Ob in der Schwangerschaft, während oder kurz nach der Geburt: Sein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Obwohl mehr Menschen als allgemein angenommen betroffen sind, bleibt der Umgang mit Fehlgeburten und Trauer immer noch ein Tabu.
Regentropfen rinnen über die kleinen Gedenktafeln auf dem Friedhof in Merl, viele von ihnen sind schief, manche ganz umgekippt. Ein Engel aus Stein blickt Richtung Himmel. Ein paar verwelkte Rosen liegen herum, daneben ein paar erloschene Kerzen. Auf den Blumenbeeten sitzen Kuscheltiere und Puppen, nass und zerfranst. Und dazwischen ein paar Spielzeugautos, die vor sich hin rosten. „Deine Füße waren winzig, doch deine Spuren in den Tiefen unserer Herzen sind unendlich. Luca, geboren und gestorben, am 6. Mai 2019. Wir werden dich nie vergessen. Deine Eltern“, steht auf einem Grabstein.
Die Gedenkstätte für Sternenkinder oder für fehlgeborene Kinder, wie es im Fachjargon heißt, könnte kaum trister sein. Sie wirkt wenig besucht, an vielen Stellen beinahe ungepflegt. Doch ist es gerade diese Trostlosigkeit, die die Gedenkstätte zu einem Sinnbild für den Verlust eines Kindes macht. Sie steht für einen Schmerz, der kaum auszuhalten ist, für die schiere Unmöglichkeit, in den dünnen Erinnerungen Trost zu finden.
Doch das Baby hat einen Namen bekommen. Es wurde beerdigt und in die Familiengeschichte eingeschrieben. „Du gehörst zu uns. Wir werden dich nicht vergessen“, lautet die Botschaft. Auch wenn der Ort der Erinnerung mit den Wochen, Monaten und Jahren offensichtlich für die meisten der Betroffenen ein anderer geworden ist als der städtische Friedhof.
Trauer, Zeit und professionelle Hilfe
Die Verwahrlosung der Grabstätten ist aber auch Sinnbild für ein Auffangnetz, das gefährliche Risse hat. Für eine lückenhafte Betreuung der Betroffenen, die sich oft allein gelassen fühlen. Für Zeit- und Ressourcenmangel. Für Ärzte- und Pflegepersonal, das mitunter nicht hinreichend ausgebildet ist. Und für eine Politik, die es bisher versäumt hat, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, um die Löcher im Netz so gut es geht zu flicken.
Für die Frau bleibt es ihr Kind. Ein Kind, das sie liebt, auch wenn sie es verlieren wird. »Monique Fey, Kinderkrankenschwester und Trauerbegleiterin
„Der Umgang mit dem Verlust eines Kindes überfordert viele Menschen, nicht nur die Betroffenen selbst,“ sagt Monique Fey im Gespräch mit Reporter.lu. Die Kinderkrankenschwester hat sich vor mehr als zehn Jahren mit anderen verwaisten Eltern zusammengetan, um eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Sie gaben ihr den Namen „Eidel Äerm“ und sahen ihre Aufgabe darin, Eltern, die ihre Kinder in der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurze Zeit später verloren hatten, zu unterstützen.
Bis heute begleitet Monique Fey Paare in ihrer Trauerarbeit und plädiert für mehr Aufklärung und einen offeneren Umgang mit dem Verlust eines Kindes. « Schlimm ist das Schweigen“, sagt sie. Im Umfeld der Familie und bei Freunden, ebenso wie bei Ärzten und im Krankenhaus.
Keine verlässlichen Daten
Es war die LSAP-Abgeordnete Francine Closener, die am 31. März mit einer parlamentarischen Anfrage das Thema auf den Tisch der Politik brachte. Sie regte an, nach neuseeländischem Vorbild auch hier in Luxemburg einen Sonderurlaub für Frauen und ihre Partner einzuführen, die eine Fehlgeburt erleiden mussten. Die Antwort der Regierung fiel recht wortkarg aus. So etwas sei im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen, grundsätzlich verschließe man sich aber nicht dagegen.
