Mit der Legalisierung von Cannabis wollte Blau-Rot-Grün die Drogenpolitik revolutionieren. Nun soll nur der Eigenanbau erlaubt werden. Das Scheitern eines der größten Versprechen der Koalition ist vor allem der LSAP zuzuschreiben. Eine Analyse.
Es war die große Überraschung der Neuauflage von Blau-Rot-Grün. Die Regierung setzte sich zum Ziel, Cannabis zu legalisieren. Dafür wollte der damalige Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP) auf eine nationale Produktions- und Verkaufskette setzen. Luxemburg sollte das erste Land in der EU sein, in dem Cannabis kommerziell angebaut und verkauft wird.
In einem 60-seitigen Arbeitsdokument des Gesundheitsministeriums vom Dezember 2019 wurde sogar die geografische Verteilung von 14 Verkaufsstellen schon festgelegt. Das Dokument, das Reporter.lu vorliegt, sollte eine kleine Revolution in der Drogenpolitik einläuten. Zweieinhalb Jahre später ist davon nicht mehr viel übrig.
„Es wird empfohlen, den Eigenanbau von Pflanzen zumindest in einer Anfangsphase nicht zu erlauben“, heißt es in demselben Dokument. Doch genau das will Sam Tanson (Déi Gréng) nun als Erstes tun. Das neue Teil-Legalisierungs-Projekt der Regierung ist demnach genau das Gegenteil der ursprünglichen Pläne.
Für die Justizministerin war es eine Frage der Realpolitik: Dies sei innerhalb der Regierung diskutiert und noch als „realistische Option“ empfunden worden, so Sam Tanson auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Im Umkehrschluss heißt das, dass die ursprünglichen Legalisierungspläne nicht mehr umsetzbar sind. Der Grund dafür ist vor allem auf einen Koalitionspartner der Grünen zurückzuführen.
Politischer Druck der Jugendparteien
Dass die Legalisierung es 2018 überhaupt in den Koalitionsvertrag geschafft hat, ist in erster Linie den Jugendparteien zu verdanken. Sie gründeten 2014 ein Bündnis für die Legalisierung von Cannabis. Bei den Grünen rannten sie offene Türen ein, die Legalisierung stand bereits seit Längerem in ihrem Wahlprogramm. Die DP indes musste sich erst von ihrer Jugendpartei überzeugen lassen. „Es gab zwar auch Stimmen gegen eine Legalisierung, aber Parteipräsidentin Corinne Cahen setzte sich durch“, sagt Michael Agostini, Vorsitzender der Jungen Demokraten im Gespräch mit Reporter.lu.
Als klar wurde, dass sowohl die Grünen als auch die DP hinter einer Legalisierung stehen würden, musste nur noch die LSAP überzeugt werden. Das Kalkül ging auf: „Wir wussten, wenn alle drei Parteien wieder eine Regierung stellen würden, hätten sie keine andere Wahl, als die Legalisierung in den Koalitionsvertrag aufzunehmen“, so Michael Agostini.
In ihren Parteien stießen die Jugendpolitiker allerdings auch auf Widerstand. Auf dem Wahlkongress der Sozialisten 2018 äußerten sich mehrere LSAP-Mandatsträger, darunter Mars Di Bartolomeo und Lydia Mutsch, kritisch über eine mögliche Legalisierung der Droge. Die beiden früheren Gesundheitsminister befürchteten, dass so der Zugang zu Cannabis für Jugendliche vereinfacht werde. Eine Sorge, die laut regierungsnahen Quellen auch von Claude Meisch (DP) geteilt wird. Allerdings trat bei den Legalisierungsplänen nicht das Bildungsministerium auf die Bremse. Der Widerstand kam aus dem Gesundheitsministerium selbst.
Auch aus wirtschaftlichen Interessen
Das war zu Beginn anders. Als Etienne Schneider nach den Wahlen 2018 die Geschicke in der Villa Louvigny übernahm, sollte es nämlich schnell gehen. Der damalige Wirtschafts- und Gesundheitsminister reiste mit Justizminister Felix Braz (Déi Gréng) nach Kanada, um sich dort über die Legalisierung zu informieren. Dabei lud er auch internationale Experten ein, um gemeinsam ein Konzept für Luxemburg auszuarbeiten.

Unter Etienne Schneider wurde das Projekt offiziell als Frage der öffentlichen Gesundheit behandelt. Durch den Fokus auf die Erstellung einer nationalen Lieferkette spielten jedoch auch wirtschaftliche Interessen mit. „Angesichts des offensichtlichen Mangels an Infrastruktur und Erfahrung mit dem Anbau und der Produktion von Cannabis in einem legalen und kontrollierten Rahmen und Umfeld wird eine nationale Produktions- und Lieferkette ein langwieriges Unterfangen sein“, hieß es bereits im Konzeptpapier des Ministeriums.
