Eigentlich sollte Luxemburg nur ein kurzer Zwischenstopp im Leben der Alzoubis werden. Doch der syrische Bürgerkrieg dauerte an: Ala betreibt mittlerweile einen Imbiss, seine Kinder gehen hier zur Schule, sprechen Luxemburgisch. Aus ein paar Jahren wurde ein neues Leben.
In der Avenue Victor Hugo in Limpertsberg an einem beliebigen Wochentag zwischen 12 und 14 Uhr: Die Schlange vor dem Imbiss „Bissane“ reicht bis zum nächsten Häuserblock. Überwiegend Schüler, aber auch Angestellte aus den umliegenden Büros kaufen sich schnell ein Stück Pizza bei Ala. Die Wartezeit beträgt trotz Ansturm nicht länger als fünf Minuten. „Es muss schnell gehen“, meint der Chef, Zeit sei heute mindestens genauso kostbar wie gute Zutaten.
Auf den ersten Blick mag das Konzept von Ala Alzoubi etwas befremdlich wirken. Ein Syrer verkauft Pizza und Pasta. In einer Stadt, in der es dank der Einwanderungswellen des letzten Jahrhunderts an guter italienischer Küche wahrlich nicht mangelt. Wäre es da nicht lukrativer, den Hype um die orientalische Küche zu nutzen, der mit reichlich Verspätung auch Luxemburg erreicht hat?
„Nein“, meint Ala Alzoubi. Die syrische Küche gehöre in ein Restaurant und nicht in einen Imbiss. Sie brauche viel Zeit und Geduld. „Zumindest, wenn man nicht nur Falafel anbieten möchte“, sagt er und lacht. Bald werde er ein echtes, syrisches Restaurant aufmachen. So eines gebe es hier nämlich noch nicht. Er habe sich bereits Räumlichkeiten angeschaut, im Bahnhofsviertel. Die Leuchtschrift mit dem Namen seines Sohnes Amir sieht er schon am Eingang prangen. Ebenso wie die lange Schlange wartender Kunden vor der Tür. Ala lächelt erfolgssicher. Doch die Pandemie, sagt er, habe ihn auf seinem Weg zum eigenen Restaurant leider erst einmal etwas ausgebremst.
Und so verkauft er weiterhin, „Pizza quattro formaggi“ und „Pasta al pesto“, etwa 100 Gerichte pro Tag, in einem Imbiss, der nach seiner Tochter Bissane benannt ist. Sowohl arabische als auch lateinische Schriftzüge schmücken die Fassade des kleinen Geschäfts. Schinken gibt es keinen, Alkohol auch nicht. Alas Küche ist halal. Italienische Küche nach den Speisevorschriften des Islam. Und sein Konzept scheint aufzugehen. Fusion-Fast Food mit Migrationshintergrund, sozusagen.
Hürden auf dem Weg in die Selbstständigkeit
Als Ala Alzoubi im Herbst 2017 den Imbiss in Limpertsberg übernahm, um darin sein eigenes Geschäft aufzubauen, sei das noch „relativ unkompliziert“ gewesen, wie sein damaliger Buchhalter Michael Schaeffer im Gespräch mit Reporter.lu erzählt. Er habe ihm dabei geholfen, die Niederlassungsgenehmigung zu beantragen, die Gesellschaft zu gründen und Arbeitsverträge aufzusetzen. Es gab keine nennenswerten Komplikationen.
Ich würde mich schämen, dem Staat länger als nötig auf der Tasche zu liegen.“
Ala Alzoubi, Imbissbetreiber
Heute sei das anders. „Die Banken sind vorsichtiger geworden“, sagt Michael Schaeffer. Sie würden vielen Geflüchteten skeptisch gegenübertreten, auch jenen mit anerkanntem Statut. Ohne ein professionelles Konto hätten die Betroffenen aber kaum eine Möglichkeit, sich selbstständig zu machen. „Ohne Konto keine TVA-Nummer, ohne TVA-Nummer kein Business“, so der Buchhalter.
„Hier wird unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Geldwäscherei ein diskriminierendes System aufgebaut“, sagt auch Fabienne Colling. Vor allem schutzbedürftigen Menschen werde so der Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen verweigert. Als Direktorin der Touchpoints asbl, hilft sie Geflüchteten seit 2017 auf ihrem Weg in die professionelle Selbstständigkeit. Das von ihrem Team entwickelte Förderprogramm „Sleeves Up“ unterstützt Geflüchtete bei der Unternehmensgründung und ist eng mit den Maßnahmen des Arbeitsamtes und der Handelskammer verknüpft.
