Wie könnte man den großangelegten Mehrwertsteuer-Betrug in der EU beenden? Während die EU-Kommission in der Debatte den Druck erhöht, hält sich das Interesse der EU-Staaten daran in Grenzen. Luxemburgs Parteien haben unterschiedliche Lösungen für das Problem parat.

« Der Betrug ist moralisch und ethisch inakzeptabel », sagt Pierre Moscovici. Der EU-Finanzkommissar betonte vergangene Woche vor der Presse, dass er von den Enthüllungen rund um den Mehrwertsteuer-Karussellbetrug nicht überrascht sei. Die Europäische Kommission versuche seit Jahren, diesen systematischen Betrug, der die europäischen Steuerzahler jährlich rund 50 Milliarden Euro kostet, zu beheben.

Das Problem: Die EU-Mitgliedsstaaten würden sich « rigoros dagegen wehren, auch nur ein Quäntchen ihrer Steuerhoheit abzugeben », so der EU-Kommissar im Interview mit dem ZDF. Moscovici verweist dabei auf einen Reformentwurf, den die Kommission vor zwei Jahren vorgelegt hatte. „Unser Vorschlag ist simpel und effektiv. Er ist die einzige Antwort auf den Betrug. Die Mitgliedsstaaten haben die Lösung auf dem Tisch, doch sie können sich nicht einigen.“

Eine stärkere europäische Steuer-Harmonisierung liegt langfristig auch im luxemburgischen Interesse. »Nicolas Schmit, LSAP-Spitzenkandidat bei den Europawahlen

Der Lösungsvorschlag zielt letztlich darauf ab, die Mehrwertsteuer EU-weit zu harmonisieren. Damit ließe sich dem Karussellbetrug politisch das Handwerk legen. Mehr zum Reformvorschlag der Europäischen Kommission lesen Sie hier: Kampf gegen Karussellbetrug: Eine Lösung, die keiner will

In Steuerfragen herrscht jedoch das Prinzip der Einstimmigkeit – in Moscovicis Worten eine „grausame Einschränkung“, die es verhindere, die europäischen Steuerstrukturen zu ändern. Die Enthüllungen um « Grand Theft Europe » würden einmal mehr zeigen, dass das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben werden müsse, so der EU-Kommissar.

Uneinigkeit bei der Einstimmigkeit

Auch Luxemburgs Regierung ist seit jeher gegen eine Aufhebung der Regel, wonach letztlich jeder EU-Staat über ein Vetorecht verfügt. « Die Einstimmigkeit bei Steuerfragen ist extrem wichtig », sagte Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna noch im Februar in Brüssel. « Es geht hier um die Souveränität der Länder. »

Etwas anders sieht das Nicolas Schmit (LSAP). Der frühere Arbeitsminister und aktuelle Spitzenkandidat der Sozialisten bei den Europawahlen spricht sich für eine mittelfristige Überwindung der Einstimmigkeit in Steuerfragen aus. « Wir müssen auf Dauer von der Einstimmigkeit wegkommen. Eine stärkere europäische Steuer-Harmonisierung liegt langfristig auch im luxemburgischen Interesse », so Schmit im Gespräch mit REPORTER.

Allerdings könne dieser Schritt « nicht von heute auf morgen » geschehen, so der mögliche nächste luxemburgische EU-Kommissar weiter. Erst müsse man gewisse « Schutzvorrichtungen » und gemeinsame Regeln einführen, damit auch wirklich kein Staat vor qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in Steuerfragen Angst haben müsse. Er wolle sich jedenfalls auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass die EU diesen Weg beschreite, so der frühere Minister. Laut LSAP-Manifest für die Europawahlen will Schmits Partei die Einstimmigkeit in Steuerfragen jedoch lediglich « überdenken ».

Pragmatische Lösungen bereits möglich

In der Praxis werde das Unterfangen aber nicht leicht umzusetzen sein, betont Nicolas Schmit weiter. Das offensichtliche Paradox: « Die EU-Staaten müssten ja einstimmig beschließen, die Einstimmigkeit abzuschaffen », so der LSAP-Politiker.

Charles Goerens steht der Frage differenzierter gegenüber. Prinzipiell sei er für die Aufhebung der Regel, dass in Steuerfragen einstimmig entschieden werden muss. Der EU-Parlamentarier der DP warnt allerdings vor der Gefahr, dass die Spezifität Luxemburgs in wichtigen Fragen dann nicht berücksichtigt werde. Alleine wegen der hohen Anzahl an Grenzgängern sei Luxemburg kein Normalfall.

Der rechtliche Rahmen der EU macht es fast unmöglich, in Kernbereichen der Politik voranzukommen, sei es aufgrund mangelnder Kompetenz oder Ressourcen, oder aufgrund nationaler Vetos. »Tilly Metz, EU-Abgeordnete und Spitzenkandidatin von Déi Gréng

Noch grundsätzlicher lautet schließlich die Position von Gilles Roth. « Steuerfragen betreffen die Souveränität eines Landes », sagt der Vize-Fraktionschef der CSV. Deshalb sei seine Partei nach wie vor der Meinung, dass man an der aktuellen Regelung nichts ändern solle. Auch die ADR teilt diese Position.

Allerdings betont Gilles Roth auch, dass Luxemburg in Fällen von Betrug, wie bei den Mehrwertsteuer-Karussellen, noch nie zu den « Blockierern » innerhalb der EU gehört habe. Der Finanzpolitiker der CSV sieht die Debatte über die Einstimmigkeit demnach auch als Nebenkriegsschauplatz. Wenn man die Praxis des Karussellbetrugs bekämpfen wolle, könne man dies auch heute schon tun, sagt Roth. Er plädiert etwa für einen Ausbau des Informationsaustauschs in Mehrwertsteuer-Fragen. Zudem könne auch Luxemburg seine Hausaufgaben besser machen, indem man die Steuerverwaltungen und die Justiz personell und technologisch besser aufstellt, so der CSV-Politiker.

« Extrem schwierig », « unheimlich technisch »

Charles Goerens warnt jedoch vor zu viel Optimismus in der Debatte. « In puncto TVA gibt es kein Null-Risiko », so der DP-Spitzenkandidat bei den Europawahlen. Es sei « extrem schwierig », den Betrug mit der Mehrwertsteuer komplett auszumerzen. Dass die Reform der Mehrwertsteuer auf EU-Ebene so lange braucht, liege vor allem an der Komplexität des Dossiers. « Es ist unheimlich technisch. »

Bei einer EU-weiten Reform bestehe zudem das Risiko, dass deutlich mehr Verwaltungsaufwand auf die Firmen zukomme. Eine Vereinfachung schaffe in der Regel auch neue Schlupflöcher für Betrug. Schließt man die Schlupflöcher, bestehe die Gefahr, dass ehrliche Firmen die Leidtragenden wären, so Charles Goerens.

Tilly Metz (Déi Gréng) ruft dagegen zur vermehrten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten auf. Sie kritisiert, dass das Interesse der EU-Mitglieder an einer Harmonisierung des Mehrwertsteuersystems « nicht besonders groß » sei. Zu groß sei die Angst vor den administrativen Hürden, die eine solche Reform mit sich bringen könnte. « Der rechtliche Rahmen der EU macht es fast unmöglich, in Kernbereichen der Politik voranzukommen, sei es aufgrund mangelnder Kompetenz oder Ressourcen, oder aufgrund nationaler Vetos », bedauert die Spitzenkandidatin der Grünen bei den Europawahlen.


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