Manager kommen in den Genuss einer äußerst günstigen Besteuerung ihrer Boni. Vor einem Jahr versprach der Finanzminister Pierre Gramegna eine grundlegende Reform, passiert ist bisher nichts. Damit fehlt weiterhin eine rechtliche Grundlage.

Stellen Sie sich vor, sie bekommen am Ende des Jahres einen Bonus von 15.000 Euro. Wenn Sie das Glück haben, dass ihr Arbeitgeber diese Prämie als Aktienpakete („stock options“) auszahlt, dann wandert die Hälfte dieser Summe steuerfrei auf ihr Konto. Auf den restlichen 7.500 Euro bezahlen Sie genauso Steuern wie auf ihrem restlichen Gehalt. Wenn Sie keine „stock options“ erhalten, dann heißt es, Pech gehabt: Der gesamte „13. Monat“ wird besteuert.

Trotzdem glaubt Finanzminister Pierre Gramegna (DP), dass dieses System „gerecht“ ist. Sein Hauptargument: Vorher war es noch schlimmer. Als sein Vorgänger Luc Frieden die „stock options“ 2002 einführte, wurden von den 15.000 Euro gerade mal 1.875 Euro versteuert. Doch genau diese Verschärfung infolge öffentlicher Kritik wirft ein Schlaglicht auf die willkürliche Besteuerung, betont die Juristin Fatima Chaouche. Sie hat die rechtliche Begründung der „stock options“ in ihrer Doktorarbeit an der Universität Luxemburg untersucht.

Es fehlt noch immer ein Gesetz

Das Problem: Diese Steuerbegünstigung steht in keinem Gesetz, sondern es gibt lediglich ein Rundschreiben des Direktors der Steuerverwaltung. Ob dieser Zustand mit der Luxemburger Verfassung im Einklang steht, hält die Expertin Fatima Chaouche für fraglich.

Die Talente kommen aus dem Ausland. Sie fragen sich berechtigterweise, was für sie am Ende des Monats übrig bleibt.“Jean-Paul Olinger, UEL

Die CSV kritisierte die fehlende gesetzliche Grundlage in der vergangenen Legislaturperiode mehrmals heftig. Doch auch der blau-rot-grüne Koalitionsvertrag von Dezember sieht vor, die „stock options“ in ihrer aktuellen Form abzuschaffen und durch ein gesetzlich geregeltes System zu ersetzen. Es soll nur noch die Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter eines Unternehmens erlauben.

Doch seit Beginn der zweiten Amtszeit von Pierre Gramegna gibt es keinen Fortschritt in diesem Dossier – trotz des Versprechens im Juli 2018, eine Reform anzustreben. Es sei aktuell nicht mehr zum Thema zu sagen, als im Koalitionsvertrag stehe, heißt es auf Nachfrage von REPORTER.

Allerdings befindet sich Gramegna in diesem Dossier zwischen Hammer und Amboss. Die Koalitionspartner Déi Gréng und LSAP machten Wahlkampf gegen diese Sonderregelung. Gleichzeitig schrieb 2017 der damalige UEL-Präsident Michel Wurth dem Minister („Cher Pierre“) einen Brief, in dem er von Änderungen und besonders von der Verabschiedung eines Gesetzes abriet, wie das „Lëtzebuerger Land“ berichtete. Die Wirtschaftsvertreter befürchteten, dass Luxemburg zum Brexit-Verlierer würde, wenn es keine „attraktiven“ Regelungen für umzugswillige Manager in Luxemburg gebe.

Ein unattraktiver Spitzensteuersatz

„Es ist eine Standortfrage. Die Talente kommen aus dem Ausland. Sie fragen sich berechtigterweise, was für sie am Ende des Monats übrig bleibt“, sagt UEL-Direktor Jean-Paul Olinger im Gespräch mit REPORTER. Und in dieser Konkurrenzsituation sei Luxemburg nicht besonders attraktiv.