Hohe sprachliche Anforderungen, wenige Schulungsmöglichkeiten für Quereinsteiger und das Fehlen großer Industriebranchen, machten den Arbeitsmarkt in Luxemburg ohnehin schon für viele Menschen schwer zugänglich, sagt Fabienne Colling.
Harte Arbeit und ein klares Ziel vor Augen
Der entscheidende Grund, warum die Integrationspolitik auf dem Arbeitsmarkt schlecht greife, liegt für Fabienne Colling aber darin, dass das Sozialsystem niemanden belohne, der sich Mühe gebe. Ganz im Gegenteil: „Luxemburg belohnt das Nichtstun“, sagt Fabienne Colling. Da sei es schwer, Motivation und Perspektiven aufzubauen. Warum arbeiten, wenn sich der Kontostand dadurch nur marginal verbessert? Wenn der meist hart verdiente Lohn nur wenige Euro über dem Einkommen zur sozialen Eingliederung (REVIS) liegt?
„Ich würde mich schämen, dem Staat länger als nötig auf der Tasche zu liegen“, sagt Ala Alzoubi. Das sei eine Frage der Ehre. Luxemburg habe ihm schon genug geholfen, seit Oktober 2014, als er mit seiner damals hochschwangeren Frau Amal und seiner kleinen Tochter Bissane in Luxemburg ankam. Auch wenn, und das gibt er ohne Zögern zu, der Weg in die Selbstständigkeit alles andere als einfach war.

Er erzählt von der harten Zeit im Flüchtlingsheim, von den psychischen Belastungen, sich nutzlos und abhängig zu fühlen. Allein seine Tochter Bissane, die tagtäglich glücklich aus dem Kindergarten kam, habe ihm immer wieder den Grund seiner Flucht vor Augen geführt. Doch wirklich besser ging es Ala erst, als seine Familie das Flüchtlingsheim verlassen konnte und er wieder einen konkreten Plan vor Augen hatte: Die Übernahme eines Imbiss und damit die selbstständige Versorgung seiner Familie. Erster Schritt: Die Kurzausbildung „Geregelter Zugang zu einem Beruf des Hotel- und Gastgewerbes“ zu absolvieren und das Abschlussexamen zu bestehen. In einer der drei Landessprachen.
Eigenes Geschäft trotz Sprachschwierigkeiten
„Mein Gehirn ist nicht dafür gemacht, Sprachen zu lernen“, sagt Ala Alzoubi. „Ich habe Gedächtnisstörungen.“ Die Prüfung hat er mehrmals wiederholen müssen. Mit viel Vorbereitung und etwas Glück hat er das Examen schließlich aber auf Französisch bestanden. Mit dem Zertifikat in der Hand, das ihm Kenntnisse in Lebensmittelhygiene und -sicherheit, aber auch in Menschenrechten und Jugendschutz bescheinigt, waren es dann nur noch ein paar administrative Schritte bis zur Eröffnung.
Seit drei Jahren steht Ala Alzoubi nun sechs Tage die Woche in seinem Imbiss. „Ich arbeite viel“, sagt er, etwa 60 Stunden die Woche. „Dafür kann ich meine Familie versorgen.“ Es ist dem gebürtigen Syrer anzumerken, wie wichtig ihm die Selbstständigkeit ist. Er schaut zu dem Mann, der rechts neben ihm sitzt. Zu Adib Kadri, einem Freund, den er als Übersetzer mitgebracht hat.
Auch nach sechs Jahren in Luxemburg und etlichen Sprachkursen, fühlt sich Ala weiterhin nur im Arabischen richtig zu Hause. Doch er gibt nicht auf. Er ist wieder bei der Sprachschule eingeschrieben und lernt jeden Dienstag und Donnerstag Abend nach der Arbeit Luxemburgisch. Vielleicht klappt es ja jetzt, wo er akzeptiert zu haben scheint, dass er dabei ist, sich hier in Luxemburg ein neues, dauerhaftes Zuhause aufzubauen.
Wir hören syrische Musik, die Kinder dürfen arabische Zeichentrickfilme schauen und ich erzähle ihnen von Syrien, von den Olivenhainen, den Bauernhöfen, dem Duft und den Farben.“Ala Alzoubi
„Ala ist eine absolute Ausnahme“, sagt Adib Kadri. „Wer hier nicht zumindest eine der drei Landessprachen beherrscht, hat kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt“, so der gebürtige Libanese, der 2015 selbst als Geflüchteter nach Luxemburg kam und seitdem der arabischsprachigen Community bei Sprachproblemen zur Seite steht.
