Überall in Europa nehmen die populistischen Tendenzen zu. Besonders die Flüchtlingskrise dient als gefundenes Fressen, um soziale Ängste zu schüren. Doch die Gefahr sind weniger die ausgewiesenen Populisten als die Parteien, die sie nachahmen.
Sie kennen die Situation sicherlich: Man trifft sich im kleinen Kreis mit Freunden oder Familie und verbringt zusammen einen angenehmen Moment. Alles ist gut, doch dann wendet sich das Gespräch plötzlich der politischen Aktualität zu. Und Sie wissen: Jetzt sind Spannungen vorprogrammiert. So ähnlich ging es mir jüngst bei einem Mittagessen mit einem Bekannten.
Das Gespräch, das ich mit ihm führte, ließ mich so schnell nicht wieder los. Aufgrund des aktuellen Klimas in Europa entkommt wohl niemand populistischen, xenophoben oder rechten Aussagen. Doch es ist ein gewaltiger Unterschied, ob diese auf sozialen Medien geteilt werden oder sie vom gegenübersitzenden Gesprächspartner vehement verteidigt werden. Die Aussagen meines Bekannten reichten von der Annahme, dass weiße Männer in Europa keine Rechte mehr haben, über die Hypothese, dass unsere Rasse unsere Kultur bestimme, bis hin zur Idee, dass (islamische) Immigranten die Europäer gezielt und mit aller Macht vertreiben wollten.
Die Begegnung mag auf den ersten Blick extrem wirken. Doch so sehr unterscheiden sie sich nicht von den fragwürdigen Aussagen gewisser Kandidaten für die Luxemburger Nationalwahlen. Und sie zeigt: die Hemmschwelle für fremdenfeindliche, angstschürende Aussagen sinkt zusehends. Was gestern noch absolutes Tabu war, ist heute Mainstream – nicht zuletzt dank Populisten wie Trump, Salvini und Le Pen.
Tendenz steigend
Der Ende Juni erschienene Jahresbericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) bestätigt: In den europäischen Gesellschaften nehmen Angst und Unmut aufgrund von Migration, Terroranschlägen und Extremismus immer weiter zu. Ein Zustand, der schamlos von Populisten ausgenutzt wird, wie der Bericht kritisiert.
Insbesondere beim Thema Migration wird der Graben zwischen Wahrnehmung und Realität immer größer. Stereotype und Missverständnisse nehmen zu, schlussfolgert der ECRI. Dazu zählt etwa, dass die Migration die soziale Kohäsion gefährde oder dass der Islam eine besonders gewaltverherrlichende Religion sei.
Auch Luxemburg ist vor diesen Tendenzen nicht gefeit. So hat bereits eine ECRI-Einschätzung des Großherzogtums vom letzten Jahr bemängelt, wie sehr das Referendum zum Ausländerwahlrecht „die Zungen lockerte“ und mit dazu führte, dass Ausländerfeindlichkeit immer mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Die scheinbar einfachen Lösungen der Populisten
Dabei gibt es eine klare Wechselwirkung zwischen Politik und gesellschaftlicher Einstellung, betont Stijn van Kessel, Populismus-Forscher an der Queen Mary University London. Auf der einen Seite schüren insbesondere Migration und kultureller Wandel die Ängste der Menschen. Auf der anderen Seite würden diese Themen aber schamlos von Populisten ausgenutzt. Dabei betont van Kessel, dass Populismus auf keinen Fall von Haus auf mit „rechtsextrem“ gleichgesetzt werden darf. „Im Kern ist der Populismus eine volksgewandte Bewegung, die sich gegen das Establishment stellt. Während linke Populisten sich mehr mit Wirtschaftsthemen befassen, befassen sich die rechten Populisten mit kulturellen und Migrationsfragen.“
Letztere nähren sich von der Angst der Menschen, die eigene Kultur zu verlieren und im eigenen Land zur Minderheit zu werden und nutzen diese gezielt aus, erklärt der Politikwissenschaftler. Dabei würden Immigration, Globalisierung und Europäisierung auf die gleiche Stufe gestellt und allesamt als gleichwertige Gefahren ausgelegt. Populisten bieten eine Rückkehr zu ‚alten’ Normen, zum Gefühl von Einheit in einer zusehends fragmentierten Welt. Soziale Ungleichheiten, niedrigere Schulbildung und wirtschaftliche Probleme fungieren als Treibkräfte und beeinflussen die Haltung zu Migrationsfragen, europäischer Integration, Recht und Ordnung oder das Vertrauen in die Politik, wie eine rezente Studie bestätigt. Dabei hoffen die Sympathisanten, dass die Populisten besser auf ihre wirtschaftlichen Sorgen und politischen Bedenken eingehen.
