Umwelt- und Verbraucherschützer verklagen den Lebensmittelkonzern Nestlé wegen ungenehmigter Entnahme von Grundwasser in Vittel. Hintergrund ist ein monatelanger Konflikt in der kleinen französischen Gemeinde, bei dem auch zunehmend die lokalen Behörden ins Visier der Kritik geraten.
Nach einem anstehenden Prozess wegen „verbotener Einflussnahme“ gegen eine Nestlé-nahe Lokalpolitikerin (REPORTER berichtete) droht dem Schweizer Lebensmittelkonzern nun neuer Ärger in Vittel. Weil das Unternehmen in den Vogesen seit vielen Jahren teilweise illegal Wasser abpumpt, erstatteten mehrere Umwelt- und Verbraucherschutzverbände nun Anzeige gegen Nestlé. Das zeigen Recherchen, die REPORTER in Kooperation mit Mediapart durchführte.
Demnach haben der französische Umweltdachverband FNE, die nationale Verbraucherschutzorganisation UFC-Que choisir gemeinsam mit diversen kleineren Umweltverbänden am Montag ihre Anzeige beim zuständigen Staatsanwalt in Epinal eingereicht. Das Schreiben richtet sich explizit gegen „den Betrieb von nicht genehmigten Wasserentnahmestellen der Firma Nestlé Waters Supply Est in den Gemeinden Vittel und Contrexéville“. In Frankreich drohen für ein solches Vergehen bis zu einem Jahr Haft und 75.000 Euro Bußgeld.
Massenweise Wasser ohne Genehmigung
REPORTER und Mediapart haben zahlreiche weitere Unterlagen einsehen können, denen zufolge allein an zwei Stellen im Departement der Vogesen bisher über eine Milliarde Liter Wasser ohne Genehmigung abgepumpt wurde. Allein über einen der illegalen Brunnen namens « Great Source » sind zwischen 2007 und 2017 insgesamt 900.000 Kubikmeter Wasser zu großen Teilen für die Marke Contrex abgefüllt worden.
Ein weiterer, ebenfalls nicht-konformer, Brunnen namens « Grande Source Sud », lieferte den Unterlagen zufolge zwischen 2013 und 2017 insgesamt 600.000 Kubikmeter Wasser, welche wiederum größtenteils unter der Marke Vittel in den Handel gebracht worden sind. Hinzu kommen jedes Jahr mehrere hunderttausende Kubikmeter, also hunderttausende Millionen Liter aus weiteren illegalen Brunnen unter anderem zur Abfüllung in Plastikflaschen, für Thermalbäder und zur Beregnung.
Den Umweltschützern zufolge gibt es für neun der insgesamt 28 Entnahmestellen keine korrekte Genehmigung. Das Unternehmen wollte konkrete Fragen von REPORTER zu den Vorwürfen nicht beantworten, wie Nestlé diesmal über die Mitarbeiterin einer Agentur für Krisenkommunikation mitteilen ließ. Kürzlich hatte der Konzern gegenüber der Presse noch acht nicht konforme Brunnen eingeräumt. Zuvor hatte das französische TV-Magazin “Pièces à conviction” als erstes über das Problem berichtet.
Behörde arbeitet an nachträglicher Regulierung
Die Präfektur, die im Übrigen ebenso wie Nestlé noch nicht über die Anzeige im Bilde war, antwortete auf die erhobenen Vorwürfe der Umwelt- und Verbraucherschützer wie folgt: „Die angeblichen Enthüllungen (…) enthalten keinen Skandal.“ Bereits seit langem arbeite die Behörde an der Genehmigung der Nestlé-Entnahmestellen. „Dabei handelt es sich um eine aufwändige technische Angelegenheit, weil viele Genehmigungen schon sehr alt waren.“ Das Verfahren orientiere sich an den Vorgaben des Gesetzgebers, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreiben.
Jean-François Fleck, der als Vorsitzender des Umweltverbands der Vogesen mit für den Inhalt der Strafanzeige gegen Nestlé verantwortlich ist, widerspricht dieser Darstellung. „Das Datum der Inbetriebnahme einzelner Entnahmestellen entschuldigt nichts.“ Der Experte erinnert daran, dass diese Anlagen vielmehr „bereits seit 1993“ in Einklang mit dem Recht gebracht werden müssen.
Doch auch bei den offenbar legalen Pumpstationen gibt es Probleme. Ein Fall ist besonders heikel: In der Gemeinde Suriauville entnimmt Nestlé jedes Jahr hunderttausende Kubikmeter Wasser für industrielle Zwecke, das heißt beispielsweise zum Reinigen. Das Wasser könnte laut den Experten-Berichten aber auch trinkbar gemacht werden. Die Präfektur erklärt dazu, dass die Schicht zwar viel Wasser enthalte, dies aber teils sehr mineralhaltig und damit nur bedingt zur Trinkwassergewinnung geeignet sei. Für Jean-François Fleck sind diese Wassermengen dagegen „leicht in das örtliche Wassernetz einzuspeisen.“
Langwieriger Konflikt um Trinkwasser
In den Nachbargemeinden Lignéville und Dombrot-le-Sec könnte zusätzliches Trinkwasser gut gebraucht werden. In den Gemeinden, die sich nach eigenen Angaben nur aus Bachläufen versorgen, mussten bereits mehrfach mit Trinkwasser-Lastern die Haushalte beliefert werden. Als es im Sommer 2018 besonders eng war, sprang Nestlé ein. Das Unternehmen ließ Mineralwasserflaschen an das Rathaus von Lignéville liefern, zur Abholung von der Bevölkerung. Die Menge war jedoch knapp bemessen. Auf dem Aushang hieß es: „Eine Flasche Wasser pro Person am Tag“.
Sowohl die Marken Contrex als auch Vittel werden in Luxemburg verkauft, das neben Deutschland und der Schweiz zu den großen Absatzmärkten der beiden Marken aus dem Departement der Vogesen gehört. Kürzlich brach die Marke weltweit über zehn Prozent ein. Am Standort Vittel, an dem es immer wieder kritische Berichte über die mögliche Einflussnahme Nestlés auf die Lokalpolitik im Zusammenhang mit Entnahmen der Firma im Trinkwasser-Reservoir gab, wurden anschließend mehr als 100 Stellen gestrichen.
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