Dass Ala Alzoubi es trotzdem geschafft hat, sich sein eigenes Geschäft aufzubauen und auf eigenen Beinen zu stehen, liege in erster Linie an seiner Persönlichkeit. „Er hat sich auch schon vor seinem Leben in Luxemburg immer alleine durchgeschlagen“, erzählt Adib.
Syrischer Bürgerkrieg zwingt zur Flucht
Geboren wurde Ala Alzoubi am 29. November 1984 in Daraa, etwa 100 Kilometer südlich von Damaskus. „In Daraa begann der syrische Bürgerkrieg“, erzählt Ala. Am 15. März 2011 wurden dort fünfzehn Teenager festgenommen, die beschuldigt wurden, regimekritische Parolen an ein Schulgebäude gemalt zu haben. Ihre Festnahme und ihre Behandlung in der Gefangenschaft sorgten damals für starke Proteste und Demonstrationen, die heute als ein Auftakt für einen, inzwischen über neun Jahre andauernden, blutigen Konflikt gelten.
Aus Angst eingezogen zu werden, floh Ala Alzoubi gemeinsam mit seiner Frau Amal und seiner kleinen Tochter Bissane 2012 über die von Daraa wenige Kilometer entfernt liegende jordanische Grenze. Sie beschlossen, sich auf den Weg nach Europa zu machen. „Nur für wenige Jahre, nur so lange, bis sich die Lage zu Hause beruhigt hat“, sagt Ala. Er verdreht die Augen, macht sich über seine damalige Naivität lustig. „Ich dachte wirklich, wir kommen spätestens nach zwei, drei Jahren zurück. In unser Haus. Zu unserer Familie.“

„Ihr Haus“ in Daraa steht nicht mehr. Die Familie lebt heute in Wasserbillig. In einem Haus, das die „Agence immobilière sociale (AIS)“ der Familie nach eineinhalb Jahren im Flüchtlingsheim in Hesperingen vermitteln konnte. „Die Familie Alzoubi erfüllt alle Kriterien, um von uns unterstützt zu werden“, sagt Gilles Hempel, der Direktor der Stiftung. „Sie halten sich an die Spielregeln und verfolgen ihr Integrationsprojekt.“
Fast 600 Wohnungen verwaltet die Agentur für Sozialwohnungen mittlerweile, 200 davon sind für Menschen mit „Flüchtlingshintergrund“, wie es Gilles Hempel nennt. Die Nachfrage übersteige das Angebot bei weitem. Etwa 1.200 Menschen stehen bei der AIS aktuell auf der Warteliste. Viele von ihnen seien weiterhin in Flüchtlingsheimen untergebracht, trotz anerkanntem Statut.
„Bei den Problemen auf dem Wohnungsmarkt ist eine Verbesserung der Lage kaum in Sicht“, sagt Gilles Hempel. Oft müsse die Agentur den ersten Vertrag von drei Jahren verlängern, da die Mieter auf dem regulären Markt keine Chance hätten, eine angemessene Wohnung zu finden. Ein gutes Beispiel: Die Familie Alzoubi.
Sehnsuchtsort Daraa, Heimatort Luxemburg
Das Leben in Wasserbillig sei entspannt, findet Ala. Die Kinder gehen zur Schule, unter den Nachbarn grüße man sich immer höflich. Eine freundschaftliche Beziehung bestehe jedoch nicht. „Das ist kompliziert“, sagt Ala. Jeder habe nun einmal sein Leben. Viel Arbeit, wenig Zeit für soziale Kontakte. Und der Sonntag, der einzige freie Tag der Woche, gehöre ausschließlich der Familie.
„Wir hören syrische Musik, die Kinder dürfen arabische Zeichentrickfilme schauen und ich erzähle ihnen von Daraa“, sagt Ala. Von den Olivenhainen, den Bauernhöfen, dem Duft und den Farben. Den Krieg erwähnt Ala mit keinem Wort. „Ich möchte, dass sie ein positives Bild von unser Heimat haben, Syrien war einmal so wunderschön“, sagt Ala.
Er schaut zu Boden. Sehnsucht und Nostalgie füllen den Raum. Die Stimmung könnte kippen. „Bissane spricht vier Sprachen“, sagt Ala plötzlich, um das Schweigen zu durchbrechen und das Gespräch wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Das sei eine große Chance für das heute zehnjährige Mädchen. Ebenso wie für ihre in Luxemburg geborenen Brüder Amir und Boudi. „Sie sind hier zu Hause, sie fühlen sich wohl, haben Freunde“, sagt Ala. „Ihre Heimat wird irgendwann vielleicht auch meine sein.“
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