Wäre also eine voll umgesetzte Legalisierung tatsächlich noch für diese Legislaturperiode beabsichtigt gewesen, müsste das Gesetz wohl bereits heute verabschiedet sein. Mit dem Ausscheiden von Felix Braz und Etienne Schneider aus der Regierung verlor das Projekt jedoch seine beiden größten Fürsprecher. Während zumindest Sam Tanson die Arbeit im Justizministerium vorantrieb, geriet die Arbeit an einem Konzept im Gesundheitsministerium ins Stocken. Laut offizieller Begründung habe die Pandemie den Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie bot jedoch vor allem der neuen Gesundheitsministerin eine gute Ausrede, um das – auch bei ihr – unbeliebte Projekt auf Eis zu legen.
Widerstand in den LSAP-Ministerien
In den ersten Monaten der Pandemie war Paulette Lenert (LSAP) in der Tat vor allem mit dem Krisenmanagement beschäftigt. Im September 2020 jedoch sollte langsam wieder die legislative Arbeit aufgenommen werden. Eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Legalisierung von Cannabis kam erstmals seit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Paulette Lenert zusammen. Damals bekannte man sich noch zu den ursprünglichen Plänen. In weiteren Sitzungen sollten Arbeitsgruppen an verschiedenen Themenbereichen weiterarbeiten. Laut Informationen von Reporter.lu schafften es allerdings die wenigsten dieser Gruppen, sich in den vergangenen zwei Jahren zu treffen.
Auf die Frage, wie oft sich die Arbeitsgruppen gesehen haben, wollte das Gesundheitsministerium auch nach mehreren Anfragen von Reporter.lu nicht antworten. Diese hätten sich „je nach Bedarf“ getroffen. Für das Ministerium von Paulette Lenert war der Bedarf offenbar nicht besonders groß. Der Grund dafür ist der fehlende politische Wille in den LSAP-geführten Ministerien. Allen voran im Gesundheitsministerium.
Paulette Lenert versuchte auf Zeit zu spielen, die Legalisierung sollte zum Problem ihres Nachfolgers werden. Wie wenig die Vizepremierministerin mit dem Dossier in Verbindung gebracht werden will, zeigte auch die Pressekonferenz am Mittwoch: Sam Tanson stellte den Gesetzentwurf allein vor. Und dies, obwohl das Gesundheitsministerium von Anfang an Hauptansprechpartner für die Legalisierungspläne war.
Die Entscheidungsverweigerung ist im Gesundheitsministerium inzwischen eine beliebte Strategie. Auch bei der Impfpflicht gab Paulette Lenert die Verantwortung an Sam Tanson ab. Eine weitere Parallele ist, dass auch hier auf Zeit gespielt wurde und die Ministerin nicht als große Verfechterin der Idee gilt. Laut regierungsnahen Quellen ist jedoch auch bei ihren Parteikollegen die Begeisterung für die Cannabis-Legalisierung nicht besonders groß. Bei der Anpflanzung ist etwa Landwirtschaftsminister Claude Haagen gefordert. Die Vereinbarkeit mit internationalem Recht fällt in die Zuständigkeit von Außenminister Jean Asselborn. Doch auch in diesen Ressorts hält sich der Fortschritt in Grenzen.
Mögliche Probleme mit den Nachbarn
Die Bedenken der LSAP-Politiker beziehen sich allerdings nicht nur auf den von Legalisierungsgegnern angeführten Jugendschutz. Während der Arbeiten an dem Projekt stießen die verantwortlichen Minister auf mehrere andere Hindernisse. Internationale Verträge etwa erschweren zurzeit eine vollständige Legalisierung von Cannabis. Diese Verträge versucht man nun zu ändern. „Wir werden Mitte Juli eine größere Konferenz organisieren mit den anderen europäischen Ländern, die auf diesen Weg gehen wollen, um auf internationaler Ebene diese Texte zu hinterfragen“, sagte Justizministerin Sam Tanson am Mittwoch.
Ein weiterer Grund für die Verzögerung seien Bedenken der Nachbarstaaten. „Auf uns wurde nie direkt Druck ausgeübt“, betont Sam Tanson. Wie mehrere Quellen gegenüber Reporter.lu bestätigen, drohte allerdings die französische Regierung im Falle einer Legalisierung mit verstärkten Grenzkontrollen. Im Elysée fürchtete man demnach, ein neues Drogenimportland vor die Tür gesetzt zu bekommen. Und da Frankreich während des Corona-Lockdowns tatsächlich Grenzkontrollen durchführte, wurde diese Gefahr auf Luxemburger Seite durchaus ernst genommen.
