Finanzminister Pierre Gramegna stellt die Steuerpolitik Luxemburgs auf den Kopf. Die berühmten Steuernischen sollen verschwinden und mit ihnen die Briefkastenfirmen. Doch die alten Reflexe bleiben wach und an jeder Hintertür lauert eine Versuchung.

„Steuernischen, die Luxemburg in der Vergangenheit bis auf das Letzte ausgereizt hat, werden nun unmöglich“, sagt Pierre Gramegna. Der Grund: Mit zwei Gesetzesentwürfen passt Luxemburg sich an neue internationale Regeln gegen Steuervermeidung an. Dies erklärte der Finanzminister beim Pressebriefing am Freitag.

Sowohl die Europäische Union als auch die OECD machen Ernst mit dem Kampf gegen die Steuervermeidung. Ab Januar 2019 greifen deutlich schärfere Regeln. Sie sollen verhindern, dass multinationale Konzerne Gewinne dorthin verlagern, wo die Steuern am niedrigsten sind – oft ist das Luxemburg.

„Die neuen Regeln werden tiefgreifende Folgen hierzulande haben“, sagt Keith O’Donnell, Managing Partner des Beratungsunternehmens Atoz. „Luxemburg hätte diese Reformen nie von sich aus durchgeführt“, so O’Donnell. Manche Steuernischen, die Luxemburgs Attraktivität ausmachten, verschwinden nun.

Luxemburg steht allerdings nach wie vor in der Schusslinie. Erst diesen Mittwoch urteilte die EU-Kommission, dass Luxemburg dem französischen Energiekonzern Engie einen illegalen Steuervorteil gewährt habe. Brüssel fordert, dass Luxemburg 120 Millionen Euro an Steuern nachträglich eintreibt. Wie in den Fällen Fiat und Amazon zuvor sieht das Finanzministerium dagegen keine Vorzugsbehandlung. Doch die Regierung hat offenbar das Bedürfnis sich zu rechtfertigen: Ja, es gebe Fälle von Steuervermeidung, die zwar laut Luxemburger Recht nicht illegal seien, aber nicht mehr dem heutigen Geiste entsprechen würden. Die Umsetzung der neuen Regeln zeige, dass Luxemburg sich anpasse, heißt es in der Stellungnahme am Mittwoch.

Lange Liste an Luxemburger Vorbehalten

Gramegna war ausgezogen, die Luxemburger Budgetpolitik zu revolutionieren. Die « kopernikanische Wende », die er tatsächlich anstößt, ist jene der Steuerpolitik. Er reformierte die Tax Rulings, gab den Finanzierungsgesellschaften neue Regeln und gab der Praxis der Transferpreise eine gesetzliche Basis.

Um was geht es diesmal? Zum einem ratifiziert Luxemburg nun ein Steuerabkommen der OECD – das sogenannte multilaterale Instrument (MLI). Dieser Text verändert auf einen Schlag weltweit Tausende von zwischenstaatlichen Steuerabkommen und schließt so Steuernischen. „Wir gehen maximalistisch vor und wenden die Regeln auf alle 81 Abkommen an, die Luxemburg in der Welt hat“, betonte Gramegna stolz. Und weiter: „Das ist der beste Beweis, dass Luxemburg sich an das internationale Umfeld anpasst“.

Wir haben mit der Branche besprochen, welche Optionen wir übernehmen sollen“Finanzminister Pierre Gramegna

Was Gramegna verschwieg: Als er das MLI-Abkommen für Luxemburg vor einem Jahr unterschrieb, meldete Luxemburg gleichzeitig bei 16 von 39 Artikeln seine Vorbehalte an. Diese Bestandteile werden in Luxemburg nicht oder nur teilweise anwendbar sein. Die Liste an Ausnahmen füllt ganze 71 Seiten. Gewissheit über die Ausnahmen, die sich Luxemburg sichert, wird es erst geben, wenn der Gesetzesentwurf auf der Parlamentsseite veröffentlicht wird – das soll in den nächsten Tagen der Fall sein. Doch Experten sehen im Ratifizierungsprozess lediglich eine Formalität.

Enge Abstimmung zwischen Ministerium und Finanzplatz

Die neuen Regeln sorgen bereits für Nervosität am Finanzplatz. Mitte März unterzeichneten Luxemburg und Frankreich ein neues Doppelbesteuerungsabkommen. Dieser „Text der nächsten Generation“ entspreche den neuen OECD-Regeln, vermeldete das Finanzministerium stolz.

Die Fondsindustrie sah das jedoch anders. In einer Stellungnahme kritisierte der Fondsverband Alfi, dass Luxemburg in einem Punkt Frankreich entgegen kam, obwohl ein entsprechender Vorbehalt der OECD mitgeteilt wurde. Die Frage stellt sich demnach, wie fest die Position Luxemburgs ist, wenn ein mächtiger Nachbar Forderungen stellt.

