss an die Tripartite. Letztlich stand die Anpassung nicht nur auf der Tagesordnung, sondern wurde am Ende im Konsens beschlossen.

Da die Steuertabelle seit 2013 nicht an die Inflation angepasst wurde, habe die automatische Lohnanpassung durch den Index nicht zu einer vollständigen Kompensierung des Kaufkraftverlustes geführt, so die Argumentation der Gewerkschaften. Sie hatten deshalb in den Wochen vor den Verhandlungen genau diese Anpassung gefordert.

Wir sind eine Partei, die für Steuersenkungen steht.“
Lex Delles, DP-Vorsitzender

Offiziell hat die Regierung erst am Mittwoch vor der Tripartite diskutiert, ob am Freitag auch über die Steuerpolitik gesprochen werden soll. Immerhin gehöre dieses Politikfeld eigentlich nicht in den Kompetenzbereich einer Tripartite, meinte Premierminister Xavier Bettel (DP) nach den bilateralen Gesprächen mit den Gewerkschaften vor einer Woche.

Allerdings liefen die koalitionsinternen Verhandlungen zu dem Zeitpunkt bereits seit gut einer Woche. Laut Informationen von Reporter.lu saß die Regierung am vergangenen Donnerstag zwei weitere Male zusammen, um sich zu beraten. Erst am Freitagmorgen, kurz vor der Tripartite, konnten sich die Koalitionsparteien dann auf eine gemeinsame Position einigen. Dass es dabei unter anderem um Steuern gehen soll, war allerdings schon vor diesen letzten Sitzungen klar.

Bloßgestellte Finanzministerin

Aus regierungsnahen Kreisen heißt es, dass nicht die DP, sondern vor allem ihre Finanzministerin überzeugt werden musste. In den vergangenen Monaten hatte sie eine strukturelle Steuerreform noch kategorisch ausgeschlossen.

„Mit mir gibt es kein finanzpolitisches Harakiri“, hatte Yuriko Backes (DP) schon bei der Vorstellung des Budgets für das Jahr 2023 gesagt. Eine „massive Steuerreform“ sei mit ihr nicht möglich. Allerdings erklärte sie auch, dass gezielte Steuererleichterungen denkbar wären, wenn es dafür einen finanziellen „Sputt“, also Spielraum, gebe. Einen solchen identifizierte man laut der DP-Erzählung erst Ende Januar und aus gezielten Maßnahmen wurde während der koalitionsinternen Verhandlung eine allgemeine Anpassung der Steuertabelle.

„Wir sind eine Partei, die für Steuersenkungen steht“, sagt Lex Delles im Gespräch mit Reporter.lu. Eine Anpassung der Tabelle sei demnach keine Umkehr der liberalen Politik, so der Vorsitzende der Liberalen. Allerdings war es seine Partei, die in den vergangenen Monaten in dieser Frage kräftig auf das Bremspedal drückte. „Wenn man die Steuertabelle an die Inflation anpasst, ist jeder Gewinner. Das wäre eine strukturelle Ausgabe, die in Krisenzeiten nicht verantwortlich ist“, sagte die Finanzministerin noch vor rund zwei Wochen gegenüber „RTL“. Die Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern sollten allerdings erst an jenem Tag beginnen. Yuriko Backes war diesen Diskussionen mit ihrer Aussage zuvorgekommen und dabei wohl zu weit vorgeprescht.

Im Interview mit „Radio 100,7“ rechtfertigte sie sich drei Tage nach der Tripartite, dass sich ihre damalige Aussage auf eine vollständige Anpassung der Tabelle an die Inflation, also in Höhe von sechs bis acht Indextranchen bezogen habe. Der jetzige Beschluss sehe aber eben nur eine Anpassung von 2,5 Indextranchen für das kommende Jahr vor. In diese Lage, sich rechtfertigen zu müssen, hatte sich die Finanzministerin jedoch selbst gebracht. In der Absicht, als prinzipienfeste Kassenwartin politisch zu punkten, steht sie nun innerhalb der Regierung isoliert da.

