Die internationale Presse spricht von einer „Revolution“, Luxemburg übt dagegen demonstrative Gelassenheit. Die Einigung der G7-Finanzminister auf eine globale Steuerreform könnte die Steueroasen dieser Welt unter Druck setzen. Doch die Umsetzung ist noch fraglich.

„Wahrscheinlich historisch“ nannte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) die Einigung der größten Industrienationen auf neue internationale Steuerregeln. „Historisch, unzureichend, vielversprechend“, lautete die etwas ambivalentere Einschätzung des Direktors des brandneuen „EU Tax Observatory“, Gabriel Zucman.

Der Hintergrund: Die Finanzminister der G7 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA) hatten sich am Samstag auf eine globale Steuer von mindestens 15 Prozent und die Umverteilung von Steuerzahlungen der größten Unternehmen der Welt geeinigt.

Historisch ist der Deal, weil sich erstmals international auf eine Mindeststeuer für Konzerne verständigt wurde – wenn auch nur im kleinen Kreis der „Großen Sieben“. Dazu kommt, dass Konzerne künftig dort mehr Steuern zahlen sollen, wo ihre Kunden angesiedelt sind. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Paradigmenwechsel, denn aktuell zahlen Unternehmen vor allem dort Steuern, wo sie ihr Hauptquartier haben.

Es ist eine Mischung aus Euphorie und abwartender Haltung, die in der Bewertung der G7-Beschlüsse überwiegt. Luxemburg begrüße die Einigung, twitterte Finanzminister Pierre Gramegna prompt am Wochenende. Doch gleichzeitig verwies er darauf, dass es noch ein weiter Weg sei, bis diese Reform Wirklichkeit wird.

Luxemburg in der Defensive

Und in der Tat: Im Juli werden die G20-Länder sich mit der Frage befassen. Letztlich entscheidend ist aber die OECD und ihr „Inclusive Framework“. Dieses Netzwerk reicht weit über die 38 OECD-Mitgliedstaaten hinaus und umfasst 139 Länder. Eine Einigung in diesem Rahmen könnte bereits im Oktober erzielt werden. Spätestens dann wäre die Rede von einer globalen Steuerrevolution nicht mehr ganz so übertrieben.

Einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent vorzusehen, hat hauptsächlich symbolische Bedeutung, solange man sich nicht darauf geeinigt hat, worauf diese 15 Prozent erhoben werden sollen.“Werner Haslehner, Professor für Steuerrecht

In den internationalen Presseberichten über das Gipfeltreffen tauchte Luxemburg immer wieder als ein Land auf, das die Reform noch blockieren oder zumindest zu deren Verlierern zählen könnte. Nur wenige, wie der „Economist“, verweisen zumindest darauf, dass sich Luxemburg nach dem Luxleaks-Skandal verändert habe. Gegen die einseitige Darstellung Luxemburgs wehrte sich Pierre Gramegna im Interview mit RTL: „Die, die noch immer in einer Fantasiewelt leben und meinen, Luxemburg sei ein Steuerparadies, die irren sich.“ Und: „Wir sehen uns hier überhaupt gar nicht als Verlierer.“

Es sei falsch, dass Luxemburg nur aufgrund seiner Steuerlandschaft attraktiv sei. „Ich sage schon seit Jahren, dass die Unternehmen nicht deswegen nach Luxemburg kommen“, so Pierre Gramegna. Es ist ein Spin, den auch der Generaldirektor der Finanzaufsicht CSSF, Claude Marx, der Direktor von „Luxembourg for Finance“, Nicolas Mackel, und der Chef der Steuerberatungsfirma „Atoz“, Keith O’Donnell, in ersten Stellungnahmen aufgriffen.

Der DP-Abgeordnete André Bauler ließ sich gegenüber RTL gar zu dieser Aussage hinreißen: „Mir waren nach ni e Steierparadäis.“ Er meinte damit, dass Luxemburg schon immer einen vergleichsweise hohen Steuersatz hatte. Doch dazu passt nicht ganz, dass er noch kürzlich befürchtete, dass die Luxemburger Einnahmen einbrechen könnten, weil Unternehmen das Land verlassen würden. Grund für diese Sorge sind die Auswirkungen neuer Regeln gegen Steuervermeidung, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden.