Es sind zu viele Menschen betroffen, Fehlgeburten sind kein Randphänomen. »Carole Hartmann, DP-Abgeordnete
Eine Woche später legte die Parlamentarierin Carole Hartmann (DP) nach und stellte eine zweite, etwas ausführlichere Anfrage zum Thema. Die Politik müsse das Tabu brechen und sich mit den Möglichkeiten einer angemessenen Betreuung und besseren Unterstützung von Betroffenen auseinandersetzen, sagt die DP-Politikerin im Gespräch mit Reporter.lu. „Es sind zu viele Menschen betroffen, Fehlgeburten sind kein Randphänomen.“
Verlässliche Daten zur Frage, wie viele Frauen pro Jahr tatsächlich ein Kind verlieren, gibt es nicht. Die im Register für Todesursachen angeführten Fälle beziehen sich ausschließlich auf Todesfälle ab der 22. Schwangerschaftswoche. Für das Jahr 2019 sind hier 69 Totgeburten vermerkt. 16 Babys starben zudem innerhalb der ersten Woche. Auch das Überwachungsregister für perinatale Gesundheit gibt erst Auskunft über Verläufe ab der 22. Schwangerschaftswoche. Die meisten Fehlgeburten jedoch finden vorher statt.
Rund 80 Prozent aller Fehlgeburten treten im ersten Trimester, vor Ende der 12. Schwangerschaftswoche, auf. Bei insgesamt etwa 15 Prozent aller Schwangerschaften kommt es zu einer Fehlgeburt. Zählt man sehr frühe Fehlgeburten, also jene, die noch vor dem Einnisten der Eizelle stattfinden, hinzu, liegt der Anteil sogar bei bis zu 75 Prozent. Allerdings bleiben diese frühen Aborte oft unbemerkt.
Forderung nach verbesserter Betreuung
„Die Datenlage ist unübersichtlich und die medizinischen Begrifflichkeiten nicht immer ganz klar“, sagt Monique Fey. Die Gesetzeslage unterscheidet zwischen drei unterschiedlichen Situationen. Einer Fehlgeburt, einer Totgeburt und einer Frühgeburt mit eventueller Todesfolge.

Ein Kind, das lebendig auf die Welt kommt, wird innerhalb von fünf Tagen ins Personenregister eingeschrieben und gilt als juristische Person. Verstirbt ein Kind noch bevor eine Geburtsurkunde ausgestellt werden konnte, kann es kompliziert werden. „Betroffene haben manchmal immer noch Probleme, beim Standesamt Geburts- und Todesurkunde gleichzeitig ausstellen zu lassen“, sagt Monique Fey. Das letzte, was Betroffene in ihrer Trauer allerdings bräuchten, seien Streitereien mit einer Verwaltung.
Kommt ein Kind tot zur Welt, sieht der Artikel 97-1 des Code civil vor, eine Geburtsakte „Acte d’enfant sans vie“ auszustellen. Diese ermöglicht es, ein Kind mit Namen, Geschlecht, Geburts- und Todesdatum ins Personenregister eintragen zu lassen. Dabei spielt keine Rolle, wann das Baby gestorben ist, auch eine Fehlgeburt im frühen Stadium kann registriert werden. Und das selbst Jahre nach dem Ereignis. „Für viele Betroffene ist dies ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit, sie bekräftigen damit offiziell, dass das Baby auch weiterhin zu ihnen gehört“, erklärt Monique Fey.
Die Registrierung ermöglicht auch, ab dem Zeitpunkt der Totgeburt einen zwanzigwöchigen Mutterschutz in Anspruch zu nehmen. Dies wiederum allerdings nur bei einer Geburt ab der 22. Schwangerschaftswoche.
Persönliche Wege aus der Trauer
„Wir folgen hier den Definitionen der Weltgesundheitsorganisation“, heißt es von Seiten der Krankenkasse. Diese gehe davon aus, dass ein Kind mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten ab der 22. Schwangerschaftswoche lebensfähig ist. Bei einer Geburt ab diesem Zeitpunkt spreche man deshalb nicht mehr von Fehlgeburt, sondern von einer Totgeburt. Diese rechtfertige im Gegensatz zu einer Fehlgeburt ein Anrecht auf Schutzurlaub.
Viele Ärzte hören sofort nach einer schlechten Diagnose auf, von dem Baby zu reden. Für sie handelt es sich dann nur noch um einen Prozess, der unterbrochen werden muss. »Monique Fey, Kinderkrankenschwester und Trauerbegleiterin
Der Schutzurlaub nach einer Fehlgeburt ist für Monique Fey nur ein Aspekt bei den Diskussionen um eine verbesserte Betreuung von Betroffenen. „Es geht darum, einen Rahmen zu schaffen, der es ermöglicht, jeder Frau und jeder Familie bei der Suche nach ihrem persönlichen Weg aus der Trauer angemessen zu helfen“, sagt Monique Fey.