Inzwischen hat sich die Situation jedoch verändert. Denn auch die deutsche Bundesregierung hat entschieden, den Weg der Legalisierung der Droge zu gehen. „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Die Argumente der französischen Regierung sind demnach nicht mehr haltbar.
„Dekorrektionalisierung“ statt Legalisierung
Um sicherzustellen, dass zumindest ein erster Schritt zur Legalisierung in dieser Legislaturperiode eingeschlagen wird, preschte Sam Tanson nun mit einem Konzept vor, das eigentlich erst in einer zweiten Phase angedacht war. Unter der Justizministerin wurde das ganze drogenpolitische Projekt denn auch neu definiert: Nicht mehr die Gesundheit der Bevölkerung, sondern die Abkehr von einer repressiven Drogenpolitik lautet nun das Ziel. Nur so konnte der Wechsel der ministeriellen Zuständigkeit begründet werden.

Der legale Eigenanbau könnte indes vermeiden, dass Luxemburg zu einem Drehkreuz des Cannabishandels wird. Laut dem Gesetzentwurf bleibt nämlich der Transport von Cannabis strafbar. In Mengen über drei Gramm würde es zusätzlich – wie bisher – in das Strafregister eingetragen. Auch bei geringeren Mengen muss man in Zukunft eine Strafe von 145 Euro zahlen und das Rauschmittel wird von der Polizei beschlagnahmt. Von einer regelrechten Legalisierung ist man also noch weit entfernt.
Dass der Gesetzestext der Justizministerin innerhalb der Koalition noch als „realistisch“ empfunden wird, liegt auch daran, dass er an der jetzigen Lage kaum etwas ändert. Laut dem letzten europäischen Drogenbericht beschlagnahmte die Polizei im Jahr 2020 gerade mal sieben Cannabispflanzen. Zudem soll der Konsum nur in den eigenen vier Wänden erlaubt werden. In diesem Bereich waren die Befugnisse der Polizei ohnehin eingeschränkt. Kontrollen waren kaum möglich. Demnach wird das erlaubt, was ohnehin kaum zu überprüfen war.
Grüne halten an Legalisierungsplänen fest
Indem Sam Tanson im Dossier nun die Führung übernimmt, steigt aber der Druck auf die Regierungskollegen. Die pragmatisch erscheinende Lösung hat nämlich ihre Tücken. Der Eigenanbau wird in Luxemburg vielleicht erlaubt, der Verkauf von Samen allerdings nicht. Die zukünftigen Pflanzenbesitzer können diese etwa über eine Webseite im Ausland bestellen, sagte die Justizministerin am Mittwoch. Dabei handelt es sich aber um eine gesetzliche Grauzone.
An einer Überarbeitung des entsprechenden Gesetzes arbeiten zurzeit noch das Gesundheits- und das Agrarministerium. Währenddessen soll Paulette Lenert noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Studie über den Cannabiskonsum durchführen. Davon erhofft man sich, den Einfluss des Eigenanbaus von Pflanzen auf das Konsumverhalten bewerten zu können. Die Studie hat die Ministerin bereits vor einem Jahr im Parlament angekündigt. Passiert ist jedoch noch nichts.
In einer zweiten Etappe könnten durch ein regelmäßiges Monitoring dann auch die Folgen einer vollständigen Legalisierung eingeschätzt werden. Daran halten zumindest die Grünen weiterhin fest. Laut Sam Tanson bleibt dies das Ziel der Koalition. „Wir sind nun in der Abschlussphase der Erstellung eines Konzepts“, sagte die Justizministerin am Mittwoch. Dabei las sich das 60-seitige Konzept vom Dezember 2019 bereits wie eine fast abgeschlossene Arbeit. Es handelt sich demnach um eine sehr lange Abschlussphase.
Ob sie überhaupt je abgeschlossen wird, ist zu bezweifeln. Nach der Erstellung eines Konzepts müsste die Gesundheitsministerin ein weiteres Gesetzesprojekt zur Legalisierung im Parlament einbringen, dafür bleibt ihr noch etwas mehr als ein Jahr. Anschließend müsste der kommerzielle Anbau noch ausgeschrieben werden. „Es würde mich wundern, wenn das bis zu den nächsten Wahlen komplett stehen wird“, sagt Sam Tanson. Man werde nun eine Etappe nach der anderen abschließen. Es bleibt jedoch fraglich, ob es überhaupt noch zu weiteren Etappen bei der Einlösung des einstigen Versprechens von Blau-Rot-Grün kommt.


