Die EU will den Gebrauch von Einwegplastik reduzieren und Hersteller vermehrt in die Pflicht nehmen. Abgeordnete und Umweltorganisationen loben die neue Richtlinie, doch ihre Umsetzung könnte schwierig werden – auch für Luxemburg.
Ob beim morgendlichen Kaffee-Stopp, auf der Geburtstagsfeier der Kinder, beim Cocktail mit Freunden oder bei der letzten Zigarettenpause – überall lauert das Einwegplastik. Etwa als Strohhalm, Kaffeebecher oder Zigarettenfilter. Einmal benutzt, landet er meistens im Müll – und letztendlich in unserer Umwelt. Während der Kunststoff in den 1950er Jahren als Revolution galt, zählt er heute zu den größten Gefahren für unser Ökosystem.
Die EU hat das Problem erst spät erkannt. Ende Oktober hat das Europäische Parlament eine Richtlinie verabschiedet, die den Gebrauch von Einweg-Plastik begrenzen soll und die Produzenten vermehrt in die Pflicht nimmt. Experten loben die Initiative als wichtigen Schritt für die Umwelt. Doch in manchen Punkten hat das Regelwerk Schwächen. In Luxemburg etwa könnte die Umsetzung problematisch werden.
Sechs Milliarden Tonnen Plastik
Seit den 1950er Jahren haben sich weltweit laut Schätzungen über sechs Milliarden Tonnen Plastikmüll angehäuft. Allein in Europa fallen jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen an. Der Großteil davon endet in Mülldeponien oder sickert in die Umwelt. Nur 30 Prozent werden recycelt. „Unsere Meere sind zu Mülleimern geworden, und sie sterben“, bedauerte die belgische Abgeordnete Frédérique Ries (ALDE/Mouvement Réformateur) jüngst im Parlament. Sie war die Berichterstatterin der Einwegkunststoff-Richtlinie, die am 24. Oktober in Straßburg verabschiedet wurde. Der Text muss nun noch vom EU-Rat abgesegnet werden.
Wir müssen positive Anreize schaffen und in kleinen Schritten vorgehen. Gibt es zu viele Verbote, dann kann das auch zum Boykott führen. »Tilly Metz, EU-Abgeordnete von Déi Gréng
Die Verbotsrichtlinie konzentriert sich auf die zehn Wegwerf-Plastik Artikel, die am meisten in den Meeren vorkommen. Darunter sind Ohrenstäbchen, Plastikgeschirr und Fischereiausrüstung. Laut der EU-Kommission machen sie etwa 75 Prozent des Plastikmülls in den Meeren aus.
Um den Müll einzugrenzen, stützt sich die Direktive auf drei Prinzipien. Produkte, für die es brauchbare Alternativen gibt, sollen bis 2021 verboten werden. Der Gebrauch von Artikeln ohne gleichwertige Alternativen soll bis 2025 um 25 Prozent reduziert werden.
Ferner werden Recyclingquoten festgelegt, welche die Hersteller verpflichten: Sie müssen sich an Sensibilisierungsmaßnahmen beteiligen und ihre Produkte klarer kennzeichnen – etwa indem sie vermerken, welche (Schad)stoffe sich in Tampons und Binden befinden. Vor allem aber müssen sie sich an den Kosten für die Abfallbewirtschaftung und die Säuberung der Umwelt beteiligen.
Verpflichtungen für Hersteller
Umweltorganisationen begrüßen den Text. Zum ersten Mal ginge es nicht nur um Recycling, sondern um die aktive Eingrenzung des Plastikgebrauchs, betont Jean-Pierre Schweitzer vom Europäischen Umweltbüro. Er lobt, dass die Hersteller nun in die Pflicht genommen werden: „Sie machen Profit aus den Produkten und sind für die Verschmutzung verantwortlich. Doch die Konsequenzen tragen momentan andere. Es ist also nur richtig, dass der Plastiksektor bald einen Teil der Kosten trägt.“
Da muss in manchen Ländern noch viel Arbeit geleistet werden, um überhaupt auf den Stand zu kommen, den wir in Luxemburg haben. »Christophe Hansen, EU-Abgeordneter der CSV
Doch wenn die Hersteller zahlen müssen, besteht das Risiko, dass sie die Kosten an die Benutzer weitergeben. Mit diesem Problem musste sich die Kommission bereits bei ihrem ersten Entwurf des Textes befassen. Auf Druck der Industrie entschied sich die EU-Exekutive dazu, Tampons und Binden von der Liste der Produkte zu streichen, für die die Herstellerkostenbeteiligung gilt.
Tilly Metz (déi Gréng), die den Text in der Umweltkommission mitgetragen hat, sieht eine Kostenerhöhung aber auch als Chance: „Wenn es dazu führt, dass die Menschen auf Alternativen umsteigen, ist das ja nichts Schlechtes.“ Dennoch warnt die grüne Abgeordnete davor, zu streng mit den Herstellern umzugehen. „Wir müssen positive Anreize schaffen und in kleinen Schritten vorgehen. Gibt es zu viele Verbote, dann kann das auch zum Boykott führen.“
Es kommt auf den EU-Rat an
Die Industrie kritisiert den Text. Der Verband der Plastikhersteller « PlasticsEurope » etwa nennt die vorgesehen Maßnahmen in einer Pressemitteilung « disproportioniert. » « PlasticsEurope » betont, dass nicht das Plastik für die Meeresverschmutzung verantwortlich sei, sondern schlechtes Abfallmanagement. Auch die Tabakindustrie hat laut Frédérique Ries bereits angekündigt, Druck auf den EU-Rat zu machen, damit die Einschränkungen für Zigarettenfilter gelockert werden.