Der „Sputt“ macht es möglich

In einer Pressemitteilung vom 30. Januar hatte das Ministerium von Yuriko Backes mitgeteilt, das Haushaltsdefizit werde mindestens 500 Millionen Euro geringer ausfallen als drei Monate zuvor angenommen. Der Titel der Mitteilung lautete: „Ich werde gezielte Steuererleichterungen vorschlagen, um die Kaufkraft der Haushalte zu unterstützen.“ Die Debatte, was mit diesen Mitteln möglich ist, war somit eingeläutet.

Allerdings kam es nicht zu einem Versuch, sich gegenseitig zu überbieten, wie vielleicht anzunehmen war. Stattdessen einigten sich die Gewerkschaften auf die Forderung einer Anpassung der Steuertabelle. Innerhalb der LSAP warb Dan Kersch schon seit Monaten für die gleiche Maßnahme und selbst die größte Oppositionspartei CSV stellte diese Forderung. Obwohl es in den drei Regierungsparteien auch Stimmen für gezielte Entlastungen in Form eines Steuerkredits gab, wurde der Druck in Bezug auf eine Anpassung der Steuertabelle schlicht zu groß.

Widerstand gab es laut Informationen von Reporter.lu nur noch durch die Finanzministerin. „Man kann Yuriko Backes vorwerfen, sie würde zu viel auf die Finanzen achten, aber das ist ihre Rolle“, sagt DP-Präsident Lex Delles. Dabei mussten die Koalitionsparteien wohl auch den finanziellen Spielraum für die Verhandlungen mit der Ministerin neu aushandeln.

Maßnahmenkatalog ohne Budget

Mit den 500 Millionen Euro „Sputt“ galt der finanzielle Rahmen eigentlich als gesetzt. Dies wurde den Sozialpartnern auch entsprechend kommuniziert, heißt es aus Verhandlungskreisen. Diese Summe galt es demnach nicht zu überschreiten. Der erste Vorschlag der Regierung beinhaltete eine Verlängerung der letzten Tripartite-Maßnahmen um drei Monate. Zusätzlich sollte die Steuertabelle um eine Indextranche angepasst werden. Allerdings stieß das nicht auf die Zustimmung der Sozialpartner. Anstatt unter den gleichen Bedingungen einen neuen Vorschlag auszuhandeln, kam die Regierung dann den Forderungen der Sozialpartner deutlich stärker entgegen als angenommen.

Yuriko Backes stellte bei der Vorstellung des Budgets gezielte Steuererleichterungen in Aussicht. Aus einer gezielten wurde während der Tripartite jedoch eine breite Entlastung. (Foto: Mike Zenari)

Das am Dienstag unterzeichnete Übereinkommen sieht nun eine Verlängerung der letzten Tripartite-Maßnahmen um ein Jahr vor und eine höhere Anpassung der Steuertabelle. Bei den Verhandlungspartnern ging man davon aus, dass der erste Vorschlag das vorhandene Budget also nicht ausschöpfte und dieser neue Vorschlag deshalb möglich wurde. Zumindest in einem Punkt gibt es aber eine Kontinuität zu den vergangenen Tripartite-Verhandlungen: Wie wenig über die tatsächlichen Kosten diskutiert wurde, zeigt sich erst nach den Gesprächen.

Allein die steuerpolitischen Anpassungen würden den Staat etwas weniger als eine halbe Milliarde Euro kosten, stellte die Finanzministerin am Montag im Gespräch mit „Radio 100,7“ klar. Die Verlängerung der Maßnahmen würde zusätzlich 350 Millionen Euro kosten, so Yuriko Backes. Dazu zähle auch die Kompensierung der dritten Indextranche durch den Staat, die gegen Ende des Jahres anfallen könnte. Das Gesamtvolumen des Übereinkommens liegt also deutlich höher als zuvor angenommen.