Unbekannte Auswirkungen

Diese Angst geht allerdings nicht erst seit dem G7-Treffen am Wochenende um. „Es geht um Trends, die seit langem absehbar sind“, betont Jean-Paul Olinger, Direktor der „Union des Entreprises Luxembourgeoises“ (UEL), im Gespräch mit Reporter.lu. Er erinnert an die Diskussionen innerhalb der OECD zum sogenannten „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) und den Steuerharmonisierungsplänen der EU. Im Kern dieser Debatte ging es weniger um die Steuersätze, sondern um die Bemessungsgrundlage und die Beseitigung von Steuerschlupflöchern.

Es sei schwierig abzuschätzen, wie sich die neuesten Vorschläge der G7 auf Luxemburgs Wirtschaftsmodell auswirken würden, so Jean-Paul Olinger weiter. Es fehle an Details, betont der Verbandsvertreter, der früher als Steuerberater der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG tätig war.

Diese Einschätzung teilt der Professor für internationales und europäisches Steuerrecht der Universität Luxemburg, Werner Haslehner. „Einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent vorzusehen, hat hauptsächlich symbolische Bedeutung, solange man sich nicht darauf geeinigt hat, worauf diese 15 Prozent erhoben werden sollen“, betont er im Interview mit Reporter.lu. Es sei völlig unklar, wie der „Gewinn“ definiert werde, auf den diese Mindeststeuer anfallen soll. Zwar arbeite die OECD an technischen Lösungen, doch auch im Detail brauche es politische Einigungen, die bisher noch nicht absehbar seien.

Ein gigantischer Geldkanal

Ein rezenter Arbeitsbericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigte aber bereits, welche Rolle Luxemburg bei den weltweiten Geldströmen übernimmt: 5,2 Billionen Euro an Investitionen flossen 2019 über Luxemburg. Nach den USA und den Niederlanden gilt Luxemburg damit – rein statistisch – als drittgrößter Investor weltweit. Der Finanzplatz ist dabei vor allem ein gigantischer Kanal. „Die Investitionen haben relativ begrenzte, reale Auswirkungen auf die Luxemburger Wirtschaft“, notierten die IWF-Experten trocken.

Die „Sociétés de participation financière“ (Soparfi) oder, einfacher ausgedrückt, Briefkastenfirmen haben dennoch ihre Bedeutung für die Wirtschaft und die Staatseinnahmen. 2018 machten die Steuern und die Ausgaben der Soparfis für beispielsweise die „Big-Four“-Berater insgesamt knapp sechs Prozent des Luxemburger Bruttoinlandsprodukts aus, heißt es im Bericht des IWF. Ob „Steuerparadies“ oder nicht: Minimale Änderungen dieser Geldströme könnten empfindliche Folgen für Luxemburg haben. Zwischen 2016 und 2019 sank sowohl die Anzahl der Soparfis als auch ihre gesamte Bilanzsumme, betonten die IWF-Experten.

Luxemburg ist nicht Irland

Tatsächlich ist Luxemburg aber in einer besseren Ausgangslage als Länder, die ebenfalls traditionell als Steuerparadiese gelten. Dazu zählen etwa Jersey oder die Kaiman-Inseln, die Gewinne von Unternehmen grundsätzlich nicht besteuern. In einer ähnlichen Situation befindet sich auch Irland, wo der niedrige Steuersatz von 12,5 Prozent quasi als nationales Kulturgut gilt. Kommt eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent, dann müssen Konzerne die Steuern, die sie in Irland oder anderen Steuerparadiesen nicht zahlen, woanders nachzahlen. Diese Länder verlieren also Geld und werden zudem als Standort unattraktiver .