Auch der zweite Gesetzesentwurf wird von den Experten am Finanzplatz mit Spannung erwartet. Es geht dabei um die Umsetzung der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken – besser bekannt unter dem englischen Kürzel Atad (« Anti-Tax Avoidance Directive »). Wie das MLI-Abkommen lässt auch diese Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten einen gewissen Handlungsspielraum in der Umsetzung.

Die Überraschung, wie der Gesetzesentwurf genau aussieht, wird sich am Finanzplatz jedoch in Grenzen halten, denn das Ministerium stimmte sich eng mit den Akteuren ab. „Wir haben mit der Branche besprochen, welche Optionen wir übernehmen sollen“, erklärte Gramegna am Freitag.

Ein Steuergeschenk an Finanzholdings

Das Resultat kann man sich denken. Am deutlichsten wird die unternehmensfreundliche Umsetzung der Atad-Richtlinie bei der sogenannten Zinsschranke. Sie bestimmt, dass Unternehmen Zinsen, die sie auf Schulden zahlen, nur begrenzt von den Steuern absetzen können. Doch diese Maßnahme soll laut dem Luxemburger Entwurf nicht für bestehende Kredite gelten. Als Stichdatum gilt der 17. Juni 2016; jener Tag, an dem sich die EU-Minister auf die Richtlinie einigten.

Es klingt nach einem Detail, ist es aber nicht. Belgien entschied sich ebenfalls dafür, die Zinsschranke auf neue Darlehen zu beschränken. „Le Soir“ sprach von einem Steuergeschenk in Höhe von 942 Millionen Euro, von dem größtenteils Finanzholdings und konzerninterne Banken profitieren.

Diese Strukturen sind in Luxemburg ebenfalls sehr häufig anzutreffen. Ein Beispiel ist etwa die konzerninterne Bank des Fiat-Konzerns, deren Steuervorteile die EU-Kommission als illegal einschätzte. Der Prozess in diesem Fall beginnt am Donnerstag.

Gramegna erklärte die Beschränkung auf neue Kredite damit, dass Luxemburg sich um Vorhersehbarkeit bemühe. Zahlen zu den Folgen auf die Steuereinnahmen des Staates nannte er keine. Dass es auch anders geht, zeigen die Niederlande: Hier wird die Zinsschranke auch auf bestehende Darlehen angewendet, heißt es aus dem niederländischen Finanzministerium.

Luxemburg profitiert ebenfalls von einer weiteren Hintertür der Richtlinie. Diese erlaubt Finanzunternehmen von der Zinsschranke auszunehmen, was Luxemburg dann auch tut. Dazu zählen etwa Banken, Versicherungsgesellschaften aber auch alternative Investmentfonds (etwa Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds). Das Risiko der Steuervermeidung sei in diesem Fall geringer, heißt es zur Begründung.

Die heilige wirtschaftliche Substanz

Zähne zeigen die Atad-Richtlinie und das MLI-Abkommen hauptsächlich mit den Regeln, die einen Missbrauch des Steuerrechts verhindern sollen. Mit der Umsetzung der Richtlinie wird Luxemburg eine allgemeine Anti-Missbrauchsklausel einführen.

Das ist auch in Luxemburg nicht völlig neu: Es gibt seit langem das Konzept des „abus de droit“. Gemeint sind damit Unternehmensstrukturen, die nur dazu dienen, Steuern zu vermeiden. Doch die Rechtsprechung legte die Hürde sehr hoch: Ein Missbrauch lag nur dann vor, wenn es absolut keinen anderen Grund für das Konstrukt gab als die Steuerersparnis. Das ist aber fast nie nachzuweisen. Die Mehrsprachigkeit in Luxemburg oder der bestens vernetzte Finanzplatz gelten bereits als ausreichender Grund für die Existenz einer Konzerntochter in Luxemburg. Diese lasche Auslegung ist einer der Gründe der Exzesse, die durch den Luxleaks-Skandal öffentlich wurden.

Die Personen, die in Luxemburg Briefkastenfirmen hatten, die morgen nicht mehr konform sind, werden diese Strukturen schließen.“Finanzminister Pierre Gramegna

Mit den neuen Regeln gilt ein Steuersparmodell als missbräuchlich, wenn der hauptsächliche Grund das Vermeiden von Steuern ist oder das Unternehmenskonstrukt keinen wirtschaftlichen Grund hat. Ähnlich wirkt der sogenannte „Principal Purpose Test“ (PPT) im OECD-Abkommen. Eine Gesellschaft ohne ökonomischen Sinn wird von den Doppelbesteuerungsabkommen ausgeschlossen und hat dann auch keinen steuerlichen Anreiz mehr.

Zahlreiche Finanzbeteiligungsgesellschaften (Soparfi) ohne Personal und ohne Büro werden es in Zukunft also schwer haben. Oder wie es Gramegna ausdrückt: „Die Personen, die in Luxemburg Briefkastenfirmen hatten, die morgen nicht mehr konform sind, werden diese Strukturen schließen.“ Jene Firmen, die in Luxemburg bleiben, müssen Substanz aufbauen, erklärt O’Donnell. Das heißt knapp gefasst: mehr Personal, tatsächliche Aktivitäten und ein Büro.

