Hinter dem Steuer sitzen, aber nicht mehr selbst fahren? Das wird längst als Innovation gefeiert. In Luxemburg hapert es jedoch noch bei der Umsetzung des autonomen Fahrens. Ein Grund dafür: Die Automobilbranche hat andere Prioritäten.
Die ganze Polit-Prominenz war vertreten: Verkehrsminister François Bausch, Wirtschaftsminister Etienne Schneider, genauso wie der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer, die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und die französische Verkehrsministerin Elisabeth Borne. Gemeinsam haben sie Anfang April die grenzüberschreitende Teststrecke für autonomes Fahren feierlich in Schengen eingeweiht.
Jetzt soll also getestet werden – eigentlich. Denn vielmehr als die Einweihung ist bisher noch nicht passiert. „Momentan wird vor allem Vorarbeit geleistet“, so Jean Schiltz vom Wirtschaftsministerium. Und die laufe vor allem im Hintergrund ab. Autos ohne Fahrer werden demnach so schnell noch nicht auf den Autobahnen und Nationalstraßen zwischen dem Saarland, Luxemburg und der französischen Region Grand-Est zu sehen sein.
Dass das Projekt erst langsam an Fahrt aufnimmt, bestätigt auch Raphael Frank, Mitglied der Forschungsgruppe SEDAN an der Universität Luxemburg: „Der zeremonielle Startschuss ist gefallen, die konkreten Projekte laufen jetzt aber erst an.“ Sein Team ist am grenzüberschreitenden Projekt beteiligt und plant für die Initiative TERMINAL den Einsatz von autonomen Bussen, die auf der Strecke verkehren sollen. Bis es soweit ist, wird es aber noch wohl dauern. Die Initiative ist vor kurzem gestartet und soll bis Ende 2021 laufen. Frank rechnet damit, dass die Busse frühestens ab Mitte der Projektlaufzeit fahren werden.
Eine Entwicklung der kleinen Schritte
„Autonomes Fahren braucht noch Zeit. Das Gute am Testfeld ist jedoch, dass dort auch einzelne Komponenten für Autos geprüft werden können“, so Camille Feyder, Präsident der « Industrie Luxembourgeoise des Equipementiers de l’Automobile » (ILEA).
Es ist ein wichtiger Punkt für Luxemburgs Autozulieferer. Sie entwickeln unter anderem Sensoren, intelligente Reifen, Kameras, Batterien – und können diese jetzt auf der neuen Strecke ausprobieren. Je effizienter diese Einzelteile sind, desto besser funktionieren später die Assistenzsysteme in den Autos. Für Privatpersonen springen durch die Optimierung solcher Teile viele kleine Gadgets heraus, die eine Fahrt bequemer und einfacher machen. Autos, die selbst einparken, die Spur halten, oder Abstand wahren.
Viel größere Effekte haben diese Tools aber im Bereich der Industrie. Mit ihnen kann ein Unternehmen Zeit und Geld sparen. Sensoren können bereits heute in Reifen den Luftdruck kontrollieren oder ihre Lebensdauer überprüfen. Eine luxemburgische Firma nutzt seit einigen Jahren einen Algorithmus, um Staus zu umfahren und ihren Beton pünktlich an Baustellen abzuliefern. „Oft entstehen aus der Not die besten Ideen. In diesem Fall war es auch so. Bei Beton kommt es auf jede Minute an. Wenn der Mischer zu spät ankommt, wird die Masse hart“, erklärt Feyder.
Vorreiter nehmen mehr Risiken in Kauf
Es sind aber eher kleinere Entwicklungen im Vergleich mit der Lage von Vorreiter USA. „In Amerika ist die Lage des optimierten Fahrens eine andere – auch für Privatleute. Eine Firma wie Tesla hat dort mehr rechtlichen Spielraum, weil die Behörden toleranter sind. Und die Risikobereitschaft des Herstellers ist bei Unfällen vielleicht höher als bei europäischen Autobauern », so Camille Feyder.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten werden auch dem Ausbau von autonomen Kraftfahrzeugen kaum Grenzen auferlegt. Pioniere wie Tesla-Gründer Elon Musk pushen die Innovation – und werden dafür gefeiert. Unfälle mit den selbstfahrenden Autos werden als kleines Problem im Rahmen einer großen, bahnbrechenden Entwicklung verstanden. Wer für entstandene Schäden aufkommt? Interessiert die dortigen Autobauer nur wenig.
