Reichtum ist relativ – das gilt besonders für Luxemburg. Klar ist: Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich nimmt seit Jahren zu. Doch besonders bei den größten Vermögen sind sowohl Verwaltung als auch Forscher blind. Die Steuerpolitik der Regierung ist mitverantwortlich.

„Der Graben besteht nicht mehr so sehr zwischen den sozial Schwächsten und einer wohlhabenden Mittelschicht, sondern zwischen wenigen Super-Reichen und dem Rest der Gesellschaft.“, schrieb Yves Cruchten heutiger LSAP-Präsident im Februar 2019 in einem Meinungsbeitrag für das „Tageblatt“. Der Abgeordnete bezog sich auf eine Studie über die Konzentration von Immobilien in Düdelingen. Dieser zufolge verfügt ein Prozent der Eigentümer über 17,9 Prozent des Gesamtwerts der Immobilien und des Baulands der Gemeinde.

Das ist nicht nur in der Südgemeinde der Fall. Für das „Observatoire de l’habitat“ analysierte Antoine Paccoud, wie ungleich Immobilien in Luxemburg verteilt sind. Das Ergebnis: Lediglich 159 Personen verfügen über ein Viertel des Gesamtwerts des privaten Landbesitzes. Im Durchschnitt liegt der Wert des Grundbesitzes dieser Gruppe bei etwa 21 Millionen Euro pro Haushalt. Die steigenden Immobilienpreise sind jedoch nur zum Teil für den Reichtum der obersten Vermögensgruppen verantwortlich.

Doch das Vermögen der Superreichen in Luxemburg lässt sich nur schwer beziffern. Klar ist nur: Es wird stets unterschätzt. Die vom CSV-Präsidenten Frank Engel angestoßene Debatte über die Einführung einer Erbschafts- und Vermögensteuer bietet nun einen Anlass, sich vermehrt mit dem Vermögen der Reichsten auseinanderzusetzen.

Ohne Arbeit reich werden

Die Reichen werden immer reicher. Was sich wie eine am Kneipentresen geäußerte Binsenweisheit anhört, ist spätestens seit 2014 Bestandteil einer grundlegenden Debatte unter Wirtschaftswissenschaftlern. Mit der Veröffentlichung des Bestsellers „Kapital im 21. Jahrhundert“ eröffnete der französische Ökonom Thomas Piketty die Debatte über die ungleiche Verteilung des Reichtums in kapitalistischen Gesellschaften. Die These: Die Einnahmen aus Kapital wachsen schneller als die Wirtschaft.

Es ist eine parasitäre Wertsteigerung: Die Grundbesitzer erzielen Gewinne durch die Wirtschaftsleistung der anderen.“Antoine Paccoud, LISER

In Luxemburg wird dies vor allem durch die steigenden Immobilienpreise deutlich. Mit wenigen Ausnahmen steigt der Immobilienpreis seit 1974 mehr als sechs Prozent jährlich. In den letzten Jahren lag dieser Wert sogar bei etwa zehn Prozent. Im Vergleich: Die Wirtschaft wuchs von 1994 bis 2018 im Schnitt um etwa 3,4 Prozent.

Die Wertzunahme des Grundbesitzes ist allerdings auf die Wirtschaftsleistung des Landes zurückzuführen. Da das Wirtschaftswachstum eng mit dem Bevölkerungswachstum verbunden ist, erhöht sich notgedrungen der Druck auf den Immobilienmarkt. „Es ist eine parasitäre Wertsteigerung: Die Grundbesitzer erzielen Gewinne durch die Wirtschaftsleistung der anderen“, sagt Antoine Paccoud im Gespräch mit REPORTER.

Unbesteuertes bäuerliches Vermögen

Es sind vor allem einzelne Familien, die sich an der Wohnungsnot bereichern. In einer noch nicht veröffentlichten Studie über Düdelingen identifizierte Antoine Paccoud 20 Familien, die über dreiviertel des Gesamtwertes der noch bestehenden Baufläche in der Gemeinde besitzen. „Zum Teil sind diese Familien bereits seit einem Jahrhundert im Besitz des Grundstückes oder der Immobilie, ohne je dafür Steuern bezahlt zu haben“, so der Forscher des LISER.

Größtenteils handelt es sich um frühere Agrarflächen, die nach und nach zu Bauflächen umgewandelt wurden und jetzt diesen Reichtum ausmachen. Anreize dieses Land oder die Immobilien zu verkaufen, gibt es nicht. Ihr Wert nimmt kontinuierlich zu. Da es keine Erbschaftssteuer in direkter Linie gibt, bleiben sie wohl auch in Zukunft in Familienbesitz. Seit 2005 wurde zudem die Vermögenssteuer abgeschafft, weswegen Steuern nur noch beim Verkauf der Immobilie fällig werden.