Van Kessel betont aber, dass es sich hierbei nicht um ein neues Phänomen handelt. Seit den 1980er Jahren nähme die feindliche Haltung gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel, der mit der europäischen Integration einhergeht, zu. Doch: „Die Mainstream-Parteien haben diese Ängste nie angesprochen. Und jetzt nutzen die radikalen Parteien und die Populisten dieses Versäumnis gezielt aus.“ Sie bieten scheinbar einfache Lösungen auf die immer komplexer werdenden Probleme der heutigen Gesellschaft.
Mitte-Rechts Parteien kopieren die Populisten
Dabei gibt van Kessel aber auch zu bedenken, dass der Alarmismus, der sich zur Zeit angesichts der populistischen Ströme isan Europa breit macht, nicht gerechtfertigt sei: Nur rund 20 Prozent der Europäer wählen populistische Parteien.
Das größere Problem sei eher, dass die Mainstream-Parteien anfangen, die Populisten zu imitieren. Tatsächlich: Sieht man sich den politischen Diskurs in Europa an, so erkennt man schnell, dass fremdenfeindliche, angstschürende oder nationalistische Aussagen – wenn auch in abgeschwächter Form – von allen Seiten kommen. Ein Blick auf Deutschland und aktuelle CDU-CSU Migrationsdebatte macht das besonders deutlich.
Doch auch vor unseren Grenzen machen die Entwicklungen nicht halt. Folgt man die Twitter-Accounts von manchen Vertretern der politischen Mitte, so könnte man denken, Luxemburg würde wahlweise von vollverschleierten Frauen überrannt oder die nationale Identität – die man bis heute nicht zu definieren weiß – komplett zerstört. Und sieht man sich Nation-branding-Kampagnen und Wahlfloskeln an, so bekommt man den Eindruck, Luxemburg hätte keine anderen Probleme als diese Tendenzen mit Heimatliebe und Sprachpflege zu füttern.
Van Kessel stellt fest: Insbesondere die Mitte-Rechts Parteien kopieren die Sprache der Populisten. Und so werden deren Ideen zum Mainstream und sind aus dem politischen Diskurs heute nicht mehr wegzudenken. „Dadurch ist es in Europa zur Norm geworden, sich bloß noch auf die Probleme der Immigration zu konzentrieren.“
Der Ruf nach einer faktenbasierten Debatte
Der Graben zwischen Wahrnehmung und Realität, den der ECRI so scharf kritisiert, bleibt bestehen: Statt sich auf Fakten und die politische Realität zu konzentrieren, schüren Politiker ein Gefühl von Angst und sozialem Unwohlsein. Damit legitimieren sie zunehmend radikale Ideen.
Der ECRI-Bericht ruft deswegen zu einem inklusiven, ausgeglichenen und faktenbasierten Migrationsdiskurs auf. Den jedoch findet man bei den meisten ‚Mainstream-Parteien’ zur Zeit nicht. So manch einer ihrer politischen Vertreter teilt lieber weiterhin ungefiltert migrationsfeindliche Beiträge, anstatt einen nuancierten Diskurs zu führen. Das mag zwar kurzfristig ein paar Wähler einbringen, doch nachhaltige Lösungen bringt es keine. Und während die Probleme und Ängste sich zuspitzen, sinkt die Hemmschwelle weiter. Diskussionen, wie jene mit meinem Bekannten, werden damit immer salonfähiger.