Die Regierung bleibt sich demnach treu, bei den Verhandlungen nur über ein Gesamtvolumen zu kommunizieren und die genauen Berechnungen erst nachträglich durchzuführen. Im Übereinkommen ist lediglich der Kostenpunkt für die Übernahme der Indextranche für dieses Jahr auf 60 Millionen Euro monatlich beziffert. Das bekräftigt den Anschein, dass es in erster Linie darum ging, jeden zufriedenzustellen – auf Kosten der Finanzministerin.

Blau-rot-grünes Patchwork

Während der Pressekonferenz nach den Verhandlungen in Senningen forderte Xavier Bettel seine beiden Vizepremiers auf, noch ein Wort zum neu geschnürten Paket zu sagen. Der Premier gab die großen Linien vor, seine Finanzministerin die Details und Paulette Lenert (LSAP) und François Bausch (Déi Gréng) die für ihre Parteien relevanten Maßnahmen.

Auch wenn ich gerne selektivere Maßnahmen gehabt hätte, so bestand aber ein sehr großer Konsens für Steuererleichterungen bis weit in die Mittelschicht hinein.“Finanzministerin Yuriko Backes im Parlament

Die LSAP-Spitzenkandidatin hob vor allem die Anpassung der Steuertabelle hervor. Die Grünen konnten indes einen wenig beachteten Erfolg mit der Einführung eines Klima-Steuerkredits für sich verbuchen. Zwar fließt bereits aktuell die Hälfte der Einnahmen der CO2-Steuer an die Steuerzahler zurück, aber diese Rückzahlung war bisher nicht gesetzlich verankert. In Zukunft ist der Betrag auf der Gehaltsabrechnung sichtbar. Zusätzliche Maßnahmen betreffen den Wohnungsbau und die Besteuerung von Solarstrom.

Die Hauptforderungen der jeweiligen Verhandlungspartner konnte man somit erfüllen: Die LSAP und die Gewerkschaften erhielten die Anpassungen der Steuertabelle, die Unternehmen die Verlängerung der Beihilfen sowie die Übernahme einer möglichen dritten Indextranche bis Ende Januar 2024, die Grünen Maßnahmen im Klima- und Wohnungsbaubereich und die DP die Einhaltung der Schuldengrenze von 30 Prozent des BIP – zumindest voraussichtlich. So konnte innerhalb von acht Stunden bereits ein Übereinkommen vorgestellt werden. Kontroverse Debatten wurden ausgeklammert.

Wahlkampf- statt Verhandlungsthema

Diese wollte man sich für den Wahlkampf aufheben. Dann soll es eben auch um Steuergerechtigkeit gehen. Die DP will etwa weiter an der Individualisierung des Steuersystems festhalten. Die Sozialisten und die Grünen fordern zusätzlich eine stärkere Besteuerung von höheren Einkommen. An den Positionen hat sich seit der Debatte im vergangenen Sommer kaum etwas geändert. Was nun anders ist, ist der mögliche Spielraum für eine Reform. Dieser „Sputt“ ist nämlich definitiv kleiner geworden.

Fest steht: Die Anpassung der Steuertabelle wird auch für kommende Regierungen zu geringeren Einnahmen führen, die womöglich für gezieltere Entlastungen benötigt worden wären. Dan Kersch sieht das jedoch eher gelassen. „In den beiden kommenden Jahren wird der Indexmechanismus wohl noch öfter ausgelöst. Dadurch steigen auch die Einnahmen aus der Lohnsteuer, die für die Finanzierung einer Reform benötigt werden“, so der ehemalige Vizepremier.

Auch die DP will eine Steuerreform, die über die nun beschlossenen Maßnahmen hinausgeht. Doch das Einhalten der Schuldengrenze bleibt dafür weiterhin Bedingung. Damit steht und fällt die Reform mit der wirtschaftlichen Lage des Landes. Denn ein weiteres Maßnahmenpaket würde den Spielraum wohl ganz auffressen. Sollte die Lage sich weiter verschlechtern, wird der Ruf nach gezielten Maßnahmen wieder laut – womöglich auch noch vor den Wahlen. Die Frage ist dann, wie lange die Finanzministerin dieses Mal standhalten kann.


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