Es sei wichtig, der Trauer Zeit und Raum zu geben. Schließlich begleite der Verlust einer Schwangerschaft eine Frau ihr Leben lang. Aus ihren Erfahrungen in der Trauerarbeit weiß sie, dass es keine Rolle spielt, ob es sich um einen Abort in der frühen Schwangerschaft oder um eine spätere Fehlgeburt handelt. „So persönlich Schwangerschaften und Geburten sind, so individuell ist auch der Umgang mit Verlust und Trauer“, sagt Monique Fey.
Berührungsängste von Medizinern
Auch die Trauer der Eltern kann völlig unterschiedlich sein. „Paare riskieren, auseinanderzudriften und nach ihrem Kind auch noch sich selbst zu verlieren“, sagt Monique Fey. Es sei wichtig, sich mit dem Verlust eines gemeinsamen Kindes auch gemeinsam auseinanderzusetzen.
Haben Eltern erfahren, dass ihr Kind bereits tot ist oder nach der Geburt nicht oder nur sehr kurz lebensfähig sein wird, ist der Wunsch nach einer schnellen Befreiung aus dieser belastenden Situation oft sehr groß. Diesem ersten Impuls geben viele Ärzte schnell nach, indem sie in den Folgetagen der Diagnose direkt einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch festlegen. « Viele Ärzte hören sofort nach einer schlechten Diagnose auf, von dem Baby zu reden. Für sie handelt es sich dann nur noch um einen Prozess, der unterbrochen werden muss », beschreibt Monique Fey das oft schwierige Verhältnis. « Für die Frau bleibt es ihr Kind. Ein Kind, das sie liebt, auch wenn sie es verlieren wird. »

Monique Fey rät dazu, im Schockzustand nichts zu überstürzen und sich Zeit zu nehmen, die Nachricht wirken zu lassen. Eine schnell vollzogene Trennung vom Kind kann das innerliche Abschiednehmen auch erschweren. Es kann unter Umständen leichter sein, sich gegen einen schnellen Abbruch zu entscheiden und die Geburt abzuwarten. „Auch eine Geburt, die zugleich ein Abschiednehmen bedeutet, kann ein tiefes und unvergessliches Ereignis sein“, sagt Monique Fey.
„Aus rein medizinscher Sicht ist es sicher leichter, einen schnellen Abbruch zu provozieren. Viele Ärzte haben selbst Berührungsängste mit anderen Optionen“, sagt auch Clémence de Cerval. Die Kinderkrankenschwester baut in Luxemburg eine Zweigstelle der französischen Organisation SPAMA auf. Eine Organisation, die sich zur Aufgabe gemacht hat, über Palliativmedizin in Geburtskliniken aufzuklären und Eltern zu begleiten, die sich trotz Fehlbildungen und geringen Lebenschancen für ein Austragen ihres Babys entscheiden.
Luxemburg kann noch mehr tun
„Wir möchten durch Sensibilisierungsarbeit dazu beitragen, dass jede betroffene Frau zumindest über diese Möglichkeiten informiert wird“, sagt Clémence de Cerval. Das sei bisher in Luxemburg nicht der Fall. Sie wünscht sich neben verstärkten Ausbildungen und Ressourcen in der Pflege auch klare gesetzliche Regelungen, wie eine einzuhaltende Frist zwischen Diagnose und Abbruch oder auch ein verpflichtendes, multidisziplinäres Beratungsgespräch.
Jede Erinnerung, sei sie noch so klein, kann bei der Trauerarbeit helfen. »Clémence de Cerval, SPAMA Luxembourg
„In einem Entscheidungsprozess, in dem es keine gute Lösung geben kann, ist es für viele Eltern die weniger schlimme Option, ihr Baby in den Tod zu begleiten und langsam gehen zu lassen“, sagt Clémence de Cerval. „Jede Erinnerung, sei sie noch so klein, kann bei der Trauerarbeit helfen.“ Ebenso wie Monique Fey rät auch sie dazu, sich für den Abschied Zeit zu nehmen. Auch bei einer Totgeburt kann es helfen, sein Kind in den Arm zu nehmen und Andenken, eine Haarsträhne, ein Foto oder auch einen Fußabdruck mit nach Hause zu nehmen.
Letztlich muss aber jeder nach solch einem Erlebnis selbst seinen Weg zurück ins Leben finden. Doch es kann helfen, dabei nicht allein zu sein. Und zu erfahren, dass der Schmerz mit der Zeit vielleicht nicht schwächer, doch zumindest erträglicher wird.
Hilfs- und Beratungsstellen
Initiativ Liewensufank – « Eidel Äerm »
Tel.: +352 36059719
Association SPAMA
Luxemburger Zweigstelle: luxembourg@association-sparma.com
Tel.: +352 661 654 312