Welche Pflichten genau auf die Hersteller zukommen, hängt letztendlich vom EU-Rat ab. Jean-Pierre Schweitzer vom Europäischen Umweltbüro ist besorgt, dass der Rat eine Selbstverpflichtung einer gesetzlichen Verpflichtung der Hersteller vorziehen wird.
Auch die Frage, für welche Definition von „Einwegkunststoff“ sich der Rat entschieden wird, ist von Bedeutung. Eine zu enge Auslegung von „single use“ könnte von den Produzenten gezielt ausgenutzt werden, warnt Jean-Pierre Schweitzer: „Es besteht das Risiko, dass Hersteller etwas als ‚wiederverwendbar’ ausweisen, obwohl es das nicht ist, nur um nicht unter die Direktive zu fallen.“
Hausaufgaben für Mitgliedstaaten
Die Umsetzung der Direktive könnte auch den EU-Mitgliedsstaaten zum Verhängnis werden, etwa wenn es um die Erfüllung von Recyclingquoten geht. Unter den EU-28 gibt es starke Unterschiede in der Abfallbeseitigung. „Da muss in manchen Ländern noch viel Arbeit geleistet werden, um überhaupt auf den Stand zu kommen, den wir in Luxemburg haben“, warnt der EU-Abgeordnete Christophe Hansen (CSV). Auch er war als Mitglied der parlamentarischen Umweltkommission mit dem Text befasst.
Ungarn und Spanien etwa schnitten 2015 in einer OECD-Umweltstudie in punkto Abfallmanagement und Recycling sehr schlecht ab. Länder wie Polen recyceln zum jetzigen Zeitpunkt kaum bis gar keine Einwegflaschen. Die neue Richtlinie sieht aber eine Recyclingquote für Plastikflaschen von 90 Prozent bis 2025 vor.
Die Menschen müssen den Gebrauch des Kunststoffs einschränken und nachhaltige Alternativen suchen.“Jean-Pierre Schweitzer, EEB
Auch in Luxemburg könnte dieser Punkt aber zum Problem werden, warnt Christophe Hansen. Denn der Text sieht vor, dass die Länder für das Abfallmanagement zuständig sind, die die Produkte auf den Markt bringen. Luxemburg ist jedoch ein Transitland. „Wir haben täglich 200.000 Grenzgänger. Die machen ihre Einkäufe hier und fahren dann nach Hause. Lastwagenfahrer kaufen sich auf der Tankstelle Proviant.“
Allein dieses Phänomen mache es dem Großherzogtum fast unmöglich, 90 Prozent der Einwegflaschen zu recyceln, die in Luxemburg verkauft werden. „Der EU-Rat muss auch die verschiedenen geografischen Probleme in Europa berücksichtigen“, fordert Hansen.
Umdenken der Verbraucher
Für Jean-Pierre Schweitzer ist ohnehin nur ein Umdenken bei den Konsumenten zielführend: „Die Menschen müssen den Gebrauch des Kunststoffs einschränken und nachhaltige Alternativen suchen.“ Dabei reiche es nicht, lediglich auf Einwegartikel umzusteigen, die nur geringfügig umweltfreundlicher sind, erläutert der Umweltexperte. Er nennt das Beispiel der biologisch abbaubaren Plastiktüten.
„Auch sie sind nicht effizient und werden bereits nach einem Einsatz weggeworfen. Sobald man etwas ‚biologisch abbaubar’ nennt, gibt man den Leuten zu verstehen, dass es in Ordnung ist, es zum Beispiel ins Meer zu werfen – es zersetzt sich ja. Dabei gibt es bis heute keine einzigen biologisch abbaubaren Tüten, die sich in einem vertretbaren Zeitraum zersetzen. Sie verschmutzen ebenfalls die Meere und gelangen ins Ökosystem.“
Europa als Vorreiter?
Dass die Umstellung machbar sein sollte, zeigt ein Blick über den europäischen Tellerrand. Denn obwohl die EU sich im Umgang mit Plastik als Vorreiter sieht, haben andere Länder längst ähnliche, teils sogar strengere Maßnahmen umgesetzt.
Das wird zum Beispiel aus dem rezenten Plastik-Strategieplan der Vereinten Nationen ersichtlich. Auf der Liste der Staaten, die den Gebrauch von Kunststoff streng regulieren, finden sich vor allem afrikanische Staaten. Viele EU-Staaten haben dagegen nur mangelhafte Strategien. Ruanda hat zum Beispiel seit Jahren eines der strengsten Plastikverbote weltweit. « Es gibt mehr afrikanische als europäische Initiativen », bestätigt auch Jean-Pierre Schweitzer.
Christophe Hansen bleibt angesichts der EU-Direktive realistisch. Auch sie werde das Weltproblem « Plastik » nicht lösen. Sie sei aber ein erster, wichtiger Schritt. « Wir kriegen damit vielleicht eine Trendwende eingeleitet », hofft der CSV-Abgeordnete.