Europa ist da konservativer und vorsichtiger. Neben einer fehlenden Gesetzgebung für selbstfahrende Autos fehlt auch das Vertrauen in die Technik. Das sagte auch Prof. Dr. Thomas Engel bereits in einem Gespräch mit REPORTER: „Zu vieles funktioniert heute noch nicht zuverlässig“, so Engel. „Beim autonomen Fahren ist es anders als bei einem neuen Fernseher, den man sich zu Hause aufbaut. Da muss alles auf Anhieb klappen, Fehler dürfen nicht passieren.“ Probleme bei Assistenzsystemen würden die Menschen verunsichern.
Autonome Autos haben keine Priorität
Doch was den Verbraucher verunsichert, lässt sich nicht gut verkaufen. Doch nicht nur deshalb sind selbstfahrende Autos in der Prioritätenliste der europäischen Autobauer und Zulieferer nach abgerutscht. Es wird zwar getestet und geforscht. Auf den Straßen sollen aber andere Vorrang haben: Elektroautos.
Klimaziele, Diesel-Skandal, Überlastung der Straßen: Die Politik muss handeln und die Autobranche mitziehen. „Selbstfahrende Autos wurden konzipiert, weil die meisten Unfälle Menschen-verschuldet sind. Die Straßen sollten durch sie sicherer werden“, sagt Camille Feyder. „Sicherheit ist natürlich immer noch eine Priorität. In der Rangliste stehen momentan aber die Entkarbonisierung und Verringerung von Staus an erster Stelle“, so der Experte weiter.
Elektroautos sollen eine Lösung oder zumindest eine Teil-Lösung für diese Probleme bieten. Im besten Fall haben sie auch noch intelligente Fahrassistenten. Die Automobilbranche wird dabei vor einige Herausforderungen gestellt. „Der Endverbraucher ist bei Elektroautos noch skeptisch“, so Feyder.
Alternative: Hybrid-Autos mit Hilfssystemen
Feyder sieht das Hybrid-Auto als mögliche Alternative an und scheint damit nicht alleine zu sein. „Es gibt Studien, die behaupten, dass bis 2025 knapp 70 Prozent der Neuwagen elektrifiziert sein werden und 70 Prozent auch noch einen Verbrennungsmotor haben werden.“ Der Vorteil von Hybriden: Sie sind durch ihren Elektroantrieb umweltschonender als ein klassisches Auto, dank ihres Verbrennungsmotors haben sie aber mehr Stärke und Reichweite als ein reines E-Auto.
An der Optimierung von solchen Hybriden wird in Luxemburg geforscht. Delphi Technologies erarbeitet zurzeit ein System, mit dem ein Auto autonom erfassen soll, auf welchen Strecken es effizienter ist, elektrisch oder mit Kraftstoff zu fahren. „Es handelt sich bei diesem Projekt noch um Zukunftsmusik, noch wird daran geforscht », so Feyder. Es sei wahrscheinlich, dass diese Systeme zuerst bei Bussen oder beim Warentransport eingesetzt werden – dort sei das Einsparungspotenzial größer. Bis es aber soweit ist, müssen (sauberere und effizientere) konservative Motoren verkauft werden, um die Forschung voranzutreiben.
Zwischen Forschung und Wirtschaftsinteressen
Geforscht wird auch an der Universität in Luxemburg. Für Thomas Engel sind Schnittstellen zwischen Forschung, Entwicklung und Industrie wichtig. Für Camille Feyder sind sie nicht ohne Schwierigkeiten. Beide Bereiche verfolgen unterschiedliche Ziele, sie miteinander zu verknüpfen, sei deshalb schwierig. An der Universität wird im Sinne der Forschung getestet, bei einer Automobilfirma im Sinne einer raschen Kommerzialisierung.
„An den Universitäten herrscht oft eine gewisse Trägheit“, so Camille Feyder. In der Industrie müsse man aber schnell Ergebnisse erzielen. „Immerhin geht es um große Investitionen“, sagt er. Die Universität in Luxemburg bemühe sich aber, um gemeinsame Projekte auf die Beine zu stellen.
Beim Pilotprojekt haben Industrie und Forschung nun die Möglichkeit, eng zusammenzuarbeiten. Um zu schauen, wie schnell, gut und effizient sie automatisiertes und teilautomatisiertes Fahren umsetzen können. Es ist und bleibt aber erst einmal eine Teststrecke, ein Pilotprojekt, ein Herantasten an die Zukunft.
„Es muss noch viel passieren bis autonomes Fahren Alltag wird. Die Politik, die Mentalität der Menschen, die Gesetzgebung. Es ist nichts, was sich von heute auf morgen ändert“, sagt Raphael Frank. Doch die Dinge würden sich entwickeln und die Assistenzsysteme ausgereifter. Diese Fortschritte braucht es auch, wenn nach dem Hype und der ersten feierlichen Einweihung das Thema autonomes Fahren tatsächlich Realität werden soll.
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