« Die Reichen werden immer reicher. Was sich wie eine am Kneipentresen geäußerte Binsenweisheit anhört, ist spätestens seit 2014 Bestandteil einer grundlegenden Debatte unter Wirtschaftswissenschaftlern. » (Foto: Eric Engel)

Das Vermögen des reichsten Fünftels der luxemburgischen Gesellschaft soll zu dreiviertel aus Immobilien bestehen. Dies geht aus Daten der „Household Finance and Consumption Survey“ der Europäischen Zentralbank von 2014 hervor. Vier Jahre zuvor lag der Wert noch etwas höher, bei rund 80 Prozent. Jedoch ist dies kaum zu überprüfen. Trotzdem ist die Rolle von Immobilien- und Grundbesitz in den Vermögen der reichsten Einwohner umstritten.

Aus Bankgeheimnis wird Staatsgeheimnis

Mit der „World Inequality Database“ versuchen die französischen Ökonomen Thomas Piketty, Emmanuel Saez, Gabriel Zucman und Lucas Chancel die Einkommens- und Vermögensverteilung in ausgewählten Ländern zu untersuchen.

„Vor allem bei Superreichen können Umfragen nur unzureichend Auskunft über das Einkommen oder Vermögen geben“, schreiben die Leiter der „World Inequality Database“. Da nur ein sehr geringer Teil von Menschen über sehr großen Reichtum verfügt, ist es fast unmöglich, diese in einer Umfrage vollständig zu erfassen. Die Kombination von mehreren Datenreihen, basierend auf Daten der Steuerverwaltungen, Rankings von Superreichen und Umfragen soll ein klareres Bild der Einkommens- und Vermögensverteilung zeichnen.

In Luxemburg ist dies aber ein fast unmögliches Vorhaben. Laut dem Archivgesetz sind Daten der Steuerverwaltung erst nach 100 Jahren einsehbar. Forscher können zwar eine Ausnahme beantragen, doch selbst dann wären die Daten kaum aufschlussreich. In den letzten 15 Jahren mussten Privatpersonen in der Steuererklärung Vermögen nicht angeben. Doch selbst zuvor war das eher die Ausnahme als die Regel – das Bankgeheimnis machte es möglich.

Mein Haus, meine Aktien, mein Wachstum

„Wir wissen allerdings von anderen Ländern, dass die Rolle von Immobilien im Vermögen stetig abnimmt. Ihr Anteil im obersten Prozent ist etwa geringer als in den obersten zehn Prozent“, sagt Antoine Paccoud. Laut OECD mache das Eigenheim in dieser Bevölkerungsschicht nur noch 18 Prozent aus, über andere Grundbesitze gibt es jedoch keine Daten.

Wie kompliziert die Datenlage ist, zeigt der Vergleich zwischen den Ergebnissen der „World Inequality Database“ und der europäischen Haushaltsstudie. Letztere schätzt, dass zwischen 2010 und 2018 das oberste Prozent etwa ein Fünftel des Gesamtvermögens in Luxemburg und die unteren 50 Prozent weniger als neun Prozent besaßen. Über 8 Jahre blieben die Werte konstant, die Ungleichheit würde also gleich groß bleiben.

Währenddessen zeigt die Analyse der französischen Wirtschaftswissenschaftler über den Zeitraum von 1985 bis 2016, dass die Topverdiener ihr Vermögen um sagenhafte 86 Prozent steigern konnten. Die untersten 10 Prozent sind hingegen nur 11,8 Prozent reicher geworden. Die Ungleichheit hätte demnach zugenommen.

Der Trend zu ungleicher Verteilung

In einer Publikation des STATEC widmeten sich mehrere Forscher dieser Frage. Allerdings konnten auch sie nur auf die Daten der Zentralbank zurückgreifen, trotzdem sei der Trend klar: Seit 1985 ist die Ungleichheit klar gestiegen. Grund sollen allerdings vor allem die hohen Gehälter des Finanzsektors, die stärkere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt und ein allgemeiner Trend zu ungleicher Verteilung von Einkommen sein.

Die Zunahme der Ungleichheit ist demnach wenig umstritten, ihr Grund aber umso mehr. Das Paradoxon: Eine Erbschaftssteuer in direkter Linie und eine Vermögensteuer würden es erst ermöglichen, zu wissen, wie ungleich die Vermögen tatsächlich verteilt sind. Sie wären also sowohl Mess- als auch Korrekturinstrument. Frank Engels Vorstoß könnte nicht nur zur Sanierung der Staatsfinanzen, sondern auch zur Forschung über Ungleichheit einen wesentlichen Beitrag leisten.