Eine Wundertüte für die Staatsfinanzen

Welche Folgen haben diese Entwicklungen auf die Steuereinnahmen? „Wir rechnen damit, dass diese Reform budgetneutral ist“, antwortet der Finanzminister auf diese Frage. Durch das Schließen der Steuerschlupflöcher wird die Besteuerungsgrundlage der Unternehmen verbreitert – sprich sie zahlen mehr Steuern. Andererseits werden Einnahmen verloren gehen, weil zahlreiche Briefkastenfirmen verschwinden, so Gramegna.

Müssen wir an die ganze rezente Erfahrung der geänderten Mehrwertsteuer auf dem Onlinehandel erinnern? »Bericht der Luxemburger Zentralbank

Fragt man im Finanzministerium nach konkreten Zahlen, heißt es lediglich vage, dass sich die zuständigen Abteilungen die finanziellen Folgen angeschaut hätten. Die Mehr- und Mindereinnahmen würden sich die Waage halten. Im Finanzbogen des Gesetzesentwurfs versucht die Steuerverwaltung zu entdramatisieren: Die neuen OECD-Regeln gegen Steuervermeidung seien seit 2013 bekannt, trotzdem würden die Unternehmenssteuern weiter sprudeln. Das deutet die Verwaltung als Zeichen, dass die internationalen Konzerne sich bereits an die neue Lage anpassen.

Doch selbst im Staatsbetrieb nervt dieses Ungefähre. Eine Risikoanalyse zu den Folgen auf Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum sei nötig, schrieb die Zentralbank bereits 2016 mit Verweis auf die Atad-Richtlinie. Mit einem bösen Seitenhieb in einer Fußnote erwähnten die Zentralbanker die Erfahrung bei der Mehrwertsteuer im Onlinehandel. Gramegna selbst beklagt immer wieder, dass die vorige Regierung diese Steuerausfälle von bis zu einer Milliarde Euro ignorierte und nicht nach Alternativen suchte.

Aussicht auf Steuersenkungswahlkampf

Die fehlenden Zahlen sind auch deshalb ein Problem, weil so niemand weiß, welchen Spielraum es für eine weitere Steuersenkung gibt. Zumal die budgetären Folgen erst ab 2020 oder 2021 zu spüren sein würden, wie die Steuerverwaltung schätzt. Die Ansprüche des Finanzplatzes sind seit geraumer Zeit klar, die Signale aus der Politik auch eher positiv. Pierre Gramegna stellte eine weitere Steuersenkung in seiner neuen Rolle als DP-Wahlkämpfer in Aussicht. Auch CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler ist dieser Idee nicht abgeneigt.

Als der Noch-Steuerchef von KMPG, Georges Bock, im Februar auf den kommenden Wahlkampf blickte, forderte er zwei Maßnahmen: Den Steuersatz für Unternehmen zu senken und die sogenannten „intérêts notionnels“ einzuführen. Seine Kollegen der Big Four (PwC, Deloitte und EY) sprachen im Interview mit „Paperjam“ bereits im Dezember von der Notwendigkeit geringerer Steuersätze.

Es ist kein Tabu mehr. »Georges Bock

Die nun geplanten Reformen lassen zahlreiche Möglichkeiten verschwinden, die Unternehmen nutzten, um ihren tatsächlichen Steuersatz zu senken, erklärt O’Donnell. Es bräuchte demnach einen geringeren offiziellen Steuersatz, damit Luxemburg attraktiv bleibe, so der Steuerexperte.

Die „intérêts notionnels“ sind fiktive Zinsen, die Unternehmen von den Steuern abziehen können, wenn sie sich über ihr Eigenkapital statt über Schulden finanzieren. Diese fiktiven Zinsen könnten eine ähnliche Wirkung haben, wie die nun zur Disposition stehenden Steuernischen, meint O’Donnell.

Was kostet die Welt

Im Gegensatz zu den von DP und CSV in Aussicht gestellten Steuersenkungen stehen die „intérêts notionnels“ bereits im Koalitionsabkommen der aktuellen Regierung. Allerdings ließ der Luxleaks-Skandal kaum Spielraum für die Einführung einer neuen Massensteuersenkungswaffe. Doch inzwischen wird über diese Maßnahmen auch auf EU-Ebene diskutiert. „Es ist kein Tabu mehr“, freut sich Georges Bock.

Die Frage ist allerdings, wie weit der Steuersatz sinken muss, damit Luxemburg „attraktiv“ bleibt. Drei Prozent, ist die Antwort einer Forschergruppe rund um den französischen Ökonomen Gabriel Zucman. Das ist ihre Berechnung des effektiven Steuersatzes, den multinationale Konzerne 2015 auf Gewinne zahlten, die sie nach Luxemburg verlagerten. Der eigentliche Satz für gewöhnliche Unternehmen liegt bei 26 Prozent.