Der Grund aus UEL-Sicht: Der Spitzensteuersatz in Luxemburg liegt bei knapp 46 Prozent – wenn man den Beitrag zum „Fonds pour l’emploi“ hinzurechnet. In der Eurozone liegt der Durchschnitt bei knapp 43 Prozent, laut den Zahlen der EU-Kommission. Jedoch ist der Satz in Luxemburg niedriger als etwa in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden oder Irland – den üblichen Wettbewerbern.

Doch kommen hier die Begünstigungen für Manager oder andere Talente ins Spiel, die dazu führen, dass die „Expats“ mehr Netto vom Brutto erhalten. Und in der Absenkung des realen Spitzensteuersatzes sind manche Länder erfolgreicher als Luxemburg, moniert die UEL.

„Steuergerechtigkeit ist wichtig“, betont Jean-Paul Olinger. Aber in diesem Fall gehe es um „außergewöhnliche Leistungen“, die deshalb auch nicht regulär besteuert werden sollten. Er zieht den Vergleich zu Überstunden und Arbeit am Wochenende, die ebenfalls steuerlich begünstigt werden.

Willkürliche Regeln

Das Problem ist allerdings, dass das Rundschreiben zu den „stock options“ implizit die Grundlage der Steuergesetzgebung umgeht: Wer mehr verdient, muss mehr Steuern zahlen. Doch diese Progression wird durch diese Begünstigung zur Illusion, wie die Zentralbank 2017 kritisierte.

Dabei darf eine „circulaire“ nur das Gesetz interpretieren, erklärt Fatima Chaouche. Das ist aber für sie im Fall der „stock options“ fraglich. Denn das entsprechende Rundschreiben hält fest, dass die Begünstigung nur für „cadres supérieurs“ gilt – also Manager. Doch diese Einschränkung könnten Richter als willkürlich einschätzen, betont die Expertin.

Und es gibt einen weiteren problematischen Punkt. Seit 2017 müssen die Manager im Schnitt 21 Prozent auf den „stock options“ zahlen, deutlich mehr als vor 2017. Das bedeutet, dass die Steuerverwaltung jeweils neue Werte festlegte, wie hoch der besteuerbare Anteil eines Aktienpaketes ist. Dabei müsste dieser Wert dem Marktwert entsprechen, wenn man dem Gesetz folgt, so Fatima Chaouche. Wie kann also die Steuerverwaltung ihre Bewertung ändern, fragt sich die Expertin.

Jedes Mal, wenn in der Öffentlichkeit allzu viel über „stock options“ diskutiert wurde, war die Reaktion die gleiche: Die jeweiligen Finanzminister gaben zu, dass das System „missbraucht“ werde und ließen die Steuerverwaltung strengere Regeln verkünden. Damit wurde aber jedes Mal bestätigt, dass diese eben nicht dem Gesetz entspringen, sondern politisch motiviert sind. Also laut Verfassung auch in einem Gesetz und nicht in einem Rundschreiben festgehalten werden müssen.

Eine millionenschwere Debatte

Legt Finanzminister Pierre Gramegna in den nächsten Monaten oder Jahren einen Gesetzesentwurf zum Nachfolger der „stock options“ vor, dann kommt wohl auch die Debatte, vor der sich die DP bisher drückte. Denn die „stock options“ sind ein extrem teures Geschenk: Das Finanzministerium geht von einem Kostenpunkt zwischen 60 und 80 Millionen Euro für 2018 aus. 2017 waren es noch 135 Millionen Euro.

Die Unternehmensvertreter positionieren sich bereits. Die Diskussion über den „déchet fiscal“ hält Jean-Paul Olinger für falsch. Nach dem Motto: ein halb volles Glas ist besser als ein leeres. Sind die Steuern in Luxemburg zu hoch, gehen die Unternehmen woanders hin und es fließt überhaupt kein Geld in die Staatskassen, so das Argument.

Doch ist dem so und erfüllt dieses Steuergeschenk von durchschnittlich 36.500 Euro pro Manager und pro Jahr seinen Zweck? Entsprechen die Kosten dem Ziel? Auf diese Fragen muss der Finanzminister eine Antwort finden. Im September wissen wir vielleicht mehr.


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