Einsichtiges Steuerparadies: Der OECD-Steuerdirektor Pascal Saint-Amans (l.) lobte in den vergangenen Monaten immer wieder die konstruktive Haltung der Luxemburger Regierung. (Foto: Ministère des Finances)

In Luxemburg ergeben Körperschafts- und Gewerbesteuer zusammen knapp 25 Prozent. „Wir liegen also weit über den 15 Prozent, so dass [die Mindeststeuer] keine dramatische Wirkung haben wird“, kommentierte Pierre Gramegna. Allerdings heißt es in der Stellungnahme der G7, dass die Mindeststeuer bei „mindestens“ 15 Prozent liegen solle. Die US-Regierung hatte erst 21 Prozent vorgeschlagen, dann aber als möglichen Kompromiss die 15 Prozent ins Spiel gebracht. Der OECD-Steuerdirektor Pascal Saint-Amans sagte der Tageszeitung „Libération“: „Unter 15 Prozent bringt das alles nichts.“

Der Luxemburger Steuersatz von 25 Prozent ist allerdings theoretisch. Der sogenannte „effektive“ Steuersatz misst, was Unternehmen nach allen Abzügen und Vorteilen tatsächlich zahlen. Laut der Europäischen Kommission lag Luxemburg 2019 hier bei 21,8 Prozent – leicht über dem EU-Durchschnitt von 19,7 Prozent. In dieser Hinsicht trifft die Einschätzung des Finanzministers zu. Allerdings ist das ein Durchschnitt, der sehr unterschiedliche Situationen versteckt. Die Deutsche Bank etwa zahlte in Luxemburg 2019 laut dem „EU Tax Observatory“ einen effektiven Steuersatz von 14,6 Prozent.

Die Brüsseler Unbekannte

Im G7-Kompromiss findet sich neben der Mindeststeuer eine weitere Komponente, die für Luxemburg nicht unproblematisch ist. Es geht um die „Zuteilung von Besteuerungsrechten“ auf den Gewinn der größten und profitabelsten Konzerne der Welt, wie es im Abschlusskommuniqué heißt. Ein Fünftel ihrer Gewinne soll dort besteuert werden, wo die Firmen ihre tatsächlichen Kunden haben. Beispielsweise würde Google nicht nur in Irland Steuern zahlen, sondern, zu einem höheren Anteil als bisher, auch in Deutschland oder Frankreich. „Das ist durchaus etwas Neues, dass Unternehmen dort besteuert werden, wo konsumiert wird“, erklärt UEL-Direktor Jean-Paul Olinger. Große, bevölkerungsreiche Länder wären in diesem Szenario im Vorteil.

Ich verfolge persönlich die Entwicklungen 24 Stunden auf 24 im Interesse unserer Wirtschaft und des ‚level playing field‘.“Finanzminister Pierre Gramegna

Es ist jedoch noch nicht ganz ausgemacht, welche Konzerne die G7-Staaten im Visier haben. Die US-Regierung, die maßgeblich für die neue internationale Initiative zur Bekämpfung der Steuervermeidung verantwortlich ist, peilt die 100 größten Konzerne der Welt an. In Europa stehen vor allem die Digitalkonzerne wie Google, Apple oder Amazon im Fokus.

Demnach würden sich die unmittelbaren Auswirkungen für Luxemburg in Grenzen halten. Doch der Paradigmenwechsel könnte innerhalb der EU größere Folgen haben. Jean-Paul Olinger erinnert an die EU-Pläne zur Steuerharmonisierung – bekannt als CCCTB oder ACCIS. „Dabei ging es auch um die Zuteilung der Steuerbemessungsgrundlage unter den EU-Staaten. Das ist dem G7-Vorschlag sehr ähnlich“, erklärt er. Luxemburg gilt bei dieser Form der Steuerharmonisierung als klarer Verlierer.

Bisher ist allerdings unklar, wie sich die EU als Ganzes in die internationale Steuerrevolution einfügen wird. Die Kommission äußerte sich positiv zum G7-Deal, ringt aber darum, in der Steuerpolitik auch eine Rolle zu spielen. Pierre Gramegna warnt seinerseits gebetsmühlenartig vor einem Alleingang der EU. Einigt sich die OECD auf grundlegend neue Regeln, dann wird der Druck, in der EU in Richtung Steuerharmonisierung zu gehen, ebenfalls größer.

Auf Nachfrage hieß es aus dem Finanzministerium, man könne das Zusammenspiel zwischen EU, G7 und OECD noch nicht abschätzen. Im Parlament betonte der Finanzminister: „Ich verfolge persönlich die Entwicklungen 24 Stunden auf 24 im Interesse unserer Wirtschaft und des ‚level playing field‘.“


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